Gabriele Weinfurter 

 "Man soll die Dinge so einfach wie möglich machen,

aber nicht einfacher."
                                                                                                                                                                                  Albert Einstein 

 

 Theoretische Erklärung

und

Nachschlagewerk

 

 

Die Theorie über die Stimmfunktion stellt die anatomischen, physiologischen, biologischen, neurologischen, akustischen und psychologischen Zusammenhänge der Funktion des menschlichen Instrumentes Stimme nach momentanen wissenschaftlichen Kenntnissen dar. Es handelt sich nicht um eine abgeschlossene Lehrmeinung, sondern um einen Erkenntnisprozess, der jetzt und in Zukunft ständig erneuert und erweitert wird.

Zitat Rabine-Institut

 

 

 

 

Gesang als elementare Möglichkeit zur Äußerung von Innerlichem, als Quelle von Freude und Gesundheit, als kulturelle, rituelle und spirituelle menschliche Ausdrucksform ist elementarer Bestandteil der menschlichen Kultur. Vom Ursprung her ist er verwandt mit dem „Jauchzen“, einer Lautäußerung, die Säuglinge schon in den ersten Lebensmonaten als Ausdruck höchsten Vergnügens von sich geben. Bemerkenswert ist, dass sie einatmend jauchzen, aber ausatmend weinen. In der Bedeutung, Glück und Freude zum Ausdruck zu bringen, wird Jauchzen und Singen gern in einem Atemzug genannt. Die Art zu singen, wie wir Menschen es tun, ist etwas, was unsere Spezies, den homo sapiens sapiens, von allen anderen unterscheidet: Durch unseren speziellen Körperbau sind wir als Einzige in der Lage, diese besondere Lautäußerung hervorzubringen. Singen in dieser Form hat Eugen Rabine als „funktionalen Gesang“ bezeichnet und als komplexesten zusammengesetzten Reflex des Körpers beschrieben. Es ist in allen Menschen von Geburt an angelegt. Jeder kann ihn für das eigene Wohlbefinden nutzen.

Die Aufgabe, singen zu lernen, besteht also nicht darin, etwas gänzlich Neues, dem natürlichen Verhalten Widersprechendes oder Aufgesetztes zu erlernen. Es geht vielmehr darum, etwas bereits Vorhandenes von Gewohnheiten und Schutzmechanismen zu befreien, um die daran beteiligten Parameter für eine „Luxusfunktion“ zu optimieren. So wird das, was als Anlage schon von Natur aus da ist, durch die Selbstheilungskraft des Körpers zur Entfaltung aus sich heraus gebracht. Dann kann die emotionale Funktion dieses Verhaltens in vollem Maß erfüllt werden: Singen kann die komplexe Psyche des Menschen durch die Ausschüttung von „Glückshormonen“, etwa Endorphinen, Serotonin und Dopamin, von innen heraus regulieren. Zahlreiche Studien belegen seine euphorisierende Wirkung. Mehr noch: Durch das immer feinere Zusammenspiel der Atmung mit der Erweiterung und Tonisierung des Körpers und die regelmäßigen Vibrationen beim Singen wird Verbundenheit von Körper und Psyche im Augenblick bewusst erfahrbar, wie es in passiverer Form ja auch Ziel jeder Meditationstechnik ist. So wird die Fähigkeit zu singen zu einer jederzeit verfügbaren Oase des Wohlgefühls, einem Rückzugsort in die innere Harmonie, unabhängig davon, welche äußeren Umstände und Einflüsse gerade herrschen.

Funktionales Stimmtraining eignet sich für alle Stilrichtungen, und ebenso für Menschen in Sprechberufen. Es wird auch in den Bereichen der Logopädie, Phoniatrie, Musiktherapie, Psychotherapie und zur Entwicklung neuer therapeutischer Richtungen angewendet.

 

Beim Saugreflex wird durch die sich vergrößernde Kieferöffnung bei aktivem Lippenring der Rachenraum immer mehr horizontal und vertikal erweitert, der Kehlkopf immer weiter abgesenkt und so der Sog erhöht. Der Vokaltrakt setzt der einströmenden Atemluft geringstmöglichen Widerstand entgegen, so dass die Einatmung optimal schnell und effektiv erfolgen kann. Dadurch wird die die Einatmungsmuskulatur bestmöglich trainiert und fähig, die Muskelspannung auch während der Ausatmung dominant aufrechtzuerhalten.

 

 

VORWORT

Diese Seite ist gedacht zur Information für Menschen, die mit der Stimme arbeiten, ob im Sänger- und Sprecherberuf oder auf pädagogischer Ebene in Schule und Chor. Für alle, denen ein gesunder Umgang mit den Ressourcen und Möglichkeiten des menschlichen Körpers zu Selbstausdruck und Selbstheilung ein Anliegen ist, soll es als Orientierungshilfe dienen. Ein wichtiger Aspekt dabei ist auch, zu beleuchten, welche Ansätze unterstützend wirken für das, was von Natur aus im Organismus angelegt ist, und welche dem eher zuwiderlaufen.

Die Fähigkeit zu singen ist nach der funktionalen Definition ein reflektorisches Geschehen, und als Anlage angeboren. Die ausdehnende Einatmungsmuskulatur dosiert dabei während der Ausatmung den Atemstrom. Das ist ein nicht ins Tagesbewusstsein dringender Vorgang, wie auch alle anderen autonom ablaufenden Körperfunktionen. Darum sind die Schutzhaltungen, die ihn begleiten, ebenfalls nicht bewusst erkennbar. Um persönliche Strategien umzuprogrammieren, ist es nötig, dem System schützende Alternativen anzubieten, damit der Organismus bereit ist, die selbst installierten Schutzgewohnheiten aufzugeben. 

Die Seite ist aufgebaut als Nachschlagewerk. So kann man sich darin gezielt über bestimmte Themenbereiche informieren. 

Ich möchte versuchen, einen Überblick über den heutigen Wissensstand zu diesem Thema zu geben. Eugen Rabine hat dazu zusammen mit seinem Team in jahrzehntelanger Forschungsarbeit Herausragendes geleistet.

Die funktionale Methode basiert auf wissenschaftlichen Erkenntnissen über stimmfunktionale, muskuläre und neuronale Zusammenhänge sowie über akustische Wechselwirkungen mit der Stimme. Sie wurden von Sängern, Ärzten, Neurologen, Stimmwissenschaftlern und Akustikern gemeinsam erforscht. Die daraus gewonnenen Erkenntnisse decken sich in auffälliger Weise mit dem italienischen „Belcanto“. Das ist keine festgeschriebene Gesangslehre, sondern die Leitsätze dieser Tradition haben sich über viele Generationen hinweg infolge genauer Beobachtung der körperlichen Vorgänge beim Singen entwickelt und etabliert. Das Wissen wurde über 400 lang Jahre von Lehrer zu Schüler weitergegeben und war die Basis für die außerordentliche Gesangskunst im Italien des 17. bis 19. Jahrhunderts. Es ist bemerkenswert, dass auch die Technik heutiger Profisängerinnen und -sänger sehr häufig Merkmale sowohl der traditionellen Aussagen des Belcanto als auch der Erkenntnisse der funktionalen Stimmforschung aufweist. Obwohl beide Ansätze zeitlich sehr weit auseinanderliegen und im Falle der funktionalen Gesangslehre aufgrund deren Entstehungszeit in den 80er Jahren des 20. Jahrhunderts noch gar nicht flächendeckend bekannt sind, scheint es ein dem singenden Menschen immanentes Wissen über die effektivste Art der Stimmbehandlung zu geben. Übereinstimmend zeichnen sich die entsprechenden Gesangsstile durch eine den natürlichen Voraussetzungen entsprechende Herangehensweise und einen wohltönenden Klang aus.

Ziel des funktionalen Gesangstrainings ist der körpergerechte und nachhaltige Umgang mit der Stimme. Er erhöht ihre Differenzierungsmöglichkeit, Tragfähigkeit und Widerstandsfähigkeit und steigert die Lust am Singen erheblich. Auch stimmliche Alterungsprozesse werden verlangsamt und ihre Auswirkungen minimiert, teilweise sogar rückgängig gemacht. Mit funktional gesundem Singen können Sängerinnen und Sänger aller Stilrichtungen ihr Instrument optimal pflegen und lernen, ihr volles stimmliches Potential zu entwickeln und aufrechtzuerhalten bis ins hohe Alter. Obendrein kann die Art, offen, achtsam und positiv mit sich umzugehen, sich nach und nach auch im Alltag manifestieren und ihre physisch wie psychisch befreiende, aufrichtende und stabilisierende Wirkung entfalten. Somit kann die funktionale Stimm- und Körperarbeit als lebenslanger Entwicklungs- und Heilungsprozess für Körper und Psyche betrachtet werden. Anderen ganzheitlichen Körpertechniken und Heilmethoden wie Feldenkrais oder Yoga hat sie im Hinblick auf die künstlerische Komponente sogar etwas voraus.

Dennoch möchte ich betonen, dass es unmöglich ist, mit Hilfe einer Beschreibung in einem Buch Singen zu lernen, genauso wenig, wie das Wissen über  muskuläre und neurologische Zusammenhänge eine physiotherapeutische Behandlung ersetzen kann. Theoretisches Wissen unterstützt aber die bildliche Vorstellung und so die mentale Verknüpfung und differenzierte Wahrnehmung. Eugen Rabine sagt Folgendes dazu: „Wissen ohne Praxis, das heißt, ohne es zu üben oder anders praktisch anzuwenden, hat wenig Bedeutung.“ (Renate Rabine, „Die theoretischen Werke von Eugen Rabine – vol. 1“, S. 6)

Ein wichtiges Ziel für mich als Gesangspädagogin ist auch, Menschen eine Stimme, ihre Stimme zu geben, damit sie sich bemerkbar machen, kraftvoll ihren Platz einnehmen, offen und aufrecht ihre persönliche Wahrheit kundtun, kreativ und flexibel auf Veränderungen reagieren und selbst-bewusst konstruktive, harmonische „Vibes“ in die Welt senden können.

FUNKTIONAL SINGEN, WAS IST DAS?

Möglichst einfacher Erklärungsansatz für ein sehr komplexes Geschehen

 

Haltung, Aufrichtung, Atmung 

 

Um zum Singen ein möglichst effizientes „Instrument“ zur Verfügung zu haben, ist es sehr hilfreich, die Zusammenhänge zwischen der Körperaufrichtung, einer speziellen sängerischen Atmung und der Funktion unserer Klangquelle zu berücksichtigen.

Die Stimmlippen sind evolutionär gesehen das letzte und auch zuletzt entstandene Ventil zum Schutz der Atemwege. Durch seine Fähigkeit zu blitzschneller, vegetativ gesteuerter Schließung bei geringster Irritation schützt es sie vor dem Eindringen von Fremdkörpern. (Man stelle sich nur das berühmte eingeatmete Staubkorn vor, das zu sofortiger Schließung der Stimmlippen mit darauf folgender Hustenattacke führt!) Weil Fremdkörper von außen in uns eindringen, sind die Stimmlippen neuronal mit den Einatmungsmuskeln verknüpft. In jeder Einatmung, besonders natürlich in einer großen, haben sie eine erhöhte Bewegungs- und Schließbereitschaft. Sie sind in der Lage, von selbst zu schließen. Ihr Verschluss fühlt sich präzise an, manchmal kaum fühlbar. Deutlich wird dieser Reflex beim Schluckauf, nach heutigem Kenntnisstand einem vorgeburtlichen Training der Einatmungsmuskeln. 

Durch die Schließung der Stimmlippen in der Einatmung und den daraus folgenden Unterdruck in der Lunge wird eine dominante Kraftanwendung zum Körper hin möglich, z. B. ein Klimmzug. Von der Funktion her sind sie also ein Unterdruckventil: Sie schützen die Lunge vor Aufblähung. Auch wenn das Ventil geschlossen ist, bleibt die Flexibilität des Körpers vollständig erhalten, denn es ist dazu entstanden, dass bestimmte differenzierte Bewegungen ausgeführt werden können.

Dem entgegen steht ein weiteres, etwa einen Zentimeter oberhalb der Stimmlippen gelegenes Ventil: Das sind die sogenannten Taschenfalten. Sie hängen als Schleimhautlappen in die Luftröhre hinein. Sie haben selbst keine Muskeln. Während der Ausatmung können sie von Nacken- und Rachenringmuskeln sowie der Zunge geschlossen werden. Sie dienen der Stabilität des Rumpfes bei dominanter Kraftanwendung weg vom Körper, wie Gebären oder Schieben. Darum sind sie neuronal mit den Ausatmungsmuskeln verschaltet. Für die Ausatmung verengt sich unser Rumpf durch die Kontraktion der Bauchmuskeln. Differenzierte Bewegungsabläufe sind in dieser „Überdruckfunktion“ nicht möglich. Der davon ausgelöste teilweise Verschluss der Taschenfalten und reflektorisch auch der Stimmfalte fühlt sich eher großflächig an, der Hals geht „zu“. Je mehr Druck wir aufwenden, umso größer wird die Verschlussfläche.

Die Natur hat uns den Luxus in die Wiege gelegt, dieses Organ zum Singen nutzen zu können. Vielleicht ist das ursprünglich entstanden als natürliche Möglichkeit zur Selbstregulation unserer differenzierten und daher störanfälligen Psyche. Sicher ist, dass Singen in hohem Maße Endorphine, Serotonin und Dopamin ausschüttet, ohne direkten Bezug zu den lebenserhaltenden Körperfunktionen

Um in den Modus des Gesangsreflexes zu kommen, nutzen wir die Kopplung unserer Stimmlippen mit der Einatmungsmuskulatur, weil das ihre Bewegungsbereitschaft erhöht. Der erste, entscheidende Schritt ist eine große, effektive Einatmung. Ab etwa 50 % Lungenvolumen aktiviert diese sängerischen Einatmung den Regelkreis der reflexgesteuerten Stimmerzeugung. Am Ende rotieren die Schulterblätter leicht nach außen. Zugleich erweitert sich der Brustkorb bis hinauf zur fünften Rippe. Diese Bewegung, verbunden mit einem Gefühl des „Aufatmens“, löst im Idealfall den Gesangsreflex neuronal aus. Vergleichbar ist diese für die funktionale Phonation unerlässliche Vorbereitung mit dem Starten eines Computers: Es ist notwendig für den Zugang zu den Funktionen, hat aber nichts mit der Nutzung der Programme zu tun. Ähnlich verhält es sich mit dem Radfahren: Ohne zuvor aufzusteigen, kann man nicht fahren. Diese komplexe Bewegung erfordert aber einen extra Lernprozess, der unabhängig von der Optimierung der Bewegungsabläufe beim Fahren selbst erfolgt.

Wenn wir singen, was wir in der Ausatmung tun, werden die Bewegungsabläufe weiter dominant von der die Einatmungsmuskulatur geleitet. Dadurch bleiben die Stimmlippen im Aktivitätsmodus. Darum ist die Ausatmung beim Singen sanft, mit wenig Luftdruck unter den Stimmlippen und immer von der Einatmungstendenz balanciert. Der Hals bleibt „offen“. Das nennt Eugen Rabine „Unterdruckfunktion“. 

Im Gegensatz zum Singen ist Schreien eine Ausatmungsfunktion. Es entsteht durch die Aktivierung der schrägen Bauchmuskeln und ist deshalb mit Überdruck gekoppelt. In gefährlichen Situationen ist eine Anspannung der Bauchdecke und eine davon ausgelöste Verengung der oberen Luftwege bei gleichzeitiger Tongebung durchaus sinnvoll. Dadurch sind sowohl Lunge und Herz als auch die Weichteile geschützt. Dass diese Art der Tonerzeugung die Stimmbänder strapaziert, ist in solchen Augenblicken angesichts ihrer Bedrohlichkeit sekundär.

Also ist die Tätigkeit des Singens auf der einen Seite beglückend und befreiend, auf der anderen Seite ist sie nur in einem geschützten Rahmen optimal möglich: Nur wenn der Mensch sich sicher fühlt, kann er sich und damit den Vokaltrakt in der Weise öffnen, dass diese Öffnung zum Gesangsreflex führt. 

Die Bauchmuskeln, die Haupt-Ausatmungsmuskeln, sind durch die Erweiterung der Rippen zu Beginn der Klangerzeugung gedehnt. Sie werden während des Singens nach und nach aktiver, je länger die Phrase dauert. Der Bauch darf also nach innen gehen. Das geschieht ganz von selbst, wenn die Einatmungsmuskeln im Bereich der oberen Rippen aktiv bleiben. Dann ist es die antagonistische Reaktion auf die kontrollierte Entspannung und Aufwärtsbewegung des Zwerchfells in der Ausatmung. Bei dieser sängerischen Ausatmung sinkt der obere Brustkorb nicht zusammen. Der Luftverlust führt zu einer allmählichen Verengung im Bereich der freien Rippen unterhalb des Brustbeins und in der Folge auch darunter im Oberbauch. Eine bewusste Kontraktion des Bauches während des Singens ist aber kontraproduktiv. Sie würde den Regelkreis der Überdruckfunktion in Gang setzen. Die Taschenfalten würden nach innen gedrückt und der Resonanzraum dadurch verengt. Der Gesangsreflex würde zusammenbrechen. 

Da die Stimmlippen primär ein Schutzorgan für die Atemwege sind, reagieren sie mit Schließtendenz auf jede Irritation im Vokaltrakt. Auch  Luftverwirbelungen durch Resonanzstörungen aufgrund von auf akustischen Interferenzen, den sogenannten „Brüchen“, lösen diesen Schließreflex aus. Deshalb ist es unangenehm, auf Höhe des „Bruchs“ bzw. „Übergangs“ Töne zu erzeugen.

Das Zwerchfell ist der einzige reine Einatmungsmuskel. Alle anderen Muskelgruppen sind primär für die Körperaufrichtung zuständig. Erst wenn eine vollständige Aufrichtung gewährleistet ist, werden diese Muskelgruppen auch für die Einatmungsbewegung aktiv. Ein hoher und flexibler Tonus in der Beinmuskulatur wirkt sich deshalb unterstützend auf ihre Aktivität aus. Denn die Beinmuskeln dienen im Stand ausschließlich der Körperaufrichtung. Nur eine stabile und flexible Kette der Aufrichtungsmuskulatur von den Fußsohlen bis zum Atlas ermöglicht deshalb eine Einatmungsaktivität, die für das Auslösen des Gesangsreflexes ausreicht. 

Aus diesem Grund ist funktionales Singen bis zum Ende der Pubertät bis etwa zum siebten Lebensjahr unmöglich. Die kindliche Körperaufrichtung und der nötige Tonus sind noch nicht vollständig entwickelt. Kinder singen daher in einer anderen Funktion als Erwachsene, einer Art Rufen. Deshalb entwickeln sie in den meisten Fällen auch kein Vibrato. Für dessen Entstehung braucht die Muskulatur eine gewisse Reife. Erst beim ausgewachsenen Menschen kann sie die erforderliche Spannung entwickeln.

Die Art der Stimmgebung von Kindern wird heute häufig in den Erwachsenengesang übernommen und vor allem in der Popkultur verwendet. Da nimmt sie inzwischen eine ästhetisch recht beachtliche Stellung ein. Demgegenüber ist das Singen mit Vibrato für viele Ohren ungewohnt, weil es auch in der Kindheit oft nicht gehört wurde. Heute findet man es seltener als früher, das Klangideal hat sich geändert. Weil sich aber zwischen agonistisch und antagonistisch arbeitender Muskulatur bei hoher Muskelspannung und effizienter Balance ein Entlastungszittern einstellt, ist Singen mit Vibrato eigentlich die natürlichste, gesündeste Singweise. Denn diese regelmäßige Schwingung wird zugleich mit der erzeugten Tonfrequenz beim Singen hörbar. Vermutlich hat das Vibrieren auf den Tönen beim Instrumentalspiel, das heute allgemein verbreitet ist, seinen Ursprung in diesem Zusammenhang.

 

Vokaltraktgestaltung, Klangerzeugung 

 

WIE die Luft durch unseren Mund nach innen kommt, hat auch ganz wesentliche Einflüsse auf die Qualität unserer Atmung und unseres Singens. Generell gilt: Die optimale Mundöffnung beim Singen beträgt etwa drei bis vier Zentimeter, eventuell je nach Körperbau leicht abweichend. Allerdings ist die Dehnungsbereitschaft des großen Kaumuskels, des kräftigsten Muskels im ganzen Körper, oft eingeschränkt durch psychosomatische Erinnerungsmuster. Es kann ein langwieriger Prozess sein, sie durch vorsichtige Dehnungsübungen und Massage wiederherzustellen.

Bei der Mundöffnung zum Sprechen, Essen und Gähnen wird die die Zunge bei der Kieferöffnung aktiv: Sie drückt durch Kontraktion ihrer hinteren Anteile den Kiefer nach unten und zieht gleichzeitig den Kehlkopf hoch. Dadurch wird er aus der für das Singen günstigen tiefen Position gebracht. Der Kehldeckel wird gegen die Zungenwurzel gedrückt und schließt den Rachenraum. Evolutionär ist das die primäre Aufgabe des Kehlkopfs. Bei der Mundöffnung werden dadurch die Atemwege vor dem Eindringen von Fremdkörpern geschützt. Dazu wird der Vokaltrakt verengt, im Extremfall fast ganz verschlossen. Passiert etwas Ähnliches beim Singen, hat es eine „gequetschte“, „enge“, „knödelnde“ Klanggebung zur Folge. Diese Schließung des Resonanzraumes verlangt den Stimmlippen eine viel größere Anstrengung für die gleiche Lautstärke ab. 

Eine Kieferöffnung ohne Zungendruck erfolgt primär durch zwei sehr schwache Muskeln, die von der Unterseite des Kinns ausgehen. Sie haben gegen den übermächtigen Schließer Kaumuskel keine Chance, wenn er nicht nachgibt. Darum ist Kieferöffnung ohne Zungendruck ein komplexer Bewegungsablauf. Er bezieht sehr viele Muskeln mit ein. Deshalb kann er auch nicht willentlich angesteuert werden. Am ehesten ist er mit der Öffnungsbewegung zu vergleichen, die unbewusst ausgeführt wird, bevor man aus einer Flasche einen großen Schluck trinkt. (Wenn man sich dabei beobachtet, merkt man, dass man instinktiv dabei einatmet.)

Für das Singen ist es sehr hilfreich, durch „Schürzen“ der geschlossenen Lippen, wie zum Küssen, den Unterkiefer schlittenartig vorzuziehen und die Mimikmuskulatur dadurch zu dehnen. (Die Bildung einer „Schnute“ ist eine andere Bewegung, die durch schließende Muskulatur zustande kommt.) Sobald es ohne Druck möglich ist, wird der Lippenring zu „u“, dann „o“, bis zu einem dunklen, ovalen „a“ geöffnet. Die Zunge bleibt dabei vorne. In den Lippenringmuskeln und speziell in den Mundwinkeln bleibt aber eine dauernde Restkontraktion erhalten. Sonst springen sofort andere Muskelgruppen, vorzugsweise die Zunge, „helfend“ ein, um die verlorengegangene Schutzfunktion des Lippenrings zu kompensieren.

Im Idealfall bleibt die Spannung in den Mundwinkeln erhalten bis zur vollständigen Dehnung der Stimmfalte. Denn Dehnung entspricht Schließbereitschaft bzw. Rückstellkraft, wie beim Spannen einer Bogensehne. So ist ein optimaler Schutz der Luftröhre gegeben, und gleichzeitig sind die Stimmlippen bereit, bei der folgenden Klangerzeugung die dominante Rolle zu übernehmen.

Die oberen Atemwege sind eine zentrale, lebenserhaltende Schutzzone unseres Körpers. Ein unachtsames Vorgehen wird reflektorisch immer eine größere Schließung auslösen. Darum ist Behutsamkeit bei der Mundöffnungsbewegung das A und O! Das Ergebnis ist dann eine mühelose, äußerst schnelle und lautlose Einatmung.

 

Die Qualität der Mundöffnung bestimmt die Qualität der Phonation. 

 

Durch sie wird der Vokaltrakt gestaltet, der sich von den Stimmlippen bis nach oben zum weichen Gaumen und nach vorne zur Mundhöhle erstreckt. Eine sängerisch günstige Gestaltung dieses Raumes gewährleistet eine optimale Resonanz und Klangverstärkung. Sie erleichtert dem tongebenden Organ auf diese Weise äußerst effektiv die Arbeit. Der Vokaltrakt kann seine Form extrem verändern. Die Qualität unseres Klanges, übrigens auch beim Sprechen, hängt zu einem sehr großen Teil von der Gestaltung dieses Raumes ab. Die Position des Kehlkopfs ist variabel.

Eine möglichst tiefe Senkung ist für die Klangverstärkung natürlich wünschenswert. Ein großes Instrument klingt voller und reicher als ein kleines! Allerdings darf diese Senkung nicht durch Druck der Zunge nach unten geschehen. Denn das hätte ja wieder eine Verkleinerung des Resonators und eine Dämpfung der entstehenden Klangwellen zur Folge.

Für das Singen nutzt man auch dafür eine vollständige Einatmung. Sie sorgt durch die fasziale Verbindung des Kehlkopfs mit dem Zwerchfell über die Lunge dafür, dass er durch die Zwerchfellkontraktion mit nach unten gezogen wird, und die Stimmfalte sich öffnet. Diese Senkung kann bis zu sieben Zentimeter betragen. In der funktionalen Fachsprache heißt das „trachealer Zug“. 

Eine wesentliche Voraussetzung für eine gute Raumgestaltung ist auch die Bereitschaft der Schluckmuskulatur, nachzugeben, zu öffnen und aktiv zu runden. Das sind komplementäre Bewegungsabläufe zu denen, die bei der Primärfunktion dieser Muskelgruppe aktiviert werden, denn Schlucken bedeutet Schließen. Darum sind sie anfangs sehr ungewohnt und nicht leicht anzusteuern. Einzig bei den Schlundmuskeln, auf Lateinisch Constrictoren, ist in der Funktion des Würgens eine Rundungskomponente auch reflektorisch vorgesehen.

Das alles zu erkennen und zu erlauben ist nicht einfach und kann physisch und psychisch herausfordernd sein. Es braucht Geduld, Achtsamkeit und Zeit. Sonst kann es Stress auslösen, was dann zu größerer Schließung führt.

Neben der reinen Klangverstärkung kann unser Vokaltrakt durch kleine Positionsänderungen in Zunge, Lippen und Rachenrückwand auch die Vokalfarben modifizieren. Im besten Fall ändern diese Artikulationsbewegungen aber nichts an der Form des Resonanzraumes und der Klangqualität. Dann bleibt die direkt am Kehlkopf fühlbare tiefe Frequenz verbunden mit der hohen Frequenz am weichen Gaumen, ohne dass sich die Zunge als dämpfende und verengende Komponente störend dazwischenschiebt. In der sängerischen Fachsprache nennt man das „Vokalausgleich“.

Das Ergebnis ist die sängerische Artikulationsbewegung. Ihr Hauptziel ist eine möglichst ungestörte Klangentwicklung. Deshalb weist sie gravierende Unterschiede zur Artikulationsbewegung beim Sprechen auf, besonders bei den „schließenden“ Vokalen. Das helle „a“ und das geschlossene „i“ kommen in der sängerischen Artikulation in der Form gar nicht vor, in der sie beim Sprechen gebraucht werden. Diese Vokale werden für die sängerische Artikulation ganz anders gebildet. Bei der Sprache liegt der Fokus auf Textverständlichkeit und Informationsaustausch, und der Stimmklang wird deshalb im Zweifelsfall sekundär behandelt. Beim Singen ist es naturgemäß genau umgekehrt. 

Auch für die Raumgestaltung beim Singen gilt immer die Reihenfolge, zuerst den Körper zu tonisieren, um dann dadurch eine vollständige Atmung zu ermöglichen. Nur wenn die Haltungsmuskeln stabil und zugleich flexibel sind, können die feinen und differenzierten Bewegungen in Atmungsapparat und Vokaltrakt effizient ausgeführt werden.

EVOLUTION DES SINGENS

Singen in der funktionalen Weise, wie Eugen Rabine es versteht, ist eine Art, den Körper zur Klangerzeugung zu nutzen, die dem Menschen aufgrund seiner vollständigen Aufrichtung als einzigem Lebewesen zur Verfügung steht. Allein die echte Aufrichtung des Körpers mit seinem Klangraum im Inneren ermöglicht die Entstehung einer stehenden Klangsäule, wie sie für das Singen benötigt wird.

Der Vokaltrakt erstreckt sich von den schwingenden Stimmlippen bis zum geschlossenen Gaumensegel beim erwachsenen Menschen etwa zwölf bis fünfzehn Zentimeter vertikal nach oben.

Die Klangerzeugung ist ein komplexer, sich selbst regulierender reflektorischer Ablauf zwischen dem Vocalismuskel und dem Ringknorpel-Schildknorpelmuskel. Dabei sorgt ein Grundtremor der antagonistisch arbeitenden Muskulatur von etwa 5-7 Hz für ausgleichende Entlastung während der kontinuierlichen Muskelarbeit. Die dafür nötige Balance zwischen den Agonisten Vocalis und Kehlkopfmuskel kann nur erreicht werden durch die starke Senkung des Kehlkopfs. Sie findet während der Entwicklung von Kind zum Erwachsenen statt und kommt so nur beim Menschen vor. Ohne diese Senkung wären die anatomischen und akustischen Voraussetzungen für eine derart differenzierte Erzeugung von Tönen nicht gegeben. Anders gesagt, die aufgerichtete Körperhaltung ist die Voraussetzung für die Fähigkeit zu singen. Aufgrund dieser Aufrichtung haben wir überhaupt die Möglichkeit, unsere Mund- und Mimikmuskulatur so flexibel zu bewegen, dass wir sprechen können. Sie ist also auch die Basis für die Entwicklung der menschlichen Kultur allgemein. 

Nach neueren Erkenntnissen hat sich die aufrechte Haltung, die uns von allen anderen Tieren unterscheidet, in zwei Schritten vollzogen: Als die frühen Vorfahren des  Menschen sich auf die Bäume schwangen, um neue sichere und nahrungsreiche Lebensräume zu erschließen, wurde außer dem Überdruckventil, den sogenannten Taschenfalten, das die Ausübung von Druck weg vom Körper ermöglicht, ein Unterdruckventil nötig, um bei über den Kopf gehobenen Armen eine allzu starke Aufblähung der Lunge zu verhindern. Das waren die Vorläufer der Stimmlippen.

Später, in einem Entwicklungsschritt, den Eugen Rabine als „second waterperiod“ bezeichnete, (Eugen Rabine, „Keys to voice“, S. 82), verlegten die Hominiden vermutlich ihren Lebensraum von den Bäumen an die Ufer der Flüsse, Seen und Ozeane, um ihr Nahrungsangebot zu erweitern. Sie lernten, im seichten Wasser Fische zu fangen. Dafür spricht der stromlinienförmige Körperbau, der einzigartig ist unter allen Primaten, und ebenso die Form und Position des menschlichen Beckens vertikal über den Beinen. Die horizontale Nasenöffnung, die das Eindringen von Wasser erschwert, die Fähigkeit, mit Hilfe des weichen Gaumens die Nase von innen zu schließen und die Reste von Schwimmhäuten zwischen den Fingern lassen ebenfalls auf Aktivitäten im und unter Wasser schließen. Unsere angeborene Vorliebe für Wasser und Leben an Gewässern sowie Größe und Eiweißbedarf unseres Gehirns, der allein durch die Nahrung der anderen Primaten niemals gedeckt werden könnte, sind weitere Hinweise dafür.

Allmählich veränderte sich der Körperbau, durch den Auftrieb des Wassers unterstützt, bis die vollständige Aufrichtung möglich wurde. Dadurch senkte sich der Kehlkopf sich in den verlängerten Hals ab und nahm stark an Beweglichkeit zu. Damit waren die anatomischen Voraussetzungen für Gesang und Sprache geschaffen.

Noch heute entwickelt sich jedes neugeborene Kind auf die gleiche Weise, und funktionaler Gesang mit dem Vibrato als Regulativ ist daher auch erst nach der Pubertät und damit der vollständigen Kehlkopfsenkung möglich. Davor gibt es in der Regel nur eine Form des Rufens bzw. auch Schreiens, um Töne zu erzeugen. 

Jeder Mensch kann im Selbstversuch testen, wie es sich anfühlt, tief zu atmen, wenn er senkrecht bis über die Schultern im Wasser steht. In dieser Position wird das Vorhaben, entspannt „in den Bauch“ einzuatmen und den oberen Brustkorb in der Ausatmung locker sinken zu lassen, wie es bei der Ruheatmung geschieht, durch den Auftrieb des Wassers vereitelt. Durch den Druck des Wassers ergibt sich auf natürliche Weise eine ungewöhnliche Atmungsvariante, bei der sich auffallende Entsprechungen optimalen sängerischen Atmung beobachten lassen: Im Wasser entfächern sich im Verlauf der Einatmung die Rippen von unten nach oben Dadurch wird die Bauchdecke erst quer und dann längs gedehnt. Die durch die Einatmung entstandene Erweiterung der oberen Rippen bleibt bei der Ausatmung erhalten, denn die Atemluft in den Lungen hat ein geringeres spezifisches Gewicht als Wasser. Für die Ausatmung müssen darum die entsprechenden Muskeln aktiv kontrahieren. Dadurch werden die unteren Rippen zusammengezogen, der Rumpf wird im Bereich der Taille schlank. Die Bauchdecke wird dabei im unteren Bereich sogar noch mehr gedehnt, und  das Becken kippt leicht nach vorne.

Ohne den im Wasser vorhandenen Auftrieb ist diese besondere Form der Atmung nur bei stark erhöhtem Körpertonus möglich. Vielleicht ist auch das ein Hinweis darauf, dass die Fähigkeit zu singen in der Weise, wie nur wir Menschen es tun, ursächlich mit der speziellen Unterstützung der Körperaufrichtung zusammenhängt, die im Wasser vorhanden ist. Der allgemein gebräuchliche Begriff „Stütze“ für eine gute Atemführung beim Singen spricht für sich.

VORBEMERKUNG

Im Folgenden möchte ich versuchen, in alphabetischer Anordnung einen Einblick zu geben in die funktionalen Gegebenheiten und Vorgänge beim Singen. So kann man sich wie bei einem Lexikon je nach Interessenlage über einzelne Themenbereiche informieren. Manches wiederholt sich in unterschiedlichen Zusammenhängen, weil bestimmte Informationen für verschiedene Themenbereiche relevant sind. Das ist nötig, um die einzelnen Punkte möglichst verständlich darzustellen.

Trotzdem soll das keine medizinische Abhandlung für Spezialisten sein. Deshalb bemühe ich mich um verständliche Formulierungen, nach Möglichkeit ohne lateinische Fachbegriffe.

Es erscheint mir wichtig, die ohnehin sehr komplexen Abläufe so eindeutig und nachvollziehbar wie möglich darzustellen, auch für Menschen ohne entsprechende Vorkenntnisse auf diesem Gebiet. Mein Ziel ist, einen Kompromiss zu finden zwischen einer korrekten, allgemein anwendbaren Begrifflichkeit und einer assoziativen Ausdrucksweise, die eine bildliche Vorstellung fördert von den unsichtbaren, aber logischen Zusammenhängen in unserem Körper.

Die Verknüpfung verschiedener Wahrnehmungsmöglichkeiten mit den theoretisch-physikalischen Gegebenheiten soll den Zugang zu einer körper-bewussten Stimmbehandlung  erleichtern.

Auf dem Gebiet der Gesangspädagogik existiert eine solche Vielfalt an sich teilweise von Schule zu Schule widersprechenden Fachjargons, dass ich ein Vokabular anbieten möchte, das sowohl klar die Sachverhalte benennt, als auch flüssig zu lesen ist. Dafür habe ich vor allem die aus der Überlieferung des Belcanto üblichen, italienischen Begriffe gewählt sowie die Fachbegriffe der funktionalen Stimmpädagogik. Das heißt, ich verwende weitestgehend die Terminologie, die Eugen Rabine geprägt hat, und die im Rabine-Institut übereinstimmend für Lehr- und Unterrichtszwecke genutzt wird.

Auf diese Weise möchte ich einen Beitrag leisten zur Verbreitung der wichtigen und interessanten Erkenntnisse der heutigen funktional orientierten Stimmforschung. Ich verbinde damit die Hoffnung, dass alle, die sich für das Wesen des Singens interessieren, inspiriert werden und neue Ideen erhalten, wie sie für sich selbst und ihre Schülerinnen und Schüler einen natürlichen und bio-logischen Zugang zu dieser wundervollen Körperfunktion erschließen können.

 

BELCANTOBEGRIFFE UND FACHAUSDRÜCKE FUNKTIONAL ERKLÄRT A - C

APERTO MA CUPERTO

Der Begriff „suono aperto“, „offener Klang“, bezieht sich auf den horizontalen Durchmesser des Vokaltrakts: Die Constrictoren, die Schlundmuskeln, bilden die hintere und der hintere Zungenrücken die vordere Wand des Vokaltrakts. Je mehr die Constrictoren runden und je weiter vorne gleichzeitig die Position des Zungenrückens ist, desto weiter geöffnet ist der Vokaltrakt. 

Mit dem Begriff „offene Vokale“ wird im deutschen Sprachgebrauch der Grad der Kieferöffnung bezeichnet („Ofen - offen“!). Offene Vokale in dieser Bedeutung existieren im Deutschen allerdings nur als kurze Vokale, lang gesprochene Vokale sind immer geschlossen. In anderen Sprachen, etwa im Italienischen, gibt es andere Strategien für die Bildung von offenen Vokalen.

Das im Deutschen dafür nötige Aufklappen des Unterkiefers ist aber nicht gleichzusetzen mit der horizontalen Weite des Klangraumes. Im Gegenteil: Es ist sogar kontraproduktiv, den Kiefer weiter als höchstens etwa drei bis vier Zentimeter zu öffnen (gemessen am vorderen Zahnreihenabstand). Denn darüber hinaus kann der Unterkiefer aufgrund seiner Anatomie nur mit Hilfe von Zungendruck geöffnet werden. Das hat zur Folge, dass der Zungenrücken nach hinten in den Rachen geschoben, und der Vokaltrakt also teilweise wieder verschlossen wird. Beim Saugen und Trinken wird diese Weite nicht überschritten. Denn sobald die Zunge an der Öffnung beteiligt ist, wird die Erzeugung eines Sogs unmöglich und damit auch der Vorgang des Trinkens.

Grundton und erster Vokalformant werden wegen der akustischen Gegebenheiten vor allem im unteren Teil des Vokaltrakts verstärkt. Die dunklen Anteile des Stimmklangs werden demnach nur hörbar, wenn dieser Bereich offen und stabil ist. Das ist nur dann der Fall, wenn der Kehlkopf tief steht, die Constrictoren gerundet sind, und die Zunge als vordere Wand des Vokaltrakts eine stabile Membran bildet. Dann dringen alle Anteile des Klangspektrums nach außen. Ohne Verengungen entsteht auch keine Dämpfung der tiefen Frequenzen der Schwingung. 

„Suono cuperto“, „gedeckter Klang“, bezieht sich auf den geschlossenen weichen Gaumen. Bei einer Kieferöffnung über zwei Zentimeter mit gerundeten Lippen schließt sich reflektorisch das Gaumensegel. Das hat evolutionäre Gründe. Für die sängerische Klangerzeugung bleibt gleichzeitig der obere Riechweg der Nase offen und der Kehlkopf gesenkt infolge des Saugreflexes, der Einatmungstendenz.

 

APPOGGIARE LA VOCE

 Appoggiare la voce in petto“, oder auch "appoggiarsi in petto“, ist ein Belcantobegriff, der sich auf die Wahrnehmung bezieht, dass das menschliche „Instrument“ eine spürbare Begrenzung hat, die aber keine einengende, sondern vielmehr eine die Stimmgebung (unter-)stützende Empfindung auslöst. Er beschreibt das Gefühl, „die Stimme von innen am Brustkorb anzulehnen“ im Augenblick des Stimmeinsatzes. Die funktionale Lehre definiert die Gesangsfunktion als: 

 

Die Beibehaltung der Dominanz der Aktivität der Einatmungsmuskulatur über die Aktivität der Ausatmungsmuskulatur während der Ausatmung.

 

Diese Einatmungsdominanz bewirkt eine Drosselung der Fließgeschwindigkeit der ausströmenden Atemluft. Der Vorgang ist vergleichbar mit dem kontrollierten Absetzen eines schweren Gegenstandes, bei dem die hebende Muskulatur, bei den Armen also der Bizeps, die Bewegung kontrolliert. Das ist eine sehr komplexe, vom Gehirn gesteuerte Balance zwischen der Aktivität von zwei antagonistisch arbeitenden Muskelgruppen. Auf die Atemmuskulatur übertragen heißt das: Die Einatmungsmuskeln, vor allem also das Zwerchfell, die sogenannten Sägezahnmuskeln und die äußeren Zwischenrippenmuskeln, halten ihre Aktivität aufrecht und erhöhen sie zur Stabilisierung sogar noch in dem Augenblick, in dem die Ausatmung beginnt. Das bewirkt eine leichte Vergrößerung des Brustdurchmessers von hinten nach vorne, vom Rückgrat zum Brustbein, im Moment des Einsatzes. Dieser Effekt stellt sich allerdings nur bei seitlicher Erweiterung der Rippen während der Einatmung ein. Dabei wird die Bauchdecke durch die Rippenerweiterung passiv leicht nach innen gezogen.

Verwechslungsgefahr besteht mit dem nach aktiven nach innen Drücken der Bauchdecke durch die schräge Bauchmuskulatur wie bei einem Akzent: Das würde Dominanz der Ausatmungsmuskulatur über die Einatmungsmuskulatur bedeuten und somit Überdruckfunktion. Denn die schrägen Bauchmuskeln sind die Haupt-Ausatmungsmuskeln.

„Appoggiare la voce in testa“, „die Stimme im Kopf anlehnen“, beschreibt das stabile Gefühl im weichen Gaumen infolge seiner reflektorischen Hebung bei der sängerischen Kieferöffnung. Das suggestive Bild einer „Höhle“, in der  Belcantosprache „cavità“, an deren „Wänden“ der Klang widerhallen, resonieren und sich „anlehnen“ kann, bietet sich für diese Wahrnehmung an.

 

ARTIKULATION

Der Begriff Artikulation kommt in zweierlei Hinsicht beim Gesang vor: Auf der stimmlichen Ebene bedeutet er, dass verschiedene Tonhöhen, Tonlängen oder dynamische Abstufungen klar voneinander getrennt wahrnehmbar sind. Diese Ausdrucksweise ist übernommen vom Instrumentalspiel.

Beim Gesang ist aber ein neuronales Programm des  Vocalismuskels für all diese Abstufungen zuständig. Der Versuch einer willentlichen Steuerung kann das komplexe Geschehen nicht unterstützen. Deshalb gibt es für die Regelung dieser körpereigenen Mechanismen beim Singen auch keine direkt erlernbaren Techniken, wie das beim Instrument der Fall ist.

Die Erfahrung, dass die Stimme ein Eigenleben führt und all das ohne willentliches Zutun, nur über „Wünschen“ bewerkstelligt, ist Ziel und Endpunkt des funktionalen Werdegangs („Es singt.“). Überlässt man nämlich das Geschehen der unwillkürlichen autonomen Steuerung, beginnt das System, über die Stimmlippen die Funktion zu regeln. Schwingungsfrequenz und Vibrato sind dafür die organisierenden Parameter. Tonwechsel und Veränderungen in der Dynamik werden dann nicht durch Luftdruck, sondern autonom im Rhythmus des Vibratos geregelt.

So wird das berühmte „messa di voce“, das gleichmäßige An- und Abschwellen-Lassen eines Tones, das in jeder Tonlage möglich ist, vom Vocalis selbst reguliert. Durch diese direkte, unwillkürliche Steuerung entstehen auch die für den Belcanto typischen, „perlenden“ Tonhöhenwechsel, die über willentliche oder muskuläre Kontrolle so niemals erreicht werden könnten. Sie wäre dafür viel zu schwerfällig.

Ein gern dafür verwendeter Begriff ist auch „agilita”, auf Deutsch „Geläufigkeit“. Der damit am ehesten übereinstimmende Belcantobegriff lautet „non saponare“, „nicht schmieren“: Ähnlich wie bei der auch relativ komplexen Aktivität des Schreibens setzt diese Forderung eine differenzierte Erhöhung des Körpertonus, vor allem aber die mentale Bereitschaft zu Sorgfalt und Achtsamkeit in der Wahrnehmung voraus. Und das ist der Schlüssel zum Gesangsreflex: Energie folgt der Aufmerksamkeit. 

Das Programm der Artikulation in Bezug auf die Wortbildung hingegen ist ein ganz tiefer Inprint im Gehirn. Er wird im frühen Kindesalter erworben, bei noch extrem hochstehendem Kehlkopf und unvollständiger Körperaufrichtung. Bei der Artikulation von Sprache wird dafür der Klangstrom von geräuschhaften Konsonanten immer wieder unterbrochen. Beim Singen dagegen schwingt der Vokal durch alle Konsonanten durch. Das ist ein völlig anderes Artikulationsprogramm. Die Prämisse dabei ist die Qualität der ungestörten Stimmlippenschwingung. Ihr ordnen sich alle Artikulationsbewegungen unter. 

Tonerzeugung, Textartikulation und Klangempfindung sind demnach beim Gesang verschiedene Funktionen und laufen getrennt voneinander auf vier getrennten Ebenen ab: Der Stimmklang wird im Kehlkopf erzeugt.

Die Zunge leitet die Bildung der Vokale und Konsonanten. Damit das möglichst störungsfrei geschehen kann, bleibt der Kiefer dafür so weit offen, wie es möglich ist, ohne die Weite des Vokaltrakts zu reduzieren. Die Vokalartikulation findet im Unterschied zum Sprechen nämlich vor allem direkt über dem Kehlkopf in waagerechter Richtung statt, ähnlich wie bei der Technik des „Bauchredens“. Die Vokalbildung vollzieht sich dabei im Wesentlichen zwischen Rachenringmuskulatur und Zungenwurzel. Die dafür nötigen Bewegungen werden von der Rundung des Rachenraumes geleitet. Sie müssen für die sängerische Artikulation wie eine fremde Sprache mit bisher teilweise unbekannten Vokalfarben neu gelernt werden. Zugleich wird die im Kopf spürbare Resonanz der Schwingung immer stärker, je höher der gesungene Ton ist. Die Konsonantenartikulation erfolgt dazwischen im vorderen Mundraum, im Bereich des harten Gaumens.

Im Unterschied zur Spracherzeugung werden Konsonanten beim Gesang nicht mit Überdruck gebildet, sondern gewissermaßen im „Einatmungsmodus“. Der Grund ist die dominant leitende Einatmungsmuskulatur während des Singens.

Diese Form der Artikulation zu entwickeln, ist ein wesentlicher Bestandteil von funktionaler Stimmbildung. 

 

ATMUNG

Der Atem eines Menschen ist Studien zufolge so individuell wie seine Stimme oder sein Fingerabdruck. Denn die persönlichen Atemmuster reflektieren die Aktivitäten des vegetativen Nervensystems wie Herzschlag, Atmung und Verdauung. Außerdem reagieren sie vorbereitend in ganz spezieller Weise auf jedes Vorhaben, sei es bewusst oder unterbewusst. Auch psychologische Anlagen und Erfahrungen haben Einfluss auf den Atemablauf. Eine Optimierung der Atmung hin zu Öffnung und Befreiung kann daher positive Auswirkungen auf Körper und Gemüt haben.

 

Die Einatmung erfolgt durch muskuläre Aktivität vor allem des Zwerchfells, des Haupt-Einatmungsmuskels, unter Beteiligung der Sägezahnmuskeln, die wie Finger von hinten nach vorne um die oberen Rippen herumgreifen, und der äußeren Zwischenrippenmuskeln. Sie ist nach unten und zu allen Seiten gerichtet, damit eine vollständige Erweiterung der Lungen möglich wird. 

Die horizontale Kontraktion des Zwerchfells erweitert die unteren fünf Rippenpaare nach rechts und links, in geringerem Maße auch nach hinten und vorne. Die obere Bauchdecke wird infolge der Vergrößerung des Körperumfangs gedehnt und direkt unterhalb des Brustbeins dadurch sogar leicht nach innen gezogen. Diese Erweiterung fühlt sich befreiend an. Alle Menschen, aber auch die Tiere haben das Bedürfnis, sich zu  dehnen, um eine erweiterte Atmung zu ermöglichen. Einengende Kleidung ist für das Singen deshalb kontraproduktiv.

Die Einatmungsmuskulatur ist über funktionale Ketten mit anderen Körperbereichen verbunden. Durch die Einatembewegung können sie angesteuert werden, und umgekehrt haben Bewegungen in diesen Körperteilen Einfluss auf die Atmung. Dieser Zusammenhang ist Grundprinzip und Basis vieler Unterrichtsmethoden.

Die effizienteste Atmung bei körperlicher Aktivität ist Mundatmung. Nasenatmung ist Ruheatmung, dabei erfolgt der Luftaustausch viel langsamer. Ihre Vorteile liegen hauptsächlich im Schutz der Atemwege sowie der Filterung und Erwärmung der Luft.

Je weiter die Mundöffnung für den zu erzeugenden Sog ist, desto stärker ist die Sogwirkung, und desto weiter hinten wird das Zwerchfell aktiviert, weil es sich hinten weiter absenken kann. Umso tiefer wird dann die Einatmungsbewegung. Die Öffnung des Brustkorbs findet dabei von unten nach oben statt. Was durch diese muskuläre Erweiterung des Lungenraumes bereitgestellt wird, füllt sich durch den erzeugten Luftdruckunterschied zwischen Außen- und Innenbereich mit Luft. Konkret ist Einatmung also eine Positionsänderung, kein Zug. Durch sie öffnen sich die Luftwege reflektorisch. Der Kehlkopf wird dabei mit nach unten bewegt.

Beim Singen bleibt das Einatmungsprogramm aktiv. Dadurch ist gewährleistet, dass die Luftwege vollständig geöffnet bleiben. Das ist von entscheidender Bedeutung für die Resonanz: Der Kehlkopf bleibt dann in Tiefstellung trotz erfolgender Ausatmung. Durch diese tiefe Kehlkopfposition ist der weiche Gaumen reflektorisch gehoben, und der „obere Luftweg“, der für das Riechen zuständig ist, geöffnet. Enrico Caruso bezeichnet das als „zum Singen Einatmen, als ob man an einer Rose riecht“. Dieses Bild gilt allerdings nur für den Beginn der Einatmung: Sängerische Einatmung ist Mundatmung mit geöffnetem Riechweg. Die Nase ist geschlossen. Bei etwa einem Drittel der möglichen Kieferöffnung schließt sie der weiche Gaumen reflektorisch.

Ideal ist ein Einatmungsvolumen der Lunge von ca. 75%. Am Ende der Einatmung werden sowohl der innere Hüftmuskel als auch der große Brustmuskel aktiv. Bei noch größerer Einatmung besteht die Gefahr, dass sich weitere Hilfsmuskeln vor allem im Nackenbereich dazuschalten. Das würde Hochatmung bedeuten und dem System die Flexibilität nehmen, die für die subtilen Vorgänge beim Singen nötig ist.

Das Signal für das Ende der Einatmung ist eine Positionsänderung der fünften Rippen in Bezug zur Wirbelsäule, die übrigens auch den Nies- und den Gähnreflex auslöst. Die Wahrnehmung dieser Erweiterung wird als sehr angenehm empfunden.

Interessant zu beobachten ist die Tatsache, dass sowohl der Vorgang des Niesens als auch der des Gähnens durch Atmen in den Bauch, also ohne ausreichende Weitung der Rippen, vom Körper unterbrochen wird. Der Reflex wird dann nicht ausgelöst.

Auch der „Seufzer der Erleichterung“ entspringt dieser „Füllhöhe“ der Lungen.

Beim Räkeln, der exzentrischen Kontraktion der Atemmuskulatur, spielt diese Erweiterungswahrnehmung ebenfalls eine Rolle.

Diese feine Atemdosierung wurde schon im 18. Jahrhundert als „forza naturale del petto“, also als „natürliche Aktivität der Brust“ bezeichnet. 

Atmet man bis zu diesem Lungenvolumen ein, wird eine Neurokopplung zwischen Einatmungsmuskulatur und Stimmlippen ausgelöst. Dadurch schließen sie sich reflektorisch, auch, ohne dass darauf eine Phonation folgt.  Dieser neuronale Reiz ist aber auch Auslöser für den Gesangsreflex. Durch die Kehlkopfsenkung werden die Stimmlippen geöffnet und gedehnt. Sie erhalten dadurch mehr Tonus, wie eine Saite, die gespannt wird. Dadurch erhöht sich ihre Schließbereitschaft, nicht nur mechanisch, sondern auch von der Anzahl der neuronalen Impulse her. Beim Toneinsatz wird sie in kinetische (Bewegungs-)Energie umgewandelt. Dazu hat die Belcantoschule den Satz geprägt: „Gut atmen heißt den Grund der Kehle öffnen“.

Eine Kontrolle über den Atemablauf unterhalb des Mundraums ist nicht möglich. Er ist lebenserhaltend und deshalb vorprogrammiert.

 

Bei der Ausatmung schließen die Atemwege leicht. Das hat evolutionäre Gründe: Zu schneller Luftverlust würde die Gefahr mit sich bringen, dass das Lungengewebe zusammenfällt. Bei starker körperlicher Anstrengung kann deshalb ein keuchendes Geräusch durch Widerstände in den Atemwegen entstehen. Schnelle, forcierte Ausatmung ist für das Singen darum sehr ungünstig.

Das funktionale Singen zeichnet sich daher durch eine spezielle Sonderform der Ausatmung aus: Damit die Atemwege offen bleiben, wirkt währenddessen die Einatmungsmuskulatur dominant weiter, obwohl die Klangerzeugung ja während der Ausatmung geschieht. Darum ist am Beginn des erzeugten Tones der quere Bauchmuskel der einzige aktive Ausatmungsmuskel. Die eigentlichen Ausatmungsmuskeln, nämlich die schrägen Bauchmuskeln, würden die erreichte Rippenerweiterung sofort wieder reduzieren. Sie können sich am Ende von langen Phrasen dazuschalten, um das untere Drittel der Lunge zu komprimieren. Dabei werden sie aber immer geleitet von der weiterbestehenden Einatmungstendenz.

Sind die Atemmuskeln gut trainiert, ist sängerische Ausatmung auf diese Weise möglich bis zum Residualvolumen über das Ruheatmungsvolumen hinaus. Die Einatmungstendenz bleibt dabei erhalten: Die Einatmungsmuskeln halten immer mehr dagegen und dosieren so die Ausatmungsaktivität. Durch dieses Programm schließt sich an das Ende der Tonerzeugung sofort die nächste Einatmung an. Die Einatmungsmuskeln sind ja gerade dann höchst aktiv.

Trotz der sehr tonisierten und wachen körperlichen Disposition, die für die sängerischen Klangproduktion unerlässlich sind, aktiviert die sehr langsame Ausatmung beim Singen den Vagusnerv, ähnlich wie bei einer Meditation. Eine therapeutisch genutzte Entsprechung dazu findet sich in der sogenannten „Lippenbremse“, die eingesetzt wird, um die Atemwege offenzuhalten, und die durch die Dosierung des Atemflusses gegen Stress und Angstzustände wirksam ist.

Die Belcantoschule nennt die spezifische sängerische Atemführung sehr suggestiv „portare la voce“, „die Stimme tragen“, auf dem Atem, genauer gesagt, auf der dominant agierenden Einatmungsmuskulatur, ähnlich, wie man vorsichtig einen wertvollen Gegenstand vor sich herträgt. Auch das tut man ja behutsam, mit langsamen Bewegungen und in aufrechter Haltung. Wechselt die Dominanz von der Einatmungs- zur Ausatmungsmuskulatur, in die Überdruckfunktion, stoppt der Gesangsreflex.

 

AUFRICHTUNG

Der Sänger stehe wie ein Baum“ ist ein beliebter Belcanto-Ausspruch. Schon Pier Francesco Tosi beschrieb in seinen „opinioni de` cantori“ aus dem Jahr 1723 eine aufrechte, würdige Haltung als Voraussetzung für einen störungsfreien Stimmklang. Singen ist jedoch permanente Mikrobewegung im Stehen. Jede Erstarrung oder Fixierung in irgendeinem Teil des Systems behindert die Anpassung an die sich durch die Atembewegung ständig ändernden Bedingungen. Ein Baum ist zugleich stabil und flexibel. Eine Synthese dieser beiden Parameter ist die Basis des funktional stimmigen Gesangs (s. Abb. 3 und 9). Deshalb sind alle Aktivitäten, die körperliche Balance fordern und damit auch fördern, sehr hilfreich für die funktionale Phonation.

Von den Fußsohlen bis zum Scheitel ziehen sich aufrichtende Muskelschlingen durch den ganzen Körper. Die Wadenmuskulatur existiert sogar allein für die Aufrichtung. Ohne sie ist aufrechte Haltung unmöglich. Eine vollständige Aufrichtung ist unerlässlich für eine funktionierende Phonation. 

Die Wirbelsäule mit ihrer Doppel-S-Form bildet bei optimaler Aufrichtung eine Linie von der unteren Lordose bis zum Atlas (s. Abb. 10). Allerdings ist diese Krümmung bei vollständiger Aufrichtung „von den Hacken bis zum Nacken“ nur noch in geringem Maße vorhanden. Einzig die Lendenwirbelsäule wird durch die Aktivierung von Bein- und Beckenbodenmuskulatur stärker gekrümmt als im Ruhezustand. Dadurch kippt das untere Becken nach vorne.

Die Aufrichtung der Wirbelsäule beginnt am oberen Rand des Beckens und setzt sich fort bis zum Atlasgelenk, auf dem der Schädel sitzt. Die untere Beckenkippung ist die komplementäre Gegenbewegung dazu. Diesen Bewegungsimpuls bezeichnete Caruso als „vom Unterleib her ansetzen“. Sie erfolgt während der ersten sängerischen Einatmung und verstärkt sich durch alle nachfolgenden Phonations- und Nachatmungsphasen hindurch immer weiter. Diese Tonisierung der Beckenbodenmuskulatur setzt sich bis in die Beine fort. Der davon getriggerte Impuls, ein Bein zu heben, hat möglicherweise zu der verbreiteten Angewohnheit geführt, beim Singen im Ausfallschritt zu stehen, mit Stand- und Spielbein. Da diese Haltung aber nicht symmetrisch ist, ist eine gleichmäßige Gewichtsverteilung auf beide Beine bei gleichzeitiger Tonisierung der aufrichtenden Muskelschlingen die günstigere Position beim Singen.

Auch die neurologische Verbindung zwischen dem unteren Sphinktersystem des Beckenbodens und dem oberen der Atemwege hat Einfluss auf eine sängerische Aufrichtung. (Ein Sphinktersystem ist ein ringförmiges Muskelsystem, das durch Kontraktion in Schließung gehen kann.) Sie sind so verschaltet, dass immer dann, wenn das eine System Öffnung erlaubt, das andere schließt. Diese Verbindung dient der Fähigkeit, im Brust- und Bauchbereich Druck aufzubauen: Wenn das obere System schließt, kann Überdruck entstehen, wenn das untere schließt, entsteht Unterdruck. Wenn also die Beckenbodenmuskulatur kontrahiert, erlaubt das den oberen Atemwegen auch neuronal die Öffnung.

Im Grunde ist die typische „Sängerhaltung“, das „sich in Positur Stellen“ durch die dadurch bewirkte Erweiterung des oberen Brustraumes praktisch gleichbedeutend mit der sängerischen Einatmung. Für ungeübte Augen kann dabei der Eindruck entstehen, Profis würden überhaupt nicht einatmen, bevor sie zu singen beginnen: Sie nehmen gern die Hände vor der Brust zusammen, richten sich „würdevoll“ auf, erheben den  Blick „bis in den zweiten Rang des Opernhauses“ und schürzen ganz leicht die  Lippen, wie wenn sie „an einer Rose riechen“. Dann öffnen sie einfach den Mund und beginnen zu singen. All das entfaltet den Vokaltrakt, vom oberen Nasenweg bis zu den Stimmlippen, und entfächert die Rippen. Durch den entstehenden Sog „fällt die Luft“ von selbst in das sich öffnende Vakuum. Durch die Mundöffnung und den Zug vom Zwerchfell werden die Stimmlippen zwischen Schildknorpel und Stellknorpeln „gespannt“ und sind bereit für den Stimmeinsatz. 

Während des Singens werden dann häufig die Arme zu beiden Seiten geöffnet. Durch diese typische „Sängerhaltung“ wird die Erweiterung der oberen Rippen aufrechterhalten und damit das Neuroprogramm der Einatmung unterstützt. Die ständigen minimalen, aber gleichzeitig äußerst differenzierten Bewegungen, die den Luftverlust ausgleichen, sind so wenig von außen wahrnehmbar, dass die italienische Gesangslehre für die Haltung beim Singen zwei Begriffe geprägt hat: „stare come una statua“, „stehen wie eine Statue“, und „stare su una barca ancorata“, „auf einem Boot stehen, das vor Anker liegt“. Diese beiden Bilder beschreiben anschaulich die Attribute der sängerischen Aufrichtung: Stabilität und Flexibilität. Die durch die ständige Veränderung des Körperschwerpunkts in der Ein- und Ausatmung nötige Nachregulierung der Balance wird von den balanciert schwingenden Stimmlippen neuronal gesteuert. 

Die komplette Statik reagiert auf die Atmung, denn die sekundäre Atemmuskulatur ist in erster Linie Körperaufrichtungsmuskulatur. Stimmt die Statik nicht, ist eine vollständige Einatmung unmöglich. Von hinten unten über vorne oben nach vorne unten ist die Richtung der aufrichtenden Muskelschlinge, ähnlich dem Prinzip beim Flaschenzug oder auch dem beim Hissen eines Segels. Dabei kann die innere Raumwahrnehmung als Orientierung für eine gleichmäßige Aufrichtung dienen. Dieser Bewegungsablauf ist uns assoziativ vertraut als Aufrichtungsablauf beim Auftauchen vom Grund eines Gewässers: Der erste und dominante Impuls geht von den Fersen aus. Daraufhin strecken sich Füße, Beine und Rücken. Die Hebung und Schwimmbewegung der Arme, die Streckung der Körpervorderseite folgen. Am Ende wird der Kopf gehoben.

Die Anweisung aus dem Belcanto, „die Knie locker zu lassen bei großer Höhe“, bezieht sich vermutlich auf das Loslassen der Kniescheiben. Denn das Hochziehen der Kniescheiben ist eine schließende Schutzbewegung. Deshalb kann diese Haltung im Körper andere schließende Reaktionen hervorrufen, weil dem Gehirn dadurch assoziiert wird, dass ein gewisser Schutz nötig sei.

Die größtmögliche Aufrichtung beinhaltet auch eine größtmögliche Öffnung. In der Belcantosprache heißt das „con espansione“. Dabei wird vom Einatmungsprogramm für die sängerische Klangerzeugung die Aufrichtungsbewegung so organisiert, dass die vollständige sängerische Einatmung möglich wird.

 

Die Qualität der Aufrichtung bestimmt die Qualität der Einatmung.

 

Haltung, sowohl in der körperlichen Position als auch im Kehlkopf selbst, ist bewusst nicht wahrnehmbar. Das Gehirn gewöhnt sich schnell an Zustände und realisiert sie dann nicht mehr. Bewusst spürbar ist nur Bewegung und Veränderung. Das macht es schwer, die eigenen gewohnheitsmäßigen Haltungen selbst zu erkennen, um sie durch zielführendere Strategien ersetzen zu können. Deshalb ist für die funktionale Entfaltung der Stimme jemand notwendig, der von außen supervidiert. Nur so wird eine echte Neuprogrammierung des Systems möglich.

 

AUSDRUCK

Die bekannte Anweisung aus dem Belcanto, „si canta come si parla“, „man singt, wie man spricht“, gibt reichlich Anlass zu Missverständnissen und Fehlinterpretationen. Textverständlichkeit über das gesunde und effiziente Funktionieren der körperlichen Vorgänge beim Singen zu stellen, führt auf Dauer immer zu Stimmschäden. Singen und Sprechen sind zwei verschiedene Funktionsweisen des Körpers, die nicht gleichzeitig ablaufen können. Denn Sprechen ist eine Überdruckfunktion, Singen dagegen eine Unterdruckfunktion. Genauso, wie man nicht gleichzeitig im Vorwärts- und Rückwärtsgang fahren kann, kann man auch nicht gleichzeitig Ausatmungs- und Einatmungsdominanz herstellen.

Auch die Vokal- und Konsonantenbehandlung beim Sprechen ist elementar unterschiedlich zu der beim Singen. Sowohl die Form des Mund- und Rachenraumes als auch die Muskelgruppen, die diese Form gestalten, unterscheiden sich. Und auch die Bildung der Konsonanten geschieht im schließenden oder im öffnenden Modus, je nachdem, ob der Wunsch nach Textdeutlichkeit oder der nach ungestörter Klangbildung das Geschehen organisiert.

Bei Männerstimmen weichen die Abläufe der Vokalartikulation beim Sprechen und Singen nicht so weit voneinander ab wie bei Frauenstimmen. Tiefe Töne liegen größtenteils innerhalb der Formantbereiche, von denen die Sprachvokale definiert werden. Die Sprechstimmen von Männern und auch von Frauen bewegen sich fast ausschließlich in dieser Lage. Die Druckverhältnisse beim Singen sind in tiefer Lage denen beim Sprechen ähnlicher, denn auch da ist in der Tiefe der Luftdruck unter den Stimmlippen etwas erhöht. So wirkt sich der für die Konsonantenbildung nötige Überdruck weniger negativ aus. All das kann gerade tiefe Stimmen dazu verleiten, die Anweisung, zu singen, wie man spricht, wörtlich zu nehmen. Der Ansatz ist für sehr tiefe Lagen jedoch ungeeignet, weil da der untere Formant einiger Vokale nicht mehr im Klang enthalten ist. Vor allem aber ist er gefährlich für die Tessitura von Frauenstimmen: In Sopranlage lassen sich viele Sprachvokale nicht mehr vollständig artikulieren, weil deren oberer Formant unterhalb der gesungenen Frequenz liegt. Eine deutliche Ausbildung dieses Formantbereichs ist aber maßgeblich mit an der Verständlichkeit von Text beteiligt. Eine eingeschränkte wörtliche Deutung kommt somit höchstens für die Bariton- und Tenorlage in Betracht, vielleicht zum Teil noch für die Altlage. Eine Erklärung für diese Forderung könnte also sein, dass die alten Schriften zur Gesangslehre ausschließlich von Männern stammen, bei denen wegen der Lage, in der sie normalerweise singen, die Vokale größtenteils vollständig herstellbar sind.

Ein anderer Erklärungsansatz ist dieser: Jede Lautäußerung zum Zweck der Kommunikation, ob verbal oder nonverbal, löst im Gegenüber unmittelbar eine Reaktion aus. Auch bei allen sozial lebenden Tierarten ist das der Fall, es ist ein elementares Programm des Zusammenlebens. Jede bewusste oder unbewusste innere Motivation wird dabei empathisch vom Kommunikationspartner erkannt. Nicht zu kommunizieren, ist unmöglich. Auch die Verweigerung von Kommunikation ist ja eine Botschaft. Das gilt ganz besonders für den Gesang: Alle ihn regulierenden körperlichen Parameter sind emotional codiert. Das betrifft die Atmung, allgemein die Zwerchfellbewegungen, die Mundöffnung sowie alle mimischen Abläufe. Die erzeugten Klänge sind authentische Codes für alles, was in der singenden Person vor sich geht, sei es die emotionale Verfassung wie beispielsweise Freude oder Angst, oder der Ausdruck von in der Musik vorgegebenen Gefühlen, aber auch der Wunsch, „sauber“ oder „technisch richtig“ zu singen, sich auf bestimmte Weise darzustellen sowie viele weitere bewusste und unterbewusste Motivationen. Subtilste Stimmungen spiegeln sich in den feinen Abläufen der Klangerzeugung wider und üben einen direkten Einfluss auf die Emotionen der Zuhörenden aus.

Dazu kommt, dass die Binnendynamik in der Aussprache der Wörter und Sätze teilweise von emotionalen Gesetzmäßigkeiten bestimmt wird. Nachsilben und weniger bedeutsame Textpassagen werden im Verhältnis zur Grundlautstärke meist dynamisch zurückgenommen und Sinnzusammenhänge oder Hervorhebungen durch dynamische Akzentuierung gekennzeichnet. Bleibt bei der Textartikulation während der Phonation das Programm des Singens gegenüber dem des Sprechens dominant, können diese im Text enthaltenen dynamischen Nuancen in den Gesang übernommen werden. Denn ihre Wurzel liegt im Ausdrücken von Gefühlen, die ja auch in der gesprochenen Kommunikation immer unterbewusst mitlaufen. Weil die Steuerung von Emotionen aber zum großen Teil in den Gehirnregionen abläuft, die auch die Gesangsfunktion regulieren, dienen diese Verknüpfungen nicht nur einer authentischen Textgestaltung, sondern auch der Klangerzeugung.

Die Phonation beruht auf willkürlich nicht lenkbaren Abläufen. Nur eine nicht der bewussten Absicht unterliegende Steuerung ist geeignet, sie zu regulieren und zu optimieren. Die für die Stimmgebung angewandten unterbewussten Strategien werden im klanglichen Ergebnis hörbar. So erklärt sich die Assoziation, Singen sei wie Sprechen, von alleine. Eine sinnvollere Übersetzung davon, was der Satz „si canta come si parla“ meint, wäre daher vielleicht: „Man singt, wie man sich ausdrückt“.

 

BAUCHMUSKULATUR 

Die Bauchmuskulatur besteht aus drei Schichten: Außen liegt der schräge Bauchmuskel: Er ist der stärkste Ausatmungsmuskel. Außerdem ist er für die Beugung des Rumpfes zuständig. Er reicht von den Achseln diagonal hinunter bis in die Bauchmitte. Der darunter liegende gerade Bauchmuskel („Sixpack“), fungiert als Stabilisator der Körpervorderseite. Damit ist er der Gegenspieler der Wirbelsäule. Ganz innen liegt der quere Bauchmuskel: Er ist ein differenziert arbeitender Ausatmungsmuskel. Wie die gesamte bewegliche Bauchmuskulatur ist er zusammen mit der Rückenmuskulatur auch für die Körperaufrichtung zuständig.

Daneben gibt es noch weitere Funktionen, die diese Muskelgruppen erfüllen: Wenn die Bauchmuskeln aktiv werden, werden es auch die Kaumuskeln, denn zwischen beiden Muskelgruppen besteht eine Neurokopplung. Mehr noch, die sogenannte „Bauchpresse“ durch die schräge Bauchmuskulatur führt immer zur Schließung der Taschenfalten als Vorbereitung für den Schluckvorgang.

Auf emotionaler Ebene gibt es einen reziproken Zusammenhang: Bei Angst und Stress kontrahiert die Bauchmuskulatur in einem Schutzreflex. Das bedeutet umgekehrt aber auch, dass eine kontrahierte Bauchmuskulatur Gefühle von Angst und Stress triggern kann. Für das Singen ist daher eine Atmung ohne Bauchpresse von höchster Priorität, um die Schließung der Vokaltrakts, zu verhindern, denn er ist ja der Resonanzraum. Ausatmung muss aber erlaubt werden, da ja die Phonation ein Ausatmungsprogramm ist. Wird die Ausatmung bewusst oder durch unterbewusste Dauerkontraktionen in der Einatmungsmuskulatur behindert, kollabiert in Folge der Schultergürtel und somit die Aufrichtung.

Wesentlich für die sängerische Ausatmung ist daher, dass die Einatmungstendenz regulierend wirksam bleibt. Das bedeutet: Auch während der Ausatmung sollen die schrägen Bauchmuskeln gedehnt und die oberen Rippen erweitert bleiben. Beim Singen ist daher zunächst nur der quere Bauchmuskel aktiv, der wie ein Gürtel die Körpermitte umspannt. Für lange Phrasen schalten sich später die unteren schrägen Bauchmuskeln dazu, jedoch ohne die oberen Rippen zusammenzuziehen. Das ist ein komplexer Vorgang, der über die Stimmlippen organisiert wird: Da sie das Unterdruckventil sind, werden sie durch die Dehnung der schrägen Bauchmuskulatur beim Einatmungsvorgang, aber auch während der Phonation, aktiviert. Das aktive Anspannen der Bauchmuskulatur dagegen aktiviert das Überdruckventil, die Taschenfalten.

Deshalb ist Bauchmuskeltraining als Sport ungeeignet, denn es bildet durch die Überbetonung der Ausatmungsmuskeln Synapsen für die Schließaktivität des Vokaltrakts aus.

 

BELTING 

Als Belting („Schmettern“) bezeichnet man eine modifizierte Überdruckfunktion. Durch den größeren Luftdruck unter den Stimmlippen erhöht sich ihre Schließintensität, und der Kehlkopf wird davon etwas nach oben getrieben. Beim Belten hört meistens das Vibrato auf. Denn die selben Muskeln, die beim Singen ohne Vibrato die Stimmlippen von der Seite her etwas zusammenschieben, um die Vibratoschwingung zu drosseln, rufen auch den dichteren Stimmlippenschluss hervor. Das Gaumensegel flacht sich ab wegen des geringeren Gegenzugs der Einatmungsmuskulatur. Das verkürzt den Vokaltrakt. Die Folge sind breiter geformte Vokale, eine geringere innere Rundung und ein lächelnder Gesichtsausdruck, anders als beim funktional stimmigen Gesang. Dadurch entsteht eine Brechung, ein „Knick“ in der vertikal schwingenden stehenden Klangwelle, die von den schwingenden Stimmlippen erzeugt wird. Er ruft eine Vibrationswahrnehmung am harten Gaumen hervor, statt am weichen Gaumen, wie es beim klassischen Singen der Fall ist. Der zweite Vokalformant resoniert weiter vorne, nicht senkrecht über den Stimmlippen, sondern schräg in Richtung des harten Gaumens im Mundraum. Das Klangergebnis ist heller und härter und erinnert leicht an ein schmetterndes Blechblasinstrument. 

Diese Variante ist nicht per se schädlich für das sängerische „Instrument“. Die Belastung ist etwas höher, und das Klangergebnis ist nicht so tragfähig wie das Singen mit optimaler Tiefstellung des Kehlkopfs, weil der Vokaltrakt kürzer ist. Deshalb wird die Obertonreihe nicht vollständig gebildet. Das ist der Grund, warum dann ein Mikrofon zur Verstärkung nötig wird, anders als beim klassischen Gesang.

 

BEWEGUNG

Singen ist permanente komplexe Bewegung im Stehen. Jede Form von Haltung, im Bewegungs- und Atemapparat oder im Kehlkopf, ist dabei hinderlich und störend. Aber auch unkontrollierter, oft unterbewusster Bewegungsdrang ist oft das Resultat von Fixierungen irgendwo im Körper. Er entsteht meist aus dem unwillkürlichen Versuch, die nötige Flexibilität für die Klangerzeugung wieder herzustellen.

Jede Bewegung wird geleitet von der kleinsten, differenziertesten Muskelaktivität. Der stehende Begriff „Fingerspitzengefühl“ macht das sehr deutlich. Das bedeutet für den Vorgang des Singens, dass die unvorstellbar schnell und differenziert schwingenden Stimmlippen das Geschehen im gesamten Körper steuern.

Es ist eine der größten Herausforderungen, unbewusst gewordene Gewohnheiten zu verändern. Das Gehirn regelt so viel wie möglich auf der unbewussten Ebene. Das Leben ist viel zu komplex, und die Kapazitäten unseres Tagesbewusstseins  reichen bei weitem nicht aus, um das unvorstellbare Ausmaß möglicher körperlicher Bewegungsabläufe bewusst zu steuern. Im funktionalen Gesangsunterricht geht es deshalb vor allem auch darum, kleinste Muskelbewegungen bewusst wahrnehmen zu lernen. Um etwas an der Gesangsfunktion optimieren zu können, muss man herausfinden, welche Strategien und Gewohnheiten dafür unterbewusst aktiviert werden. Nur durch diese Sensibilisierung können danach auch Veränderungen erkannt werden, und eine Neuprogrammierung kann stattfinden. Erst, wenn man zwischen zwei Möglichkeiten die Wahl hat, kann man ein Gespür dafür entwickeln, welche effizienter und natürlicher ist.

Beim Singen weiche, langsame Bewegungen zu machen, ist ein erster Schritt hin zu dem Ziel, auf effiziente und natürliche Weise Töne zu erzeugen. Sie erfolgen am besten erst entlang der Körperachse und danach zur Seite, so, wie es den Funktionen der Körperausrichtung entspricht. Harte, schnelle Bewegungen dagegen triggern emotionale Zustände von Angst, Kampf und Flucht. Das löst Schließungen im Körper zum Schutz vor Gefahren aus und wirkt störend auf die Gesangsfunktion.

Die sich beständig ändernden Lebensumstände infolge von fortschreitendem Alter und persönlichen Erfahrungen erfordern eine stetige Anpassung der eigenen Strategien im Umgang mit sich selbst. Dieser Umstand erklärt die Notwendigkeit einer immer wieder neuen Feinjustierung der Mikrobewegungen, von denen die Klangerzeugung ermöglicht und organisiert wird. Weil das alles aber unbewusst abläuft, ist es nur einer von außen beobachtenden Person möglich, diese feinsten Veränderungen zu bemerken. Besonders für professionelle Sängerinnen und Sänger, deren Muskulatur ja hohen Belastungen ausgesetzt ist, empfiehlt sich daher die regelmäßige Supervision durch eine Lehrkraft des Vertrauens. Auch eine physiotherapeutische Begleitung ist empfehlenswert. Das Gleiche gilt natürlich für alle, denen ein lebenslanger, gesunder Umgang mit der eigenen Stimme wichtig ist.

 

BEWUSSTSEIN 

Bewusstsein ist ein Begriff, der auf vielfältige Weise interpretiert werden kann. Die Bewusstseinsform, die das funktionale Singen organisiert, entsteht immer aus der Wahrnehmung dessen, was im Augenblick geschieht. Der wahrnehmende Mensch wird sich des Wahrgenommenen, der Wahrnehmung und seiner selbst bewusst. Ich möchte das als Wahrnehmungsbewusstsein bezeichnen. In Meditationspraktiken wird es Achtsamkeit oder reines Bewusstsein genannt.

Im Gegensatz dazu meint Wissens- oder Willensbewusstsein Kontrolle über das, was geschehen soll. Bewusst können aber die subtilen, vielschichtigen Reaktionen im Körper niemals vollständig erfasst werden, weil die Steuerung im Unterbewusstsein stattfindet. Jede Kontrolle stört die empfindlichen Abläufe. Man kann nur urteilsfrei wahrnehmen, erleben, und so aus dem Kampf-, Flucht- oder Erstarrungsmodus in den Ruhe- und Bindungsmodus wechseln. Dann beginnt der Körper, das Geschehen selbstregulierend zu heilen, zu differenzieren und zu optimieren. Auf dieser Basis beruhen auch sehr vielen Heilmethoden. Exemplarisch hierfür sei die Feldenkrais- Methode genannt. Dieser kreativ- körperbewusste Ansatz war ein wichtiger Teilaspekt bei der Entwicklung des funktionalen Gesangstrainings durch Eugen Rabine. Beide beruhen übereinstimmend auf einer prozessorientierten Vorgehensweise und nicht auf Zielorientierung, wie es heutzutage überwiegend üblich ist. Der Satz aus dem Buddhismus „Der Weg ist das Ziel“ sagt genau das aus.

Die Wahrnehmungsfähigkeit kann durch diese Achtsamkeit immer weiter verfeinert werden. So wird es mit der Zeit möglich, subtilste Schwingungsempfindungen bewusst zu erkennen. Das ist vergleichbar mit dem Erlernen der Fähigkeit, Blindenschrift zu lesen. Auch das ist für die meisten sehenden Menschen ja kaum vorstellbar. Nach und nach entwickelt sich ein immer sensibleres Gespür für die körperlichen Bedürfnisse und auch eine immer klarere Anbindung an die Intuition.

Der intuitive Ansatz, der vielen Gesangsschulen zugrunde liegt, ist geeignet, diese Zusammenhänge zu unterstützen. Je weniger bewusst gewollt wird, desto dominanter agiert das parasympathische, unwillkürliche Nervensystem, das die Reflexe und Emotionen autonom steuert. Je mehr Wollen im Spiel ist, desto mehr übernimmt das sympathische, willentliche Nervensystem die Kontrolle. Es kann die höchst komplexen und äußerst differenzierten Vorgänge der Gesangsfunktion aber weder erkennen noch optimal leiten. 

Singen ist eine höchst emotionale menschliche Ausdrucksform. Im Grunde laufen die Steuerungsmechanismen des funktionalen Singens in den selben Hirnregionen ab wie die Emotionen. Die Gefühlsebene wird immer mit angeregt. Für die Ausbildung bedeutet das, dass für jede Art von Veränderung ein sicherer Rahmen gewährleistet sein muss, damit es den Gesangsstudierenden möglich wird, sich darauf einzulassen. Durch eine klare Vorstellung der Lehrkraft davon, welche funktionalen Abläufe die Aufrichtung, Atmung, Vokaltraktgestaltung und Stimmfunktion bestimmen, und welche Wege und Strategien sowohl auf körperlicher als auch auf psychischer und mentaler Ebene positive Veränderungen herbeiführen, werden sie angeleitet, sich dem unbewussten, reflektorischen Geschehen bei der Phonation immer mehr anzuvertrauen, und störende, meist nicht ins Bewusstsein dringende Gewohnheiten nach und nach durch sinnvollere Strategien zu ersetzen. Die Rabine-Schule nennt das „mentales Konzept“. Die Lerninhalte werden dabei durch eine Co-Regulation der Nervensysteme beider Beteiligten vermittelt. Eine von der Lehrkraft ausgehende, entspannte Atmosphäre überträgt sich auf die Lernenden  und  schafft auf diese Weise die besten Voraussetzungen für den Lernerfolg.

Das Bewusstsein davon, wie man mit sich selbst umgeht, erstreckt sich von Körperwahrnehmung über unterbewusste Erwartungen bis hin zum mentalen Umgang mit den eigenen Ansprüchen, aber auch mit der Kritik an sich selbst. Das Leistungsprinzip, der Wille, etwas herbeizuführen mit all seinen Auswirkungen auf Körper und Psyche steht dabei in diametralem Gegensatz zu dem, was Singen im Kern ausmacht. Was den funktionalen Entfaltungsvorgang fördert, ist zu erlauben statt zu erzwingen, geschehen zu lassen statt zu wollen.

 

BOCCA RIDENTE

Die Rundung des Lippenringmuskels, die nötig ist, um die Einatmungstendenz für die sängerische Klangerzeugung zu gewährleisten, erlaubt nicht, dass ein lächelnder Gesichtsausdruck beim Singen entstehen kann. Lächeln ist eine vom Zähnefletschen abstammende mimische Aktion. Sie ist mit dem Beißen verwandt, denn sie wird durch die Aktivierung der Lippenheber hervorgerufen. Diese Muskeln gehören, wie alle Mimikmuskeln, zur schließenden Muskulatur.

Der Belcantobegriff „bocca ridente“ beschreibt vermutlich einen Sachverhalt, der nur in großer Tonhöhe auftritt: Ab der Frequenz von a`` ist selbst der Vokal „a“ nicht mehr vollständig artikulierbar. Man hört zwar die Vokalfarbe, weil der Raum so weit ist, aber real existieren über a`` nur noch die oberen Vokalformanten von „ä“, „e“ und „i“. Alle Vokalfarben schmelzen da in Richtung dieser Vokale zusammen. Das akustische Phänomen, dass Klänge in dieser Tonlage und darüber, wie etwa das Piepen von Vögeln, an den Vokal „i“ erinnern. Auch die lautmalenden Begriffe „Fiepen“ und „Quietschen“ stammen daher. Für die Vokalbildung in der Höhe muss also die Oberlippe Tonus abgeben in Richtung „ä“, später „e“ und „i“. Vermutlich kommt daher die Idee des „lächelnden Mundes“. Form und Öffnungsweite von Vokaltrakt und Mundraum beim Singen bleiben aber so wie für tiefere Frequenzen.

Durch die starke Dehnung der Mimikmuskulatur bei gleichzeitiger Mundöffnung für die Erzeugung von sehr hohen Frequenzen kann am oberen Ansatz des musculus risorius, des Muskels, der das Lächeln ermöglicht, und in der Schädelmuskulatur eine antagonistische Bereitschaft zur Kontraktion entstehen, die dem beim Saugen, aber auch bei freudiger Überraschung ausgelösten Dehnungsreiz ähnelt. Beides bewirkt einen Öffnungs- und Einatmungsimpuls statt eines Schließimpulses. Die Assoziation, Singen und Lächeln seien verwandte Bewegungsabläufe, rührt vielleicht auch daher.

Die dazugehörigen Lautäußerungen („Oh!“, „Wow!“) erinnern jedenfalls an die bevorzugten Vokalfolgen im funktionalen Unterricht. Und die dabei entstehende Emotion ist ja tatsächlich Freude und Fröhlichkeit. Eine stimmigere Übersetzung des Begriffs „bocca ridente“ wäre daher vielleicht „lachender Mund“.

Die mimische Variante, „Bäckchen wie beim Lächeln“ zu bilden, schließt den Raum. Davon wird der Kiefer und damit der Kehlkopf hochgezogen. Das verkürzt den Vokaltrakt und verhindert die wichtige Rundung der Rachenmuskulatur. Diese gesangstechnische Anweisung ist vor allem bei der Lehre der Sitztechnik anzutreffen, weil dieser Gesichtsausdruck die Bildung des dritten Formanten am harten Gaumen, das sogenannte „in die Maske Singen“, verstärkt.

 

CANTO FIORITO

Das heißt „verzierter Gesang“, auch bezeichnet als „bocca dei fiori“, „Mund der Blumen“ oder „Mund voller Blumen“, und beschreibt ein Ziel der Belcantoschule des 19. Jahrhunderts: Durch eigenständige Bewegungsmuster der Stimmlippen wird es möglich, damit Verzierungen wie Triller, Koloraturen oder Portamenti auszuführen, ohne dass dabei die Ausatmungsmuskulatur aktiv wird. Das sind gewissermaßen verschiedene Programme, die zusätzlich zur regelmäßigen Stimmlippenschwingung „vorinstalliert“ sind. Die Vocalismuskulatur leitet diese feinen Bewegungsabläufe durch Selbstregulation. Der organisierende Parameter dabei ist das Vibrato.

Koloraturen und Verzierungen werden auf funktional gesunde Weise demnach nicht mithilfe von Luftdruckspitzen durch stoßweise rhythmische Kontraktionen der schrägen Bauchmuskeln erzeugt, sondern in vollkommen akzentfreiem Legato gesungen. Auf diese Weise können die äußerst subtilen Bewegungen im Kehlkopf ganz ungestört und unbeeinflusst stattfinden. Das Klangergebnis ist ästhetisch, elegant und flüssig.

Wunderbare Beispiele, wie mühelos und störungsfrei, quasi von selbst, dann Läufe, Portamenti und Triller gelingen können, sind die Koloraturen von Maria Callas, gut zu hören in der Arie „Sempre libera“ aus der Oper „La traviata“ von Giuseppe Verdi: https://youtu.be/ZGjmWYzVxkk, aber genauso Bryn Terfels Version der Arie „Why do the nations so furiously rage together“ aus dem „Messias“ von Georg Friedrich Händel: https://youtu.be/PIz8_UWdo7k.

 

CANTO SUL FIATO

Das bedeutet  „Gesang auf dem Atem“. Beschrieben wird die Wahrnehmung, dass das durch große, vollständige Einatmung entstandene Körpergefühl während des Singens durchgehend erhalten bleibt. Ein Gefühl des Ausatmens im Sinne von Verlust von Atemluft tritt zu keiner Zeit ein. Die Dominanz der Einatmungsmuskulatur und damit das Gefühl, immer genug Luft zu haben, bleibt beim Singen bestehen.

Die Ausdrucksweise „auf dem Zwerchfell singen“ bedeutet dasselbe, nämlich, dass das Zwerchfell während der Tonerzeugung überwiegend kontrahiert bleibt. Nur die Anspannung der unteren seitlichen Zwerchfellanteile lässt nach, damit überhaupt Luft nach außen fließen kann. Man könnte also ergänzend hinzufügen: „Auf dem im Einatmungsmodus aktiven Zwerchfell singen“.

 

CHIAROSCURO 

Das ist eine Beschreibung des Stimmklangs, der bei optimal geöffnetem Vokaltrakt entsteht: „Helldunkel“, beide Klangfarben gleichzeitig. Die tiefen Frequenzen direkt über dem Kehlkopf werden durch die besondere, „offene“ Zungenstellung ohne Dämpfung hörbar. Durch den tiefstehenden Kehlkopf und die dadurch hervorgerufene Hebung des weichen Gaumens verlängert sich der Vokaltrakt. So kann der Grundton sehr viele Obertöne bilden, bis hin zu den Sängerformanten. Also sind zugleich sehr hohe Frequenzen im Klang enthalten. 

 

COLPO DI PETTO 

Gegen Ende einer vollständigen sängerischen Einatmung kontrahiert der große Brustmuskel und erweitert den Brustkorb horizontal nach vorne. Im Augenblick des Einsatzes bewirkt die impulshafte Kontraktion des queren Bauchmuskels eine Erhöhung des Innendrucks in der vorderen Brustregion. Daraus resultiert das Gefühl eines „Schlags (von innen) gegen die Brust“. Bleiben die Rippen dabei stabil und erweitert, ist die Folge davon eine Verstärkung der Einatmungstendenz, weil die Einatmungsmuskeln antagonistisch auf diesen Ausatmungsreiz reagieren. Eine sprachliche Entsprechung im Deutschen ist der Ausdruck „sich in die Brust werfen“, was eine selbst-bewusste, aufrechte und erweiterte Körperhaltung beschreibt. Das ist genau die Position, die für das Singen nötig und typisch ist.

Eugen Rabine nannte diese Erweiterung des Brustkorbs von hinten nach vorne „sagittale Erweiterung“. Das Bild bezieht sich auf das Spannen eines Bogens, um einen Pfeil abzuschießen. Es ist die letzte Aktivität der einatmenden Muskulatur vor dem Einsatz.

Das Gefühl ähnelt dem beim Eruktieren, umgangssprachlich Aufstoßen, einem Vorgang, der aus anderen biologischen Gründen ebenfalls eine Verstärkung des Unterdrucks im oberen Brustbereich hervorrufen soll. Es ist ja üblich, das durch einen leichten Schlag auf das Brustbein zu unterstützen, oder wenigstens durch aktive muskuläre Erweiterung des oberen Brustkorbs. Vielleicht stammt der Begriff also auch von einer ähnlichen Vorgehensweise, um das „Inalare la voce“ auszulösen. Auch beim Würgereflex ist eine Hebung des vorderen Brustraumes in die dafür nötige Erweiterungsbewegung impliziert.

 

CONSTRICTOREN 

Die Constrictoren (Abb. 5), die Würgemuskeln, sind übereinander geschichtete Muskelplatten von etwa einem Millimeter Dicke. Beim Schluckvorgang ziehen sie sich zusammen und verengen so die Speiseröhre, um den Inhalt des Mundes nach unten in den Magen zu befördern.

Der obere Constrictor liegt „hinter der Nase“. Er beeinflusst die Reaktion des weichen Gaumens. Durch seine Kontraktion wird beim Schluckreflex die Nahrung in Richtung Speiseröhre geschoben.

Der mittlere Constrictor reicht bis zum Zungenbein. Er hebt den Kehlkopf beim Schluckreflex, so dass sich der Kehldeckel über der Luftröhre schließen kann. Er beeinflusst auch die entsprechende Lippenreaktion.

Der untere Constrictor reicht von der Mitte des mittleren Constrictors bis zu den Stimmlippen. Kontrahiert er, wird die Nahrung in die Speiseröhre gedrückt. Er umfasst den Kehlkopf und beeinflusst die Kiefer- und Zungenreaktion. Alle drei sind über Ligamente miteinander verbunden und bilden ein Kontinuum von unten nach oben, Faser für Faser.

Die Rundung der Rachenrückwand ist die komplementäre Bewegung zum Schlucken. Im Ausatmungsmodus findet sie nur beim Würgereflex statt, im Einatmungsmodus beim Saugreflex, um so einen Unterdruck herzustellen. Sie erfolgt daher von unten nach oben: Der untere Constrictor, der größte, rundet zuerst, der mittlere, der schmalste, wird nur gedehnt und rundet nicht. Der obere rundet wieder. Für den Gesang ist es wichtig zu wissen, dass der mittlere Constrictor den größten Anteil an der gemeinsamen Schutzfunktion hat. Deshalb wird seine Dehnung oft unterbewusst vermieden. Durch diese Schutzhaltung kann dann aber der Kehlkopf nicht vollständig abgesenkt werden. Da die Constrictoren von unten nach oben runden, gestaltet sich auch beim Singen der Vokaltrakt von unten nach oben. Der obere Constrictor kann nicht ohne den unteren runden. Die zu singende Tonhöhe hat auf diesen Zusammenhang keinen Einfluss.

Infolge der Rundungsaktivität wird der Vokaltrakt lang, schmal und schlank. Durch das Artikulieren der Vokalreihe von „u-o-a“, das der natürlichen Öffnungsbewegung als Vorbereitung für das Trinken entspricht, erlaubt man den Constrictoren, zu reagieren. Die Dehnung der Wangen durch Kontraktion des Lippenringmuskels stellt die Verbindung zu ihnen her und unterstützt die Rundung. Alle Bewegungen der Lippen haben aus evolutionären Gründen nämlich ebenfalls immer Einfluss auf die Schlundmuskeln. Die Aktivität der gerundeten Rachenmuskulatur kann dabei deutlich spürbar werden. Caruso nannte das „mit dem Nacken singen“ oder auch „tief hinten im Halse ansetzen“

 

CUPERTO / LA CUPULA 

Dieser Belcanto-Ausdruck beschreibt die Wahrnehmung einer Wölbung des weichen Gaumens, die von der Rundungsaktivität der Schlundmuskeln ausgeht. Wenn sie aktiv werden, muss die Zunge reagieren: Sie wird schmaler und tonisierter, und der Zungenrücken hebt sich wie beim Saugvorgang.

Bei schmalen Vokalen („u, o, ü, ö“) hat der obere Constrictor eine andere Aktivität als bei breiten („a, ä, e, i“). Dadurch wölbt sich das Gaumensegel mehr nach oben. Der Gaumenheber ist ein Antagonist zu den Kehlkopfsenkern. Das bedeutet, dass die kuppelförmige Hebung des weichen Gaumens die Kehlkopfsenkung unterstützt. Ein „runder“ Stimmklang ist die akustische Folge.

In höherer Lage spürt man diese Kuppelform deutlicher. Die Resonanz der hohen Frequenzen wird im Bereich des weichen Gaumens besonders gut verstärkt und ist deshalb leichter wahrnehmbar. Das liegt an der Form des Resonators.

Lässt der Tonus im oberen Constrictor nach, schließt der Resonator. Dann wird das Gaumensegel flach, der Kehlkopf steigt, und daher klingtt auch die Stimme „flach“.

Gelingt es nicht, den oberen Constrictor differenziert zu runden, wird der obere Vokaltrakt diagonal zusammengeklemmt: Die Stimme klingt dann „spitz“.

BELCANTOBEGRIFFE UND FACHAUSDRÜCKE FUNKTIONAL ERKLÄRT D - I

DECKEN  

Das ist die etwas unglücklich gewählte Übersetzung des Belcanto-Ausdrucks „cuperto“. Der Klang wird nicht durch die kuppelförmige Rundung des Vokaltrakts abgedeckt und oder sogar gedämpft. Im Gegenteil: Ab dem zweiten Drittel der Kieferöffnung schließt das Gaumensegel reflektorisch. So entsteht ein oben geschlossenes „Gedackt“-Instrument. Das bedeutet, die Schallwellen werden auf die Schallquelle zurückreflektiert. Im Fall der Stimmlippen führt das zu einer erhöhten Bewegungsbereitschaft. Da sie ja primär ein Schutzorgan sind, reagieren sie mit Schließtendenz auf jede Luftbewegung und erzeugen durch diese Aktivierung intensivere Schwingungen. Dadurch bildet sich das Phänomen der Rückkopplung. Das ist einer der Hauptgründe, warum die menschliche Stimme so unglaublich tragfähig ist, obwohl der Resonator bei optimaler Tiefstellung des Kehlkopfs höchstens etwa fünfzehn Zentimeter lang ist.

 

DEHNUNG 

Dehnung ist nach der funktionalen Definition die Erlaubnis eines angespannten Muskels, die Spannung zu lösen, und sich im Anschluss dehnen zu lassen. Ohne diese Erlaubnis ist eine Dehnung von antagonistischer Muskulatur nicht möglich. Denn bei einem Agonist-Antagonist-Muskelpaar ist immer der kontrahierte Muskel in seiner Kraft. Deshalb muss das Dehnungsgefühl, die „exzentrische Muskelarbeit“, die Bewegung leiten. Durch das gedehnt Werden entspannt sich der angespannte Muskel. Das muss aber nicht zwangsläufig so sein. Er kann auch gegen die ihn dehnenden Kräfte eine Restkontraktion beibehalten. Der Fachausdruck dafür ist „exzentrische Kontraktion“: Der Muskel wird aktiv gedehnt, während er gegen einen größeren Widerstand arbeitet. Ein Muskel, der gedehnt wird, kann sogar leichter kontrahieren als ein entspannter. Umgekehrt ist nur ein kontrahierender Muskel zu differenzierter Arbeit fähig. Beispiele für exzentrische Kontraktion sind das kontrollierte Absenken eines Gewichts, oder auch das Hinsetzen aus dem Stand. Diese Form von muskulärer Aktivität trainiert beide Muskelgruppen auf effektive Weise: Exzentrische, Dehnung erlaubende Muskelarbeit trainiert die Muskulatur um bis zu 60% mehr als konzentrische, kontrahierende.

Im Dehnungsprogramm arbeiten die selben Agonist-Antagonist-Muskelpaare wie im Kontraktionsprogramm, nur mit vertauschter Dominanz und entgegengesetzter Atemtendenz: Etwas Wegschieben und sich nach etwas Ausstrecken sind Bewegungen in die gleiche Richtung! Allerdings geschieht das Wegschieben in der Ausatmungs- /Überdruckfunktion, „weg von“, und das Ausstrecken nach etwas in der Einatmungs- /Unterdruckfunktion, „hin zu“. 

Jede Dauerkontraktion von Muskeln verhindert Dehnung. Beim Versuch, den Muskel zu dehnen, entstehen Widerstandszuckungen. Ein Ziel des funktionalen Stimmtrainings ist auch, unbewusst gewordene Dauerkontraktionen wieder bewusst zu machen, um sie auflösen zu können. So wird eine bessere Funktionalität der arbeitenden Muskulatur erreicht. 

Beim Singen erlaubt der Vocalismuskel für Tonerhöhung, sich durch den Ring- Schildknorpelmuskel, den einzigen äußeren Kehlkopfmuskel schräg nach vorne unten dehnen zu lassen. Er wird davon länger und dünner. Das hat zur Folge, dass die Frequenz der Schwingung sich erhöht, und der Ton daraufhin höher klingt. Die starke Dehnung bei sehr hohen Tönen ist für die Muskulatur zunächst ungewohnt, so dass davon der Gähnreflex getriggert werden kann. Gähnen ist aber ein anderes neuronales Programm als Singen. Für tiefere Töne verläuft der Prozess in umgekehrter Richtung: Der Stimmmuskel zieht sich zusammen, und der äußere Kehlkopfmuskel lässt sich dehnen. Die Schwingung wird dabei langsamer, weil die Stimmlippen kürzer und dicker werden.

Bei der exzentrischen Kontraktion der Aufrichtungs- und Atemmuskeln, dem Räkeln, schließen die Stimmlippen reflektorisch. Dadurch wird ein Sog in der Lunge erzeugt, dem durch den Stimmlippenschluss nicht nachgegeben werden kann. So wird die Dehnung noch wesentlich effektiver. Dieser Reflex ist bekanntermaßen mit einem intensiven Wohlgefühl verbunden. Ein entsprechendes Gefühl stellt sich durch die permanente Dehnung der kontrahierenden Ausatmungsmuskeln aufgrund der Einatmungsdominanz auch beim funktionalen Singen ein. Denn Singen geschieht ja während der Ausatmung. Das ist vielleicht einer der Gründe, warum Singen die emotionale Stimmung hebt. 

 

DEHNUNGSFUNKTION

So wird in der funktionalen Terminologie der Zustand bezeichnet, in dem die Stimmlippen gedehnt sind. In dieser Konstellation schwingt hauptsächlich die sie umhüllende Schleimhaut, das Ligament. Der Anteil an schwingenden Muskelfasern des Stimmmuskels nimmt mit zunehmender Tonhöhe sukzessive ab. Etwa bei fis`` ist keine Muskelmasse mehr an der Schwingung beteiligt. Diesen Zustand beschreibt auch der Ausdruck „Randschwingung“.

Der Durchmesser des Vokaltrakts wird in Folge der Dehnung größer, weil dabei der Vocalis nach vorne verlängert wird. Gleichzeitig verlängert und verschmälert sich die Zunge, und der Mund öffnet sich weiter. Ohne entsprechende Mundöffnung ist es also nicht möglich, sehr hohe Töne funktional optimal zu singen.

Leider gibt es zwei Möglichkeiten, die Stimmlippen zu dehnen: Nach unten vorne, wie eben beschrieben, oder mit Hilfe der Rachenmuskulatur nach hinten oben, wobei die Zunge steif wird, um dagegenzuhalten. Das bewirkt dann ein Steigen des Kehlkopfs und dadurch eine Verkürzung des Vokaltrakts mit allen negativen Folgen für die Resonanz. Auf diese Art und Weise werden die Stimmlippen beim Gähn- und Niesreflex gedehnt. Dadurch entsteht die dafür typische hohe Stimmgebung.

 

DOPPELVENTILFUNKTION

Zum Grundverständnis der Stimmfunktion gehört das Wissen über die Doppelventilfunktion des Kehlkopfs, in dem die Stimmlippen als unteres Einatmungs- bzw. Unterdruckventil, und die darüber liegenden Taschenfalten als Ausatmungs- bzw. Überdruckventil organisiert sind. Dieses doppelte Ventilsystem liegt in der Evolutionsgeschichte begründet und entwickelte sich aufgrund unterschiedlicher Lebensbedingungen und Anforderungen an die Atmung.

Der Kehlkopf in seiner Hauptfunktion ist dem Atemapparat zugehörig. Die primäre Funktion der Stimmlippen als Teil des Luftweges ist es, für die Atmung zu öffnen oder auch zu schließen, etwa um die Lungen vor Fremdkörpern zu schützen. Eine sekundäre Funktion der Stimmlippen ist dann die Phonation.

Im Zusammenhang mit der Atmungsmuskulatur ermöglicht die Kehlkopffunktion Luftdruckänderungen in der Lunge bzw. Druckänderungen im Brustkorb. Ein Überdruck wird bei Schließung der Taschenfalten als Überdruckventil produziert. Sie besitzen in sich nur wenige Muskelfasern und werden deshalb in ihrer Schließstellung durch Hilfsmuskeln des Rachenraumes und auch weiter durch kompensatorische Aktivitäten der Schließung der Stimmlippen (Masseankopplung) und der Aktivität der Ausatmungsmuskeln unterstützt. Zweck der Überdruckfunktion ist die Kraftanwendung nach außen, vom Körper weg, wie Heben, Schieben, Defäkation, Gebären und Ähnliches. Diese Aktivitäten verlangen eine erhöhte kompensatorische Spannung (Schließung) im Rachenraum und sind für die Phonation nicht günstig.

Ein Unterdruck wird bei der Schließung der Stimmlippen als Unterdruckventil unter Beibehaltung der Rachenraumöffnung durch die ständige Aktivität der Einatmungsmuskeln produziert. Zweck der Unterdruckfunktion ist es, eine Kraftanwendung in Richtung des eigenen Körpers zu produzieren, also sich selbst zu heben, etwa beim Klimmzug oder beim Schwimmen, wobei bei extremer Kraftanwendung die Taschenfalten ebenfalls schließen durch die zusätzliche Aktivierung der schrägen Bauchmuskulatur zur Stabilisierung des Rumpfes. Auch unterstützen bzw. innervieren alle Aktivitäten der Unterdruckventilfunktion die benötigten inneren Kehlkopfmuskeln für eine effiziente Stimmproduktion. Im Moment des Einsatzes wird die Unterdruckfunktion aktiviert und bis zum Ende der Phonation immer weiter erhöht. Deshalb haben die Atmungs- und Bewegungsmuskulatur und sogar der gesamte Körper einen mechanischen wie auch neurologischen reflexmäßigen Einfluss auf die Kehlkopffunktion. Sie wird stimuliert durch Balance, und umgekehrt stimuliert die Unterdruckfunktion das Gleichgewichtsempfinden. Die Doppelventilfunktion ist daher in permanenter alltäglicher Aktivität.

Die menschliche Stimme ist das Ergebnis körperlicher Funktionen, also von Muskelaktivitäten, die teils bewusst, teils unbewusst durch Leitvorstellungen, also ein mentales Konzept gesteuert werden. Die optimale ungestörte Funktion der Stimmlippen ist eine Voraussetzung für die völlige Entfaltung der Stimme beim Kunstgesang, wobei alle Parameter der Stimme, wie z. B. maximaler Tonumfang, Lautstärkeumfang, Klang- und Vokalfarbänderungen, Konsonantenartikulation, Genauigkeit, Geschwindigkeit und emotionaler Kommunikationsumfang gewährleistet werden. (Quelle: Rabine-Institut)

 

DYNAMIK / LAUTSTÄRKE

Jede Stimme hat das Potenzial für Lautstärke. Gesteuert wird sie im Zusammenspiel von Stimmlippen und Raum. Die Lautstärkeregelung erfolgt ähnlich wie beim Instrument: Der Resonanzkörper bleibt erhalten, Veränderungen erfolgen da, wo der Klang erzeugt wird. Im Unterschied zum Instrument werden sie bei der Phonation von den Stimmlippen selbst reguliert. Sie werden nicht durch Luftdruck forciert, wie das beim Blasinstrument, aber auch beim Schreien der Fall ist.

Die Dicke des Vocalismuskels ist ausschlaggebend für den Grad der Lautstärke, die erzeugt werden kann. Tiefe Töne sind also akustisch immer lauter als hohe. Je mehr Masse, Kontraktion und Tonus der Vocalis hat, desto größer ist die Lautstärke. Deshalb sind Frauenstimmen immer leiser als Männerstimmen. Dass ihr Klang oft als dominierend wahrgenommen wird, liegt daran, dass das menschliche Ohr für hohe Frequenzen viel empfindlicher ist als für tiefe. Dieses Phänomen heißt „Lautheit“.

Für ein Anwachsen der Lautstärke kontrahiert der Vocalis, und der äußere Kehlkopfmuskel hält dagegen. Gibt er nach, verändert sich die Tonhöhe nach unten. Das ist ein Grund, warum untrainierte schwere Stimmen eher zum zu tief Singen neigen als leichte. Ihre Stimmlippenmuskulatur ist stärker, und die äußere Kehlkopfmuskulatur kann dem Zug manchmal nicht ganz standhalten.

Häufig wird Zungendruck hilfsweise für ein Anwachsen der Lautstärke eingesetzt: Um den Luftdruck unter den Stimmlippen zu erhöhen und so einen Massezuwachs zu erzwingen, wird mit der Zunge der Resonator verengt. Dadurch wird die Fließgeschwindigkeit der Atemluft gedrosselt, die ausströmende Luft staut sich. Der Vocalis reagiert auf den Druck und schaltet bei der Tonerzeugung mehr Muskelfasern dazu. Dadurch wird der Klang lauter, aber nach dem Überdruckprinzip, das beim Schreien eingesetzt wird.

Das Konzept des funktionalen Belcantogesangs für Lautstärkeregelung dagegen beruht auf dem Wunsch, anders gesagt, der mentalen Vorstellung für eine bestimmte Lautstärke des angestrebten Klanges. Darauf koppelt der Stimmmuskel auf einen Befehl aus dem Gehirn schon vor dem Einsatz die entsprechende Anzahl von Fasern an. Das ist möglich, weil infolge der dominanten Einatmungstendenz der subglottale Luftdruck äußerst fein dosiert werden kann. Die Grundempfindung für die Stimme bleibt dabei gleich, der Raum konstant. Am Anfang des Unterrichts steht daher immer eine möglichst optimale Klangerzeugung im Vordergrund, danach folgt erst die Lautstärkeregelung durch Wahrnehmungsdifferenzierung. Man muss erst eine bestimmte Klangvorstellung entwickeln, damit man sie sich vorstellen kann.

Das Konzept ist also umgekehrt: Mehr schwingende Masse fordert als Folge mehr Luftfluss an. Entsprechendes gilt für leise Dynamik: Weniger Masse braucht weniger Luftfluss. Je weniger Druck unter den Stimmlippen herrscht, desto geringer wird dann auch der Stimmbandschluss.

In hoher Lage verändert sich hauptsächlich das Maß an Lautheit: Durch mehr oder weniger starken Stimmlippenschluss werden unterschiedliche Teilspektren im Gesamtklang durch die Modifikation der Vokaltraktform verstärkt. Das erzeugt die subjektive Empfindung verschiedener Lautstärkegrade.

Ein weiterer wichtiger Parameter für Lautstärke ist die Resonanz. Je mehr Raum für die schwingende Luftsäule zur Verfügung gestellt wird, desto mehr Klangvolumen kann sich entwickeln. 

Auch für Crescendo geht beim funktionalen Konzept der Befehl des Gehirns direkt an die Stimmlippen statt an die Ausatmungsmuskulatur. Daraufhin gibt der Vokaltrakt nach. Die Weite des Vokaltrakts ist jedoch einer der Faktoren für die Definition von Vokalfarbe. Wird die Dynamik von den Stimmlippen selbst geregelt, tendiert daher bei gleicher Lautstärke nach oben jeder Vokal zum nächst offeneren („u“ zu „o“), und nach unten zum nächst geschlosseneren („o“ zu „u“). So wird die optimale Resonanz des Vokaltrakts gewährleistet. Es ist ein Lernprozess, das zu erlauben. Der Versuch, die Vokalfarbe festzuhalten, führt zu Störungen im Schwingungsablauf und in der Atemdruckregulation. Wird nicht erlaubt, dass der untere und in der Folge der obere Vokaltraktdurchmesser sich vergrößert, und die Vokalfarbe sich dadurch zum nächst offeneren Vokal ändert, wird ein funktional gesundes Crescendo unmöglich. Der Befehl zur Klangverstärkung triggert dann erhöhten Luftdruck, eine Deformation des „Instruments“ mit der Zunge und die Abflachung der Rachenrückwand. Dadurch werden die akustischen Verhältnisse im Vokaltrakt ungünstiger. Da sich das aber negativ auf die Lautstärke auswirkt, ist dieser Weg kontraproduktiv und kann in einer sängerischen Sackgasse enden.

Decrescendo bedeutet kontrollierte Masseabgabe. Das Gefühl für Masse wird beibehalten und der Körper organisiert sich in Bezug zur Masseabgabe neu. Die Erweiterung des Brustkorbs und die Stabilität in Brustkorb und Rücken nimmt zu.

Gleichbleibende Lautstärke ist real kaum zu verwirklichen, denn die Vokale haben von Natur aus verschiedene Lautstärken. „U-o-a“ ergibt ein Crescendo: Beim Vokal „u“ schwingt am wenigsten schwingende Muskelmasse, beim Vokal „a“ am meisten. In jedem Fall leitet die Qualität der Stimmlippenschwingung die Veränderung in der Dynamik. Vokaltrakt und Luftdruck ordnen sich unter. 

Der Mund- und Rachenraum ist mit sehr sensiblen Nerven ausgestattet. Deshalb entsteht durch die erzeugten Luftschwingungen immer auch eine taktile Vibrationswahrnehmung. Ein piano gesungener Ton fühlt sich dabei höher an als ein Ton auf der selben Tonhöhe im Forte. Das liegt daran, dass durch die geringere schwingende Muskelmasse weniger tiefe Frequenzen erzeugt werden. So werden die hohen Schwingungen, die wegen der Form des Vokaltrakts im Kopf resonieren, stärker wahrgenommen.

Es braucht Zeit, Geduld und vor allem Feingefühl, das Programm für die Lautstärkeregelung von der gewohnten Überdruckfunktion des Sprechens, Rufens und Schreiens auf die Unterdruckfunktion des Singens umzustellen, zumal wir ja im Alltag die anderen Lautäußerungen beibehalten. Das ist auch gut und richtig so, aber die Unterscheidung zwischen beiden Programmen und die dem jeweiligen Vorhaben entsprechende Wahl muss gelernt und eingeübt werden. Auf diese Weise wird nach und nach die Wahrnehmung neu justiert. 

 

EINSATZ 

Der Stimmensatz ist ein Reflex. Er findet im Millisekundenbereich statt und ist daher bewusst nicht analysierbar. Am Ende einer sängerischen Einatmung auf mindestens 50% Lungenkapazität schließen reflektorisch die Stimmlippen. Auch bei anderen reflexgeleiteten körperlichen Aktionen erfolgt am Ende einer entsprechend großen Einatmung ein Stimmlippenschluss, etwa beim Räkeln oder Niesen. Er ist auch da verbunden mit einem Wohlgefühl von Dehnungserlaubnis, allerdings aufgrund anderer neurologischer Programme wegen der unterschiedlichen Zielreaktionen.

Beim Gesangsreflex löst die Wahrnehmung des einfließenden Luftstroms einen neurologischen Reiz aus. Dadurch öffnen sich im letzten Drittel der Einatmung die Stimmlippen noch weiter und schließen sich dann in Tiefststellung des Kehlkopfs innerhalb von wenigen Millisekunden. Die Schließung erfolgt am Höhepunkt des Auseinanderdriftens der Aryknorpel. Das Gehirn unterbricht sie und wandelt sie in regelmäßige Schwingungen um. Die Energie für die Tonerzeugung ist also die gleiche wie für die Öffnung. Der Übergang zur Schwingung ist so schnell, dass er bewusst niemals zu kontrollieren ist. Die ersten Schwingungen erfolgen noch ohne Luftfluss. Daher ist auch der sogenannte „weiche Einsatz“, bei dem vor der Entstehung des Tones etwas Luft entweicht, nicht funktional und mit diesem reflektorischen Geschehen unvereinbar.

Die Mundöffnung für die Phonation hat nach funktionaler Zielsetzung immer die gleich ovale Form, trotzdem wird der zu singende Vokal zeitlich zusammen mit dem Einsatz geplant. Das ist möglich, weil Vokalklänge als Muster im Gehirn abrufbar sind, ohne dass bewusste Muskeleinstellungen für ihre Bildung nötig sind. Auch beim Sprechen ist das nicht anders: Man wünscht, einen Vokal zu artikulieren, und die Umsetzung erfolgt ohne bewusstes Zutun. Allerdings werden sängerische Vokale  anders gebildet als Sprachvokale. Diese Muster müssen zuerst erlernt werden, bevor sie angesteuert werden können. Auch das ist ein Ziel des funktionalen Unterrichts.

Der berühmt gewordene Begriff „coup de glotte“ von Manuel Garcia, leider ungenau übersetzt mit „Glottisschlag“, beschreibt treffend die Geschwindigkeit und Unplanbarkeit, mit der der Stimmeinsatz geschieht. Die Bedeutung, die dem Begriff „coup“ heute zugeschrieben wird, nämlich „überraschende, gelungene Aktion“, wäre wesentlich treffender. 

Der Stimmeinsatz erfolgt unvorstellbar schnell, aber rhythmisch, wie sehr viele Vorgänge im Körper. Rhythmus in Atmung und Bewegung wirkt daher unterstützend auf seine Innervierung. Gleichzeitig ist er der Beginn einer Vibratoschwingung, die ja auch rhythmisch abläuft. Er ist unabhängig von Vokalfarbe und Tonhöhenregelung.

Nur im Moment des Einsatzes ist die den Formantbereichen gemäße Raumgestaltung für das System genau erkennbar. Während der Klangerzeugung selbst sind die Schwingungswahrnehmungen zu vielfältig dafür. Eine Vorstellung von der Form des Resonators zu gewinnen, ist aber sehr wichtig für die Neujustierung der Gesangsfunktion im Unterschied zur Sprachfunktion. Ein günstiges Training dafür stellt das „Staccato“ dar, denn es besteht praktisch nur aus Stimmeinsätzen.

Im Augenblick des sängerischen Einsatzes wird die Unterdruckfunktion sowohl in der Einatmungsmuskulatur als auch in der Ausatmungsmuskulatur aktiv. Der Oberbauch beginnt, nach innen oben zu wandern. Dabei wird die muskuläre Richtung der Einatmung beibehalten. Je leiser der Klang beim Einsatz ist, desto feiner ist die Luftdruckregelung („Minimaltoneinsatz“).

Das Ende der Einatmung ist der Einsatz, das Ende der Tonschwingung ist der Beginn der nächsten Einatmung. Bei mehreren Phrasen erfolgt am Ort des Absatzes, also auf Stimmlippenebene, der nächste Einsatz. 

 

EINSCHWINGVORGANG 

Der „Einschwingvorgang“ ist die Aktivierung der Masseschwingung von außen oben (Ligament) nach innen unten („Bauch“ der Stimmmuskeln). Das geschieht nach dem Einsatz. 

 

EINSINGEN 

Eine Vorbereitung auf ein reflektorisches Geschehen ist eigentlich nicht nötig. Es geht beim Einsingen also um den nötigen Körpertonus und die mentale Einstellung auf die gewünschte Körperfunktion.

Der Wunsch zu singen schafft aber, im Gegensatz zur mentalen Vorbereitung auf vertraute Tätigkeiten, nicht automatisch günstige Voraussetzungen dazu. Ohne, dass wir es merken, stellt sich der Körper auf Alltagshandlungen wie etwa Treppensteigen selbstständig und unterbewusst auf das entsprechende Vorhaben ein.

Die Vorbereitung zum Singen sollte daher bewusst vollzogen werden. Der Zweck des Einsingens ist also die Umstellung von der Alltagsperson zur Sängerin, zum Sänger.

Musik und Tanz erhöhen den Körpertonus sowie Herzfrequenz und Adrenalinspiegel. Deshalb können diese „Hilfsmittel“ für die gewünschte Änderung des körperlichen Aggregatzustandes genutzt werden. Es ist durchaus sinnvoll, sich mit Hilfe von Musik und Bewegung auf eine funktional sinnvolle Stimmbehandlung einzustimmen. Mit der ersten sängerischen Einatmung wird das „Instrument“ entfaltet, und die Schwingung neuronal ausgelöst. Durch das Singen selbst kann die Funktion sich selbstständig weiter optimieren, denn die Phonation wird dominant vom Vocalismuskel gesteuert. Er fordert dabei die optimalen Bedingungen für die sängerische Tonerzeugung an, und das System reagiert und stellt sie bereit. Die Aufgabe von Einsingesequenzen besteht also darin, die Aufmerksamkeit gezielt und differenziert darauf zu richten, welche Voraussetzungen in Aufrichtung und Dehnungsbereitschaft erfüllt werden müssen, damit das geschehen kann. 

 

EMOTION 

Es gibt keine Bewegung ohne Emotion. Das sagt schon der Name. Singen ist Gefühlstransport. Die Primärfunktion des Singens ist ja Ausdruck und Auslösen von Freude, Beglücktsein und Angstfreiheit. Es ist eine emotionale Aktion von höchster Wirksamkeit. Singen synchronisiert die Gehirnwellenmuster auf eine intrinsische neuronale Frequenz, in der die Aktivität der Betawellen reduziert und die der Alphawellen verstärkt wird. Das fördert psychische Entspannung und reduziert Stress. Es entsteht ein Zustand von Ruhe, Aufmerksamkeit und Frieden. Dabei werden „Glückshormone“ wie Serotonin, Noradrenalin und Oxytocin ausgeschüttet, vor allem aber Beta-Endorphin. Das ist das Hormon, das auch für das Glücksgefühl nach dem Sport sorgt, im Fall von Singen jedoch ohne Suchtgefahr. Stresshormone wie Cortisol werden gleichzeitig abgebaut.  Neue Forschungen zeigen, dass Singen eine Art von Stressbewältigung ist, ähnlich wie Autogenes Training. Der Musikpsychologe Karl Adamek hat diesen Effekt in mehreren Studien beobachtet. Sein Fazit ist, dass durch Singen viele Menschen Angst, Trauer und Stress besser bewältigen. Der Neurobiologe Gerald Hüther ist überzeugt, dass Singen dazu beitragen kann, Selbstheilungskräfte im Körper zu aktivieren. Es sei außerdem ein gutes Mittel gegen Angst und Stress, weil man nicht gleichzeitig singen und Angst haben kann. Die Amygdala spielt eine entscheidende Rolle bei der Wahrnehmung von und der Reaktion auf Musik. Sie reagiert sehr empfindlich auf komplexe rhythmische Muster. Durch sie können physiologische Reaktionen ausgelöst werden, die entweder mit positiven oder mit negativen Emotionen verbunden sind.

Im Fall von gemeinsamem Singen, zum Beispiel im Chor, kommt noch die soziale Komponente des Gefühls der Zugehörigkeit zu einer Gruppe hinzu. Neben der Synchronisierung der Atmung werden dabei sogar die Herzfrequenzen auf natürliche Weise mit dem Takt der Musik angeglichen und stabilisiert.

Dieser Zustand führt zu Öffnung, Weite und dadurch Sog. Das wiederum bewirkt eine Optimierung des Gesangreflexes, das Loslassen von Schutzspannungen, „Ent-Faltung“, „Ent-Wicklung“, vom Ursprung her auch Hinwendungsfähigkeit der Person zu anderen Personen. Mit anderen Worten, das bekannte Zitat „Wo man singt, da lass dich ruhig nieder, böse Menschen haben keine Lieder“ aus dem im Jahr 1804 veröffentlichten Gedicht von Gottfried Seume ist heute wissenschaftlich belegbar.

Genuss ist allgemein das Signal fürs Gehirn, etwas zu speichern, um es wiederholen zu können. Das bedeutet, diese funktional sinnvollen Vorgänge werden automatisch gemerkt und gelernt. 

Angst oder Wut dagegen lösen Verengung und Schließung aus, und dadurch Überdruck: Eine ablehnende Haltung aktiviert die Taschenfalten, die Stimme wird „eng“ und „scharf“. Wut singen, wütend singen ist aus diesem Grund funktional nicht möglich. Im Gegensatz dazu kann man durchaus wütend sprechen, denn Sprechen ist eine Überdruckfunktion, genauso wie Schreien. Dieser Umstand ist auch für die Interpretation von gesungenem Text von großer Bedeutung. Das bedeutet aber auch: Jede innere Abwehrhaltung macht Singen und vor allem Singen Lernen unmöglich. Für das Gelingen einer sängerischen Entwicklung ist es von höchster Wichtigkeit, dass das emotionale Umfeld sicher, positiv und unterstützend ist.

Die gesamte Muskulatur der Mimik, der Augen und des Nackens ist mit emotionalen Mustern verknüpft. Sie ist das menschliche Kommunikationszentrum schlechthin. Jede Änderung in der Mimikmuskulatur bewirkt eine emotionale Reaktion bei einem selbst und beim Gegenüber. Der Modus, in dem sie beim Singen benutzt wird, nämlich offen und einladend statt verschlossen und abwehrend, hat maßgeblichen Einfluss darauf, in welcher Weise die Muskulatur sich zu einem sängerischen „Instrument“ aufbaut und funktioniert. Bei einer Veränderung der Gefühlslage ändert sich sowohl beim Sprechen als auch beim Singen die Klangfarbe: Traurige Stimmung macht den Klang dunkler und weicher, aggressive Stimmung dagegen heller und härter. Für den Flucht-, Kampf- oder Erstarrungsmodus müssen sich die kleinen Nackenmuskeln extrem anspannen. Der Mensch wird „hartnäckig“.

Funktionales Singen erfordert aufgrund dieser evolutionären Zusammenhänge den Zustand der Objektivität, denn alle Gefühlsregungen haben Einfluss auf die Funktion.

Die Emotionsübertragung geschieht durch die individuelle emotionale Vorprägung und die entsprechende Stimmgebung beim Singen: Worte und Klänge sind Codes mit emotionaler Verschaltung.

Die Wirkung auf die Zuhörerschaft entsteht also durch das Singen selbst. Es ist „ansteckend“, wie andere Gefühlsäußerungen auch, etwa Seufzen, Lachen, Weinen oder Schreien. Die körperlichen Abläufe beim Singen üben einen großen Einfluss auf die empathische Reaktion anderer Menschen aus. Sie beeinflussen ihre „Stimmung“.

Ein Wort noch zum Persönlichkeitstyp, der häufig mit Sängerinnen und Sängern in Verbindung gebracht wird: Es ist naheliegend, dass die intensive physische und psychische Beschäftigung mit dem Singen die Charaktereigenschaften verstärkt und einfordert, die es auszeichnen: Es ist eine extrem feine und sensible Bewegungsform, die vollkommen intuitiv abläuft und maßgeblich von Emotionen gesteuert wird. Gleichzeitig ist es eine außergewöhnlich körperintensive und kraftvolle Aktivität. Sängerpersönlichkeiten weisen häufig genau diese Veranlagungen auf, denn sie sind unerlässlich für ihren Beruf.

 

FALSETT

Im 17. Jahrhundert wurde der Begriff „Falsett“ gebraucht für die  Stimmgebung „bei erwachsenen Sängern, wenn sie anstatt ihrer ordentlichen Bass- oder Tenor-Stimme, durch Zusammenzwingen und Dringen des Halses, den Alt oder Discant singen. Man nennet es auch deswegen eine unnatürliche Stimme.“ (Johann Gottfried Walther, „Musicalisches Lexicon“ 1732)

Heute wird damit umgangssprachlich der Tonbereich oberhalb des Übergangs ab etwa es` bezeichnet. Das ist eine für Männer ungewohnte Lage. Ihre Sprechlage und die Lage, in der sie normalerweise singen, ist die tiefe Lage unter dem Übergang. Das Fehlen der Eigenresonanz der Luftröhre erscheint ihnen ungewöhnlich und „falsch“. Frauenstimmen singen jedoch überwiegend in der Lage über dem Übergang, obwohl auch ihre Sprechlage darunter liegt. Für viele Sängerinnen fühlt sich deshalb das Erzeugen von gesungenen Tönen unter dem Übergang falsch an.

Die funktional richtige Klangproduktion beim Singen in der höheren Lage findet im dehnungsdominanten Register, der „Kopfstimme“ statt. Dazu sind sowohl Frauen als auch Männer in der Lage, genauso wie Frauen auch im massedominanten Register, in der sogenannten „Bruststimme“ funktional richtig singen können.

Echtes Falsett, auf Deutsch „Fistelstimme“ von italienisch „fistula“, Röhre, Pfeife, also „pfeifende“ Stimmgebung im ursprünglichen Wortsinn, existiert nur innerhalb e`-a`. Nur da ist eine Art Überblasen möglich, eine Form der Tonerzeugung, die bei Querflöten Usus ist. Denn echtes Falsett ist Tonerzeugung ohne Beteiligung des Stimmmuskels. Dadurch bietet er seinem Antagonisten keinen Widerstand. So gerät nur das Ligament in Schwingung. Weil damit kein echter Stimmbandschluss erzeugt werden kann, fließt viel „wilde“ Luft hindurch. Die drei muskulären Regelfunktionen der Stimmlippen, Tonhöhenregelung, Lautstärkeregelung und Stimmlippenschluss, sind nicht möglich. Deshalb können die Tonhöhen nur über Luftdruck verändert werden. Das ist eine Überdrucktechnik, die immer ohne Vibrato stattfindet. 

 

FILARE LA VOCE 

Das bedeutet übersetzt „die Stimme ziehen“ oder „den Ton spinnen“: Bei der Tonhöhenveränderung nach oben gibt der Vocalis Faser für Faser Muskelmasse ab. Im Gegenzug kontrahiert der äußere Kehlkopfmuskel, um ihn in die Länge zu ziehen. Die dabei entstehende Feinwahrnehmung erinnert an den Vorgang des Spinnens, bei dem ja auch durch subtile und differenzierte Bewegungen ein feiner Faden immer weiter verlängert wird, ohne dass er abreißt. Die Assoziation liegt also nahe.

 

FORMANT

Der in der Akustik häufig verwendete Begriff „Formant“ bedeutet, dass in der Obertonreihe über einem Grundton sich mehrere Obertöne zu einer Obertonballung „formieren“. Jede Vokalfarbe ist definiert durch einen tiefen und einen höheren Vokalformanten. Der jeweilige Entstehungsort ergibt sich ausschließlich aus der Form des Rohres, in dem die stehende Welle schwingt. Die Länge hat darauf keinen Einfluss. Auch Tierstimmen und von unbelebten Gegenständen hervorgerufene Laute klingen für uns deshalb oft wie Vokale. In diesem Zusammenhang empfehle ich das Kurzvideo auf youtube „demostracion de la fonaciòn humana.AVI“.  

Der von den Stimmlippen erzeugte Grundton und der erste Vokalformant, der darüber im sogenannten Vestibül entsteht, sind akustisch nicht trennbar. Sie sind verantwortlich für das dunkle Timbre der Gesangsstimme. Auf der Sprachebene entsteht aufgrund des hochstehenden Kehlkopfs der untere Formantbereich nur unvollständig bis gar nicht. Der zweite Vokalformant bildet sich an einer vokaltypischen Engstelle im Vokaltrakt unterhalb des weichen Gaumens. Er ist verantwortlich für die Verständlichkeit des jeweiligen Vokals.

Durch unsere ursprüngliche Prägung auf Sprache sind wir normalerweise gewöhnt, vor allem oder sogar ausschließlich auf den zweiten Vokalformanten zu achten, weil für die sprachliche Kommunikation eine möglichst deutliche Artikulation erste Priorität hat. Wird diese Präferenz aber unverändert auf das Singen übertragen, entsteht zwischen den beiden Formantbereichen ein Ungleichgewicht. Fehlt nämlich der erste Formant, weil der Kehlkopf zu hoch steht, ist es unmöglich, mühelos Masse anzukoppeln. Die Rundung, der Klangraum, reicht dafür nicht aus. Dann klingt die Stimme sehr hell, fast wie eine Kinderstimme. Der Belcanto nennt diesen Klang „bianco“, „weiß“.

Ein Hinunterdrücken der Zunge wiederum hat Einfluss auf die Ausbildung des oberen Formanten. Denn diese Bewegung verengt den unteren Rachenraum, sodass die im Kehlkopf erzeugten Schwingungen nicht vollständig am weichen Gaumen reflektiert werden. Der Klang der Stimme wird dann dumpf, der Vokal unverständlich.

Unterhalb und oberhalb der Frequenzbereiche, von denen die Vokalfarbe definiert wird, ist es unmöglich, klare Vokale zu artikulieren. Die sie bestimmenden Merkmale sind dort nicht oder nur unvollständig vorhanden. Ein geschlossenes „u“ kann beispielsweise nur innerhalb der Oktave es`-es`` gebildet werden, weil die beiden Formantbereiche, die es akustisch definieren, bei ca. 300 und 600 Hz liegen.

Um erkennbare Vokale zu bilden, gibt es demnach zwei Möglichkeiten: Man verkürzt und verkleinert das ganze „Instrument“ und verändert so die akustischen Rahmenbedingungen, man singt sozusagen „mit Kinderstimme“. Oder man erlaubt eine Öffnung des unteren, in der Folge fallweise auch des oberen Vokaltrakts, zum nächst offeneren Vokal hin. Bei dieser Variante bleibt der Kehlkopf auf seiner sängerischen Tiefposition. Der sängerische Ablauf bleibt dann ungestört erhalten.

Für hohe Töne ist wichtig, zu wissen: Weil die oberen Vokalformanten für „u“, „o“ und „a“ bei erwachsenen Menschen unterhalb von a`` liegen, ist es ihnen nicht möglich, diese Vokale in der Lage adäquat zu artikulieren. Männerstimmen haben es da entschieden leichter als Frauenstimmen, da sie sich bei der Tonbildung praktisch nie in diesen Frequenzbereichen bewegen. Das ist einer der Gründe für die „undeutliche“ Aussprache von Sopranistinnen: Sie spüren instinktiv, dass es ihrer Stimme und der Qualität ihres Gesangs schadet, wenn sie zu deutlich im Sinn der Sprachgewohnheit artikulieren. Denn so verlieren sie den ersten Vokalformanten, weil das System schließt und der Kehlkopf hochgezogen wird . Die Gesangsfunktion kann dann nicht störungsfrei ablaufen und die Stimme wird müde.

Die Obertonballungen oberhalb der beiden Vokalformanten sind nicht an der Vokalbildung beteiligt. Sie beeinflussen aber maßgeblich den Stimmklang und die Tragfähigkeit. Besonders gilt das für die drei sogenannten „Sängerformanten“. Sie können allerdings nicht bei jeder Tonhöhe entstehen: Wenn der Grundton diese Frequenzen nicht im Klangspektrum hat, werden sie nicht angeregt.

Der erste Sängerformant liegt um 3000 Hz, das entspricht etwa fis````. Er entsteht durch Verschmelzung des dritten und vierten Vokalformanten. Für die Tragfähigkeit ist er von höchster Wichtigkeit, da die menschliche Hörkurve im Frequenzbereich um 3000 Hz am empfindlichsten ist. In Babygeschrei ist diese Frequenz immer enthalten. Darum stellt sie ein besonderes emotionales Stimulans für die Zuhörenden dar, das die Psyche in Alarmbereitschaft versetzt.

Der zweithöchste und der höchste Sängerformant wirken als Klangcode. Sie liegen um 5000 bzw. 8000 Hz, also ca. d````` bzw. e``````. Sie regen über das Gehör im Gehirn erhöhte Gamma-Nerventätigkeit und Glücksgefühle an. Positive Aktivität wird ausgelöst. Einen ähnlichen Effekt hat Vogelgesang. Vielleicht einer der Gründe, warum Singen sowohl in aktiver als auch in passiver Form glücklich macht?

 

GAUMEN 

Der weiche Gaumen liegt zwischen den oberen Backenzähnen und besitzt keine eigene Muskulatur. Beim erwachsenen Menschen ist die Schädelbasis leicht gewölbt, so dass er gehoben werden kann. Beim Kind ist sie noch flach.

Antagonistisch zu Mundöffnung und Trachealzug wird der Gaumen passiv gehoben und gedehnt, ohne Versuch einer aktiven Muskelkontraktion nach oben. Das steht im Gegensatz zum Prinzip der Sitztechniken, die eine aktive Gaumenhebung lehren. Schon Giambattista Mancini fordert 1774 in seinen “pensieri e riflessioni pratiche sopra il canto figurato“, „der Schüler müsse lernen, seine Brust so zu trainieren, dass die Stimme natürlich strömen kann, und von der Entspanntheit des Gaumensegels Gebrauch machen“. (Ernst Haefliger, „Die Kunst des Gesangs“, S. 91)

Ab dem zweiten Drittel der Kieferöffnung schließt das Gaumensegel die Nase von innen. Der Gaumenheber kontrahiert reflektorisch infolge des Zuges nach unten. Das ist eine Funktion, die von allen Primaten nur der Mensch besitzt und ein Indiz für eine Vergangenheit des Homo sapiens im und am Wasser. Der weiche Gaumen bildet so den „Deckel“ des „Instruments“, ähnlich wie bei der Gedacktpfeife einer Orgel. Dadurch wird die stehende Klangwelle auf die Stimmlippen zurückreflektiert. Sie reagieren auf die entstehenden Luftbewegungen mit erhöhter Schließbereitschaft. Das wieder ergibt eine Rückkopplung des Stimmklanges zwischen Stimmlippen und Gaumen, die maßgeblichen Anteil an der immensen Tragfähigkeit der menschlichen Stimme hat. „Der Vokalklang antwortet auf die Hohlheit des Gaumens“, bemerkt dazu David Fabricius schon im Jahr 1601. (Franziska Martienssen-Lohmann, „Der wissende Sänger“, S. 122) Ein willentliches Heben des Gaumensegels ist muskulär unmöglich. Beim Versuch einer aktiven Hebung drückt die Zunge nach hinten unten, schließt den Kehldeckel. und verengt den Vokaltrakt. Klangliches Ergebnis ist eine „gepresste Stimme“, ein „enger Ton“. Die Anspannung und Abflachung des weichen Gaumens dämpft den Klang und vermindert so die Tragfähigkeit.

Durch den Gähnreflex wird diese Form der Gaumenhebung initiiert. Der Grund ist wohl der Schutz der Lunge während der extremen Öffnung der Atemwege.

Bei der sängerischen Hebung des Gaumens durch Mundöffnung und Absenkung des Kehlkopfs in der Einatmung bewegt sich das System in der Mitte schlank nach oben. Da es unwillkürlich auf akustische Phänomene reagiert, verstärkt sich, etwa ab c``, in der Höhe die Hebung von selbst immer mehr. Sie bleibt aber erhalten, wenn die Funktion wieder in Richtung Massefunktion geht. Der weiche Gaumen verstärkt aufgrund seiner Kuppelform die hohen Frequenzen im Klang. Im Belcanto nennt man das „vor dem Gesange den Deckel heben“.

 

GESANGSREFLEX 

Singen ist ein sensomotorischer Vorgang, eine Folge ständiger Koordination von Sensorik und Motorik. Laut Eugen Rabine ist der Gesangsreflex der komplizierteste zusammengesetzte Reflex, der dem menschlichen Körper zur Verfügung steht. Er besteht aus angeborenen, unbedingten und erworbenen, bedingten Reflexen. 

Reflexe sind blitzschnelle Reaktionen des Körpers, die unwillkürlich ablaufen. Sie können nicht bewusst gesteuert werden. sondern werden durch bestimmte Reize ausgelöst. Unter ähnlichen Bedingungen folgt auf den entsprechenden Auslöser immer die gleiche Reaktion. Diese Reiz-Reaktions-Verknüpfung ist der Reflex. Die neuronale Verschaltung zwischen beiden nennt man Reflexbogen. Die Nervenzellen vieler Reflexbögen liegen im Rückenmark. Ohne den Umweg ins Gehirn können die Schaltwege dadurch möglichst kurz gehalten werden. Das erlaubt beispielsweise in Gefahrensituationen eine unmittelbare Reaktion.

Zwei frühkindliche Reflexe, die im Gesangsreflex enthalten sind, sind der Such- und der Saugreflex: Als Reaktion auf eine Berührung des Mundwinkels spitzen Säuglinge die Lippen, und sobald sie damit etwas berühren, beginnen sie zu saugen. Ein weiterer verwandter Reflex ist der Niesreflex, dessen primäre Aufgabe es ist, Fremdkörper aus den Luftwegen zu entfernen. Er wird an der gleichen Stelle im Rückenmark ausgelöst wie der Gesangsreflex, nämlich etwa auf Höhe der fünften Rippen. Auch für die Auslösung des Niesreflexes ist das Einatmungsvolumen entscheidend. Interessant im Vergleich zum Gesangsreflex ist dabei, dass bei zu weiter Mundöffnung der Niesreflex gestoppt wird. Der Effekt, etwas aus der Nase zu schleudern, wird durch die weite Mundöffnung unmöglich gemacht, denn sie löst den Verschluss der Nase durch die Hebung des weichen Gaumens aus. Im Laufe des Lebens werden andere bedingte Reflexe durch Konditionierung dazu erworben.

Auch beteiligt ist ein Verhalten, das praktisch alle Tiere haben, die selbstständig atmen, nämlich das Räkeln. Es ist primär häufig mit dem Gähnreflex verbunden und vermutlich dazu da, die gesamte Muskulatur, also auch die Ein- und Ausatmungsmuskulatur, gegeneinander zu dehnen, um sie zu aktivieren. Dadurch entsteht eine deutlich präsentere und wachere Körperwahrnehmung. Viele Sinnesrezeptoren werden dabei angeregt. Bei all diesen brustkorberweiternden Reflexen wird infolge der Aktivierung eines Dehnungsreizes im Bereich des fünften Rippenpaares ein intensives Wohlgefühl ausgelöst, das ausbleibt, wenn die Dehnung nicht vollständig erfolgt, und der Reflex infolgedessen nicht ausgelöst wird. Das Wort „Aufatmen“ beschreibt diesen Zusammenhang suggestiv. Das ist auch beim Gesangsreflex zu beobachten. Im Gegensatz dazu lösen Zustände, in denen diese Erweiterung und Hebung der Rippen nicht erfolgt oder nicht erreicht wird, offenbar Emotionen aus, die Assoziationen von Gewicht und Schwere im Brustbereich wecken: Man „hat etwas auf dem Herzen“, man ist „niedergeschlagen“ oder „bedrückt“, weil etwas „Belastendes“ „wie ein Stein auf der Seele“ liegt. Die Sprache kennt noch viele ähnliche Ausdrücke. Fällt dann „der Stein vom Herzen“, wird einem wieder „leicht ums Herz“. Ein „Seufzer der Erleichterung“ kann schon als Vorstufe von Gesang interpretiert werden. Aus dem Bedürfnis zu jauchzen ist er ja vermutlich entstanden.

Am Beginn des Gesangsreflexes steht ein neurologischer Impuls im Mittelteil des Stammhirns. Er wird durch eine sängerische Einatmung von mindestens 50% ausgelöst. Sie korrespondiert mit dem Stimmeinsatz, der vom selben Hirnareal gesteuert wird. Der Vocalismuskel wird davon innerviert, denn er ist das Einatmungsventil. Bei der Phonation wird durch den dosierten Luftstrom von unten die Schleimhaut aufgrund des aerodynamischen „Bernoulli-Effekts“ von rechts und links in rhythmischen Abständen angesaugt und so am Schwingen gehalten. Das funktioniert aber nur bei optimalem Luftstrom.

Ist der Gesangsreflex soweit von ihm zuwider laufenden Gewohnheiten befreit, dass er dominant die Klangerzeugung leiten kann, ist er selbstregulierend und selbstoptimierend. Anders ausgedrückt, sobald die Stimmlippen optimal arbeiten, organisiert sich der ganze Körper nach ihnen: Das Ventil meldet zurück, was es an Einatmungsaktivität braucht, und das System richtet sich danach. Diese Verbindung reagiert auf Achtsamkeit. Sie wird im Verlauf der Tonerzeugung weiter optimiert, weil die schwingende Luftsäule über die Sinneszellen der sie umkleidenden Schleimhaut fühlbar wird. Voraussetzung dafür ist ein optimal tief stehender Kehlkopf. Was den Kehlkopf nach oben zieht und den Vokaltrakt verengt, stört oder verhindert den Gesangsreflex. Töne, die dann entstehen, stammen aus anderen neuronalen Programmen. 

Das bedeutet auch: In untrainiertem Zustand gehört der Stimmmuskel dem Atemsystem an und reagiert ausschließlich darauf. Erst durch den Erwerb der Fähigkeit zu vollständiger sängerischer Einatmung wird das „Stimmorgan“ zu einem eigenständigen System, das fähig ist, sich aus sich selbst heraus zu regeln. So wird funktionales Singen erst möglich.

 

GESTALTUNG

Künstlerische Gestaltungsfreiheit besteht nur im Rahmen der Selbstregulation der Stimmlippen, wenn ein funktional gesunder Umgang mit der Stimme gewährleistet sein soll. Aber im Laufe der Beschäftigung mit der Materie entwickelt sich ein sängerisches Gespür, ein Instinkt für Stimmgesundheit und damit ein neuer Zugang zu den vielfältigen Gestaltungsmöglichkeiten, die der Singstimme innewohnen. Für die differenzierte Fähigkeit, sich emotional auszudrücken, ist sie ja entstanden.

Es ist sehr interessant, zu entdecken, welche kreativen Möglichkeiten das System von selbst bereitstellt, ohne dass sie bewusst angestrebt werden. Dieser Ansatz der intuitiven Kreativität des Körpers deckt sich mit dem der Feldenkrais-Lehre.

 

GLISSANDO 

Glissando bedeutet Gleiten durch die Tonhöhen ohne Tonschritte. Beim Glissando sind alle Parameter in Bewegung außer dem Vibrato. Durch leichte Kontraktion zweier Einhängemuskeln rechts und links am Kehlkopf, die beim Glissando reflektorisch erfolgt, wird der Grundtremor der schwingenden Stimmlippen abgebremst. Die Vibratoimpulse laufen aber auch während der Glissandobewegung weiter. Werden sie hörbar durch Lösen der Kontraktion, entsteht ein „Portamento“. Dabei vollzieht sich dann die Tonhöhenveränderung, durch das Vibrato geleitet, in Dritteltonschritten. 

Sobald die Tonhöhe verlassen wird, wird das Vibrato minimiert. Das ist ein neuronales Programm. Die Kunst, nonvibrato zu singen, fußt auf diesem Zusammenhang: Die Vibratoschwingung wird dabei nicht durch Verengung des Raumes oder erhöhten Luftdruck gestoppt, oder entsteht von vornherein nicht wegen einer gestörten Funktion., sondern die Kontraktion der beiden Muskeln am Kehlkopf wird aktiviert durch den Wunsch, ein Glissando zu singen. Behält man die Tonhöhe anschließend doch bei, entsteht ein Klang ohne Vibrato.

So wird Nonvibratotechnik auch geübt. Sie ist für erwachsene Stimmen ja nicht naturgegeben. In manchen Musikstilen wird sie aber gefordert aufgrund des Umstands, dass die Musik ursprünglich für Knabenstimmen komponiert wurde. Nur diese Art, das Vibrato zu kontrollieren, gewährleistet dauerhaft einen gesunden Umgang mit der erwachsenen Stimme. Es versteht sich von selbst, dass das erst möglich ist, wenn bereits ein regelmäßiges Vibrato existiert.

Eine weitere Form von Glissando ist das „Vokalglissando“: Beim Singen ist es günstig, nicht ruckartig von einem Vokal zum anderen zu wechseln, weil plötzliche Bewegungen vom Gehirn mit Erschrecken assoziiert werden, und daraufhin das System schließt. Deshalb werden für die funktional gesunde Stimmbehandlung die Bewegungen von einem Vokal zu anderen von der Artikulationsmuskulatur gleitend ausgeführt. Das ist anders als bei der Sprachgewohnheit, bei der die Konsonanten durch die Schließung des Mundraumes den folgenden Vokal vorformen.

Bei der sängerischen Artikulation  werden die zwischen Ausgangs- und Zielvokal liegenden Vokale minimal hörbar, wobei die Konsonanten diese Bewegung so wenig wie möglich stören. Trotzdem entsteht der akustische Eindruck von klaren Vokalwechseln, da das Gehör alle Vokale durch ihre Formanten definiert. Ein ähnliches Phänomen kennen wir vom Regenbogen: Er bildet das gesamte sichtbare Farbspektrum nahtlos ab. Trotzdem sind wir imstande, die verschiedenen Farben klar zu unterscheiden.

 

GLOTTISSCHLAG 

Der Begriff wird üblicherweise verwendet zur Beschreibung einer Sprengung der Stimmlippen durch großen Luftdruck von unten, hervorgerufen durch starken Druck der schrägen Bauchmuskulatur: Die Atemluft staut sich unter der geschlossenen Stimmritze, der Glottis. Dadurch werden die Stimmlippen nach oben ausgelenkt. Können sie dem Druck nicht mehr standhalten, werden sie auseinandergesprengt. Diese Vorgehensweise macht selbstverständlich eine gesunde Stimmbehandlung unmöglich und ist völlig unvereinbar mit dem reflektorischen Stimmeinsatz bei der funktionalen Klangerzeugung.

Der Begriff „coup de glotte“, von dem sich der Begriff ableitet, wurde von dem namhaften Gesangslehrer Manuel Garcia im 19. Jahrhundert geprägt. Die wörtliche Übersetzung davon ist „Glottisschlag“. Garcia war Stimmforscher und ein sehr erfolgreicher Gesangslehrer. Es ist naheliegend, dass er den Begriff „coup“ eher in der heute üblichen Weise gebraucht hat, die eine unerwartete, gelungene Aktion meint. Das passt viel besser als Beschreibung für den Stimmeinsatz.   

 

GOLA APERTA 

Die wörtliche Übersetzung dieses Begriffs ist "offene Kehle". Durch die sängerische Kieferöffnung ohne Beteiligung von Zungendruck und die sängerische Einatmung kann der Kehlkopf von der Ruhestellung in Höhe des zweiten Halswirbels bis zur Höhe des fünften Halswirbels abgesenkt werden. Dabei öffnet sich die Stimmritze immer weiter, zunächst in Form eines Dreiecks („Dreipunkt-Öffnung“), bei weiterer Senkung sukzessive durch Zuschalten weiterer senkender Muskelgruppen der Einhängemuskulatur bis zu einer nahezu runden Öffnung („Siebenpunkt-Öffnung“).

Die optimale Tiefstellung bleibt im Idealfall während der gesamten Tonproduktion erhalten. Im Verlauf der Öffnung der Stimmritze durch die Kehlkopfsenkung richtet sich auch der Kehldeckel auf, bis er beinahe senkrecht steht. So ist bei Beginn der Tonerzeugung die Luftröhre nach oben praktisch vollständig geöffnet.

Die schließende Schutzfunktion der Stimmlippen wird dabei ersetzt durch ihre kinetische Energie und den höheren Muskeltonus, mit anderen Worten ihre erhöhte Schließbereitschaft.

 

HÖHE 

Um hohe Töne zu erzeugen, müssen die Stimmlippen schneller schwingen, als beim Erzeugen von tiefen Tönen. So schwingen sie bei einem a`` 888 Mal pro Sekunde hin und her. Das ist ein äußerst komplexer Vorgang. Er setzt einen sehr hohen Tonus und eine besondere Differenzierungsfähigkeit des ganzen Systems voraus. Diese Parameter sind beim untrainierten Körper nicht vorhanden. Sie müssen schrittweise aufgebaut werden.

Das antagonistische Muskelpaar Stimmlippenmuskel und äußerer Kehlkopfmuskel kann nur gemeinsam trainiert werden. Ein kontrahierender Vocalis trainiert den Kehlkopfkipper und umgekehrt. Anders ausgedrückt: Die Höhe wird in der Tiefe trainiert. Dabei geht es um die Spannkraft und Elastizität des gesamten Systems. Denn je trainierter ein Muskel ist, zu desto differenzierterer Aktion ist er fähig. Das besagt auch das bekannte Zitat aus dem Belcanto: „Die Höhe des Sängers ist gebaut auf den tiefsten Tönen.“

Um hohe Frequenzen zu ermöglichen, kontrahiert der Ring- Schildknorpelmuskel, der an der vorderen Spitze des Schildknorpels ansetzt, und zieht so die Stimmlippen in die Länge, wobei das System nach vorne und unten nachgibt. Da sie dadurch dünner werden, erhöht sich ihre Schwingungsfrequenz, wie das bei jedem elastischen Band geschieht. Der schwingende Muskelanteil wird mit zunehmender Dehnung immer geringer, bis bei fis`` keine Muskelmasse mehr an der Schwingung beteiligt ist. Der obere Rand, das Ligament, schwingt dabei in ganzer Länge.

Entsprechend weiter und länger wird der Vokaltrakt in der Höhe. Die vollständige Dehnung der Stimmlippen braucht die große Weite des Vokals „a“. Unter anderem deshalb ist eine der Sprachgewohnheit entsprechende Artikulation von „o“ und „u“ in der Höhe unmöglich.

Je höher der gesungene Ton ist, desto weniger Veränderung im Vokaltrakt ist nötig. Zum Vergleich: Die Griffe auf dem Griffbrett eines Saiteninstruments werden immer enger, je höher der erzeugte Klang wird. Eine geringfügige Veränderung an den Stimmlippen durch die Aktivität des Kehlkopfkippers ändert schon die Tonhöhe. 

Bei steigender Tonhöhe wird die hohe Schwingung am weichen Gaumen immer stärker fühlbar, denn da wird sie verstärkt. Durch die Absenkung des Schildknorpels durch den Zug des äußeren Kehlkopfmuskels wird die Form des weichen Gaumens immer schmaler und länger.

Mit intensiverer Wahrnehmung der Kopfresonanz fühlt sich die Klangentstehung höher an. Die Klangerzeugung bleibt aber am selben Ort im tiefstehenden Kehlkopf. Trotz der starken oberen Schwingung bleibt die untere Schwingung im Vokaltrakt dominant. Sie ist und bleibt die primäre Vibration, ohne die überhaupt keine hohe Schwingungswahrnehmung entstehen könnte. Auch der subglottale Luftdruck wird bei immer feinerer Schwingung immer noch weiter reduziert. Umso tonisierter muss demzufolge die Einatmungsmuskulatur werden, um den Raum offenhalten zu können. Ist dies gewährleistet, können die tiefen Raumfrequenzen den hellen Klang anreichern, wie beim Rufen in ein Rohr hinein. 

Sobald keine Muskelmasse, sondern nur noch das Ligament an der Schwingung beteiligt ist, ist bei gleichbleibender Lautstärke der Stimmbandschluss lockerer als bei tiefen Tönen. Das Singegefühl ähnelt dann dem von Singen im Piano. Eine Differenzierung der Lautstärke ist in hoher Lage genau genommen nicht mehr möglich, da ja keine An- bzw. Abkopplung von Muskelmasse mehr stattfindet.

Weil aber durch die Verlängerung und Erweiterung des Vokaltrakts auch die Oberflächenspannung der ihn umkleidenden Schleimhäute steigt, verbessert sich die Resonanz. Zugleich steigt durch die Stimmlippendehnung ihre Schließbereitschaft, also die mediale Kompression, an. Dazu kommt noch der Rückkopplungseffekt durch die auf die Stimmlippen zurückgeworfenen Vibrationen, wodurch sie zu erhöhter Aktivität angeregt werden. Für Lautstärkeveränderung in hoher Lage verändert sich also fast ausschließlich die Intensität des Stimmlippenschlusses und damit die Erzeugung von sehr hohen Frequenzen bis hin zu den Sängerformanten.

All diese immer feiner werdenden Anpassungsbewegungen werden bei optimalen Luftdruck- und Resonanzverhältnissen durch die Stimmlippen in vollkommener Selbstregulation geleitet. 

 

INALARE LA VOCE 

Dieser sehr bekannte Ausdruck bezieht sich auf eine Wahrnehmung in der Einatmungsmuskulatur und im Vokaltrakt: Er beschreibt das Gefühl, durch das Beibehalten der dominanten Einatmungsaktivität während der Ausatmung beim Singen „die Stimme einzuatmen“.

Der Luftfluss wird bei der Phonation von den Stimmlippen so fein dosiert, dass die extrem differenzierte Schwingungsbewegung ungestört ablaufen kann. Die unvermindert hohe Aktivität der Einatmungsmuskeln, die sich im Laufe einer Phrase teilweise sogar noch erhöht, bewirkt, dass das Ende der Klangproduktion zugleich der Beginn der nächsten Einatmung ist. Denn die Einatmungsmuskulatur arbeitet ja durchgehend dominant. Das Ende der Einatmung wiederum ist der Beginn des nächsten Tones.

Die Einatmungsdominanz wird also aufgebaut für den ersten Einsatz und besteht und verstärkt sich die gesamte Phonation hindurch bis zum Ende des letzten Tones.

Dieses Prinzip erinnert an die Philosophie der japanischen Kampfkunst Aikido: Der bereitgestellten Energie wird nichts entgegengesetzt, sie wird nicht abgeblockt und neutralisiert, sondern aufgenommen und umgelenkt, harmonisch genutzt und weiter verstärkt. Das Ziel dieser Körpertechnik ist die Förderung der Einheit von Körper und Geist, persönlichem Wachstum und der Fähigkeit, mit sich selbst und der Umwelt im Einklang zu sein. Singen entfalten die gleiche Wirkung.

 

INTONATION

Intonation entsteht am Grundton. Jede Tonhöhenregelung kann nur da erfolgen, wo der Klang entsteht. Man kann eine Wirkung nur über ihre Ursache verändern. Ohne Grundtonwahrnehmung kann die Intonation darum nicht effektiv geregelt werden.

Für das Verstehen von Sprache nutzt der Gehörsinn den oberen Vokalformanten, der untere ist beim Sprechen nicht oder nur ansatzweise ausgebildet. Das erschwert das Erkennen der Frequenz des Grundtons für ungeübte Ohren erheblich. Beim gesungenen Ton ist sie aber ausschlaggebend für die Regelung der Tonhöhe.

Wird nun der Versuch gemacht, über den zweiten Vokalformanten, also über die Vokalfarbe, die Intonation zu verbessern, geht das nur über eine Manipulation der Vokaltraktform. Das kann auf Dauer stimmschädigend wirken, weil so die optimalen funktionalen Voraussetzungen für die Tonerzeugung gestört werden.

Diese Vorgehensweise ist mit dem „Stopfen“ von Blechblasinstrumenten vergleichbar: Man verformt den Resonator, aber die erzeugte Frequenz bleibt dieselbe, denn sie wird ja an der Klangquelle erzeugt und nicht im Resonator.

Genauso kontraproduktiv ist es, mit Hilfe von Luftdruck oder durch Veränderung der Kehlkopfposition die Intonation zu ändern. Dadurch wird das Mischungsverhältnis von Masse- und Dehnungsdominanz gestört. Dann wird die Intonation nicht direkt reguliert, sondern hängt zum Teil von Zufällen und nicht funktionalen Strategien ab.

Der Anteil an tiefen und hohen Frequenzen im Klang ist von individuellen körperlichen Parametern abhängig. Allgemein kann aber gesagt werden. dass der Eindruck von zu tief oft bei zu wenig hoher Schwingung und der von zu hoch bei zu wenig tiefer Schwingung im Klang entsteht.

Ein Unterschied zwischen Frauen- bzw. Kinderstimmen und Männerstimmen ist noch interessant: Je tiefer der erzeugte Grundton und je länger der Resonator ist, desto mehr Teiltöne können entstehen. Das bewirkt eine bessere Mischung des Gesamtklanges aus Grundton und Obertönen. Stimmen, die vor allem in der ein- und zweigestrichenen Oktave singen, haben wegen der höheren Lage weniger Obertöne. Daraus ergeben sich bei ihnen mehr Intonationsprobleme als bei tieferen Stimmen. Ungenauigkeiten der Grundtonfrequenz fallen dann mehr auf, auch wenn es sich nur um wenige Schwebungen handelt. Zudem liegen die oberen Vokalformanten vieler Sprachvokale unter den zu intonierenden Frequenzen hoher Töne. In dieser Lage ist für genaue Intonation also eine gezielte Veränderung der Vokalisation nötig, die der Sprachgewohnheit entgegensteht. Auch diese Fertigkeit ist ein Ziel von funktionalem Unterricht.

BELCANTOBEGRIFFE UND FACHAUSDRÜCKE FUNKTIONAL ERKLÄRT K - N

KEHLKOPF 

Der Kehlkopf hängt stabil in der Einhängemuskulatur, die vom weichen Gaumen bis zum Zwerchfell reicht. Er kann in seiner Form in die Länge gezogen werden, da er aus elastischem Knorpelgewebe besteht. Die Stellung des Kehlkopfs ist unabhängig von Vokal, Tonhöhe und Stimmfach. Allerdings kann die Kehlkopfmuskulatur durch Schall beeinflusst werden. Im Kehlkopf entsteht der Schall durch die schwingenden Stimmlippen, die vorne an der Kehlkopfspitze angewachsen sind. Ihre hintere Begrenzung sind die Stellknorpel. Durch sie werden sie geöffnet und geschlossen.

Deutliche Größenunterschiede von etwa einem Viertel bestehen im Erwachsenenalter zwischen Frau und Mann. Der Unterschied im Klang zwischen Jungen- und Männerstimme beträgt gewöhnlich eine Oktave (Frequenzverhältnis 2:1), die Frauenstimme kann gegenüber der Mädchenstimme bis zu einer kleinen Terz absinken (Frequenzverhältnis bis 6:5). Das bedeutet: Der männliche Kehlkopf wächst deutlich mehr als der weibliche. Männer haben demzufolge etwa um die Hälfte längere Stimmlippen und bis zu fünf Mal mehr Muskelmasse als Frauen. 

 

KEHLKOPFSENKUNG 

Die Kehlkopfsenkung, in der italienischen Gesangslehre „affondo“ genannt, ist ein elementar wichtiger Aspekt der funktional gesunden Klanggebung. Der Kehlkopf steht in Ruhestellung etwa beim zweiten bis dritten Halswirbel, kann aber bis zum fünften Halswirbel sinken. Im Idealfall senkt er sich symmetrisch. Es kommt aber häufiger zu asymmetrischen Senkungsbewegungen durch Haltungsgewohnheiten. Die Wahrnehmung der symmetrisch schwingenden Luftsäule ist in solchen Fällen das beste und einzig dauerhaft wirksame Regulativ.

Die Kehlkopfsenkung ist unabhängig von Vokal- und Konsonantenbildung, Lautstärke und Tonhöhe. Sie wird getriggert und unterstützt durch Dehnung des Lippenrings und eine Kieferöffnung wie beim Saugen. Die Artikulation des zu singenden Vokals erfolgt deshalb erst, wenn der Kehlkopf vollständig gesenkt ist und gleichzeitig mit dem Toneinsatz Sie wird ausgelöst durch codierte Impulse aus dem Sprachzentrum. Das bedeutet, die Vorstellung eines Vokalklangs löst im Moment des Einsatzes dessen Bildung aus, ohne bewusste Manipulation der artikulierenden Muskulatur. Nur so wird immer eine vollständige Senkung gewährleistet.

Punctum fixum, stabiler Ansatzpunkt bei der Senkung ist ein erweiterter Brustkorb und ein kontrahiertes Zwerchfell. Dann erst ist eine vollständige Kehlkopfsenkung möglich. Nur gegen einen unbewegten Stabilisator kann das System öffnen. Die den Kehlkopf senkenden Muskeln können aber stattdessen auch den Brustkorb heben, wenn das punctum fixum und das punctum movens vertauscht werden.

Kehlkopfsenkung ist also nicht nur ein Zug nach unten, sondern vor allem sogar ein Nachgeben der oberen Einhängemuskulatur und der Constrictoren. 

Wenn der Kehlkopf sinkt, vergrößert sich der Abstand zwischen Stimmlippen und Taschenfalten. Antagonistisch zu diesem Zug nach unten erfolgt eine reflektorische Aktivierung und Hebung des weichen Gaumens. Das alles verlängert den Resonator und verbreitert ihn auch bis zu einem gewissen Grad. Infolge dieser Dehnung kann es vorkommen, dass sich Schleimtröpfchen lösen und auf die Stimmlippen fallen, die davor in den Falten der Schleimhaut festsaßen. Der berühmte „Frosch im Hals“ kann also auch ein gutes Zeichen dafür sein, dass der Kehlkopf tief steht.

Nur bei dieser Tiefstellung funktioniert die Selbstregulation der Stimme optimal. Durch die störungsfreie Schwingung entstehen während der Phonation auch keine irritierenden Wahrnehmungen. Diese Erfahrung hat sich in der Lehre manifestiert, man „dürfe den Kehlkopf beim Singen nicht spüren“.

Didaktisch ermöglicht jedoch ausschließlich die umgekehrte Reihenfolge eine Entwicklung: Durch die immer feinere Wahrnehmung der subtilen Bewegungen und der erzeugten Vibrationen wird es erst möglich, zu erkennen, was im Verborgenen geschieht. Erst dann besteht die Möglichkeit, zwischen verschiedenen Alternativen zu wählen. Nur das kann zu Veränderungen führen. Am Ende dieser Entwicklung kann tatsächlich das Ziel erreicht werden, dass die Klangproduktion im Kehlkopf nicht mehr ins Bewusstsein dringt, weil nichts mehr der Aufmerksamkeit bedarf.

Durch die unaufhörliche vom Vocalis organisierte Neuabmischung des Verhältnisses von Masse- und Dehnungsdominanz und auch wegen der akustischen Eigenschaften des Resonators ändert sich laufend die Klangfarbe. Versucht man also, trotz Änderung der Tonhöhe eine bestimmte Klangfarbe beizubehalten, kann das in Richtung Dehnungsfunktion nur durch Erhöhung des Luftdrucks erreicht werden. Dadurch wird zu viel Muskelmasse zur Schwingung angeregt, und außerdem steigt der Kehlkopf. Das wird auch als „verbrustetes Singen“ bezeichnet. In Richtung Massefunktion führt dieses Vorhaben zu einer Verengung des Vokaltrakts.

Je höher der Kehlkopf steht, desto mehr Störungen entstehen, bis hin zum völligen Ausfallen der Selbstregulation. Denn die Funktion der Stimmlippen als schließendes Schutz- und Sphinktersystem wird immer dominanter, je geringer ihre Dehnung und damit ihre Schließbereitschaft wird. 

Das Singen mit „tiefgestelltem“ Kehlkopf wurde schon von Manuel Garcia gelehrt. Aber wegen der fehlenden Erklärung, auf welche Weise der Kehlkopf gesenkt werden kann, kam es zu dem Missverständnis, dazu würde Zungendruck eingesetzt. Als Folge dieser Fehlannahme geriet die funktional eigentlich richtige Lehre bald wieder in Verruf. 

 

KLANG 

Klang ist hörbar gemachte Bewegung. Er existiert mit der ersten tausendstel Sekunde, in der die Stimmlippen schwingen und ist das Ergebnis eines komplexen physiologischen Ablaufs. Verläuft er störungsfrei, ist der Klang der Singstimme immer schön und außerdem hoch funktional. Daher ist das Hauptziel von funktionalen Gesangstraining, das Zusammenspiel der klangerzeugenden Parameter Aufrichtung, Atmung, Vokaltraktgestaltung und Stimmfunktion im menschlichen „Instrument“ von Einschränkungen und Störungen zu befreien sowie noch nicht entwickeltem Potential zur Entfaltung zu verhelfen. Das geschieht durch ihre direkte effektive Optimierung und nicht durch Veränderung der klanglichen Ergebnisse, denn das wäre nur Symptombehandlung.

Der Klang wird von den Singenden vor allem über das Innenohr wahrgenommen, wobei auch der Knochenklang eine Rolle spielt. Da er sowohl bei den Lehrenden als auch bei den Lernenden aber primär über die äußeren Gehörgänge ins Ohr dringt, ist es ungünstig, sich an Klangvorstellungen zu orientieren. Sie führen meistens in die funktionale Verirrung. Die taktile Wahrnehmung der Bewegungsabläufe und der Vibrationsempfindungen im Vokaltrakt und die davon abgeleitete akustischen Klangerfahrungen sind eine viel sicherere Möglichkeit, sich leiten zu lassen. Werden sie optimiert, wird auch der Klang vollständiger und „stimmiger“.

Je feiner die Funktion ist, desto „weicher“ wird der Klang. Durch Sensibilisierung des Gehörs und Differenzierung der Bewegung wird auch der Klang verfeinert.

Klang ist aber auch emotionale Kommunikation. Dieser Parameter kann ebenfalls zu falschen Vorstellungen, Erwartungen und Interpretationen führen und auf diese Weise die funktionale Zielsetzung stören oder sogar aushebeln. Die von Regisseuren immer wieder geforderte Authentizität des textlichen Ausdrucks steht daher oft in diametralem Gegensatz zu gesunder Stimmbehandlung.

 

KLANGFARBE 

Auch Klangfarbe ist etwas sehr Ursprüngliches. Sie entsteht im Vokaltrakt. Auch sie wird durch Emotionen beeinflusst. Bestimmt wird sie durch das Verhältnis von Muskelmasse und Ligament bei der Klangerzeugung.

Die sie beschreibenden Parameter dunkel – hell werden durch die unterschiedlichen Lautstärken der im Klang enthaltenen Teiltöne bestimmt. Beim sogenannten Primärklang ist die Klangfarbe hell, die Vokalfarbe aber dunkel, ähnlich wie bei volltönendem Glockenklang. Der Vokaltrakt verstärkt durch seine jeweilige, veränderliche Form bestimmte Frequenzen des Klanges.

Dabei ist eine Unterscheidung der Begriffe Klangfarbe und Vokalfarbe von großer Wichtigkeit: Der Resonator, der Vokaltrakt, liefert die Klangfarbe und der Artikulator, der Rachen- und Mundraum formt die Vokalfarbe. Im Verhältnis zu den sekundären Schwingungen der Vokalfarben leitet die primäre Schwingung der Klangfarbe („Grundtönigkeit“) stärker die Schwingungsregulation. Das ist von großer Bedeutung für die Reihenfolge beim funktionalen Unterricht: Zuerst muss die Ursache, also der Grundton erkannt und der entstehende Klang darüber reguliert werden, damit sich daraufhin die Wirkungen dieser Schwingung in Form der Obertöne bis hin zu den Sängerformanten ausbilden können. Zu Anfang der funktionalen Ausbildung werden die meisten Stimmen daher erst dunkler. Im weiteren Verlauf der Differenzierung der Gesangsfunktion entwickeln sie dann die optimale Strahlkraft und Tragfähigkeit.

Eine weitere Unterscheidung ist nötig in Bezug auf die Begriffe Klangfarbe und Stimmklang. Das persönliche „Timbre“ wird definiert durch die individuelle Form des „Instruments“, aber auch durch Gewohnheiten und Schutzschließungen. Die hörbaren Parameter dafür sind „weich“, „hart“, „voll“, „rund“, „eng“, „gepresst“ und weitere assoziative Beschreibungen. 

 

KNÖDEL 

Dieser sehr lautmalende Begriff beschreibt tatsächlich das klangliche Ergebnis, wenn der Vokaltrakt durch einen „Fremdkörper“ verstellt ist. Üblicherweise wird zwischen hartem und weichem Knödel unterschieden. Dabei ist es jeweils die Zunge, die der Entfaltung des Klanges buchstäblich im Weg steht.

Je nach dem Grad ihrer Kontraktion und ihrer Position im Raum entstehen die verschiedenen Varianten: Beim harten Knödel zieht die Rückwärtsbewegung des Zungengrundes die ganze Zunge mit sich, so dass der Rachenraum verengt wird. Es entsteht ein „harter“, „gepresster“, „gequetschter“ Klang.

Beim weichen Knödel wird die Zunge hochgezogen und damit auch der Kehlkopf. Der Klang wird nasal und verliert seine dunklen Anteile, weil die tiefen Frequenzen nicht vollständig ausgebildet werden. Auch ein guter Stimmlippenschluss ist dann nur unvollständig herstellbar. Daher wirkt der Klang „ohne Kern“ und „weich“.

 

KOLORATUR

Die Koloratur ist das Markenzeichen des Belcanto. Die Voraussetzung dafür ist, dass die Gesangsfunktion ungestört abläuft, und die Druckverhältnisse sowie die Balance zwischen agonistischer und antagonistischer Muskulatur stimmen. Dann entsteht eine Kehlfertigkeit, die sehr schnelle regelmäßige Tonwechsel bei ungestörter Einatmungstendenz ermöglicht. Das Ganze ist eine Art „Gangart“ der Stimmlippen, die über die Vibratofrequenz von 5-7 Hz koordiniert wird. Wird eine Koloratur so ausgeführt, ist sie keine Tätigkeit mehr, sondern ein Zustand. Das maximale Tempo für Tonhöhenwechsel ist also auf 5-7 Wechsel pro Sekunde festgelegt. Es ist bis zu einem gewissen Grad modifizierbar und so an die Erfordernisse der Literatur anpassbar. Bei schnelleren Tempi kommen zwei Töne auf eine Vibratoschwingung.

Es existiert sogar eine Übungsanweisung aus der alten italienischen Gesangsschule: Johann Friedrich Agricola (1720-1774) beschreibt das in seiner Übersetzung der „Opinioni“ von Pier Francesco Tosi, einem der berühmtesten Kastraten seiner Zeit (1723) so, dass je „zwo und zwo Noten zusammengeschliffen“ werden müssen. Das ist ein völlig anderes Konzept als das, über Bauchmuskelimpulse die Tonwechsel anzustoßen. Es ermöglicht das Singen von Koloraturen im vollkommenen Legato.

 

KONSONANTEN

Das Programm für Konsonantenbildung ist ein ständig genutztes, unbewusstes Sprachprogramm. Es wurde im Kleinkindalter gelernt, mit kurzem Resonator und hohem Kehlkopf. Mit dem Spracherwerb ist die Programmierung abgeschlossen. 

Alle Konsonanten haben eine Schließtendenz, damit das Geräuschhafte der spezifischen Laute hergestellt werden kann. Darum müssen sie bei der sängerischen Klangerzeugung möglichst kurz artikuliert werden, damit die dominante Öffnungstendenz, das Grundprogramm des Singens, erhalten bleibt. Sie werden mit Einatmungstendenz gebildet, wie eine „Implosion“ den Vokaltrakt öffnend, statt schließend als „Explosion“. Sie sind also  unaspiriert, denn Aspiration ist Ausatmung. Der Konsonant bewirkt nur einen kurzen Stopp des Luftflusses und kaum bis keinen Luftverlust. Dabei soll der Konsonantendruck nicht höher sein als dann der Luftdruck bei der Klangbildung. Die Konsonantenbehandlung der italienischen Sprache erfüllt genau diese Voraussetzungen für ungestörte Artikulation. Darin liegt sicher einer der Gründe dafür, dass die berühmte Belcantotechnik in diesem Land entstanden ist. Vielleicht ist umgekehrt auch ein gutes Gefühl für gesunden Umgang mit der Stimme eine Wurzel dieser klangvollen Sprache. Auch das „h“, der einzige Konsonant, der von den Stimmlippen gebildet wird, fehlt dort, weil seine Bildung eine teilweise Schließung erfordert, die das Geräusch der durch die Stimmritze fließenden Luft hörbar macht. Der Begriff „hauchen“ ist von diesem Vorgang abgeleitet.

Die Artikulationsbewegungen sollen möglichst fließend sein, denn jede ruckartige Bewegung wird assoziiert mit Erschrecken, also mit Schließung. Je weniger Aufwand sie benötigen, desto besser ist es für die ungestörte Schwingung. Die gleichzeitige Wahrnehmung der Stimmlippenebene gewährleistet deren Dominanz.

Sobald die Zunge am Zahndamm landet und den Mundraum schließt, stoppt dieser Kontakt die Vibratoschwingung. Wird die Bewegung aber sehr schnell ausgeführt, bleibt auch diese Schwingung dominant wirksam, und das Vibrato läuft weiter. 

Wie die Vokale werden auch die Konsonanten mit schmaler Zunge und nach unten zeigenden Zungenrändern gebildet. Der Zungenrücken dagegen steht relativ hoch, etwas auf Höhe der Backenzähne. Im Belcanto wird das „ng-Position“ genannt. Das sängerische Ziel dabei ist, dass der Vokaltrakt offen bleibt, und der Klangstrom ohne Unterbrechung weiterfließt. Es gilt, den rezessiven Überdruck der Konsonanten in die dominante Unterdruckfunktion der Klangerzeugung zu integrieren.

Die im Deutschen für harte, stimmlose Konsonanten übliche Aspiration ist mit einem Akzent verbunden. Für Textdeutlichkeit wird daher manchmal auf eine Anlehnung an den Spuckreflex verwiesen. Die reflektorische Einatmung, die auf  diesen Reflex folgt, ist aber, ähnlich wie beim Niesen, die Folge der Rückstellkraft der Rippen nach dem großen Luftverlust, der durch das nach außen Schleudern eines Fremdkörpers eingetreten ist. Sie rührt von einem starken Ausatmungsimpuls der schrägen Bauchmuskeln her. Das ist für das Singen sehr ungünstig. Es kann aber durch das Dazwischenschieben eines weichen Zischlautes ersetzt werden, also beispielsweise „z“ statt „t“. Eine derartige Bildung von Endkonsonanten ähnelt dann etwas der „Permanentatmung“ beim Blasinstrument: Die neue Einatmung ist muskulär schon eingeleitet, während noch etwas Luft geräuschhaft nach außen fließt. Diese Vorgehensweise erinnert an den Spuckreflex, findet aber im Unterdruckmodus statt.

Für das Erlernen dieser „neuen Sprache“ gilt folgende Reihenfolge: Erst muss der Resonator und in Bezug dazu die optimierte Bildung des Konsonanten erkannt werden. Dadurch wird der Artikulationsraum deutlicher erspürt, was die Bildung weiterer Konsonanten erleichtert. Die Konsonantenbildung erfolgt am besten schon in der Form des folgenden Vokals.

Stimmlose Konsonanten werden präzise, sehr weich, mit möglichst wenig Luftverlust und ohne Tonvorstellung artikuliert. Sie haben eine sehr hohe Eigenfrequenz, die vom Ohr wahrgenommen wird. Das kann unterbewusst eine Schließtendenz auslösen. Eine interessante Entsprechung dazu bildet dazu der sprachübergreifende Laut „psst!“ oder „schsch!“, der benutzt wird, um andere zum Schweigen zu bringen. Eine Erklärung dafür könnte sein, dass aus evolutionären Gründen raschelnde und zischende Laute mit Gefahr assoziiert werden, und daher Schutzreaktionen wie beispielsweise Erstarren triggern.

Die Artikulation von  Konsonanten auf der Tonhöhe des zu singenden Tones ist aus funktionaler Sicht nur bis d` sinnvoll. In höherer Tonlage sollten sie auf Sprachebene geplant und gebildet werden. Ausnahmen sind wegen der Möglichkeit, den Kiefer dabei offen zu lassen, nur „s“ (bis a`), und „l“ und „w“ (bis d``). Der darauf folgende Vokal erklingt dann auf der gewünschten Tonhöhe. Das Gehirn berechnet nämlich vorab den Luftdruck für die Tonhöhe beim Stimmeinsatz. Bei der Artikulation der meisten Konsonanten ist der Kiefer aber ganz oder beinahe geschlossen und der Kehlkopf nicht gesenkt. Wird der Konsonant also auf Tonhöhe geplant, löst das statt der Öffnungsbewegung einen Schließimpuls aus, der Kehlkopf wird reflektorisch von der Artikulationsmuskulatur nach oben gezogen, der Vokaltrakt wird verkürzt und verengt. Dadurch erhöht sich der Luftdruck, und funktional gesundes Singen wird unmöglich. Ab d`` wirkt sich diese Strategie besonders ungünstig aus, denn ab dieser Tonhöhe ist eine optimale Öffnung des Vokaltrakts unbedingt notwendig, um den Ton ohne Überdruck zu erzeugen. Deshalb vermeiden besonders Sängerinnen instinktiv diesen Effekt, indem sie vor hohen Tönen stimmhafte Konsonanten kurz, mit wenig Luftdruck und auf „Schwa”, also in tiefer Sprechlage artikulieren, damit kein Luftdruck auf den gesungenen Vokal übergeht. Das ist der funktional sinnvolle Grund für das beliebte „Anschleifen“ hoher Töne. Alles andere wäre auf die Dauer stimmschädigend. Erfahrene Sängerinnen oder Sänger verstehen es allerdings, das im Idealfall so unauffällig zu gestalten, dass es kaum oder gar nicht wahrnehmbar ist. Das ist möglich etwa durch einen unhörbar schnellen „Oktav- oder Quintsprung“.

 

LEGATO

Legato ist die Grundfunktion der sängerischen Klangerzeugung. Vollkommenes Legato ist nur bei geöffnetem Vokaltrakt möglich. Der Schlüssel zum Legato ist das Vibrato, der störungsfreie Grundtremor der ausbalancierten Atemmuskulatur.

Einen Ton zu „halten“ ist physiologisch unmöglich, denn das wäre Stillstand. Die von den Stimmlippen erzeugte Schwingung entwickelt sich immer weiter, und die Phonation wird immer energievoller zum Ende des Tones hin.

 

LIGAMENT 

Das Ligament, das sogenannte Stimmband, ist die Umhüllung des Vocalismuskels. Anatomisch ist es eine Sehne und daher elastisch und dehnbar. Die maximale Dehnung des Ligaments ist bei a`` erreicht. Für noch höhere Frequenzen erfolgt die Tonhöhenveränderung nach akustischen Gesetzmäßigkeiten. Um Ligament und Vocalis legt sich die Schleimhaut.  

Das Ligament wird deutlich spürbar durch Staccato. Die Berührung der beiden Stimmlippen ist dabei sehr kurz, nämlich eine Vibratoschwingung, also 1/5 bis 1/7 Sekunde. So berühren sich vor allem die Ligamente.

Um für die Phonation optimal genutzt werden zu können, muss das Ligament an die große Dehnung gewöhnt werden. Sonst kommt es zu Schutzreaktionen, denn die Primärfunktion des Ligaments ist wie beim Vocalis selbst der Schutz der Luftwege.

Neugeborene haben noch keine Stimmbänder. Sie entwickeln sich erst durch Training des Stimmmuskels.

 

LIPPEN

Sie sind von Geburt an das wichtigste Tor nach außen. Am Beginn des menschlichen Lebens steht die orale Phase, eine Zeit, in der praktisch der gesamte Kontakt zur Außenwelt über die Lippen hergestellt wird. Sie besitzen einen äußerst feinen Tastsinn und größte Beweglichkeit in feinster Nuancierung. 

Der äußere und der innere Lippenringmuskel bilden die äußersten Sphinkter zum Schutz der Atemwege. Bleibt der innere Lippenring auch bei großer Mundöffnung leicht kontrahiert, (s. Abb. 1), ist dies das Signal für die Schutzmuskulatur weiter innen, Öffnung zu erlauben. Kollabiert er, werden sofort weitere Sphinkter (Zunge, Gaumensegel, Taschenfalten oder Stimmlippen) reflektorisch aktiviert. Um den Schutz der Lunge weiterhin zu gewährleisten, verengen oder schließen sie dann den Vokaltrakt.

Der Tonus des kontrahierten Lippenringmuskels erhöht sich während der Mundöffnung. Die Dehnungserlaubnis des Muskels leitet die Öffnung. Diese Form der Muskelarbeti nennt man exzentrische Kontraktion.

Damit der weiche Gaumen öffnend nach oben reagieren kann, müssen die Mundwinkel die Lippenrundung koordinieren, wie bei der Saugbewegung. Dann wird der Vokaltrakt auch nach unten verlängert und der Kehlkopf mit abgesenkt.

Diese reflektorische Verlängerung des Rachens erzeugt auch den Sog beim Trinken: Je größer das Volumen der oberen Atemwege wird, desto geringer wird der innere Luftdruck im Vergleich zur Außenluft. Um den Druckausgleich herzustellen, wird die Flüssigkeit nach innen gesaugt. Bei genügend Tonus in der Unterlippe bekommt dabei auch der untere Teil der Zunge mehr Tonus. Dadurch entsteht ein noch größerer Rachendurchmesser.

Dieser erhöhte Zungentonus erleichtert dann auch die Artikulation beim Singen. Bei hochgezogener Oberlippe dagegen muss die Zunge den Kiefer aufdrücken gegen die Schließbewegung der Kaumuskulatur. Das schränkt die Artikulationsmöglichkeiten natürlich stark ein. Schließt wiederum der Lippenring zu sehr, zieht er den weichen Gaumen mit abwärts.

Es bedarf also einer fein abgestimmten Balance, um eine optimale Öffnung des Vokaltrakts zu ermöglichen. Bei der kindlichen, vom Saugreflex gesteuerten Öffnung wird dieser Vorgang noch unbewusst koordiniert, weil das Ziel die Herstellung eines möglichst optimalen Sogs ist. Aber diese Feinabstimmung ist beim Nicht-Säugling überlagert von Gewohnheiten, die vom Kauen und Sprechen herrühren.

Neuronale Impulse, die vom Lippentonus ausgehen, aktivieren auch den schützenden Stimmlippentonus. Denn mit der saugenden Mundöffnung ist der Einatmungsreflex verknüpft, um den Sog zu unterstützen und zu verstärken. Insgesamt werden 98 Muskeln und 18 Organe durch die Lippen beeinflusst.

Außerdem sind sie direkt verbunden mit dem emotionalen System. Das heißt, sowohl in den Agierenden selbst als auch im Gegenüber wird durch Lippenbewegung emotionale Aktivität erzeugt. In treffender Weise wird im Belcanto die emotionale Verbindung zwischen Lippen und Stimmlippen als „baciare il suono“ bezeichnet, „den Klang küssen“.

 

LUFTWEGE / LUFTDRUCKREGELUNG

Der Eingang der Luftröhre und der Bereich des conus elasticus, eines sich nach oben verjüngenden Fasertrichters, der vom oberen Rand des Ringknorpels bis zum Vocalis reicht, ist mit etwas Übung unterhalb der Stimmlippen spürbar. Die oberen Luftwege werden erkennbar über die Kühlung durch die hindurch strömende Luft: Ideal ist es dabei, dieses Kältegefühl nur an den Stimmlippen zu spüren, da es immer durch Luftwirbel aufgrund eines Widerstandes entsteht. (Jeder kennt das Bild eines Baches, der dort Wirbel bildet, wo Gegenstände das Fließen des Wassers behindern.) Jede weitere Kühlung ist also hervorgerufen durch Verspannung, Verengung und folglich Luftwirbel im Bereich des Vokaltrakts.

Am weichen Gaumen entsteht sie durch Abflachung in Folge von Zungendruck.

Der Luftfluss während der Phonation ist direkt nicht wahrnehmbar. Erkennbar ist stattdessen die leichte Luftbewegung der stehenden Welle an den höchst sensiblen Schleimhäuten des Vokaltrakts. So lässt sich die Form des „Instruments“ während des Singens definieren. Die Luftwege regeln sich automatisch neurologisch vom Ventil, also den Stimmlippen aus. Die Luftdruckregelung während der Tonerzeugung beim Singen ist dominant leitend vor der Vokalbildung, sehr im Gegensatz zur Sprachgewohnheit. Der Luftfluss wird dabei über das Vibrato reguliert. Verliert man die Empfindung dafür, beginnt das System zu schließen, denn erhöhter Luftdruck sorgt für Schließtendenz. Bewegungsmöglichkeit und Tragfähigkeit werden dadurch eingeschränkt. Das Signal für Überdruck ist ein gestörtes Vibrato: Bei Überdruck wird es zu langsam mit zu großer Amplitude, oder zu schnell mit zu kleiner Amplitude.

Zwischen den Parametern Stimmlippenwiderstand, Luftdruck und Vibrato muss im Ein- und Ausatmungssystem eine feine Balance entstehen. Nach ihr richtet sich die Vokalisation. Kann die Einatmungsmuskulatur nicht genügend Weite und herstellen und aufrechterhalten, kollabiert das System. (Taucher kennen den Begriff „Hovern“: Das bedeutet die Regulierung der Luftmenge in den Lungen genau in dem Maße, dass es möglich ist, im Wasser zu schweben, ohne abzusinken oder aufzusteigen. Ähnlich läuft die Luftdruckregelung auch beim Singen ab.)

Verschiedene Vokale, Tonhöhen oder auch dynamische Abstufungen fordern unterschiedliche Luftdruckverhältnisse an. In die Höhe verringert sich der Luftdruck unter den Stimmlippen noch weiter, damit die äußerst differenzierten Schwingungsabläufe ungestört stattfinden können. Dasselbe gilt für massearme Vokale wie zum Beispiel „u“ und leiser werdende Dynamik. 

Je weniger Luftverbrauch entsteht durch die Aktivität der Einatmungsmuskulatur während der Ausatmung, desto besser kann sich das ganze System regulieren. Die Zielsetzung lautet daher: Wie wenig Luftdruck ist ausreichend? Wie sanft ist Singen möglich? Es gilt, Luftdruckspitzen herauszunehmen. Daher ist legato Singen die funktional sinnvollste Art und Weise der Klangerzeugung.

Dabei ist es interessant, dass der subglottale Luftdruck bei Profis durchaus höher ist als der bei Laien. Die Balance zwischen Stimmlippenwiderstand und Luftdruck erzeugt dennoch eine Unterdruckfunktion.

Überdruck bewirkt, dass die Stimmlippen Masse ankoppeln, und obendrein die Stimmlippenschließung von externen Muskeln verstärkt wird. Das erzeugt ein Engegefühl im Hals. Wird es zum Dauerzustand, entsteht sogar die Problematik, dass der vollständige Stimmlippenschluss „verlernt“ wird. Mit der Zeit erschlafft die Muskulatur, so dass die Stimme nur noch bei erhöhtem Luftdruck schließt.

 

LUNGE

Sie besteht aus etwa 30 000 000 Lungenbläschen, die angeordnet sind wie ein Netz. Die Einatmungsbewegung beginnt unten an der Lungenbasis und folgt der Erweiterungsrichtung der Rippen nach oben. Die Lungenbläschen füllen sich trotzdem überall gleichzeitig. Durch die Rückstellkraft der elastischen Bläschen entsteht subglottaler Luftdruck. Zwei Drittel des Lungengewebes befinden sich im Rücken. Daher verbreitert und verlängert die Einatmungsbewegung den Rücken von der zehnten Rippe bis zum oberen Rand der Schulterblätter. 

Der Grad der Luftabgabe wird bei der Tonerzeugung durch die Stimmlippen reguliert. Dabei ändert sich das System ein wenig, aber die Balance an den Stimmlippen bleibt im Idealfall gleich, weil die Stimmempfindung die Feindosierung durch Rückmeldung ans Gehirn leitet. Die Bauchmuskulatur ist viel zu grobmotorisch innerviert, um so fein differenzierte Veränderungen leiten zu können.

Die Voraussetzung für lauteres Singen ist höherer Luftdruck in den Lungenbläschen. Er wird erzeugt durch eine größere Einatmungsbewegung.

Die Erhöhung des Innendrucks entsteht durch Sog, im Gegensatz zum „Aufpumpen“ eines Hohlraumes durch Druck. Wegen des optimal geöffneten Vokaltrakts fühlt sich funktionale Einatmung trotzdem so an, als würde die Lunge passiv von außen befüllt, ohne dass die Luft gegen Widerstände in den Luftwegen aktiv eingezogen wird. Durch das sängerische Training der Einatmungsmuskulatur kann das Lungenvolumen auf bis zu ca. 85% erweitert werden. In anderen Hochleistungssportarten wird nur bis zu 75% Einatmungskapazität erreicht. Ohne Training ist das Lungenvolumen bis zu ca. 50% nutzbar. Der Gesangsreflex wird aber erst ab 50% Lungenvolumen ausgelöst. Darum ist ein gewisses Maß an Training der Einatmungsmuskulatur die unbedingte Voraussetzung für funktional gesundes Singen.

Dieser Zusammenhang liefert eine Erklärung für die überdurchschnittlich hohe Anzahl von korpulenten Menschen unter Profisängerinnen und -sängern: Durch das ständige „Gewichtheben“ bei der Atmung ist deren Einatmungsmuskulatur gut trainiert. So ist sie von vornherein besser imstande, die Balance zwischen Unter- und Überdruck zu halten, die für das Singen so notwendig ist. 

 

MANGIARE LA VOCE

„Die Stimme essen“? Es handelt sich bei dieser Beschreibung einer sängerischen Wahrnehmung nicht um eine aktive Kau- und Schluckmuskulatur beim Singen, wie man vermuten könnte. Im Gegenteil, es geht um die Aktivierung von Öffnungs- und Rundungsbewegung von hinten, von der Schlundmuskulatur aus, so, als ob sie sich bereit machen würde für etwas Großes, das von außen kommt.

Der Lippenring kontrahiert in diesem Fall im Verlauf der Öffnung und Rundung während des Singens. (Im Unterschied dazu wird er für die sängerische Einatmung gedehnt, um eine optimale Sogwirkung zu ermöglichen.) Durch die Kontraktion wird der Rachen- und Mundraum für die Klangverstärkung günstig gestaltet. Man könnte den Begriff vielleicht besser übersetzen mit „die Stimme einnehmen“, oder auch „die Stimme trinken“. Das Bild des singenden Fritz Wunderlich (Abb. 3) weckt diese Assoziation deutlich.

Der Begriff ist also ähnlich zu deuten wie das berühmte „Inalare la voce“, das sich auf das Gefühl von Einatmung und Saugreflex während der beim Singen erfolgenden Ausatmung bezieht.

 

MARKIEREN

Dieser Begriff bezeichnet einen Modus des Gesangsreflexes, die dem Belcantobegriff „sotto voce“ („unter der Stimme“) entspricht. Auch der Ausdruck „cantare piccolo”, „klein, gering singen“  gehört in diese Kategorie.

 

MASSEFUNKTION

Als Masse wird in der funktionalen Fachsprache die Muskelmasse des Stimmmuskels bezeichnet, also der aktiv kontrahierende und schwingende Teil unseres „Instruments“. Die Muskelkontraktion entspricht der Lautstärkeveränderung: Mehr Masse erzeugt einen tieferen bzw. lauteren Klang, weniger Masse einen höheren bzw. leiseren. Massedominanz fühlt sich etwas grober an, Dehnungsdominanz feinmotorischer. Der Schwingungsablauf der Stimmlippen ist vertikal. Demnach  bedeutet Masseankopplung vertikale Tonisierung: Eine dritte Muskelschicht koppelt bei Crescendo und Erniedrigung der Tonhöhe vertikal von hinten nach vorne unten an die Stimmlippen an. Bei Decrescendo und Erhöhung der Tonhöhe nimmt sie in der umgekehrten Reihenfolge ab. Der innere Tonus der beiden oberen Schichten bleibt bei Decrescendo erhalten, bei Erhöhung der Tonhöhe werden sie gedehnt.

Für Masseankopplung braucht es eine Empfindung für Spannung, Tonus in den Stimmlippen, denn die Masse braucht etwas, woran sie ankoppeln kann. Ihr Tonus muss zunehmen, damit mehr Masse dazukommen kann. Die leitende Empfindung dabei ist das Verhältnis Dehnung zu Masse, nicht erhöhter subglottaler Luftdruck.

Die Atmungsanteile im Rücken sind wesentlich für die Entwicklung von Masse, weil die Kehlkopfsenkung durch die Kontraktion des Zwerchfells nach hinten unten unterstützt wird. Ohne diesen „Anker“ kann der Vocalis nicht kontrahieren.

Auch beim Vokalwechsel „u-o-a“ kontrahiert der Vocalis, allerdings ohne die Länge zu verändern. Das nennt man „isometrische Kontraktion“. Der Vokal „u“ ist der masseärmste, der Vokal „a“ der massereichste. Die anderen Vokale liegen zwischen diesen beiden Extremen. Bei der Bildung von Konsonanten besteht das Risiko, dass durch Luftdruck zu ihrer Erzeugung das System zu viel Masse ankoppelt und dadurch in die Überdruckfunktion wechselt. Die Unterdruckfunktion muss also dominant genug arbeiten, um entstehende Überdruckspitzen abfedern zu können. 

 

MEDIAKOMPRESSION

Der Begriff Mediakompression beschreibt den Grad der Schließkraft, des inneren Tonus der Stimmlippen während der Tonerzeugung. Ist er beim Aufeinandertreffen der Stimmlippen während der Schwingung vollständig, kraftvoll und elastisch, oder fließt „wilde Luft“ hindurch? Ist ein „hauchiger“ Klang wahrzunehmen, oder klingt die Stimme „klar“?

Es gibt mehrere Gründe, warum die Mediakompression unvollständig sein kann. Bei sehr jungen Stimmen ist oft die Schließkraft des Vocalismuskels noch nicht vollständig ausgebildet. Das ist besonders bei jungen Mädchen zu beobachten. Ihr Grundtonus in der gesamten Körpermuskulatur ist niedriger als bei Jungen. Außerdem verändern sich bei ihnen während der Entwicklung die Schleimhäute. Jede Frau kennt das Phänomen, dass ihre Stimme auf Hormonveränderungen reagiert. Eine weitere Ursache kann sein, dass durch einen zu geringen Anteil an schwingender Muskelmasse keine vollständige Schließung entstehen kann. Die Stimmlippen sind dann „zu dünn“. Damit der Vocalis aber sein ganzes Potential an Muskelmasse nutzen kann, bedarf es einer trainierten Einatmungsmuskulatur. Denn erst die vollständige Senkung des Kehlkopfs bewirkt auch eine vollständige Masseankopplung.

Das Gefühl von gutem Stimmlippenschluss ist leicht zu verwechseln mit dem Gefühl von Masse: Während diese sich eher „grob“ anfühlt, ist „präzise“ die Idee von Mediakompression, denn sie ist drucklos. Wer wenig Mediakompression hat, neigt oft dazu, den Luftdruck zu erhöhen, um sie zu verstärken. Damit erhöht man aber den Masseanteil, nicht den inneren Tonus.

Mediakompression wird verstärkt durch die exzentrische Kontraktion der Zwischenrippenmuskulatur. Der Vocalismuskel braucht für die Phonation genau diese sehr differenzierte Schließung. Eine Entsprechung dazu findet sich beim Vorgang des Räkelns: Auch da schließen die Stimmlippen, um das nach innen Fließen der Luft zu verhindern, und so eine noch intensivere exzentrische Kontraktion der Einatmungsmuskulatur zu ermöglichen.

Darin liegt vielleicht ein Grund für das nach Beendigung von Fortetönen gelegentlich gehörte „Nachächzen“: Durch den hohen Tonus in der antagonistisch arbeitenden Muskulatur wird bei plötzlicher Beendigung der Schwingung ein Geräusch hörbar aufgrund einer Irritation im Druckausgleich. Auch intensives Räkeln wird ja meist mit einem Seufzer der Entspannung abgeschlossen. Wird die Grundspannung in der Zwischenrippenmuskulatur angehoben, erhöht sich auch die Mediakompression.

Bei idealer Mediakompression berühren sich aufgrund des Spannungszustandes im Stimmmuskel während der Schwingung nur die Schleimhäute, nicht die Ligamente. In der Schleimhaut befindet sich das neurologische System, das den Vokaltrakt regelt und stabilisiert. So wird eine noch feinere Wahrnehmung und Differenzierung des Schwingungsgeschehens möglich.

Das Phänomen, dass die Stimmlippen nicht schließen, tritt ausschließlich bei Stimmerkrankungen auf. Schleimhautschwellungen aufgrund von Krankheit oder Überbelastung, aber auch Lähmungen von Muskelfasern des Vocalis sind häufige Ursachen dafür.  Rührt die Hauchigkeit von mangelndem Tonus her, ist das Problem durch funktionales Gesangstraining gut in den Griff zu bekommen.

 

MESSA DI VOCE

Wörtlich übersetzt heißt das „die Stimme setzen“: Für das, was damit gemeint ist, passen andere Synonyme des italienischen Begriffs eigentlich besser, wie zum Beispiel „die Stimme aufbauen“ oder „die Stimme verstärken“. Es beschreibt ein An- und Abschwellen der Lautstärke ohne Änderung der Tonhöhe. Bei einiger Übung ist es möglich, zu fühlen, wie die Masse dabei mehr bzw. weniger wird, und wie der Raum im Vokaltrakt darauf reagiert. Für ein Anwachsen der Lautstärke kontrahiert der Vocalis isometrisch, spannt sich also an, bleibt in der Länge aber gleich. Der äußere Kehlkopfmuskel hält dagegen. Durch einen neurologischen Impuls gibt infolge des Crescendos der Vokaltrakt nach und wird weiter. Der subglottale Luftdruck steigt  leicht an, weil wegen der sich vergrößernden Muskelmasse mehr Luft durch die Stimmlippen fließt. Die Ausatmungsmuskulatur reagiert nur auf die sich verändernden Bedingungen, statt sie durch Druckerhöhung zu erzwingen.

Das ist ein höchst komplexer Vorgang und erfordert eine optimal trainierte Atmungs- und Stimmmuskulatur. Umgekehrt wird sie durch „messa di voce“ optimal trainiert, vergleichbar dem Hanteltraining für Bizeps und Trizeps. Das ist der Grund, warum diese Fertigkeit in der Belcantopraxis seit jeher als Hohe Schule des Gesangs gilt.

 

MEZZA VOCE

Ursprünglich, in der italienischen Belcantolehre, bedeutet dieser Begriff, dass beide Anteile des Stimmklangs, der dunkle und der helle, in jeder Dynamik erhalten bleiben. Er lässt sich also frei übersetzen als „halb-halb-Stimme“. Heute wird der Ausdruck anders verstanden: Bei der „mezza voce“, dem Singen mit „halber Stimme“, das naturgemäß leiser ist als das Singen mit voller Stimme, wird nur ein Teil der Massekapazität des Vocalismuskels benutzt. Dazu ist eine noch differenziertere Abstimmung zwischen Unter- und Überdruck an den schwingenden Stimmlippen nötig durch eine noch feiner justierte Balance zwischen Ein- und Ausatmungsmuskulatur. Vergleichbar ist diese Muskelkoordination mit der von sehr langsamem Absenken eines sehr schweren Gegenstandes, bei der die hebende Muskulatur immer die Kontrolle über die Bewegung behält.

Diese Stimmfunktion ist nur im Tonraum zwischen a und a` möglich. Sie wird von manchen Gesangsschulen als „Mittelstimme“ oder „Mittelregister“ bezeichnet. Nur da besteht eine Wahlmöglichkeit zwischen Masse- und Dehnungsdominanz. Das Stimmfach Tenor ist also prädestiniert für dieses besonders kunstvolle Ausdrucksmittel.

 

MIMIKMUSKULATUR

Sie besteht aus 22 Muskeln. Sie bewegen im Gegensatz zu den meisten Muskeln keine Gelenke, sondern sind vor allem für emotionale Kommunikation und Schutz zuständig. Die tiefe Schicht der Mimikmuskulatur reagiert autonom und kann nicht bewusst angesteuert werden. Von ihrer Bereitschaft, sich dehnen zu lassen, ist die Formbarkeit des Vokaltrakts abhängig, denn Mimikmuskulatur ist im Wesentlichen schließende Muskulatur. Ein entspanntes Gesicht zeigt keine Mimik. Stirnrunzeln, die  Kontraktion der Stirnmuskulatur, bewirkt im Gegenzug Zungendruck. Dadurch wieder senkt sich der weiche Gaumen ab. Zornesfalten bewirken eine Schließung der oberen Atemwege. Das alles hat evolutionäre Gründe. Die entsprechenden Emotionen sind ursächlich damit verbunden, denn sie sind es ja, die diese mimischen Varianten auslösen. Die schließende Kaumuskulatur, Schluckmuskulatur, Stirn- und Augenringmuskulatur muss also erlauben, gedehnt zu werden, sonst behindert sie die Öffnung des Vokaltrakts. Allgemein kann gesagt werden: Jeder Versuch einer Öffnung über die Mimikmuskulatur bewirkt das Gegenteil: Er zieht das System zu.

Haltungsgewohnheiten, die durch spezielle Sprechvarianten entstehen, die für die Aussprache der jeweiligen Muttersprache und Mundart nötig sind, können somit das persönliche Timbre oder sogar bestimmte emotionale Dispositionen beeinflussen.

Die Wirkung des Gesichtsausdrucks auf Stimmgebung und Ausdruck ist schon sehr lange bekannt. Schon Christoph Bernhard schreibt um 1650 in seiner berühmten Schrift „Von der Singe-Kunst oder Manier“ über die erwünschte bzw. unerwünschte Mimik eines Sängers: „Er soll die Zähne nicht zusammenschließen, noch den Mund zu weit aufthun, noch die Lippen aufwerfen, noch den Mund krümmen, noch die Wangen und Nasen verstellen wie die Meerkatzen, noch die Augenbrauen zusammen schrumpfen, noch die Stirn runtzeln, noch den Kopf oder die Augen darinnen herumdrehen, noch mit denselben blintzeln, noch mit den Lefzen zittern etc.“

Mit jeder physiologischen Bewegung steht ein emotionaler Ausdruck in Verbindung. Ziel für das funktionale Singen ist eine gelöste, angstfreie Mimik, ein offener Blick wie beim Säugling. Erst, wenn die öffnende Saugmuskulatur für die Aufnahme von fester Nahrung zeitweise durch die Tätigkeit schließender Muskulatur ersetzt wird, lernt der Mensch Lächeln. Eugen Rabine empfahl diesbezüglich, gerne vor und nach dem Singen freundlich zu lächeln, aber nicht währenddessen.

Bei Stress schließt die Mimikmuskulatur in der Schutzfunktion. Dann wird die tiefe Schwingung weggedämpft, und der Klang detoniert nach oben. Es ist also elementar wichtig, sich gerade beim Singen hoher Frequenzen sicher zu fühlen, damit die vollständige Öffnung der Klangräume auch unterbewusst erlaubt werden kann.

Durch Berührung kann man die Mimikmuskeln neuronal beruhigen, indem man den Gesichtsnerven Reize zufügt, besonders am sogenannten Modioluspunkt, einer Kreuzung der beiden Gesichtsnerven Trigeminus und Facialis. Dann wird es möglich, dass die Mimikmuskeln der Rundung der Constrictoren von unten nach oben folgen und den Vokaltrakt dehnend mitformen. Klangliches Ergebnis ist eine „runde“ Stimme im Unterschied zu einer „flachen“, „spitzen“ oder „engen“ Stimme.

 

MISCHUNG

Funktional spricht man von einer koordinierten Stimme statt von einer gemischten Stimme, da das Monochord Stimme nur eine Funktion mit zwei Komponenten besitzt, nämlich Masse und Dehnung. Sie sind aber immer gleichzeitig vorhanden in unterschiedlichem Verhältnis zueinander.

 

MUNDÖFFNUNG / KIEFERÖFFNUNG

Die Öffnung des Kiefers, (s. Abb. 1,2 und 3), ist ein höchst komplexer, mit zahlreichen Schutzmechanismen und fünf Sphinkteren ausgestatteter Vorgang. Da der Mund der Eingang zu dem überlebenswichtigen Organ Lunge ist, ist die Mundöffnung ein unbewusstes Grundprogramm im Gehirn. Jede Phase der Mundöffnung hat eine neurologische Bedeutung. 89 Muskeln und 18 Organe werden dabei und davon aktiviert: Neurologische, neurophysiologische, akustische und muskuläre Ketten und deren Hierarchien untereinander leiten den Bewegungsablauf. Die Art der Mundöffnung beeinflusst die gesamte Mundraummuskulatur, den Vokaltrakt, den Atemapparat und das Körperhaltungssystem.

Konkret sind es aber nur zwei schwache Muskeln, die die Öffnung des Kiefers bewirken. Sie befinden sich am Mundboden. Bevor sie aktiv werden, wird der Unterkiefer „schlittenartig“ durch die Kontraktion zweier Muskeln rechts und links vor den Ohren und der Lippenringmuskulatur nach vorne gezogen. Das ist eine Bewegung ähnlich wie beim Saugen durch ein enges Rohr. Dadurch bewegt er sich erst waagerecht nach vorne, dann sogar leicht nach oben wegen der Form des Kiefergelenks. Auch das entspricht der Saugbewegung. Sobald die Form des Gelenks es erlaubt, nähert der Unterkiefer sich wie ein Scharnier in sichelförmigem Bogen dem Kinn bis zu einem kleinen Widerstand. Würde man weiter öffnen, müsste die Zunge den Kiefer aufdrücken. Die unerwünschte Folge davon wäre Schließung der Luftwege durch den nach hinten gedrückten Zungenrücken.

Die sogenannte Schnute dagegen bilden Muskelschlingen, die zur schließenden Muskulatur gehören (vgl. die Abwehrlaute der Primaten!): Der Lippenringmuskel schiebt die Lippen vor. Das ist ein anderes Programm als das Runden beim Saugen.

Bei einer sängerischen Mundöffnung wird der Unterkiefer ausschließlich von der Mundbodenmuskulatur zurückgezogen: Die Öffnungsbewegung beginnt vorne.

Wenn man sie von hinten beginnen will, muss man mit Zungendruck den großen Kaumuskel dehnen.

 

Die Qualität der vorderen Mundöffnung bestimmt die Qualität der Öffnung der Luftwege.

 

Sie bestimmt, welche Einatmungsmuskeln aktiv werden und damit die Qualität des erzeugten Tones. Je weniger Widerstände bleiben, desto störungsfreier kann die Atemluft durch den Vokaltrakt „einfallen“, und desto optimaler vorbereitet ist er daher. Ohne Schließimpuls braucht der Atemapparat viel weniger Energie für die Einatmung. Darum wird die Öffnungsbewegung beim Gesangsreflex idealerweise vom Stimmventil geleitet. Die Zunge folgt nur und kontrahiert nach vorne wie beim Saugen. Bei optimaler Öffnung ist kein Widerstand in den Luftwegen mehr spürbar. Das Gehirn muss erst lernen, diese Erweiterungsbewegung als Atmung zu erkennen.

Die Dehnung des Lippenrings ist über den Saugreflex verschaltet mit der Einatmung: Sie triggert die Einatmungsmuskulatur. Atmet man auf „u“ ein, das heißt, mit kontrahierter innere Lippenringmuskulatur bei gleichzeitiger Mundwinkelaktivität, entsteht ein Impuls im Rücken (fünfte bis siebte Rippe) und unter den Armen, den Mund zu öffnen. Von da an wird neurologisch die Atmung gesteuert, sofern die Bauchmuskulatur nicht angespannt ist. Der Bauch wird dadurch breiter. Das ist die Einatmung zur Erzeugung eines Sogs.

Dazu ist es notwendig, dass die Kieferöffnung über Unter- und Oberkiefer gleichmäßig verteilt ist, wobei der Oberkiefer den gesamten Schädel mit einschließt. Daher ist das Drehgelenk des Oberkiefers der Atlas Axis im Nacken. Eine so organisierte Kieferöffnung bewirkt zwei Drittel der Kehlkopfsenkung. Auch beim Trinken wird auf die gleiche Weise der nötige Unterdruck erzeugt. Sobald für eine noch größere Mundöffnung die Zunge den Unterkiefer aufdrückt, verengt der hintere Zungenrücken zum Schutz vor dem Eindringen von Fremdkörpern den Rachenraum. Die Zunge wird breit, und es kann kein Sog mehr erzeugt werden. Außerdem hat bei zu weiter Mundöffnung der Lippenring dafür zu wenig Spannung.

Das ist auch ungünstig für die Dehnung der Mund- und Rachenschleimhäute, die den Resonator auskleiden, also für die Klangverstärkung. Die Obergrenze von  drei bis höchstens vier Zentimetern für den vorderen Zahnreihenabstand gilt auch für große Höhe und Lautstärke. Eine zu weite Kieferöffnung zieht obendrein eine Überbetonung der Oberlippe sowie eine (Schutz)-Schließung des weichen Gaumens und der Constrictoren nach sich. (Deswegen entstehen die schnarchenden Geräusche beim Gähnen oder Schlafen.)

Bei der Artikulation liegt bei den Vokalen „a“ und „o“ der Schwerpunkt auf der vertikalen „Scharnierfunktion“, bei „u“, „e“ und „i“ auf der horizontalen „Schlittenfunktion“. Bei letzterer verläuft auch die Dehnung der Stimmlippen horizontaler, was die Dehnungsfunktion begünstigt. Bei der Artikulation „u-o-a“ vergrößert sich infolge exzentrischer Kontraktion die Mundwinkelaktivität. Die Constrictoren runden, der weiche Gaumen, der obere Constrictor und alle Sphinktere werden nacheinander durch ein biologisches Programm gedehnt. Am Ende dieses Bewegungsablaufs steht das Nachgeben des Schläfenmuskels infolge der Öffnung in Richtung sängerisches „a“. Bei alledem ist die Lippenrundung die dominante Wahrnehmung.

Eine Mundöffnung von etwa zwei Fingerbreit erlaubt auch der Zunge mehr und störungsfreiere Bewegung. Das begünstigt die sängerische Artikulation im Einatmungsmodus. Der Grad und die Form der Mundöffnung weisen für die Tonerzeugung in verschiedenen Tonlagen Unterschiede auf. Es ist nicht uneingeschränkt möglich, verbindliche Angaben darüber zu machen, die für alle Stimmfächer gleichermaßen gelten. Vergleichbar ist optimale Mundöffnung daher nur für die entsprechenden Tonlagen, unabhängig davon, welches Stimmfach die oder der Singende hat. Für den stimmfachübergreifenden Unterricht ist es wichtig, diesen Sachverhalt zu beachten. 

Zusammenfassend kann man sagen: Die sängerische Mundöffnung ist eine erweiterte Komplexfunktion der Grundfunktion Einatmung. Die Luftwege formen den Resonator, das Ventil öffnet sich, so dass der Vibrator, der Vocalis, ein intaktes „Instrument“ zur Verfügung hat.

 

MUNDRAUM

Die Resonanz des Mundraumes ist symptomatisch für unwillkürliche Laute, übrigens auch die von Tieren, und die Sprachgewohnheit. Der originale Vokaltraktklang wird dabei gebrochen. Auffällig ist in diesem Zusammenhang, wie lautmalend die deutschen Bezeichnungen für reflektorische Lautäußerungen sind: Wir sagen zum Beispiel „Niesen“, „Husten“, „Rülpsen“, „Würgen“  und „Gähnen“. Die Liste ließe sich noch weiter fortsetzen. Diese Ausdrücke sind in Bezug auf die verwendeten Vokale und Konsonanten alle angelehnt, mit Sicherheit sogar abgeleitet von der entsprechenden Form des Mundraumes bei ihrer Entstehung.

 

NASE

„Ich atme beim Singen, als ob ich an einer Rose rieche.“ Dieses Zitat wird Enrico Caruso zugeschrieben. Die Nase ist ausgestattet mit drei verschiedenen Nasengängen. Der oberste führt über das Riechorgan. Für die Ruheatmung wird der unterste benutzt, denn er ist der direkte Weg zur Luftröhre. Dabei werden keine Reflexe aktiviert. Wir nutzen diesen Atemweg vor allem für den Schlafmodus. Beim Riechen wird der oberste Atemweg benutzt: Der Beginn des Riechens ist die Öffnung dieses oberen Bereichs. Er findet statt noch ohne Zwerchfellaktivität, also ohne dass Luft in den Körper gesaugt wird.

Riechen ist auch die Vorstufe für eine Aufnahme von Flüssigkeit bzw. Nahrung. Das bahnt die Rundung zur Vorbereitung des Saug- oder Schluckvorgangs an und sorgt für die nötige differenzierte Bewegungsfähigkeit der Zunge. Beim Riechvorgang hebt sich der obere Teil der Zunge, und der Raum zwischen Rachenwand und Zunge erweitert sich minimal. Das ist die einzige Möglichkeit, auch den weichen Gaumen „willentlich“ zu heben: Über die Vorstellung des Riechens wird unbewusst die Hebung ausgelöst. Sie ist verknüpft mit der des Schmeckens und damit der Aktivierung der Zungenspitze und dem „Spitzen“ der Lippen. 

Die sängerische Einatmung erfolgt daher anfangs durch die Nase und anschließend durch Mund und Nase. Ab etwa zwei Zentimeter Mundöffnung schließt das Gaumensegel reflektorisch. Es bedarf einer  Spannung der Zunge im Bereich des Zungenbeins, um das zu verhindern und weiterhin durch Mund und Nase einzuatmen. Der Grund dafür ist, dass bei geöffnetem Mund die Nase von anderen Muskelgruppen geöffnet wird als bei geschlossenem Mund. Das verengt dann aber den Rachenraum. Deshalb ist es zur Vorbereitung der sängerischen Klangproduktion nicht geeignet. Durch den Schließreflex des weichen Gaumens erfolgt ab da reine Mundatmung mit gedehntem oberen Atemweg. 

Reine Nasenatmung, besonders forcierte, bewirkt zum Schutz der Lunge einen Verschluss im gesamten Atemsystem. Der Kehlkopf sinkt nicht. Ein anderes Programm der Einatmung mit anderen Präferenzen ist aktiv. Der Raum ist nicht gestaltet, daher bleibt die tiefe Frequenz schwach. Das Resultat im entstehenden Klang ist die näselnde Frequenz, der dritte Formant, bei etwa 2500 Hz.

„Nasalität“ ist das deshalb Gegenteil von „Kopfigkeit“, die sich durch sehr hohe Frequenzen auszeichnet. Sie entsteht durch Zungendruck und die flache Position und Passivität des weichen Gaumens als Reaktion darauf. „Näseln“ ist eher ein Phänomen von höher gelagerten Stimmen. Tiefere haben mehr Masse, so dass die sogenannte Näselfrequenz nicht so zum Tragen kommt. Näseln aber verhindert die Ankopplung von Masse. Es ist übrigens sogar möglich, dass näselnde Frequenzen von Instrumenten, zum Beispiel der Viola, ansteckend wirken!

BELCANTOBEGRIFFE UND FACHAUSDRÜCKE FUNKTIONAL ERKLÄRT O - S

ÖFFNUNG

Singen wird getriggert durch Öffnung wie bei der Einatmung statt durch Schließung wie bei der Ausatmung. Öffnung entsteht durch Verlängerung und Erweiterung des Vokaltrakts. „Offenes“ Singen bedeutet daher Singen mit gesenktem Kehlkopf und offenen Vokalen: Der Zungenrücken ist schmal und befindet sich vorne oben, wie beim Saugen. Dadurch ist der Rachendurchmesser vergrößert. So wird die sängerische Vokalisation erst möglich. Auffällig in diesem Zusammenhang sind auch die Vokale in den entsprechenden Begriffen: Wir sagen „offen“ und „öffnen“, aber „zu“ und „schließen“: Im ersten Fall werden öffnende Vokale verwendet, im zweiten schließende.

„Gähn-Öffnung“ dagegen wird erzeugt durch Zungendruck auf Kiefer und Kehldeckel. Dadurch wird aber der Rachen vom hinteren Teil der Zunge verengt. Masseankopplung, also Erhöhung der Lautstärke oder Singen in tiefer Lage ist dann nur noch sehr eingeschränkt möglich. Bei zu schneller Atemgeschwindigkeit im Verhältnis zur Öffnung, wie es beim Gähnen der Fall ist, reagiert das System zum Schutz mit reflektorischer Schließung. Darum entsteht dabei immer ein keuchendes oder röchelndes Geräusch.

Bei einer optimalen funktionalen „a“-Öffnung dagegen, bei der in den Mundwinkeln eine Restkontraktion bleibt, gibt es keine Schließreaktion mehr. Jeder Widerstand fällt dann weg und damit auch die gewohnheitsmäßige Orientierung, die sich nach der Empfindung von Widerstand ausrichtet. Das heißt, funktionale Einatmung ist im Idealfall nicht mehr als solche wahrnehmbar.

Eine große Öffnung der oberen Luftwege löst reflektorisch eine Emotion des Ungeschütztseins, der Angst aus, solange die Bewegungsbereitschaft der gedehnten Stimmlippen nicht den Schutz der Lunge gewährleistet. Ist das aber der Fall durch die optimale Kehlkopfsenkung und Stimmlippendehnung, wird diese kinetische Energie vom System als viel effektiverer, weil differenzierterer Schutz registriert. Es ist leicht vorstellbar, dass die extrem schnellen Öffnungs- und Schließbewegungen der tonisierten, aktiven Vocalismuskulatur und des gedehnten Ligaments wesentlich zuverlässiger ein Eindringen von Fremdkörpern in die Atemwege verhindern als die statische Schließung nur durch die Kontraktion.

 

OHR

Hören ist neuronal dominant und entwicklungsgeschichtlich früher als Sehen. Früher als die Fähigkeit, zu hören, entwickelt sich im Mutterleib nur die kinetische Wahrnehmung. Erst wird Schall empfunden, dann lernt man ihn hören. Hören ist zudem wesentlich älter als Singen. 

Funktionales Hören ist eine Spezialform des Hörens. Singt man selbst, nimmt man hauptsächlich der Knochenklang über das Innenohr wahr. Das linke Ohr hört mehr den unteren Vokalformanten, die „tiefe Schwingung“, das rechte mehr den oberen Vokalformanten, die „hohe Schwingung“. Der Klang wird immer genau zwischen beiden Ohren wahrgenommen, unabhängig von dem Verhältnis Massefunktion zu Dehnungsfunktion. Der Grund für die unterschiedliche Hörwahrnehmung ist die unterschiedliche Reizleitung vom Gehirn: So, wie ein Auge mehr Rottöne und das andere mehr Grüntöne wahrnimmt, hört das linke Ohr mehr mittlere und tiefe Frequenzen und das rechte mehr mittlere und hohe Frequenzen. Das erklärt die bei Sängerinnen und Sängern verbreitete Schiefstellung der Mundöffnung nach links bzw. rechts, je nach gewünschtem Hörerlebnis. Es ist auch eine Erklärung für manche Intonationsprobleme: Wer zu hoch singt, bei dem ist eventuell der linke Gehörgang verstellt. Bei wem der rechte nicht offen ist, der neigt eher zum zu tief Singen.

Das interne Gehör muss so trainiert werden, dass es dominant reagiert vor der äußeren Hörwahrnehmung. Hörsensibilitat übt einen entscheidenden Einfluss auf die Tonproduktion aus. Bei optimaler Kehlkopfsenkung ist die Zungenschleimhaut als vordere Membran stark gedehnt. Dann ist der innere Klang sehr gut hörbar.

Lautstärke über das äußere Ohr zu regeln ist problematisch. Die Information für die Umsetzung durch die Stimmlippen kommt dann zu spät. 

Oft sind wir auf den zweiten Vokalformanten fokussiert, weil wir uns an der Sprache orientieren. Ohne Wahrnehmung des ersten Formanten ist es allerdings unmöglich, differenziert zu hören. Im Gegensatz zur Sprachgewohnheit es ist beim Singen elementar wichtig, die tiefe Frequenz im Vokal zu akzeptieren. Wird der Grundton nicht wahrgenommen, weiß das Nervensystem nicht, wie es sich einstellen soll. Orientiert man sich am zweiten Formanten, wird dadurch die Stimmlippenregelung gestört. Dann wird das System zum Überdrucksystem.

Infolge der Hebung des weichen Gaumens öffnen sich durch die Dehnung der Kiefermuskulatur die Eustachischen Röhren, ähnlich wie beim Gähnen. Es ist wichtig, dass die Öffnungs- und Artikulationsbewegungen sie freigeben. Nur so kann der Schall im Vokaltrakt ungedämpft zu den Trommelfellen dringen. Das ist nur bei guter Kehlkopfsenkung und Unterdruckfunktion der Fall. Bei Überdruckfunktion bleiben die Eustachischen Röhren geschlossen.

Männer haben übrigens eine andere Hörwahrnehmung als Frauen, weil beide sich vom Grundton und den Teiltönen her an ihrer Sprechlage orientieren. Die Hörerfahrungen zu vergleichen, kann also leicht zu Missverständnissen führen. Beim Singen verlässt man sich daher am besten auf die kinästhetische Wahrnehmung.

Das Ohr ist wegen unserer angeborenen Präferenz für das Hören von Babylauten besonders empfindlich für hohe Klänge. Das Impedanzminimum des Mittelohrs liegt bei 3000, 5000 und 8000 Hz, also in den Frequenzbereichen der Sängerformanten. Die besondere Schalltrichterform der menschlichen Ohrmuschel verstärkt genau diese Frequenzen. Schnelle Schwingungen lösen dazu deutliche kinästhetische Reaktionen im Trommelfell aus. Die Folge davon ist hohe Tragfähigkeit. 

Für das Singen von sehr hohen Tönen ist es wichtig zu wissen, dass sich das Ohr bei großer Lautstärke durch eine das Mittelohr verengende Reflexbewegung schützt. Das bedeutet: Ist der Schall hoher Töne wirklich intensiv, hört sich die Sängerin oder der Sänger von innen leiser. Hört man sich selbst laut, ist die Klangverstärkung im Vokaltrakt nicht optimal. Der erzeugte Ton ist dann nicht tragfähig.

Das Hören von sehr hohen Frequenzen kann sogar eine Heilung und Energetisierung des Gehirns bewirken. Die Redensarten „einen Vogel haben“ oder „Grillen im Kopf haben“ können also auf einen Zusammenhang zwischen psychischen Problemen und die Möglichkeit zur Heilung durch hohe Frequenzen hinweisen.

 

PASSAGGIO

Als „Passaggio" bezeichnet man die Register- bzw. Segmentwechsel, die aus akustischen und muskulären Gründen etwa alle neun Halbtöne auftreten, so bei ca. es`/e`/f`, a`/b´/h`, es``/e``/f``, a``/b``/h`` und d```/es```.

 

PFEIFREGISTER

Das ist eine Funktion der Stimmlippen, die ab g``` einsetzt, aber auch schon in etwas tieferer Lage, ab ca. d```, angewendet werden kann. Dabei existiert keine Stimmlippenschwingung und somit auch keine Regelfunktion der Stimmlippen, sondern die Tonhöhenregelung erfolgt über Modifizierung des Vokaltrakts. 

 

PORTAMENTO

Damit ist ein Glissando gemeint, bei dem keine Vibratodämpfung stattfindet. Die Folge davon ist ein Gleiten der Tonhöhe mit hörbarer Vibratoschwingung. Sie unterteilt das Glissando in etwa drei Teiltonschritte pro Ganzton. Echtes „Portamento“ ist nur in einer bestimmten Geschwindigkeit möglich, denn die Frequenz von gesundem Vibrato liegt zwischen 5 und 7 Hz.

Im Belcanto heißt diese Funktionsweise der Stimme auch „il ponticello“, „die kleine Brücke“. Damit wird die unaufhörliche Verbindung der einzelnen Tonfrequenzen durch die fortlaufende ungestörte Stimmlippenschwingung beschrieben. „Wer il ponticello nicht zu schlagen versteht, der weiß nicht zu singen.“ (Franziska Martienssen-Lohmann, S. 296)

 

RANDSCHWINGUNG / RANDSTIMME

Dieser Begriff meint die Schwingung des Ligaments, das den Vocalismuskel umschließt. Diese Schwingung ist aber nie isoliert vom schwingenden Stimmmuskel, außer in pathologischer Form durch zu viel Überdruck.

 

RAUM

Raum ist immer proportional zur Rundung. Das größtmögliche Volumen hat die Kugel, die größtmögliche Fläche die Kreisform. Raum im Vokaltrakt kann man nicht herstellen, nur erlauben. Bei geöffnetem Raum wird die Artikulation leicht.

Ein falsches Raumgefühl kann mit Hilfe der Zunge suggeriert werden, indem man damit den Unterkiefer hinunter drückt. Dabei entsteht ein größerer Mundraum, aber der für die Klangentwicklung ungleich wichtigere Rachenraum wird gleichzeitig vom Zungenrücken verlegt.

 

REGISTER

Das menschliche „Instrument“ ist ein Einregisterinstrument mit  zwei Komponenten, nämlich Masse und Dehnung. Das ist ein physiologisches, an der Stimme orientiertes System. Beteiligt daran sind die Stimmlippen und der Ring- Schildknorpelmuskel. In Richtung massedominantes Register, für tiefere Töne, erfolgt die Tonhöhenregelung durch Kontraktion und Tonisierung des Vocalis, in Richtung dehnungsdominantes Register, in die Höhe, durch seine Dehnung durch den äußeren Kehlkopfmuskel. Ab etwa fis`` ist der Vocalis vollständig gedehnt. Er leistet dem Kehlkopfkipper keinen Widerstand mehr, denn es ist keine Muskelkontraktion mehr vorhanden.

Der Ort der Schwingung beim dehnungsdominanten Register fühlt sich „höher“ an, Denn hohe Frequenzen werden infolge der akustischen Verhältnisse im Vokaltrakt am weichen Gaumen verstärkt. Außerdem sind die Stimmlippen dünner und haben keinen „Bauch“. Aus den gleichen Gründen entsteht eine ähnliche Wahrnehmung bei den dehnungsdominanten Vokalen „u“ und „i“. Die tiefen Frequenzen im massedominanten Register werden im Brustbereich verstärkt. Der Stimmmuskel verdickt sich dabei nach unten. Darum empfindet man diese Klänge als „tiefer“.

In der Übergangsoktave von a bis a` ist es sowohl Männern als auch Frauen möglich zu entscheiden, ob sie im masse- oder im dehnungsdominanten Register singen. Das ist in etwa vergleichbar mit der Möglichkeit, auf einem Streichinstrument die gleiche Tonlage entweder auf einer dickeren oder auf einer dünneren, dafür aber stärker gespannten Saite zu spielen. Die Klangergebnisse unterscheiden sich in der helleren bzw. dunkleren Klangfarbe. Nur in dieser Oktave ist auch ein echtes „mezza voce“ möglich, eine Masseabgabe um die Hälfte.

Andere Registerbezeichnungen wie Strohbass bzw. Schnarrregister oder Vocal Fry, Falsett und Pfeifregister beschreiben keine echten Register, sondern spezielle Teilfunktionen der Stimmgebung, die bei der funktional gesunden Klangerzeugung nicht benutzt werden.

 

REGISTERDIVERGENZ

Das ist eine „Registertrennung“ durch Störungen im Schwingungsablauf: Der Schließreflex der Stimmlippen verhindert dabei eine Gleichzeitigkeit der Schwingung von Stimmmuskel und Ligament.

 

RESONANZ

Die Primärresonanz entsteht im Vestibül direkt über den Stimmlippen. Das ist die „tiefe Schwingung“. In dem Bereich, wo der zweite Vokalformant in Resonanz zum Vokaltrakt geht, bildet sich eine Sekundärresonanz. Das ist die „hohe Schwingung“ unter dem gehobenen weichen Gaumen.

Die Resonanz direkt über dem Kehlkopf wird von den Stimmlippen als Luftvibration wahrgenommen. Das verstärkt ihre Bewegungsbereitschaft, denn sie sind ja primär ein Schutzventil für die unteren Atemwege. Ein offener unterer Resonator, durch den diese Verstärkung erst möglich wird, ist also von großer Bedeutung für das Volumen des erzeugten Klanges .

Nur bei den Vokalen „e“, „i“, „ö“ und „ü“ entsteht eine Teilresonanz durch Brechung der stehenden Welle: Die obere Schwingung teilt sich auf in die „hohe Schwingung“ und einen dritten Schwingungsknoten, den „Vordersitz“ am harten Gaumen.

 

RESONATOR

Im Moment des Einsatzes wird aus dem Atemweg ein Resonator. Er besteht aus zwei Teilen, einem unterhalb und einem oberhalb der Zunge.

Auch der Innenbereich des Kehlkopfs ist ein Resonator, ebenso der Raum um den Kehlkopf herum. Dieser muss fünf bis sieben Mal größer sein als der Kehlkopf, und der Kehlkopf muss gesenkt sein, damit der erste Vokalformant entstehen kann. Beim Sprechen ist er aber eher geschlossen.

Um die Differenzierung der Vokalfarben zulassen zu können, muss der Resonator beweglich sein: Bei der Phonation wird ein Teil des Klangspektrums in den Resonator geschickt. Je nachdem, wie er gestaltet ist, werden bestimmte Frequenzbereiche verstärkt. Im dehnungsdominanten Register ist eine besonders feine Differenzierung zwischen Resonator und Stimmlippenschwingung möglich.

Ein kleiner Teil der Schallwellen wird auch nach unten in die Luftröhre reflektiert. Das ist möglich, weil die Geschwindigkeit der Schallwellen größer ist als die der beim Singen ausströmenden Luft, obwohl es während der Ausatmung stattfindet.

Der Vokaltrakt ist auch ein Reflektor. Er reflektiert die Schallwellen zurück auf die Stimmlippen. Sie sind evolutionär dafür geschaffen, bei der geringsten Störung reflektorisch zu schließen, zumindest aber ihre Schließbereitschaft zu verstärken. Auf diese Weise entsteht eine spürbar einrastende Rückkopplung der harmonischen Schwingung. Wie bei jeder Rückkopplung bedeutet das eine sich potenzierende Erhöhung der Grundlautstärke. Hier liegt ein Grund für die immense Tragfähigkeit der menschlichen Stimme.

 

RHYTHMUS

Der lebendige Körper ist in vielerlei Hinsicht ein „Rhythmusinstrument“: Das zeigt sich im Zeitablauf der Jahre, in dem Wachstums- und Heilungsprozesse ablaufen, im Zyklus der Jahreszeiten und Monate (Menstruation), in Phänomenen, die den Tagesrhythmus wie Schlaf- und Wachphasen oder Stoffwechselvorgänge betreffen, vor allem aber auch im Bereich der rhythmisch organisierten Körperabläufe wie Atmung und Herzschlag bis hin zu Muskelkontraktionen und Nervenaktionen. Auch Bewegungen verlaufen idealerweise rhythmisch, wie beispielsweise Gehen und Laufen. Selbst die Pupillen weiten und verengen sich genau im Rhythmus der wahrgenommenen Laute. Ein Zitat von Eugen Rabine belegt, dass er Rhythmus als grundlegende Basis für Alles betrachtete, und natürlich auch für die Funktion des Singens: „Das Wahrhaftige ist die Urkraft und Urbewegung, das heißt Rhythmus.“ (Renate Rabine, „Die theoretischen Werke von Eugen Rabine“, S.7)

Rhythmusgefühl ist uns angeboren: Schon Neugeborene können den Rhythmus von Musik wahrnehmen. Bald strampeln sie auch im Takt dazu. Der Drang, sich zu Musik zu bewegen, besteht bis ins hohe Alter.

Auch Sprache folgt einem bestimmten Rhythmus: Das Satzende wird im Deutschen mit einer Pause markiert, zusammengehörige Silben werden anders betont als voneinander getrennte. Die Fähigkeit, sich zum Rhythmus von Sprache synchron zu bewegen, sagt sogar den Spracherwerb von Kindern vorher. Neurobiologisch ist das naheliegend, denn das auditorische System hat sich aus dem Gleichgewichtssystem entwickelt. Viele Nervenfasern des Gleichgewichtssystems reagieren unmittelbar auf auditive Reize. Sie feuern und können zu reflexhaften Bewegungen der Arme und Beine führen. Denn die Neuronen, die im Gehirn unmittelbar auf rhythmische Stimuli reagieren, sind mit Nervenfasern verknüpft, die bis in die Beine und Arme reichen.

Auch die inneren Organe sind damit verbunden, etwa Herz und Stimmlippen, die ja im embryonalen Stadium aus derselben Keimzelle hervorgegangen sind. In Hirnscans wird offensichtlich, dass rhythmische Stimulation durch Musik die motorischen Areale auch dann bewegt, wenn der Proband still im Magnetresonanztomographen liegt. Nur in unserer Kultur gibt es das merkwürdige Phänomen, dass Menschen still dasitzen und Musik und Tanz konsumieren. Andere, vor allem afrikanische Kulturen, haben nicht einmal verschiedene Wörter für Tanz, Sprache und Musik.

Das Gehirn synchronisiert sich mit Sprache und Musik. Gesprächspartner imitieren den Takt der Worte ihres Gegenübers und versuchen unterbewusst, dessen Rhythmus beim abwechselnden Sprechen beizubehalten. Dadurch wird auf rhythmischer Ebene Harmonie zwischen beiden signalisiert. Einen gemeinsamen Rhythmus zu finden, erzeugt aus evolutionären Gründen positive Emotionen.

Es ist offensichtlich, dass eine rhythmische Vorbereitung auf den Vorgang des Singens, also ein „Timing“ des Einatmungsvorgangs, eine wertvolle Unterstützung für das Auslösen des sängerischen Reflexes darstellt. Denn er mündet in den regelmäßigen rhythmischen An- und Abspannbewegungen des Vocalismuskels.

Das Vibrato, das ja ebenso ein regelmäßiger Schwingungsablauf ist, organisiert im Folgenden rhythmisch die gesamte Phonation einschließlich der Tonhöhen- und Lautstärkeveränderungen. Für das klangerzeugenden System ist es naheliegend, die Phasen geringerer Muskelspannung für Veränderungen in Stimmlippenschwingung, An- bzw. Abkopplung von Muskelfasern oder Anpassung bei Segmentwechseln zu nutzen. Eugen Rabine sagte einmal dazu: „Für einen Profisänger gibt es keinen Takt mehr“. Er meinte damit, dass der vom Schwingungsverhalten der Stimmlippen vorgegebene körpereigene Rhythmus des Singens vor von außen vorgegebenen Zeitabläufen rangiert.

 

RIPPEN

Der menschliche Körper ist ausgestattet mit zwölf Rippenpaaren: Zehn echte Rippen, gewährleisten den Schutz der Lunge und zwei Fehlrippen schützen die Nieren. 

Atmen bedeutet muskuläre Erweiterung, Entfächerung des knöchernen Thorax nach hinten, außen, oben und unten durch die Kontraktion des Zwerchfells und die sekundären Einatmungsmuskeln. In der Belcantoschule heißt das „con espansione“.

Bei der sängerischen Einatmung geht diese Erweiterungsbewegung aufwärts bis zu den fünften Rippen. Während der Klangerzeugung bleiben die fünften bis siebten Rippen stabil erweitert, die achten bis zehnten werden kontrolliert in Richtung Ruheposition losgelassen. Sie müssen also flexibel auf den Ausatmungsvorgang reagieren dürfen.

Bei der Einatmung wird die Bewegung von der Wahrnehmung der Rippenöffnung geleitet. Die Bauchmuskulatur wird zugleich gedehnt. Die Entfächerung des unteren Brustkorbs ist der entscheidende Faktor dabei, denn die Erweiterung des fünften Rippenbogens bewirkt eine Aktivierung des entsprechenden Wirbels und löst so reflektorisch den Gesangsreflex aus. Das ist ein neurologischer Reiz, der in ähnlicher Weise auch beim Niesreflex stattfindet.

Das fünfte und sechste Rippenpaar stabilisiert den Kehlkopf. Die Erweiterung der oberen Rippen aktiviert die Dehnungsfunktion, fördert den Stimmbandschluss und damit die „hohe Schwingung“, und durch die Erweiterung der unteren Rippen wird die Massefunktion intensiviert. Die seitliche Entfächerung ist die Voraussetzung für die „sagittale Erweiterung“ vom Rückgrat bis zum Brustbein, den „colpo di petto“.

Drückt man den Bauch nach außen, wird die Bauchmuskulatur überdehnt, und die Rippen werden zusammengezogen.

Die Hebung der vier oberen Rippenpaare während der Einatmung („Hochatmung“) verkürzt und verengt das System und zieht den gesenkten Kehlkopf wieder nach oben. Dann kann der Gesangsreflex nicht ausgelöst werden. 

 

RUNDUNG

Runden ist das Gegenteil von Schlucken. Schlucken ist mit der Ausatmung verknüpft und schließt, Runden dagegen mit der Einatmung. Es öffnet und stabilisiert den Rachenraum. Rundung ist also gleichzusetzen mit Klangverstärkung: Ein rundes Gefäß hat das größtmögliche Volumen und gleichzeitig den geringsten Widerstand, weil die Fließbewegungen der darin enthaltenen Substanz nicht durch Hindernisse gestört werden. Beim Singen rundet man „um den Raum herum“ durch die Einatmungspräferenz, statt den Raum selbst zu formen und damit zu verengen.

Weil die Vokalbildung beim Singen vorrangig im Rachenraum stattfindet, gibt es für jeden Vokal eine optimale Rundungsweite. Kontrahieren die Constrictoren, die Würgemuskeln, weiter, um die Rundung noch zu verstärken, wird das Volumen wieder geringer, weil das den Raum verengt. Verwechslungsgefahr besteht auch mit der Anwendung von Zungendruck, um einen gerundeten Raum zu gestalten. Es ist viel  Erfahrung nötig, um diese Wahrnehmungen zu unterscheiden.

Die hintere Rundung zwischen Kehlkopf und weichem Gaumen soll beim Singen störungsfrei erhalten bleiben, während die Zunge sich für die Artikulation hebt, senkt, verbreitert und verschmälert. Rundung braucht eine flexible Zunge, und eine flexible Zunge braucht Rundung. Die vordere Rundung des Lippenringmuskels verstärkt sich und schwächt sich dabei ab, kollabiert aber nie. 

Ausgelöst wird die Rundung durch einen Öffnungsreflex wie beim Saugen. (Caruso hat wohl deshalb mit einem Flaschenkorken zwischen den Lippen geübt.) Dadurch wird er obere Constrictor gedehnt und rundet. Der Kehlkopf kann sich tiefer senken, durch die Rundung rutscht er ohne Einatmung schon tiefer. Die Schluckmuskulatur gibt Kontraktion ab und lässt sich nach unten dehnen, um den Raum vorzubereiten. Rundung und Länge ergeben zusammen die Empfindung von Schlankheit. Diese Schmalheit rundet den weichen Gaumen. Daher kommt die Kuppel beim „u“.

Die Tonisierung der sich rundenden Rachenwand beginnt direkt über den Stimmlippen und setzt sich nach oben fort, denn der obere Constrictor entwickelt einen Tonus, der hinter dem weichen Gaumen vorbei nach oben weitergeht. Der lange Gaumenbogenmuskel kann nämlich nur dann nachgeben, wenn die Rachenwand horizontal gerundet ist.

Die Mimikmuskulatur wird beim Singen horizontal entlang des Wangenmuskels vom Ohrläppchen zum Mundwinkel gedehnt, auch wie beim Saugen, statt schräg nach unten von der Ohrspitze aus mit Hilfe der Zunge, wie bei der Sprachgewohnheit.

Ein Resultat der inneren Rundung ist die Lippenrundung: Eine Schubreaktion nach vorne, unter anderem ausgelöst durch die Kontraktion der inneren Wangenmuskeln, erleichtert die Mundwinkelaktivität. Greift die Oberlippe bei der Rundung ein, wird der Vokaltrakt jedoch verengt.

Durch die sängerische Rundung entsteht eine spezielle differenzierte Dehnung der Constrictoren: Je mehr die Dehnungsfunktion dominiert, desto größer wird der Durchmesser. Der dazugehörige Reflex ist der öffnende Würgereflex.  

Die Rundung ist über Außen- und Innenwahrnehmung fühlbar. Anfangs erkennt man  sie durch Außenwahrnehmung, geübte Sängerinnen und Sänger haben gelernt, sie von innen zu erspüren. Wesentlich dabei ist vor allem die Fähigkeit, zwischen dunklem Raumklang durch Rundung und Abdunkeln durch Abdämpfen der hohen Frequenzen infolge einer ungünstigen Zungenposition zu unterscheiden.

Ohne Rundung ist keine Grundtonverstärkung möglich. Bei optimaler Rundung dagegen ist der Innenklang der eigenen Stimme gut zu hören.

 

SAUGREFLEX

Der Saugreflex ist ein angeborenes Programm zur Erzeugung von Unterdruck im Rachenraum. Er wird durch die Kontraktion und Rundung des Lippenrings ausgelöst. Bis etwa zum siebten Lebensmonat ist Atmen und Saugen gleichzeitig möglich, danach trennen sich die Funktionen.

Das Streichen quer über die Wangen kann den Saugreflex beim Säugling und auch beim erwachsenen Menschen aktivieren. Gleichzeitig wird ein Einatmungsreflex ausgelöst. Durch Berührung der Mundwinkel runden die Constrictoren reflektorisch. Die Bewegung gleicht einer Art Greifen mit den Lippen. Der Kehlkopf fungiert dabei als Pumpe zur Erzeugung des Luftsogs. Maßgeblich für die Stärke des Sogs ist der Grad der Aktivität in den Mundwinkeln: Je weiter vorne ihre Position ist, desto effektiver ist die Wirkung. 

Bis zum Alter von etwa sechs Monaten existiert sogar ein sogenannter „Zungenstoß- oder Zungenstreckreflex“. Alles, was in den Mund gelangt, wird automatisch wieder hinausgeschoben. Der Reflex schützt kleine Babys vor dem Ersticken, wenn sie mit fester Nahrung in Kontakt kommen. Die entsprechende Zungenbewegung findet sich als „ng- Position“ in der Gesangsfunktion wieder: Der hintere Mundraum ist geöffnet für die Erzeugung eines Sogs, der vordere ist geschützt durch die vorgewölbte Zunge und den kontrahierten Lippenring.

Werden Säuglinge aber nicht oder zu kurz gestillt, entwickelt sich die für das Saugen nötige Muskulatur nur unvollständig. Eine optimale Rundungsaktivität des Lippenrings ist dann auch im späteren Alter nur eingeschränkt möglich, weil die Muskulatur nicht von selbst nachreift. Für eine körpergerechte Gesangsfunktion ist eine stabile Rundung aber von größter Bedeutung. Die Rabineschule hält auch für diese Problematik bestimmte Therapieansätze bereit.

Der Gesangsreflex basiert auf dem Saugreflex. Auf die spezifische Mundöffnung und die dadurch ermöglichte widerstandsarme sängerische Einatmung folgt eine reflektorische Stimmbandschließung, die die Phonation einleitet.

 

SCHREIEN

Schreien ist eine Überdruckfunktion. Unterdruckfunktion und Überdruckfunktion können nicht gleichzeitig ablaufen. Daher sind Schreien, Rufen und lautes Sprechen Komplementärfunktionen zum Singen.

Der Vokaltrakt ist dabei durch die Schluckmuskulatur verengt. Durch die intensive Kontraktion der schrägen Bauchmuskulatur wird von unten Luft an die aktiven Stimmlippen gepresst, die gegen den Luftdruck reflektorisch schließen. So erhöht sich der Druck noch mehr. Beim Schreien nähern sich Taschenfalten und Ringknorpel so weit an, dass kein Raum über den Stimmlippen mehr bleibt. Der Klang ist laut, aber „gepresst“ und „schrill“. Die Beanspruchung des Vocalismuskels ist hoch.

 

SCHWA

Das ist der Fachbegriff für eine Lautäußerung ohne Tonhöhe, eigene Dauer und  definierten Vokal. Ursprünglich ist das die Bezeichnung für ein Vokalisationszeichen zwischen zwei Konsonanten in der hebräischen Sprache: „Sch`wa“, gesprochen „Schewa“. Der dabei entstehende undefinierte Laut wird „Schwa“ genannt oder auch „mittlerer Zentralvokal“. Er entsteht in vielen Sprachen als An- oder Ablaut vor oder nach Konsonanten, manchmal auch als Verbindungslaut dazwischen. Auch als Zwischenlaut zur Überbrückung wird er häufig angewendet („Ähh…“).

Auch das Schwa braucht Rundung, sonst rutscht das System hoch und schließt zur Sprachgewohnheit. Bleibt aber der Raum oberhalb der Stimmlippen während der Phonation geöffnet, entsteht das „Raumschwa“. Es ist mit der Grundtonverstärkung im Bereich des ersten Vokalformanten identisch, denn es ist Teil des ersten Vokalformanten. Außerdem verstärkt es die Eigenfrequenz des unteren Vokaltrakts. Am ehesten klingt es wie ein offenes „ö“. Auffallend in diesem Zusammenhang ist die Vorliebe in der deutschen Sprache für die Verwendung dieses Vokals zur Beschreibung von sehr lauten und undifferenzierten Lautäußerungen: Stöhnen, Röhren, Grölen, Föhnen, Dröhnen, Tröten, Nölen!

Jede Konsonant-Vokalverbindung hat zwei Formanten, das Raumschwa des Konsonanten und den Formantbereich des Vokals. Beim Singen trennen sich Vokal und Schwa unterhalb von e`.

 

SCHWINGUNG / SCHWINGUNGSWAHRNEHMUNG

Beim Singen entsteht eine primäre, grundtönige Schwingung im Kehlkopf und direkt darüber. Unter dem Gaumenbogen entwickelt sich eine sekundäre Schwingung: Sie ist bei „u“ am höchsten, bei „o“ und „a“ jeweils niedriger. Bei „ä“, „e“, „i“, „ö“ und „ü“ entsteht durch Hebung der Zungenmitte eine dritte Schwingungswahrnehmung am harten Gaumen, bei „ä“ am weitesten hinten, bei „i“ am weitesten vorne fühlbar.

Diese Sekundärschwingung ist nicht klangverstärkend, sondern nur ein Indikator für die primären Schwingungen. Bei diesen Vokalen wird die Wahrnehmung der Schwingung am weichen Gaumen schwächer, verschwindet aber nicht.

Bei „a“, „o“ und „u“ fehlt die dritte Schwingungswahrnehmung, weil die Zunge bei diesen Vokalen nicht durch schräge Hebung eine Brechung der stehenden Welle hervorruft. Wird dieser Vibrationsstrang auch bei „a“, „o“, und „u“ erzeugt, ist das nur möglich durch Hochziehen und Schrägstellen des Kehlkopfs mit der Zunge. Das hat eine Verkürzung des Vokaltrakts zur Folge und bedeutet mehr Anstrengung für die Stimme, weniger Effizienz und mehr Überdruckfunktion. 

Je mehr tiefe Schwingung von den Stimmlippen erzeugt wird, desto intensiver ist auch die hohe Schwingung, denn sie ist ja die Auswirkung der tiefen Schwingung. Bei geringerem Luftdruck wird sie noch deutlicher fühlbar. Auch bei höherer Tonfrequenz wird die obere Schwingungsempfindung immer höher und intensiver. Die untere Schwingung leitet aber immer die Klangerzeugung, auch wenn sie nicht dominant in der Empfindung ist.

In der Schleimhaut sitzen Rezeptoren für Schwingungswahrnehmung. Sowohl die obere als auch die untere Schwingung ist bei jedem Vokal fühlbar. Mithilfe der fokussierten Wahrnehmung kann sich die Schwingung selbst organisieren.

Bei der Vokalfolge „u-ü-i“ entsteht das Gefühl einer Schwingungswanderung nach vorne vom weichen zum harten Gaumen. Die hohe Schwingung am weichen Gaumen bleibt dabei fühlbar, wenn auch abgeschwächt. Auch bei Kopfneigung wird eine Positionsänderung der hohen Schwingung nach rechts und links am weichen Gaumen wahrnehmbar. Eine wandernde Schwingungswahrnehmung hinter der Zunge entsteht auch beim Singen einer Oktave schrittweise abwärts: Von oben nach unten wird die wandernde Grundtonschwingung immer deutlicher spürbar. Aus akustischen Gründen entsteht dieses Phänomen beim Aufwärts-Singen nicht.

Das alles sind Empfindungen von Primärschwingung. Sie haben direkt etwas mit der Klangerzeugung zu tun und zeichnen sich durch feine Bewegungsabläufe aus, im Gegensatz zu Sekundärschwingungen, die sich im Vergleich dazu viel grober, unpräziser und aufwändiger anfühlen. Durch Deformation des Instruments kann man nämlich Schwingungsempfindungen an verschiedenen Stellen erzeugen, je nach Brechung der stehenden Welle. Das ist das Konzept der Sitztechnik.

 

SEGMENT

„Segmente“ sind ein akustisches Phänomen: Durch Interferenz entsteht in der Nähe der Frequenz, von der die Eigenfrequenz der Luftröhre angeregt wird, eine Irritation in der Primärschwingung der Stimmlippen, und sie reagieren mit Schließtendenz.

Weil dieser Frequenzbereich ebenfalls Teiltöne entwickelt, wiederholt sich die Irritation bei allen ganzzahligen Vielfachen der Grundfrequenz in abgeschwächter Form, wie bei jeder Obertonreihe.

Das bedeutet konkret: Der primäre Übergang bei ca. es`/e`/f` löst weitere Übergangsphänomene aus bei ca. a`/b´/h`, es``/e``/f``, a``/b``/h`` und d```/es```.

Ab der dritten Oktave werden die Abstände etwas enger, weil die Tonhöhenregelung sich ab etwa fis`` ändert. Sogar in die Tiefe hat der Übergang Auswirkungen: Auch bei ca. a/b/h entsteht eine Schwingungsirritation der Stimmlippen. Sie kann die Masseankopplung durch den dadurch ausgelösten Schließimpuls stören.

Diese Segmentanpassungen, die immer in Bezug zur Änderung des Verhältnisses von Massedominanz und Dehnungsdominanz stehen, werden von manchen Schulen als kleine Registerübergänge beschrieben. Die Tendenz, die unangenehme Empfindung der Irritation durch Festhalten des Systems zu umgehen, wie es beim Übergang um es`` häufig geschieht, findet man auch bei den Segmentwechseln, denn sie fühlen sich wie kleine Brüche an. Es ist aber wichtig, die Veränderung der Wahrnehmung beim Singen zu erlauben, damit sich das System an die veränderten akustischen Bedingungen anpassen kann. Vergleichbar ist dieser Vorgang mit einer Gangschaltung: Für Beschleunigung oder Temporeduktion wird die „Übersetzung“ sprunghaft geändert, obwohl die Gesamtfunktion linear verläuft.

In der Sängersprache des Belcanto wird dieses Phänomen als „passaggio“ bezeichnet, was ebenfalls Übergang bedeutet. Alle Passaggi haben also eine akustische Ursache, nicht eine anatomische. 

 

SITZ / VORDERSITZ

Die Lehre vom „Stimmsitz“, ist aus der Wahrnehmung von Sekundärvibrationen im Kopf, speziell im Bereich von Nase und Stirn, der sogenannten „Maske“, entstanden. Diese Schwingungsphänomene sind aber Folgen der Stimmlippenschwingung im Kehlkopf. Es ist nicht möglich, darüber die primäre Klangerzeugung  zu optimieren. Eine Wirkung kann ihre Ursache nicht ändern.

Die beiden Schwingungsknotenpunkte, von denen die stehende Welle im Vokaltrakt definiert ist, sind die untere Schwingung direkt über der Stimmfalte und die obere Schwingung am weichen Gaumen. Bei den Vokalen „e“, „i“, „ä“, „ö“ und „ü“ entsteht eine dritte Vibrationswahrnehmung am harten Gaumen aufgrund der diagonalen Position des Zungenrückens. Bei „a“, „o“ und „u“ entsteht sie nicht. Um sie zu erzeugen, muss der Kehlkopf aus seiner optimalen Tiefposition mit der Zunge leicht hochgezogen und schräg gestellt werden.

Die Schwingungswahrnehmung des „Vordersitzes“ wird für diese Vokale also durch die Umlenkung der stehenden Welle hergestellt. Ein näselndes Klangergebnis ist die Folge. Die Manipulation vermindert die Schwingungsqualität und Selbstregulation der Stimmlippen und schränkt den Stimmumfang ein. Auf die Dauer kann sie durch Überbelastung zu Stimmschäden führen, etwa zu sogenannten Registerdivergenzen.

Dazu bemerkte der berühmte Stimmforscher Manuel Garcia schon 1894 sinngemäß in seinen „Ratschlägen für den Gesang“: „... Ich lehne all das ab, wovon heutzutage gesprochen wird, nämlich das Führen der Stimme nach vorwärts, rückwärts oder aufwärts...  Die Idee ist absurd, man könne den Luftstrom nach vorne oder hinten lenken... Der Sänger hole Luft und beachte die Naturgesetze, der Kehlkopf und der Rest sorgen für sich selbst...“. Es ist nicht möglich, eine Welle zu beugen oder umzulenken. Man kann sie nur brechen, im Fall der Klangerzeugung mittels Manipulation durch die Zungenstellung.

 

SOTTO VOCE

Das bedeutet „unter der Stimme“. Gemeint ist Klangerzeugung mit noch geringerem Luftdruck unter der Stimme und wenig Stimmlippenschluss, im Gegensatz zu „in voce“, „innerhalb der Stimme“. Dazu muss die ausströmende Luft noch feiner dosiert, in gewisser Weise „von den Stimmlippen ferngehalten“ werden. Durch die Verstärkung der Einatmungstendenz wird der Klang leiser und weicher.

 

STACCATO

Staccato ist eine Teilfunktion der Stimmlippen, bei der sie eine vollständige Vibratoschwingung von ca. 0,05-0,07 Sekunden Dauer ausführen. Danach wird der Ton reflektorisch beendet. Sie findet nur im Vocalis statt, ohne Aktivität in Zwerchfell und Vokaltrakt. Das ist nur möglich, wenn das Vibrato im Moment des Einsatzes zu schwingen beginnt. Eine derartige Schwingung ist extrem fein und präzise. Sie wird nur möglich bei sehr geringem Luftdruck und vollständig entfächertem Vokaltrakt.  

Beim staccato ist die Stellung des Kehlkopfs beim Stimmeinsatz spürbar. Staccato, auf funktionale Weise erzeugt, fördert deshalb die Sicherheit im Einsatz.

 

STIMMFACH

Das Stimmfach wird von mehreren Parametern bestimmt:

Wie viele Muskelfasern im Vocalis sind angeboren? Je mehr vorhanden sind, desto dunkler ist die Stimmfarbe. Der Muskel ist frühestens ab einem Alter von 35 Jahren (bei Bassstimmen noch später, bis zum Alter von 45 Jahren) vom Wachstum her ausgereift. Also kann sich das Stimmfach bis zu diesem Alter noch ändern. Die Länge der Stimmlippen spielt für das Stimmfach nur eine sehr untergeordnete Rolle. 

Wie ist der Vokaltrakt von Natur aus gestaltet, und wie dominant wird darin die hohe oder tiefe Schwingung verstärkt?

Welche Teilfunktion wird bevorzugt? Auch diese Vorliebe ist angeboren. Die Präferenz, Masse anzukoppeln oder den Muskel zu dehnen, unterscheidet den Mezzosopran vom dramatischen Sopran und den hohen Bariton vom Tenor. Dabei beruht die Vorliebe für Dehnungsdominanz auf einer höheren Grundenergie.

Der jeweilige Stimmumfang wird bestimmt durch die vorhandene Muskelmasse sowie die Flexibilität, Dehnbarkeit und Feinjustierung des Systems.

Der persönliche Stimmklang ist so individuell wie Fingerabdruck. Er wird infolge der extremen Verformbarkeit des Vokaltraktes durch persönliche Erfahrungen und davon ausgelöste Schutzhaltungen beeinflusst und mitbestimmt.

Die Empfindung von Schönheit im Stimmklang beruht, wie jede Empfindung von Schönheit, auf dem im Hörenden erzeugten Wohlgefühl. Sie ist also nicht, wie die verbreitete Ansicht lautet, reine „Geschmacksache“, sondern, von individuellen Vorprägungen und entsprechenden Hörerwartungen einmal abgesehen, geprägt von der Empfindung von Natürlichkeit und Ungezwungenheit. Wie der singende Mensch sich körperlich und emotional fühlt, so fühlt sich auch der hörende.

Der körpergerechte, funktionale Stimmklang kann durch seine Ungezwungenheit ein angenehm „stimmiges“ Gefühl auslösen. Er wird daher überwiegend als schön empfunden. Das herausragende Beispiel dafür ist aus meiner Sicht sicher die Stimme von Fritz Wunderlich, deren Schönheit sich wohl kaum jemand entziehen kann.

 

STIMMLIPPEN

Wir kommen ohne Stimmbänder, also ohne die den Vocalismuskel umhüllenden Schleimhautligamente zur Welt. Erst mit Vollendung des 17. Lebensjahres ist die Verbindung zwischen Vocalis und Ligament abgeschlossen. Daraus erklärt sich auch die völlige Ermüdungsfreiheit der Säuglingsstimme. 

Der Vocalis ist ein Skelettmuskel. Seine Funktion ist, Gelenke des Knochengerüstes zu bewegen. Er liegt zwei bis drei Millimeter unter der Spitze des „Adamsapfels“ und ist der komplizierteste Muskel des menschlichen Körpers. Hinten ist er dicker als vorne und besitzt viele Muskelspindeln, die unabhängig voneinander kontrahieren können. Die Anzahl dieser Muskelspindeln ist angeboren und bleibt lebenslang unverändert. Allerdings können sie trainiert werden. Dadurch kann der Umfang des Vocalismuskels vergrößert werden.

Abgesehen vom Herzmuskel ist er der einzige nicht ermüdbare Muskel, denn er gibt entstehende Wärme sofort ab. Seine besondere, nicht ermüdbare Zopfstruktur kommt sonst im Körper nur noch im Herzmuskel vor. (Herz und Stimmmuskel sind aus der selben Keimzelle hervorgegangen.)

Vom Aufbau her ist er in Segmente differenziert: Jede halbe Oktave gibt es einen Übergang in ein anderes Schwingungsverhaltens, das das akustische Phänomen des „Wolfs“ bzw. „Bruchs“ hervorruft. Dabei sind alle muskulären Vorgänge fließend, akustische Phänomene und taktile Wahrnehmungen hingegen springen.

Die Innenseite besteht aus drei verschiedenen Zellstrukturen. Sie wird innerviert durch eine spezielle Art von Gamma-Nervenfasern und erzeugt so eine isotonische Kontraktion oder Dehnung. Die Dehnung im Vocalismuskel kann nicht aktiv gehalten werden, außer während des Singens. Die ihn umgebende Schleimhaut schwingt dabei vertikal durch einen neurologischen Impuls etwa fünf bis siebenmal in der Sekunde. Das klangliche Ergebnis davon ist das Vibrato. Diese Vibratoschwingung regelt sich selbst in Bezug zu Luftdruck und Schwingung des Muskels.

Durch ihre Primärfunktion als Einatmungsventil sind die Stimmlippen hochsensibel für Luftbewegungen im Vokaltrakt und reagieren darauf mit Tonisierung, Erhöhung der Bewegungsbereitschaft und Differenzierungsfähigkeit. 

Bei der sängerischen Phonation steuern die stimmerzeugenden Muskeln den ganzen Vokaltrakt. Die dabei entstehenden Schwingungen sind die differenzierteste Bewegung des ablaufenden neuronalen Programms und damit der leitende Parameter. Auch für die Tonhöhen- und Lautstärkeregelung sind sie zuständig.

Für die Muskelarbeit ist ein hoher Tonus im Vocalis nötig. Diese Tonuswahrnehmung zeichnet sich durch eine Art horizontales „Zentrums- bzw. Effizienzgefühl“ aus.

Eine Kontraktion des Muskels ist aber nur möglich gegen die Gegenspannung des antagonistisch arbeitenden Muskels. Setzt man dem Stimmmuskel keine Spannung entgegen, kann er nicht kontrahieren. Dabei besteht leider Verwechslungsgefahr mit der Wahrnehmung von Luftdruck oder Zungendruck. Bei reduziertem Luftdruck ist es also leichter, Tonus im Vocalis zu erzeugen.

Die Eigenschwingung der Stimmmuskulatur wird neuronal erzeugt, nicht durch „Anblaseluft“. Bei der gesunden Stimmfunktion ist daher eine Phasengleichheit der beiden Stimmlippen im Einsatz, in der Schwingung und im Absatz, also der reflektorischen Öffnung zum Abschluss der Schwingung, zu beobachten.

Je stärker der Ring-Schildknorpelmuskel kontrahiert, desto länger und weiter wird der Vokaltrakt geöffnet. Die Stimmlippen werden dabei immer mehr in Richtung Dehnungsfunktion gezogen. Die Öffnung wird immer weiter und runder. Das bewirkt bei der Nachatmung einen anderen, vertikaleren Atemweg an der Vorderseite des Vokaltrakts entlang.

Da im Normalfall die Luftabgabe durch äußere muskuläre Kontrolle geregelt wird, müssen die Stimmlippen lernen, den Luftfluss beim Singen selbst aktiv zu dosieren. Durch die sängerische Einatmung sind praktische alle Verengungen und Widerstände aufgehoben, die ihn behindern könnten. Letztlich entscheidet der Vocalis bei der Klangerzeugung über die Dosis der Luftabgabe, den Grad der Einatmungstendenz.

Die Dehnung der Stimmfalte durch die Kontraktion des äußeren Kehlkopfmuskels und die Drehung der Stellknorpel erzeugt kinetische Energie und einen hohen Tonus. Beides stellt einen optimalen Schutz für die Atemwege dar. Beim Singen wird diese Bewegungsbereitschaft in regelmäßigen Wechsel von Öffnung und Schließung der Stimmritze umgesetzt. Das signalisiert dem Gehirn sogar einen besseren Schutz als komplette Schließung, denn durch den Verschluss wird ja die Atmung gestoppt.

Die Stimmlippen sind das Unterdruckventil des Körpers. Neuronal sind sie daher mit dem Bizeps und dem Daumengrundgelenk verschaltet. Durch Kraftanwendung zum Körper hin, wie zum Beispiel beim Klettern, wird durch sie die Lunge vor unwillkürlich einströmender Luft verschlossen, damit Zugkraft aufgebaut werden kann.

Aufgrund dieser Zusammenhänge und ihrer Mittelstellung zwischen rechter und linker Körperhälfte, und vor allem wegen ihrer phasengleichen Bewegungen bei der Tonerzeugung, können sie sogar für eine Verbesserung der Körperbalance sorgen. Umgekehrt dient das Verhältnis von Stabilität und Flexibilität des gesamten Körpers der Feinregulation des Luftflusses für den Gesangsreflex.

 

STUMME MASSE

Wenn die Klangquelle mit größerer Masse schwingt, haben auf gleicher Tonhöhe gebildete Klänge dunklere Klangfarben. Dieses Phänomen nennt man „stumme Masse“. Das ist mit dem unterschiedlichen Klangergebnis verschiedener Saiten eines Instruments beim Spielen der gleichen Tonhöhe vergleichbar.

Bei der menschlichen Stimme ist dafür die Beschaffenheit der untersten Schicht des Vocalismuskels verantwortlich. Je mehr Muskelfasern eine Person zur Verfügung hat, desto dunkler klingt die Stimme. Ein Fachbegriff dafür ist auch „Timbre“.

BELCANTOBEGRIFFE UND FACHAUSDRÜCKE FUNKTIONAL ERKLÄRT T - Z

TIEFE

Um tiefe, langsame Schwingungen zu erzeugen, wird der dritte, unterste Teil des Stimmmuskels zugeschaltet. Der Vocalismuskel wird dabei dicker, kürzer und weicher. Durch die bei der Tonerzeugung entstehende stärkere Vibration wird auch die Luft unter der Stimmritze mit in Schwingung versetzt. Die Stimmlippen schließen sich in dieser Bewegung vollständig und öffnen sich weiter. Die Schleimhäute behalten dabei trotz der höheren Kontraktion der Stimmmuskulatur die Fähigkeit, sich unabhängig davon zu bewegen.

Bei tiefen Tönen verstärkt und stabilisiert sich die Rundung der Constrictoren, weil der äußere Kehlkopfmuskel der Anspannung des Vocalismuskels nachgibt. Deshalb ist die Lage der Zunge bei der Produktion von massedominanten Schwingungen etwas anders als bei der von dehnungsdominanten. Die sich daraus ergebende Mundöffnung entspricht der von stärkerer Saugwirkung. Man findet diese spezielle Mund- und Zungenstellung naturgemäß in automatisierter Form immer wieder bei sehr tiefen Bässen.

Tiefe Töne brauchen außerdem viel Länge, denn ein langes Rohr verstärkt tiefe Frequenzen besonders gut. Das bedeutet, der Kehlkopf steht dafür idealerweise auf Tiefstposition, damit der Vokaltrakt darüber möglichst lang ist.

Durch ihre langsamere Schwingung und die größere schwingende Masse fordern tiefe Töne mehr Luftfluss an. Beim Singen tiefer Frequenzen ist deshalb der Luftfluss dominanter als der Luftdruck.

Die kräftigen Schwingungen können über den Knochenschall im ganzen Körper wahrgenommen werden. Dieser „Körperklang“ wird auch in der Ergotherapie sowie im Yoga und ebenso in verschiedenen weiteren ganzheitlichen Heilmethoden gern unterstützend eingesetzt.

Liegt die Frequenz eines Tones unter der Frequenz des ersten Vokalformanten des gesungenen Vokals, muss ein Decrescendo erfolgen, oder der Raum muss zum nächst offeneren Vokal öffnen. Sonst kann der gewünschte Vokal nicht vollständig artikuliert werden. In der Arie des Osmin „O wie will ich triumphieren“ aus Wolfgang Amadeus Mozarts Oper „Die Entführung aus dem Serail“ endet die Phrase mit den Worten „...denn nun hab´ ich vor euch Ruh`!“ auf dem großem D. Kein Sänger kann das Wort „Ruh´“ in dieser Lage noch artikulieren. Deshalb wird traditionell der Text verändert auf „… denn nun hab´ ich Ruh´ vor euch“, wobei das Wort „euch“ meistens auch noch wie „aich“ klingt. Nur der massereichste Vokal, das „a“, ist in so tiefer Lage in der für die geforderte Lautstärke nötigen Vollschwingung noch herstellbar.

 

TONHÖHENREGELUNG

Tonhöhe ist von Geburt an eines der stärksten emotionalen Signale, die es gibt. Die Regelung der Tonhöhe ist eine horizontale Bewegung. Sie wird gesteuert durch das Agonist/Antagonist-Paar Vocalis und Ring- Schildknorpelmuskel, anders als beim Blasinstrument, wo sie über Verkürzung oder Verlängerung des Resonanzrohres zustandekommt. Der Ablauf ist im Muskelgedächtnis codiert. Er verläuft ohne aktive Beteiligung des Vokaltrakts. Der Rachenraum muss flexibel auf die Veränderungen reagieren können, damit die Tonhöhenregelung durch die Stimmlippen möglich ist.

Abwärts regelt der Stimmmuskel die Tonhöhe durch seine Kontraktion. Mit seiner Dehnungserlaubnis  leitet der Kehlkopfkipper die Bewegung. Aufwärts verhält es sich umgekehrt: Der Vocalis ist der leitende, nachgebende Muskel, der Kehlkopfmuskel kontrahiert und kippt den Schildknorpel nach vorne unten. Damit er das kann, muss die Zunge nach vorne nachgeben, denn der untere Constrictor ist am Zungenbein angewachsen. Nur so wird die Stimmlippendehnung möglich. Durch eine parallele Reaktion des Unterkiefers kann diese Bewegung unterstützt und getriggert werden: Wird sie nämlich auf der Basis des Saugreflexes ausgeführt, ruft die Kieferöffnung eine Senkung des Kehlkopfs auf zwei Drittel seiner Tiefstposition hervor.

Die Tonhöhe wird unbewusst reguliert, die dabei entstehenden Veränderungen werden nur wahrgenommen. Der Versuch, sie bewusst zu kontrollieren, stört die Funktion, denn er aktiviert zuallererst Zungenaktivität.

Bei der Sprachgewohnheit und einigen reflektorischen Abläufen wie Erschrecken oder Niesen wird die Tonhöhe verändert, indem der Kehlkopf hinten von der Zunge hochgezogen wird. Das klangliche Ergebnis ist infolge der entstandenen Dehnung der Stimmlippen ein hoher Laut. Bei der Phonation ist die Zunge nicht an der Tonhöhensteuerung beteiligt. Da sie aber auch ein Tastorgan ist, neigt sie dazu, sich spontan in Richtung der spürbaren Vibrationen zu bewegen. Diese unwillkürlichen Positionsänderungen können die beschriebene ineffiziente Tonhöhenveränderung  bewirken. Für die sängerische Tonhöhenregelung ist also eine Differenzierung der Zungenbewegung nötig. Auch der Tonus der Lippen hat Einfluss darauf.

Bei Tonhöhenveränderungen während des Singens leitet die Empfindung der Stimmlippenschwingung. Abwärts verändert der Vokaltrakt daraufhin seine Form, um die neu entstehenden Grundtöne verstärken zu können. Aufwärts sind schon alle Obertöne vorhanden, eine Veränderung ist also nicht nötig.

Im Laufe der sängerischen Entwicklung bildet sich ein Gefühl für Tonhöhen, eine Muskelerinnerung, die es ermöglicht, eine zuvor gehörte Frequenz unterbewusst voreinzustellen und so „den Ton zu treffen“. Dieses Prinzip entspricht in etwa der Treffsicherheit beim Instrumentalspiel. Auch dafür ist es ja nötig, Muskelerinnerung durch Übung zu entwickeln.

 

TONUS

Tonus wird die Grundspannung in der Muskulatur genannt. Tonuszunahme in den Aufrichtungsmuskeln programmiert auch die Stimmmuskulatur zu mehr Tonus: Ein höherer Tonus in der Wirbelsäule löst nur Millisekunden später eine stärkere Rundung im Artikulationssystem aus. So gewinnt auch der Vokaltrakt an Tonus. Verliert dagegen der Brustkorb an Tonus, rutscht der Kehlkopf hoch, denn die Aufrichtung stellt die antagonistische Kraft zur Kehlkopfsenkung dar. Durch Erhöhung des Körpertonus wird die Masseschwingung weich und regelmäßig, statt ungeführt zu schlackern.

Je höher der Tonus ist, desto besser sind die Unterschiede zwischen Masse- und Dehnungsdominanz spürbar. Verschiedene Vokalen, dynamische Abstufungen und Tonhöhen brauchen jeweils auch einen verschiedenen Tonus.

Gewichtige Menschen haben meist einen höheren Grundtonus, um die Aufrichtung stabil zu halten. Das ist eine der Ursachen dafür, warum es unter professionellen Sängerinnen und Sängern überdurchschnittlich viele füllige Menschen gibt. 

 

TRACHEALZUG

Dieser Begriff beschreibt die Kehlkopfsenkung infolge der Einatmungsbewegung. Durch sie bewegt sich die Zwerchfellkuppel bis zu sieben Zentimeter unter die Ruheposition. Die Luftröhre wird dabei schräg nach hinten unten gezogen. Alle hebenden Einhängemuskeln müssen dafür erlauben, sich dehnen zu lassen. Das ist die Hauptaktivität, um den Kehlkopf auf die sängerisch günstige Tiefposition zu senken. Fehlt er, wird oft versucht, diese Senkung durch Zungendruck herzustellen. Deshalb ist die tiefe Einatmung von mindestens 50% Lungenvolumen so wichtig.

Es gibt dazu einen interessanten Selbstversuch: Setzt man ein Gefäß an den Mund, ohne die für das Trinken nötige Saugbewegung zu machen, und atmet dann durch die Nase ein, wird der Rachenraum durch den Trachealzug verlängert, und dadurch wird die Flüssigkeit ohne weitere Muskelaktivität in den Mundraum gezogen.

 

TRAGFÄHIGKEIT

Bei einem starken Grundton durch optimale Verstärkung der tiefen Frequenzen im geöffneten Vokaltrakt entstehen auch hohe und starke Obertöne. Wie bei jedem Klangkörper verbessert sich die Klangverstärkung proportional zur Länge und dem Durchmesser des Resonators. Beim menschlichen „Instrument“ wird sie noch gesteigert durch eine laserartige Potenzierung des Klanges aufgrund der besonderen akustischen und neurologischen Gegebenheiten.  

Für die Entstehung der Sängerformanten, also die Frequenzen bei etwa 3000, 5000 und 8000 Hz, ist also eine maximale Öffnung des Vokaltrakts unbedingt nötig.

Sie bilden sich bei geringem Stimmlippenschluss durch den hohen Anteil an gedehnter, fein schwingender Schleimhaut. Da diese Frequenzbereiche aus evolutionären Gründen von der Form des menschlichen Ohres am besten verstärkt werden, entsteht das „Lautheit“ genannte Phänomen, dass akustisch leiserer Schall als dominant wahrgenommen wird vor tieferem, objektiv lauterem Schall, der „Lautstärke“.

 

ÜBERGANG

Die primäre, von der Evolution vorgesehene Funktion des Stimmlippenventils ist, auf jede kleinste Luftbewegung mit sofortiger  Schließung zu reagieren, um die Lunge vor dem lebensgefährlichen Eindringen von Fremdkörpern zu schützen.

Gleichzeitig hat die Luftröhre eine Eigenfrequenz, denn sie bildet einen Hohlraum.

Das Erzeugen von Klängen nahe an dieser Eigenfrequenz bewirkt Schwebungen, die ihrerseits Luftverwirbelungen hervorrufen. Weil der Durchmesser der Luftröhre eine mehr oder weniger feste Größeneinheit im menschlichen Körper ist, wie zum Beispiel auch die ungefähre Größe von Herz oder Leber, liegt ihre Eigenfrequenz bei allen Erwachsenen auf der Tonhöhe von ca. es`/e`.

Treffen die von der Schwebung erzeugten Luftwirbel auf die Stimmlippen, löst das einen Schließreflex aus. Das stört natürlich die Klangerzeugung. Als Schutzreaktion springt daraufhin entweder das Massesystem oder das Dehnungssystem ein und bewirkt eine Schließung. Durch die Verengung erhöht sich der Luftdruck unterhalb der schwingenden Stimmlippen, der Ton bekommt plötzlich mehr Energie, und das entsprechende Register setzt sich durch. Das ist die akustisch-physikalische Erklärung des Phänomens „Bruch“.

Die Wahrnehmung des Schließimpulses ist unangenehm. Um sie zu vermeiden, wird häufig das System festgehalten. Wenn der Kehlkopf hoch steht, ist der Grundton des gesungenen Tones gegenüber der Eigenfrequenz der Luftröhre zu schwach, um dominant zu wirken. Das verstärkt den störenden Effekt noch. Obendrein stellt sich in der Oktave zwischen a und a` die Stimmfunktion um von Massedominanz auf Dehnungsdominanz. Das kann eine weitere Irritation in den Stimmlippen bewirken.

Bemerkenswert dabei ist, dass Sopranistinnen ihre bevorzugte Sprechlage oft ziemlich tief, um den „phonischen Nullpunkt“ herum, wählen. Das ist entspannend für die Stimmmuskulatur, die ja bei ihnen viel in der Dehnungsfunktion arbeitet. Manche Altistinnen sprechen dagegen vergleichsweise hoch, zum Teil sogar über dem Übergang. Durch die geringere Muskelmasse „leichterer“ Stimmen entstehen weniger Schwebungen. Darum fühlt sich die Eigenresonanz der Luftröhre bei ihnen offenbar nicht so störend an wie bei „schwereren“ Stimmen mit mehr Masse.

Das Ziel beim funktionalen Gesang ist, die Irritationen durch Rundung zu minimieren. Das kann nur gelingen, wenn die Grundtonfrequenz dominant bleibt gegenüber der Luftröhrenfrequenz, also bei gerundeten Rachenmuskeln und gesenktem Kehlkopf.

Am leichtesten fällt der Übergang auf Vokal „o“. Die gerundete Artikulationsform des Vokals verbessert die Resonanz im Vokaltrakt und minimiert die störenden Luftwirbel. Auch das noch mehr rundende „u“ hat diese Wirkung. Ein möglichst weiter Rachendurchmesser erleichtert ebenfalls den Übergang. 

Wenn der mittlere Constrictor aktiv bleibt und die Rundung aufrechterhält, kann die Zunge dagegen stabilisieren. Hält sie ihren Tonus bei, erhöht sich die obere, vordere Resonanz und die Vibratoempfindung wird stärker. Schließt das System aber im Übergang, was infolge von Schutzreflexen leicht geschehen kann, verliert die Zunge ihren Tonus. Je geringer der Zungentonus ist, desto stärker ist also der Übergang.

Mehr Einatmungstendenz im Übergang verringert ebenfalls den unangenehmen Schließimpuls der Stimmlippen, weil dadurch der subglottale Luftdruck minimiert wird. Wenn also viel Irritation entsteht, ist vermutlich der Luftdruck zu hoch. Durch Reduktion des Drucks und den Wechsel zu einer leiseren dynamischen Stufe oder zu einem dehnungsdominanteren Vokal kann sie reduziert und annähernd behoben werden. Auch körperliche Balance unterstützt eine Feinabstimmung im Übergang.

Bei Männerstimmen, die Massedominanz gewöhnt sind, ist die Strategie verbreitet, den Übergang durch die Erhöhung des Luftdrucks zu vermeiden und solange im massedominanten Register zu singen, bis die Schwingung abbricht. Das ist auch die ursprüngliche Bedeutung des Begriffs „Bruch“. Sie müssen lernen, zu erlauben, dass die Stimmlippen, ähnlich wie bei einem Decrescendo, Masse abgeben, um für die Klangerzeugung sukzessive ins dehnungsdominante Register wechseln zu können. Besonders bei Tenören ist das eine ständige Gratwanderung, ein „Ritt auf der Rasierklinge“. In der Übergangslage bleibt ihre Klangfarbe auch bei Crescendo hell auf Grund der besonderen Technik dieser Stimmgruppe, die ein wenig dem Belting ähnelt. Die Empfindung in der Lage um etwa e` ist aber die von Dehnungsdominanz. Der Sänger gibt nach oben Masse ab und wechselt abwärts nicht zu Überdruck und Massedominanz, auch wenn das klangliche Ergebnis das oft vermuten lässt.

Zur Gewöhnung an das evolutionär immer etwas unangenehme Gefühl bei dieser unvermeidbaren Irritation kann man lernen, den Fokus auf angenehme Wahrnehmungen zu lenken, so dass der Organismus mit der Zeit die Störung als ungefährlich abspeichert. Durch Veränderung verschiedener Parameter ist es auch möglich, den Übergang zu „umgehen“, aber nur durch Manipulation des Vokaltrakts und Verminderung der optimalen Voraussetzungen für die Stimmlippenfunktion. 

 

VENTRIKEL / VESTIBÜL

Mit Ventrikel, übersetzt „Bäuchlein“ oder Vestibül, „Vorhalle“, wird der Raum direkt über der Stimmfalte bezeichnet. Er reicht vom Vocalis bis zum Kehldeckel und ist mit Taschenfalten und Ringknorpel verbunden. Der Vestibülresonator verstärkt die tiefen Frequenzen. Ist er geöffnet und der Kehlkopf gesenkt, wird der Grundton gut verstärkt. Ist er geschlossen, ist die Grundtonverstärkung gering. 

In der Form ähneln Vokaltrakt und Vestibül einer Oboe d`amore. Ihre Klangfarbe ist dunkler als der Klang der Oboe, denn der geweitete Raum am Ende des Rohres verstärkt vor allem die tiefen Frequenzen des Klanges.

Bei von unten angeschliffenen Konsonantenanlauten mit Schwa, so, wie es in der russischen Sprache üblich ist, bläht sich das Vestibül leicht auf. Das verstärkt die Resonanz dieses Hohlraumes und damit die tiefen Frequenzen des individuellen Timbres. Hier liegt ein Grund für den typischen „russischen“ Stimmklang: Die dunklen Klanganteile werden durch diese spezielle Konsonantenbildung begünstigt.

 

VIBRATO 

Jeder Muskel besitzt Tremorfähigkeit. Dieser physiologische Tremor wird durch neurologische Impulse an die Muskeln ausgelöst. Die Frequenz des  Grundtremors hängt dabei von der Größe des Muskels ab. Bei den Bauchmuskeln liegt sie bei 4 Hz, bei den Fingern bei 5-7 Hz. Dieses „neuronale Entlastungszittern“ dient dem Erhalt der Spannkraft und Belastbarkeit der Muskeln. Um eine Dauerbelastung zu ermöglichen, stellt es sich in antagonistisch arbeitender Muskulatur von selbst ein.

Die Tremorfrequenz beim Vocalismuskel und seinem Antagonisten, dem äußeren Kehlkopfmuskel, liegt bei 5-7-Hz. Das ist auch die Frequenz von gesundem Vibrato. Die entstehende Tonhöhenveränderung dabei beträgt etwa einen Viertel- bis Halbton.  Das wird beim Singen als zusätzliche Schwingungsform hörbar.

Vibrato wird erzeugt durch abwechselndes Kontrahieren und Nachgeben der Vocalismuskulatur. Es findet auf Stimmlippenebene statt, an den Rändern der Stimmlippen.  Die neurologischen Impulse für die Vibratoschwingung werden auch beim Absatz und dem neuen Toneinsatz nicht gestört. Durch das neuronale Zittern entsteht außerdem eine Wellenschwingung an der Oberfläche des Ligaments.

Ist die Vibratoempfindung zwischen Stimmlippen und Zungenbein dominant vor dem Gefühl von Masse spürbar, organisiert sie zusammen mit der Wahrnehmung der stehenden Welle im Vokaltrakt die ganze Funktion, also Tonhöhenwechsel, dynamische Abstufungen, Koloraturen, Triller, Staccato und viele weitere komplexe Bewegungsabläufe. Der weiche Gaumen reagiert darauf mit Tonisierung. Sogar die Abstufung des Luftflusses durch die Stimmlippen, also die Veränderung von Dynamik, Tonhöhe und Vokal, vollzieht sich im Rhythmus des Vibratos. Auch der Stimmeinsatz und -absatz liegen zeitlich am Beginn bzw. am Ende einer Vibratoschwingung. Jede Parameteränderung folgt dann der Wahrnehmung der ungestörten Vibratoempfindung. Umgekehrt ermöglicht Vibrato eine noch feinere Koordination der beteiligten Muskeln. Da der physiologische Grundtremor der Muskulatur von Natur aus zur Verfügung steht, entwickelt sich echtes Vibrato bei guten Bedingungen von selbst. Willentlich kann es nicht hergestellt werden.

Vibratounterdrückung ist ein Eingreifen in die natürlichen Körpervorgänge und kann Intonationsprobleme nach sich ziehen: Ein Zuviel bzw. Zuwenig an Muskelmasse im Verhältnis zur Dehnung des Ligaments oder ein Zuviel an Luftdruck unter den Stimmlippen erzeugt zu tief bzw. zu hoch erscheinende Klangergebnisse. 

Unregelmäßiges Vibrato kann an unregelmäßiger Tonisierung des Vokaltrakts liegen: Dann schwingt eine Stimmlippe langsamer als die andere. Zu schnelles Vibrato mit zu kleiner Amplitude nennt man „Tremolo“. Es entsteht durch zu hohen subglottalen Luftdruck, ungünstige Spannungsverhältnisse und zu wenig Raum im Vokaltrakt. Der erhöhte Stimmbandschluss wird durch die kontrahierende Schluckmuskulatur noch unterstützt. Deshalb findet es nicht nur in den Stimmlippen statt, sondern auch im Vokaltrakt. Häufig sieht man sogar ein Mitvibrieren der Zunge im Mundraum durch Haltungen im Atem- und Artikulationsapparat. Durch Bereitstellung von mehr Raum und Rundung der Constrictoren kann es verlangsamt werden. Zu langsames, zu großes Vibrato heißt „Wobble“. Auch das entsteht durch zu viel Masse oder Druck. Die Vorstellung von Nonvibrato  kann eine Schwingungsreduktion bewirken. Durch schnelle Bewegungen des Zungenrückens kann man ein Pseudovibrato herstellen: Der zu- und abnehmende Zungendruck erzeugt Luftdruckveränderungen. Darauf reagieren die Stimmlippen mit An- und Abkopplung von Masse. 

Bei dominanter Überdruckfunktion stellt sich kein Vibrato ein. Wird der Luftdruck während des Singens zu stark erhöht, hört das Vibrato auf, weil das die Balance im System stört. Echtes Nonvibrato wird bei fast komplett gesenktem Kehlkopf durch leichte Kontraktion zweier Muskeln gebildet. Sie verlaufen innerhalb des Kehlkopfs vom Schildknorpel zum Kehldeckel. Diese Funktion stellt sich für Glissando, das Gleiten der Tonhöhe nach unten oder oben, von selbst ein. Wird also ein Glissando geplant, die Tonhöhe aber dann doch nicht verlassen, sondern beibehalten, ist das Ergebnis ein funktional gesunder Nonvibratoklang.

Vibrato ist innerer Rhythmus. Auch das Rhythmusempfinden ist daher untrennbar mit einem gesunden Vibrato verbunden. Der Vocalismuskel reagiert auf diese Weise auf rhythmische Veränderungen in der Musik und gleicht seine Frequenz leicht an. So können Tempoveränderungen bis zu einem gewissen Grad mitvollzogen werden trotz der vorgegebenen Grundfrequenz von 5-7 Hz.

Aus funktionaler Sicht ist die menschliche Stimme nicht für vibratoloses Singen geschaffen. Vibrato ist offenbar so erwünscht, dass auch das Spiel von Instrumenten seit jeher damit bereichert worden ist, sogar mit möglichst ähnlicher Frequenz und Amplitude. Allerdings ergibt sich daraus für die Interpretation von mehrstimmiger Musik eine natürliche Diskrepanz: Die vibratoimmanenten Tonhöhenschwankungen können die Durchhörbarkeit der Klänge stören. In Traktaten wie dem „Versuch einer Anweisung die Flöte traversiere zu spielen“ von Johann Joachim Quantz von 1789 wird daher zwischen solistischem und Tuttispiel unterschieden: „Ein jeder Concertist muß, wenn er eine Ripienstimme spielet, seiner Geschicklichkeit… auf gewisse Art entsagen, und sich aus der Freyheit… in eine Art Sklaverei versetzen.“

Dass Vibrato immer wieder als unnatürlich wahrgenommen wird, liegt vermutlich daran, dass ungesunde Vibrati mit zu viel Druck und zu großer oder zu kleiner Frequenz bzw. Amplitude leider weit verbreitet sind. Das unangenehme Gefühl beim Hören sowie die Einschätzung, so ein Vibrato sei unnatürlich, kann also durchaus einem natürlichen Gespür für gesundes Vibrato entspringen.

 

VOCAL FRY

Der Begriff Vocal Fry, auch Strohbass oder Schnarrregister genannt, meint die Stimmlippenschwingung am „phonischen Nullpunkt“. Der äußere Kehlkopfmuskel ist beinahe vollständig entspannt, darum bietet er den Stimmlippen keinen Widerstand. Der Vocalis schwingt also mit maximaler Kontraktion und gleichzeitig minimalem Tonus. Bei dieser Schwingungsform sind alle drei Regelfunktionen der Stimmlippen außer Kraft: Tonhöhenregelung, Lautstärkeregelung und mediale Kompression  sind  nicht möglich. Der Geräuschanteil ist gegenüber dem Tonhöhenanteil dominant. 

 

VOCE BIANCA

Damit ist die Sopran- oder Altstimme von Knaben vor dem Stimmbruch gemeint. Im Normalfall zeichnet sie sich durch Nonvibrato und wenige dunkle Klanganteile aus, weil die akustischen Verhältnisse aufgrund der noch nicht vollständigen Aufrichtung und des kürzeren Vokaltrakts bei Kindern anders sind als bei Erwachsenen.

 

VOKAL

Ontogenetisch ist der Vokal älter als der Konsonant. Das Lallen des jungen Säuglings findet ausschließlich auf Vokalen statt. In diesem Alter ist Saugen die dominante Funktion der Mund- und Rachenregion. Mit dem Spracherwerb wird ein neues, von schließender Muskulatur geprägtes Programm installiert, das auch Vorstufen von Konsonanten enthält. Der Zeitpunkt fällt mit dem Übergang von flüssiger zu fester Nahrung und damit mit dem Erlernen des Kau- und Schluckvorgangs zusammen.

Die sängerische Vokalisation muss also im Gehirn neu verlinkt und dann eintrainiert werden, denn evolutionär stammt sie aus der Zeit vor dem Kauen und Sprechen. Die Artikulation von gesprochener Sprache wird das ganz Leben hindurch weiter verwendet, parallel zur spezifischen Sängervokalisation. Auch beim Singen ist sie am Anfang dominant, weil gesungene Literatur ja meistens mit Text versehen ist. Wir greifen auch beim singenden Artikulieren eines Textes darauf zurück, solange wir keine Alternative entwickelt haben.

Es gilt also, die beiden Sprachbehandlungsprogramme auseinander halten zu lernen. Optimalerweise wäre das die Hauptaufgabe von Stimmbildung.

Wenn man als Kind die Möglichkeit hat, funktional gesund singende Erwachsene zu hören, entstehen Verbindungen im Gehirn, die den Übergang zur natürlichen Gesangsfunktion im Erwachsenenalter deutlich erleichtern.

Der Vokal, die „Mutter der Silbe“, definiert die Klangdauer nicht nur beim Singen, sondern auch beim Sprechen. 87 Grundvokale existieren allein in der deutschen Sprache. Andere Sprachen haben noch weitere Vokalfarben. Alle werden erkennbar durch ihre spezifischen Formantbereiche. Entscheidend dabei ist nur die Form des Resonators, nicht die Größe. Dieses Prinzip gilt nicht nur für menschliche Lautäußerungen. Auch Tierstimmen und sogar unbelebte Gegenstände können aus diesem Grund erkennbare Vokale hervorbringen. Sie sind ebenfalls definiert durch die jeweilige Form des Resonators. Das Muhen der Kuh und das Tuten der Schiffshupe auf dem Vokal „u“, das Röhren der Hirsche auf dem Vokal „ö“ oder das Piepen der Vögel auf dem Vokal „i“ sind nur wenige Beispiele dafür. Schon die dafür gewählten Bezeichnungen sind lautmalend. Sogar das „mieaou“ der Katze entsteht durch nahtlose Veränderung der Form ihres Mäulchens.

Beim funktionalen Singen entsteht der Vokal im Vokaltrakt, also dem vertikalen Rachenraum von den Stimmlippen bis hinauf zum weichen Gaumen, statt wie bei der Sprachgewohnheit im Mundraum. Echte sängerische Vokalisation ist nur möglich bei vollständiger Kehlkopfsenkung und optimaler Vokaltraktlänge. Nur dann bilden sich auch die Sängerformanten. Ist aber die Rachenrückwand nicht genügend aktiv für eine ausreichende Rundung und somit für die Leitung der Vokalbildung anstelle der Mundwinkel, rutscht die Artikulation in den Mundraum, in die Sprachebene.

Es gibt Rundungs- und Zungenhebungsvokale. Anders als bei der Sprachgewohnheit werden beide beim Singen statt mit Zungenaktivität mit einer der Saugbewegung ähnlichen Lippenöffnung, also mit Tonus im Lippenringmuskel und Rundung der Rachenrückwand gebildet. Lippen und Zunge reagieren nur. 

Vereinfacht kann man sagen, dass „a“, „o“ und „u“ Rundungsvokale sind, verknüpft mit einer Erweiterung der zehnten bis achten Rippen. Die Vokalfolge „u-o-a“ entspricht genau der Mundöffnung bei der sängerischen Einatmung. Caruso sagt dazu: „Alle Vokale haben in der (sängerischen) Artikulation die gleiche ovale Form.“  Und die Belcantolehre meint: „In jedem (gesungenen) Vokal ist ein „a“ enthalten.“ Tatsächlich wird das funktionale sängerische „a“ mit viel größerem horizontalen Durchmesser und viel runder gebildet als in der Sprachgewohnheit.

„E“ und „i“ sind Zungenhebungsvokale, verknüpft mit der Erweiterung der siebten bis fünften Rippen. Beim Schlürfen, einer Aktion im Einatmungsmodus, entsteht aus diesen Gründen ein ungefähr der Vokalfolge „u-o-a-e-i“ entsprechendes Geräusch, genau entgegengesetzt zu den Lauten, die Katzen erzeugen. Der Laut „ui!“ ist das emotionale Pendant dazu: Auch beim Erstaunen atmet man ein!

In der Sprachgewohnheit ist das „i“ der am meisten schließende Vokal. Der Ausruf des Ekels, “iiih!“ ist vermutlich in diesem Zusammenhang entstanden. Beim vom Saugreflex getriggerten Singen dagegen hat es den größten Vokaltraktdurchmesser. Das ist auch der Grund, warum viele Ärzte ihre Patienten auffordern, mit geöffnetem Unterkiefer ein „i“ zu artikulieren: Dadurch wird der Vokaltrakt weit, und sie haben freien Blick auf Kehlkopf und Luftröhre.

Alle Zungenbewegungen sind bei sängerischen Vokalwechseln entkoppelt von der  Kontraktion der Lippenrundung. Auch das entspricht den Vorgängen beim Saugen. Sie erfolgen auf der Basis des ersten Vokalformanten über den Stimmlippen im Vestibül. Auch bei den „hellen“ Vokalen „e“ und „i“ hat der erste Formant Priorität, der zweite ordnet sich darüber. Verschwindet er, ist das ein Zeichen dafür, dass sich das System geschlossen hat. Sängerische Vokale haben ähnliche Formantbereiche wie die Sprachvokale, werden aber durch völlig andere Artikulationsbewegungen, teilweise sogar von anderen Muskeln gebildet. Der Raum ist dabei viel länger und der Durchmesser größer.

Grundsätzlich werden alle sängerischen Vokale da definiert, wo sie am offensten und am meisten gerundet, aber schon klar in der Vokalfarbe erkennbar sind. 

Nach Phonation und Nachatmung haben alle Gesangsvokale eine optimalere Form als davor. Denn sie wurde ja von den schwingenden Stimmlippen angefordert, die die ganze Funktion regulieren.

Vokalwechsel erfolgen beim Singen über Vokalglissandi wie „u-ü-i“ oder durch „Sprünge über Vibratotäler“. In der Artikulationsbewegung zum nächsten Vokal hin sollten auch die dazwischenliegenden Konsonanten möglichst störungsfrei innerhalb dieser Form gebildet werden.

Auch während des Singens auf der „bequemen“ Tonebene des Sprechens wird mit Gesangsvokalen artikuliert. Das ist vor allem wichtig für Männerstimmen, weil sie öfter im akustischen Bereich ihrer Sprechlage singen als Frauenstimmen.

 

VOKALAUSGLEICH

Damit ist eine interne Änderung und Angleichung der Formantbereiche gemeint, soweit das innerhalb der optimalen Vokaltraktgestaltung möglich und nötig ist. Ab der zweigestrichenen Oktave fehlen für die Vokalfarben „u“, „o“ und „a“ nach und nach die Formantbereiche für den ersten, später auch für den zweiten Vokalformanten. Nur für „ä“, „e“ und „i“ bleiben sie bis zur dreigestrichenen Oktave erhalten. Das Vokaltraktsystem muss darum seine Form verändern, damit diese Vokale noch gebildet werden können. Dafür ist eine teilweise Umfärbung der Vokale in die nächst dunklere Vokalfarbe nötig. Versucht man, sie zu vermeiden, verkürzt sich der Vokaltrakt und der Kehlkopf steigt hoch.

 

VOKALFARBE

Sie wird durch die unterschiedlichen Lautstärken der Teiltöne bestimmt, die im Vokalklang enthalten sind. Geändert wird sie durch Kiefer, Zunge und Lippen: Lippen und Zunge verstärken oder dämpfen durch ihre Formung manche Teiltöne. Dadurch werden bestimmte Vokalfarben definiert. Für die Vokalfarbenänderung wird nur eine Frequenz geändert, der ganze Rest bleibt als Klangfarbe konstant.

 

VOKALTRAKT

Der Vokaltrakt, der Resonator für die menschliche Stimme, reicht von der Stimmfalte bis zum weichen Gaumen. Die Stimmlippen bilden dabei mit dem unteren Vokaltrakt eine Einheit. Sowohl die Differenzierungsfähigkeit des menschlichen Vokaltrakts als auch seine Effizienz in der Klangverstärkung sind unerreicht. Bei den Instrumenten existiert nichts Vergleichbares. Der Vokaltrakt ist nämlich auch ein Reflektor: Er reflektiert die Schallwellen auf die schwingenden Stimmlippen zurück und erhöht damit ihre Bewegungsbereitschaft. Das führt nach dem Prinzip der Rückkopplung zu einer sukzessiven Verstärkung der Klangintensität.

Die Länge des Vokaltrakts ist nur über seine Akustik, also durch die Wahrnehmung der unteren und oberen Schwingung erkennbar. Denn in dieser Form existiert er nur während der Phonation. Er erhält sie durch die Kehlkopfsenkung infolge von Kieferöffnung und Trachealzug. Dadurch wird auch eine antagonistische Hebung des weichen Gaumens ausgelöst. Alle verkürzenden Kontraktionen, ob bewusst oder unbewusst, müssen dafür größtmögliche Dehnung erlauben.

Die Form des Vokaltrakts sollte während der Phonation möglichst stabil bleiben. Nur dann kann eine störungsfreie Differenzierung der Bewegungen stattfinden. Durch die Eigenfrequenz der Luftröhre hervorgerufene Vibrationswahrnehmungen etwa stören bei suboptimaler Vokaltraktform die Klangerzeugung. Eine stabilisierende Wirkung hat da die erzeugte Grundschwingung. Die Öffnung des Raumes über dem Vocalismuskel verstärkt die tiefe Frequenz. Durch die Erweiterung des  Vestibüls werden außerdem die  Schwingungen der Stimmlippen regelmäßiger, denn die Vokaltraktweite hat Einfluss auf ihr Schwingungsverhalten.

Der Vokaltrakt erhält seine für die Klangverstärkung günstige Form schon durch die sängerische Einatmung und nicht erst während der Phonation. Dabei bildet die Zunge seine vordere Wand. Umgekehrt wird die Raumöffnung, die bei der Artikulation der gesungenen Vokale entsteht, für die folgende Einatmung genutzt.

Die konkrete Verstärkung des Klanges im Vokaltrakt erfolgt aber nur während der Phonation. Seine stabile Form verstärkt und intensiviert dann die Luftschwingung hauptsächlich vertikal, aber auch horizontal.

Die Rachenwand ist ein Teil des Reflexionssystems. Darum ist die Tonisierung der Constrictoren für die Resonanz unerlässlich. Außerdem gibt es Rezeptoren in der Rachenschleimhaut, die fähig sind, Schwingungen wahrzunehmen. Durch sie ist es möglich, vokaltraktbezogene Veränderungen in der Raumempfindung zu erkennen.

Der mittlere Constrictor ist der Schlüssel zur Lautstärke: Wenn der obere und der untere Constrictor runden und der mittlere nachgibt, kann sich aus den drei  Schlundmuskeln ein einheitliches Rohr formen, das den Klang optimal verstärkt. Je länger es wird, desto dunkler und obertonreicher wird der Stimmklang. Auch die Tonhöhenregelung läuft mit gedehntem Vokaltrakt effektiver und ungestörter ab.

Die individuellen körperlichen Voraussetzungen für eine optimale Klangverstärkung haben also einen bedeutenden Einfluss auf das jeweilige persönliche Timbre. 

Jede willentliche Manipulation am Vokaltrakt und jede bewusste Leitung der Schwingungsverstärkung bewirkt eine Deformation des „Instruments“ mit der Zunge und eine Abflachung der Rundung in der Rachenmuskulatur. Dadurch entstehen Kompensationsspannungen, sowohl an anderen Stellen des Vokaltrakts als auch in anderen Körperbereichen. Denn sie sind über funktionale Muskelschlingen mit dem Vokaltrakt verbunden.

 

WAHRNEHMUNG

Die höchste, schnellste, feinste und präziseste Form von „Kontrolle“, und der erste Schritt zu jeder bewussten Aktivierung ist Wahrnehmung. Sie kann auf vielen unterschiedlichen Ebenen zugleich stattfinden: Als sinnliche Körperwahrnehmung,  als Fühlen von Emotionen, auf mentaler Ebene in Form von Bewertung bis hin zum bewussten Erkennen, dass man etwas wahrnimmt, und was das ist.

Wertfreie Wahrnehmung generiert Bewusstsein ohne Urteilen und willentliches Eingreifen in das Geschehen. Je tiefer man dabei in einen Mikrokosmos eintaucht, desto größer erscheinen darin die Dimensionen des Wahrgenommenen.

Zugleich gilt es zu erkennen, ob man wirklich wahrnimmt, oder im theoretischen Wissen zu weit springt und Wahrnehmung denkt oder sich vorstellt. Es geht um ein Bewusstwerden dessen, was geschieht, und darum, es geschehen zu lassen, ohne es zu beeinflussen. Das ist der Unterschied zwischen Wahrnehmen und Beobachten. Die Quantenphysik hat gezeigt, dass der Beobachter in das Beobachtete eingreift. Die verschiedenen mentalen Konzepte beschreiben diesen Geisteszustand als Erkenntnis, Intuition, Phantasie, Assoziation, vegetative Steuerung, Alpha-Zustand, Kontemplation oder Zen. Die Reihenfolge ist immer gleich: Am Anfang steht fließende Wahrnehmung, der „flow“. Erst danach folgt die Reflexion.

Der Ansatz der Feldenkrais-Lehre, einem Grundpfeiler der funktionalen Lehre, besagt: Wahrnehmung wird gelernt durch Bewegung. Was mit Aufmerksamkeit bedacht wird, vergrößert das entsprechende Areal im Gehirn. Um die Wahrnehmung zu verstärken und zu verfeinern, ist es daher hilfreich, sie sich bewusst zu machen.

Weil sie sich aber ähnlich wie theoretisches Wissen anfühlt, muss man lernen, beides zu unterscheiden. Erst dann kann das Wahrnehmungsrepertoire erweitert werden.

Das bedeutet aber auch: Wer seine Wahrnehmung vor allem auf Körperbereiche richtet, die nur sekundär an der Phonation beteiligt sind, stört die natürliche Balance der Gesangsfunktion, statt sie zu optimieren. Beispiele dafür sind das Gehör, das nicht aktiv in die Klangerzeugung eingreifen kann, sondern die erzeugten Klänge nur retrospektiv erkennt oder die Zunge, die durch erhöhte Aufmerksamkeit zu stärkerer Kontraktion angeregt werden kann. Auch bei der Schwingungswahrnehmung, die nicht die Ursache sondern die Folge der Phonation ist, kann eine Fokussierung auf die Position der Empfindung den Kehlkopf in die entsprechende Richtung auslenken.

Bewusste Wahrnehmung ist von größter Bedeutung für die funktionale Phonation. Ein Gefühl des Erkennens, ein „Aha-Effekt“, stellt sich dabei aber nur beim ersten Mal ein. Die Wiederholung einer neuen Wahrnehmung ist schon nicht mehr so neu, darum reagiert das Gehirn nicht mehr mit der gleichen freudigen Überraschung. Der Wunsch, diesen „Aha-Effekt“ immer wieder erleben zu wollen, führt darum zur Übertreibung seiner Auslöser und damit zu einem Eingriff in das selbstregulierende Geschehen. Dadurch kann eine Dysbalance in der Funktion entstehen. Läuft die Phonation nämlich irgendwann weitgehend störungsfrei und selbstregulierend ab, wird sie von erhöhter Feinwahrnehmung ohne konkrete lokale Empfindungen geleitet. Dann dreht sich die Hierarchie um von der „Programmierung“ zur Anwendung: Die Zielsetzung ist dann nicht die Wahrnehmung selbst, sondern die Aktion, die durch sie ermöglicht wird. Das ist das Ziel der funktionalen Ausbildung, aber auch für manche begnadeten Naturbegabungen ist es die Basis ihrer Kunst.

Das ist möglicherweise eine Ursache dafür, dass gerade Ausnahmetalente nicht immer den besten Unterricht geben. Bei ihnen bestand nie die Notwendigkeit, sich all diese komplexen Empfindungen überhaupt ins Bewusstsein zu rufen, aufgrund ihrer natürlichen Begabung für körpergerechtes Singen. Sie geben daher vor allem die Details weiter, die für die Optimierung ihres eigenen Könnens noch nötig waren. Oft sind sie sehr speziell und darum wenig geeignet, besonders Schülerinnen und Schülern, die noch am Anfang stehen, verlässlich grundsätzliche, allgemein gültige Informationen über die Vorgänge beim Singen zu vermitteln. Die Lernenden müssen dann mehr oder weniger eigenständig den Instinkt für das Singen entwickeln.

Je feiner die Wahrnehmung wird, desto präziser wird auch die Ausführung. Das, worauf man seine Feinwahrnehmung richtet, übernimmt die leitende Funktion. Das ist die Quelle der Entwicklung, aber auch die Quelle aller Fehler. Da Richtungen zu weisen, ist die Aufgabe der lehrenden Person.

Das ist eine sehr diffizile Aufgabe, denn externe Wahrnehmung ist fast immer auch Beurteilung. Was dafür nötig ist, wurde von Eugen Rabine als „funktionale Empathie“ bezeichnet: Die Lehrkraft muss selbst lernen, urteilsfrei wahrzunehmen und der körperlichen Intelligenz zu vertrauen, ihrer eigenen und der Intuition der Person, die vor ihr steht. Bei der Phonation geht es dabei sogar fast immer um Differenzierung von Mehrfachwahrnehmungen und das Wissen um deren funktionale Hierarchien. Stimmen Vorstellung und Wahrnehmung nicht überein, ob bei der Lehrkraft oder bei den Lernenden, ist es immer das Gegebene, der Wahrnehmung zu folgen. 

Wahrnehmung hat dazu eine heilende Komponente, die sich sehr viele Heilverfahren zu Nutze machen: Eigenwahrnehmung und Schmerz schließen einander aus!

 

WIRBELSÄULE

Sie ist unser „Segelmast“, der für die Aufrichtung nötig ist. Ihre doppelte S-Form bildet sich erst mit sieben Jahren aus. Daher ist funktionales Singen erst ab diesem Alter möglich. Die Halswirbelsäule mit ihren sieben Halswirbeln ist maßgeblich mit an der Form des Resonators beteiligt, denn sie liegt genau dahinter. Sie reagiert direkt auf die Bewegungen der Rachenrückwand. Die Streckung der Wirbelsäule begünstigt und unterstützt darum die Kehlkopfsenkung. 

Alle Bewegungen der Wirbelsäule sind miteinander verbunden und bedingen einander. Für das Singen bedeutet das: Wenn am oberen Ende der Wirbelsäule etwas nicht funktioniert, liegt die eigentliche Ursache oft am unteren Ende, weil die sängerische Aufrichtung von unten nach oben stattfindet.

 

WISSEN

Wissenschaft ist subjektiv. Nur etwas, was man denken kann, kann man auch untersuchen. Wenn das Interesse für etwas nicht da ist, weil nicht bekannt ist, dass es überhaupt existiert, wird auch nicht in diese Richtung geforscht.

Umgekehrt ist gerade in Bezug auf körperliche Tätigkeiten wie Singen ein  rein theoretisches Faktenwissen sinnlos, ja sogar kontraproduktiv. Die ausschließlich intellektuelle Beschäftigung mit diesen Abläufen verhindert sogar, sie real im Augenblick wahrzunehmen. Nachdenken, Reflektieren über abstrakte Sachverhalte ist nicht gleichzeitig möglich mit bewusster körperlicher Empfindung. Wer sich selbst beim Kopfrechnen beobachtet, merkt, dass dabei sogar die Atmung ins Stocken gerät. Denn Konzentration steht in diametralem Gegensatz zur Kontemplation.

Eugen Rabine hat zu dem Thema einiges zu sagen: „Wissen ohne Wahrnehmung bleibt intellektuelle Theorie und führt zu Selbstüberschätzung.“, „Wahrnehmung ohne Wissen führt zu Missverständnissen.“, oder „Wahrnehmung mit Wissen und Wissen mit Wahrnehmung zusammen führen zu Realität und Weisheit.“ (Renate Rabine, „Die theoretischen Werke von Eugen Rabine – vol. 1“, S. 6) Und zu guter Letzt:“ Ohne Wissen gibt es keine wahre Intuition; ohne Intuition gibt es keinen Aufbau von Wissen.“ (Renata Parussel, „ Lieber Lehrer, lieber Schüler“, S. 9)

 

WÜNSCHEN

Das ist der Schlüssel für die vegetative Steuerung, durch die der Gesangsreflex organisiert wird. Denn Wünschen bedeutet einen Auftrag ohne Kontrolle, wie er ausgeführt wird. Die Frage ist: Was wünsche ich mir zu erleben? Je präziser die Wunschvorstellung ist, desto präziser wird die Wunscherfüllung. Deshalb lautet die zweite Frage: Wo wünsche ich was wie zu erleben?

 

ZUNGE

Die Zunge ist neben ihren anderen evolutionären Aufgaben wie dem Schutz der Luftwege und der Nahrungsaufnahme vom ersten Lebenstag an ein Tastorgan. Von jeder Wahrnehmung kann sie aktiviert werden. Es ist erstaunlich zu beobachten, wie vielfältige unwillkürliche Bewegungen sie beim Essen und Trinken macht. Sie neigt dazu, sich dahin zu orientieren, wo Bewegung stattfindet, und passt sich stets der Raumgestaltung an. Dazu gehört auch das Spüren von Vibrationen, die von der stehenden Klangwelle während der Phonation erzeugt werden.

Die leitende Wahrnehmung für die Veränderung von Zungenpositionen beim Singen muss deshalb der entstehende Vokalklang sein. Ohne diese Rückmeldung über das Hören ist keine differenzierte Positionsänderung der Zunge möglich, dann ist sie orientierungslos. Ein Versuch, ohne dieses akustische Signal willentlich bestimmte Zungenstellungen anzusteuern, kann daher nicht gelingen.

Die Zunge ist am Kinn angewachsen und reicht bis zum flexibel beweglichen Zungenbein. Etwa zwei Fingerbreit darunter sind die Stimmlippen. Dieser Abstand bleibt immer etwa gleich bei allen sich ändernden Parametern.

Die Lendenwirbelsäule und die Zunge hängen unmittelbar zusammen: Erst wenn die Lendenwirbelsäule tonisiert ist, kann die Zunge differenziert arbeiten. Umgekehrt stabilisiert die Zunge die Aufrichtung mit, denn sie ist der Gegenspieler zur Nackenmuskulatur.

Die Zunge ist sehr flexibel beweglich. Eine differenzierte Ansteuerung des mittleren, hinteren und unteren Zungenbereichs ist daher möglich. Außerdem ist sie immer in Bewegung. Die Differenzierung der Wahrnehmung ihrer meistens unterbewussten Bewegungen ist ein Hauptziel des funktionalen Stimmtrainings.

In der Einatmung muss man der Zunge erlauben, sich zu bewegen, damit das Zungenbein reagieren kann. Nur dann wird eine vollständige Kehlkopfsenkung durch den Trachealzug möglich, der ganz am Ende der Einatmung die Zunge leicht mit abwärts zieht.

Für die sängerische Kieferöffnung zieht der untere vordere Muskelanteil die Zunge in Richtung Kinn, mit der flexiblen, nach unten gerichteten Spitze an der Innenseite der Zahnwurzel. Dabei wird sie schmal durch die ovale Formung der Mundöffnung und die Rundung der Constrictoren.

 „Die Zunge soll vorne liegen“ ist die dazu passende, leider missverständliche Aufforderung aus der Belcantoschule. Gemeint ist vermutlich, dass die Zunge bei der Klangerzeugung als vordere Vokaltraktmembran fungiert. Damit sie diese Funktion optimal erfüllen kann, muss der Zungengrund aktiv nach oben gedehnt werden können. Sie darf nicht „schlappmachen“.

Damit die Zunge nicht in den Rachen fällt, muss auch die Mundbodenmuskulatur tonisiert sein. Für Artikulation und Tonhöhenregelung bewegt sie sich vorne nach unten. Dafür ist eine noch größere Dehnung des Zungengrundes und Zungenrückens nötig, sonst wird durch den entstehenden Zug der Kehlkopf ausgelenkt. 

Die Rachenrückwand leitet die Zungenbewegung: Sie rundet, und dadurch hebt sich im Mundraum das hintere Drittel des Zungenrückens. Der Zungengrund darunter bewegt sich waagrecht nach vorne. Je weiter vorne und tonisierter die Zunge ist, desto leichter funktioniert die Rundung der Constrictoren.

Die alte italienische Schule spricht von „ng-Position“: Die Zunge beschreibt einen Bogen, die mittleren Zungenränder berühren die oberen Backenzähne, und die Zungenspitze ruht an den unteren Schneidezähnen. Diese Position ist bis etwa zur Öffnungsweite des Vokals „ä“ möglich. Dazu muss die Zunge allerdings zu sehr differenzierter Bewegung fähig sein: Eine zu hohe Zunge verschließt die Rachenöffnung wieder. Wenn die Zunge dagegen zu breit wird, geht bei der Tonerzeugung das Gefühl für die tiefe Schwingung verloren. 

Die Intensität der Zungenbewegung und -dehnung ist abhängig von der Größe der Kieferöffnung. Durch ungünstige Zungenstellungen bei zu geringer Öffnungsweite passiert es häufig, dass die tiefen Klanganteile nur unvollständig nach außen dringen, weil sie abgedämpft werden. Das verzerrt die Intonation für die Zuhörenden. Die singende Person hört aber über das Innenohr das ganze Klangspektrum, also die tatsächliche Intonation. Damit sind Missverständnisse vorprogrammiert.

Bei der Artikulation ist die Zungenspitze, der kleinste bewegte Muskel, dominant wirksam. Die Mittelzunge hat den größten Anteil an der Artikulationsbewegung. Der Zungengrund ist zuständig für die Änderung des Vokaltraktdurchmessers bei der Vokalbildung. Er unterstützt damit auch die Tonhöhenveränderung.

Oft ist die Assoziation der Zungenposition mit der „Position des Tones“ unbewusst verknüpft: Liegt die Zunge hinten oder vorne, entsteht die Illusion, der Ton befinde sich „hinten“ oder „vorne“. Auch die Zungenform wird mit der „Form des Tones“ assoziiert: So existiert die Vorstellung eines „schlanken“ oder „dicken“ Tones.

Der Wunsch, schon den höchsten Ton der Phrase in die mentale Planung des Einsatzes einzubeziehen, ist demnach ein unbewusster „Auftrag“ an die Zungenbewegung. Infolgedessen wird der Raum vorab für die Verstärkung dieses Tones gestaltet anstatt für die des ersten Tones. Dass diese Vorgehensweise kontraproduktiv ist, versteht sich von selbst. Um der Gesangsfunktion entsprechend agieren zu können, braucht die Zunge immer den Bezug zur im Augenblick entstehenden Schwingungsempfindung.

Für die Zungenflexibilität ist allgemein eine hohe Koordinationsfähigkeit, und im Besonderen die Flexibilität des Brustkorbs, eine absolut nötige Voraussetzung. Denn alle primären Funktionen dieses Organs sind mit der Atmung gekoppelt: Kauen und Schlucken sind mit dem Ausatmungsprogramm verknüpft, Würgen, Trinken und Saugen sind einatmungsgesteuert. Wenn zum Beispiel die Unterlippe im Saugreflex den Tonus erhöht, tut die Zunge das auch. Würde sie nach hinten fallen, würde das die Saugbewegung unmöglich machen.

Die Flexibilisierung der Muskelfasern der Zunge für die Bildung einer optimalen Vokaltraktform wird von den Stimmlippen geleitet, weil sie der raumerweiternden Schildknorpelkippung folgen und nach unten vorne flexibel nachgeben muss. Sonst kann der Schildknorpel die Dehnungsposition nicht einnehmen.

Eine Haltung in der mittleren Zunge bewirkt die Fixierung des weichen Gaumens. Dadurch wird  der Vokaltrakt kürzer und die Resonanzverhältnisse schlechter. Das zieht zu hohen Luftdruck nach sich. Je mehr Dehnung, Zug in der Zunge dagegen erlaubt wird, desto mehr Luftfluss und infolgedessen mehr Klang kann entstehen. Bei Haltungen in der Zunge und mangelnder Flexibilität überträgt sich außerdem die Vibratobewegung: Sie wackelt dann im Rhythmus des Vibratos. 

Die Tonhöhenregelung soll ohne Zungenbeteiligung stattfinden, aber bei der Tonhöhenveränderung nach unten tonisiert sie antagonistisch nach oben. Ein hoher Zungentonus erleichtert deshalb die Ankopplung von Masse.

Es ist wichtig, dass die Zunge auf beiden Seiten gleichmäßig agiert, sonst entstehen Störungen in der Funktion. Wird etwa der Kopf schief gehalten, gerät die Zunge in eine asymmetrische Position. Dann lenkt sie bei der Artikulation den Kehlkopf aus seiner  horizontalen Lage aus, und die Stimmlippen schwingen nicht synchron. Oder der Zungengrund wird unterschiedlich gedehnt, so dass auf einer Seite mehr Zungendruck entsteht. Daraus resultiert dann ein einseitiger „harter Knödel“.

Erst, wenn der Schutz der Luftwege durch die funktionale Klangerzeugung gewährleistet ist, kann sich die Zunge feinmotorisch neu organisieren. Denn evolutionär stehen die mittleren drei der fünf Sphinktere in den oberen Atemwegen im Zusammenhang mit Zungenbewegungen: Wenn der äußere Lippenring kollabiert, muss die Zunge ihre sängerisch günstige Position zugunsten ihrer Primärfunktion aufgeben und „einen Rückzieher machen“.

Je flexibler die Zunge im Verlauf der Ausbildung wird, je feiner ihre Bewegungen werden, desto weniger stört die Artikulation von Text die Stimmlippenschwingung.

 

ZWERCHFELL

Das Zwerchfell ist der primäre Einatmungsmuskel. Es ist, wie der Name schon sagt, ein quer (zwerch) im oberen Bauchbereich verlaufender Muskel und etwa einen Zentimeter dick. Es trennt den Verdauungstrakt vollständig vom Atemtrakt und ist nahtlos mit der Lunge verbunden. Durch Kontraktion nach unten kann es einen Unterdruck im Lungengewebe erzeugen, das durch den Rippenkorb in seiner Form festgelegt ist. So wird ein Sog aufgebaut,der Außenluft in die Lunge zieht.

Das Zwerchfell ist der einzige reine Atmungsmuskel, alle anderen an der Atmung beteiligten Muskeln sind primär für die Körperaufrichtung zuständig. Deshalb ist ein ständiger Ausgleich zwischen Aufrichtungs- und Atmungsaktivität nötig, nicht nur beim Singen: Eine gute Körperaufrichtung ist die Voraussetzung für eine effektive Atmung. Speziell die Zwerchfellschenkel, zwei Muskelfortsätze links und rechts an der Wirbelsäule in der Körpermitte, können nur dann ausreichend kontrahieren, wenn durch eine stabile Aufrichtung ein antagonistischer Zug hergestellt wird.

Wie jeder Muskel ist das Zwerchfell nur fähig, zu kontrahieren oder zu entspannen. Darum kann durch Zwerchfellaktivität nur eingeatmet werden, niemals aus. 

Mit zunehmendem Alter besteht auch bei der Zwerchfellmuskulatur die Gefahr einer unbewussten Dauerkontraktion. Die Schwerkraft wirkt auf das Zwerchfell ebenso wie auf die anderen inneren Organe. Da seine Kontraktion aber von oben nach unten verläuft und die Entspannung entgegengesetzt von unten nach oben, kann es passieren, dass durch den Einfluss der Schwerkraft mit der Zeit keine vollständige Entspannung mehr eintritt. Verstärkend kommt noch dazu, dass Gefühle wie Erschrecken oder Angst eine reflektorische Einatmung auslösen. Wird diese Gefühlslage chronisch, was infolge verschiedenster Lebensumstände sehr häufig der Fall ist, bleibt auch eine chronische Restkontraktion in der Einatmungsmuskulatur bestehen. Dann wird die Elastizität der Muskulatur nach und nach immer geringer und damit auch das Atemvolumen. In der Lunge bleibt dann Restluft, ein vollständiger Luftaustauschs wird unmöglich. Dadurch wird das Bedürfnis ausgelöst, immer noch mehr einzuatmen.

Durch bewusste Aktivierung der Ausatmungsmuskulatur, nämlich der schrägen Bauchmuskeln, kann eine Lösung dieser Dauerkontraktion herbeigeführt werden, damit eine vollständige Einatmung wieder möglich wird. In diesem Zusammenhang, zu diesem Zweck können stoßweise Ausatmungsübungen durchaus sinnvoll sein. Sie trainieren jedoch nicht das Zwerchfell, sondern die Bauchmuskeln. Bei isolierter Anwendung kann so ein Ungleichgewicht zwischen Ein- und Ausatmungsmuskeln entstehen. Weil gesundes Singen aber Einatmungsdominanz erfordert, ist es ratsam, zum Ausgleich die Einatmungsmuskulatur durch einatmungsbetonte Übungen noch stärker zu trainieren als die Ausatmungsmuskulatur.

Die Zwerchfellsenkung vollzieht sich in drei Etappen: Erst erfolgt eine kurze vertikale Senkung der oberen faszialen Platte. Danach hebt sich die Zwerchfellkuppe leicht nach oben. Gleichzeitig kontrahieren von der 10. Rippe aufwärts die äußeren Anteile von außen nach innen. Darauf folgt die Kontraktion der Kuppel nach unten.

Die Zwerchfellkuppel ist auch imstande, sich unabhängig von der Atemtätigkeit zu senken, um Druck in Richtung Unterleib auszuüben. Wenn eine Erweiterung der seitlichen Rippen mit Hilfe der schrägen Bauchmuskeln verhindert wird, schiebt diese Bewegung die Bauchdecke nach außen. Leider wird dieser Vorgang oft mit echter Bauchatmung, der Ruheatmung verwechselt: Bei ihr hebt sich der Bauch im Liegen ohne Bauchmuskelkontraktion, und die Ausatmung erfolgt allein durch Rückstellkräfte und die Schwerkraft, ohne zusätzliche Muskelarbeit. Der geringe Luftaustausch dabei ist ausreichend für die minimale Körperaktivität in Ruhe. Nur kleine Kinder, bei denen die Entfächerung der Rippen noch nicht möglich ist, atmen auch bei Aktivität in dieser Weise in den Bauch.

Die Zwerchfellsenkung agiert dominant vor der Rippenhebung und -erweiterung. Darum kann es passieren, dass die Zwerchfellschenkel bei einer großen Einatmung die Wirbelsäule ins Hohlkreuz ziehen. Für die Stabilität der Aufrichtung ist darum eine Gegenkontraktion der seitlichen Brustmuskulatur nötig.

Eine stärkere Tonisierung des Zwerchfells bewirkt das Gleiche beim Stimmmuskel. Die hinteren Zwerchfellanteile aktivieren die Massefunktion, die vorderen die Dehnungsfunktion: Je größer der Sog durch Vokaltrakterweiterung ist, desto weiter hinten reagiert das Zwerchfell, denn zwei Drittel des Lungengewebes befinden sich im Rücken. Die öffnende Artikulationsbewegung entspricht der Vokalfolge „u-o-a“.

Zwerchfellbewegungen haben ab dem sechsten Lebensmonat eine ansteckende Wirkung. Sie lösen dann die Emotion aus, die das Gegenüber zeigt. Ganz besonders gilt das auch für den Gesang, der ja ursprünglich eine spezielle Form von emotionaler Kommunikation ist. Emotionale Doppelbotschaften zu Interpretationszwecken können daher den authentischen Ausdruck überladen und irritierend wirken.

Die im funktionalen Gesang fortwirkende Einatmungstendenz, das „Inalare la voce“ bedeutet, die Zwerchfellaktivierung weiter zu verstärken, statt sie nach und nach erschlaffen zu lassen, wie das bei allen anderen ausatmungsgesteuerten Aktionen der Fall ist. Das aktiviert dann auch fortlaufend die Emotionsebene, die ja direkt mit dem Zwerchfell verknüpft ist. So wird aus einer Körperfunktion Gesang.

EPILOG

Zu wissen, welche sängerischen Konzepte funktional sinnvoll sowie anatomisch, akustisch und neuronal begründbar sind und welche Kompensationen oder Vermeidungsstrategien sind, ist ein wichtiger Wegweiser. Um die eigenen Gewohnheiten und die der Schülerinnen und Schüler von der funktionalen Warte aus einordnen und entsprechende Wege und Teilziele verantwortungsvoll wählen zu können, ist es notwendig, die zielführenden Konzepte von denen unterscheiden zu können, die in die Irre leiten.

Dieses theoretische Wissen ersetzt aber in keiner Weise die praktische intensive Beschäftigung mit dem eigenen Körper und den eigenen Gewohnheiten und Glaubenssätzen. Da sich niemand von außen beobachten kann, da ein lernender Mensch zwar ein Gespür für gangbare Wege und gesunden Umgang mit der eigenen psychosomatischen Konstitution hat, aber weder eigene Erfahrungswerte im Hinblick auf eine realistische Zielsetzung und potentielle Möglichkeiten, die er selbst bisher nicht erlebt hat, noch Kenntnis von unbewussten Prägungen, Haltungen, Gewohnheiten, Strategien und Traumata, ist es ihm nicht möglich, eine reale Vision von dem Weg zu entwickeln, der ihn dorthin führen kann. Dazu kommt, dass die täglich ausgeübte Sprachgewohnheit mit der sängerischen Artikulation nur sehr eingeschränkt kompatibel ist, und bestimmte artikulatorische Bewegungsabläufe ganz neu erlernt werden müssen. Dafür ist es unbedingt notwendig, sich einer erfahrenen Lehrperson anzuvertrauen. Wer das nötige Fachwissen und die erforderlichen Fähigkeiten des funktionalen Hörens, Sehens und Fühlens entwickelt und Wege des Unterrichtens gelernt hat, kann im Unterricht sicher und ohne Umwege auf das angestrebte Resultat hinleiten, funktional gesund und lustvoll singen zu können bis ins hohe Alter.

 

 

 

 

 

INDEX DER ERKLÄRTEN BEGRIFFE

Aperto ma cuperto

Appoggiare la voce

Artikulation

Atmung

Aufrichtung

Ausdruck

Bauchmuskulatur

Belting

Bewegung

Bewusstsein

Bocca ridente

Canto fiorito

Canto sul fiato

Chiaroscuro

Colpo di petto

Constrictoren

Cuperto / la cupula

Decken

Dehnung

Dehnungsfunktion

Doppelventilfunktion

Dynamik / Lautstärke

Einsatz

Einschwingvorgang

Einsingen

Emotion

Falsett

Filare la voce

Formant

Gaumen

Gesangsreflex

Gestaltung

Glissando

Glottisschlag

Gola aperta

Höhe

Inalare la voce

Intonation

Kehlkopf

Kehlkopfsenkung

Klang

Klangfarbe

Knödel

Koloratur

Konsonanten

Legato

Ligament

Lippen

Luftwege / Luftdruckregelung

Lunge

Mangiare la voce

Markieren

Masse

Mediakompression

Messa di voce

Mezza voce

Mimikmuskulatur

Mischung

Mundöffnung / Kieferöffnung

Mundraum

Muskulatur

Nase

Öffnung

Ohr

Passaggio

Pfeifregister

Portamento

Randschwingung / Randstimme

Raum

Register

Registerdivergenz

Resonanz

Resonator

Rhythmus

Rippen

Rundung

Saugreflex

Schnute

Schreien

Schwa

Schwingung / Schwingungswahrnehmung

Segment

Sitz / Vordersitz

Sotto voce

Staccato

Stimmfach

Stimmlippen

Stumme Masse

Tiefe

Tonhöhenregelung

Tonus

Trachelazug

Tragfähigkeit

Übergang

Ventrikel / Vestibül

Vibrato

Vocal fry

Voce bianca

Vokal

Vokalausgleich

Vokalfarbe

Vokaltrakt

Wahrnehmung

Wirbelsäule

Wissen

Wünschen

Zunge

Zwerchfell

EUGEN RABINE UND SEIN FUNKTIONALES KONZEPT

Der Opernsänger Eugen Rabine wurde am 10. 11. 1940 in North Dakota in den USA geboren. Nach seinem Studium in den Fächern Gesang, Musikerziehung, Dirigieren, Theologie und Pädagogik arbeitete er zunächst als freier Sänger und Gesangslehrer sowie als Chor-, Band- und Orchesterleiter. Ab 1967 war er an verschiedenen Bühnen in den USA und in Europa als Opernsänger engagiert. Ab 1976 beendete auf eigenen Wunsch die aktive Sängerlaufbahn, um sich seiner Tätigkeit als Gesangspädagoge und der Entwicklung der funktionalen Theorie vollständig widmen zu können. 1979 bekam er einen Lehrauftrag für Gesang an der Universität in Gießen. 1980 wurde er Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Arbeitswissenschaft an der TU Darmstadt und übernahm im selben Jahr die Co-Leitung eines interdisziplinären Teams zur Erforschung der Grundlagen der menschlichen Stimmfunktion unter der Leitung von Professor Dr. Walter Rohmert. Sein eigenes Institut für funktionales Stimmtraining und funktionale Stimmpädagogik gründete er 1987. Im Jahr 1988 wurde er zum Professor für Gesang an die Hochschule in Dresden berufen und im Jahr 1998 an die Hochschule in Weimar. Im Jahr 2018 ist Eugen Rabine verstorben.

Eugen Rabine war sowohl als unvergleichlich einfühlsamer Pädagoge als auch als unermüdlich forschender Wissenschaftler auf den Gebieten der menschlichen Anatomie in Bezug auf die Gesangsfunktion, der Akustik und der Neurologie ein Leuchtturm der Gesangslehre des 20. und 21. Jahrhunderts. Seine Methode beruht auf einem ganzheitlichen Ansatz. Er fußt auf persönlicher Feinwahrnehmung der subtilen Abläufe beim Singen. Alle für die Stimmfunktion relevanten körperlichen, neuronalen und psychischen Abläufe sind miteinander verbunden. Daher wirkt sich eine Differenzierung der Wahrnehmung stets positiv auf die gesamte Funktion aus, unabhängig davon, welches spezielle Detail gerade in den Blick genommen wird. Ein Pendant dazu ist das Kaleidoskop: Jede kleinste Drehung verändert das Gesamtbild. Im Vergleich zur Wirkung ist der Aufwand minimal, der Vorgang äußerst effizient.

Die hierarchischen Strukturen zwischen den Teilfunktionen zu kennen, ist wichtig und nützlich für systematischen Unterricht. Dieses Wissen ersetzt aber nicht die individuelle Entwicklung eines feinen Gespürs für die momentanen Erfordernisse in Bezug auf die Stimme. Die außerordentliche Vielschichtigkeit der physischen und mentalen Abläufe kann nur durch ganzheitliche Wahrnehmung erkannt werden. Ihre Komplexität ist viel zu kleingliedrig für einen schematischen theoretischen Überbau. Eine schematisch auf alle anwendbare Methode kann es darum nicht geben.

Die ausgewählten Übungen sind bewusst logisch und schlicht aufgebaut. Keine komplizierten musikalischen Aufgaben sollen die neu entdeckten Empfindungen und den sensiblen Entwicklungsprozess überfrachten. Unterbewusste Bewegungsmuster können nur dann effektiv umprogrammiert werden, wenn keine Assoziationen zu eingefahrenen Strategien geweckt werden. Bei jeder kleinen Irritation greift das Gehirn sonst auf die gewohnte automatische Steuerung zurück, und der Lernerfolg wird zunichtegemacht. Die sängerische Öffnung der oberen Atemwege ist nur durch eine sehr behutsame und langsame Vorgehensweise zu erreichen. Darum müssen die grundlegenden Bewegungsabläufe in langsamem Tempo gelernt, geduldig eingeübt und automatisiert werden, um stabil angesteuert werden zu können.

Um seinen spezifischen Blickwinkel auf funktionales Unterrichten zu beleuchten, lasse ich Eugen Rabine hier am besten selbst zu Wort kommen: „… Die funktionale Stimmpädagogik fordert einen Prozess der positiven Verstärkung. Das Lernen kann dabei als Weg (Erkenntnisprozess) beschrieben werden. Daraus folgt, dass wir bei jedem Entwicklungsschritt einen Prozess der Entdeckung und des Aufbaus der einzigartigen Stimme dieses Menschen als physischen Äußerung seiner Identität und seines Fortschritts folgen und gleichzeitig stets die universellen Gesetze der Physik, Physiologie und Psychologie berücksichtigen. Durch eine trainierte und sensibilisierte Wahrnehmung erlebt und vergleicht der Singende die momentanen physiologischen-akustischen Empfindungen mit seinem mentalen Konzept und seiner kommunikativen Absicht. Der daraus resultierende reflektorische Regelkreis zwischen Gehirn und Körper ist die Grundlage der Stimmkontrolle. So wie der Lehrer nach seinem Konzept lehrt, so singt der Sänger seinen Vorstellungen entsprechend, weil sein Bewusstsein, sein Körper und seine Gefühle eine Einheit sind.“ (Eugen Rabine, August 2001, aus Renata Parussel, „Lieber Lehrer, lieber Schüler“, S. 9 f.)

Seine Schüler führen in seinem Sinne sein Lebenswerk weiter. Auf den folgenden Websites sind weitere Informationen zu finden zum Thema Funktional Singen sowie zu Schulen und Lehrkräften, die nach seinen Erkenntnissen arbeiten:

www.rabine-institut.de; www.susanne-eisch.de; hilkea-knies.de

Für detailliertere Anleitungen zur funktionalen Vokal- und Konsonantenartikulation empfehle ich die praktischen Einheiten auf der Website von Susanne Eisch und in dem Buch „Lieber Lehrer, lieber Schüler“ von Renata Parussel.

Hier möchte ich nur einen Überblick vermitteln, welche Übungen im funktionalen Unterricht übereinstimmend angewendet werden. Ich möchte ein allgemein anwendbares Grundprinzip skizzieren, das exemplarisch für eine Fülle an Variationsmöglichkeiten steht je nach angestrebter Zielsetzung. Die verwendeten tonalen Abfolgen, Vokalverbindungen und Varianten in Bezug auf die musikalische Artikulation werden in sinnvoller Weise an die anstehenden Lernschritte angepasst. Sämtliche funktionalen Übungsabläufe sind vom Aufbau her nach logischen, in physischer und psychischer Hinsicht funktional begründbaren stimmtechnischen Aspekten ausgewählt. Ihre Kombinationen sind für sämtliche unterschiedlichen pädagogischen Zielsetzungen geeignet. Auch in Verbindung mit Konsonanten werden sie eingesetzt, allerdings sinnvollerweise erst später im Verlauf der Ausbildung, denn beim Singen geht es im Unterschied zum Sprechen um die Optimierung der klangtragenden Vokale. Konsonantengebrauch wirkt am Anfang für den funktionalen Ablauf in den meisten Fällen eher störend. Aufgrund der gerade im Deutschen vorherrschenden Dominanz von Konsonanten beim Sprechen muss die Gesangsfunktion dafür schon so sicher abrufbar sein, dass sie beim Singen von Text nicht mehr durch Konsonanten ausgehebelt wird. Sobald das gewährleistet ist, können sie in geeigneter Weise in die Gesangsübungen eingebaut werden, um ihre Bildung statt in der Sprachgewohnheit im Sinne der Gesangsfunktion zu optimieren. 

 

ÜBEN UND UNTERRICHTEN

Aus funktionaler Sicht bedeutet singen Lernen und Üben das Programmieren neuer, erweiterter Anwendungen, das „Updaten“ von bestehenden Mustern, aber auch das Verbessern oder Löschen von bereits bestehenden, fehlerhaften oder ineffektiven Programmen und Gewohnheiten. Das kann sicher und effektiv nur eine Lehrperson mit Fachwissen und geübter Beobachtungsgabe leisten, die sich mit den komplexen Vorgängen der Gesangsfunktion auskennt, im besten Fall sogar selbst professionell im Sängerberuf unterwegs ist, und sich deshalb mit den Anforderungen dieser Berufssparte gut auskennt. Funktionales Hören, Sehen und Fühlen wird über Empathie gesteuert. Sie verstärkt sich durch Übung in der Selbstwahrnehmung und in der Wahrnehmung der Person, die vor einem steht. Jede Situation ist im Hinblick auf die Einzigartigkeit jedes Menschen, seine Prägungen, Gewohnheiten und Erfahrungen sowie seine Entwicklungsstufe und Tagesform unwiederholbar und nur durch wissendes Beobachten erkennbar.

Ein genetisch angelegter, selbstregulierender und selbstoptimierender Prozess muss eigentlich nicht geübt werden. Die Tonproduktion für den Prozess des Singens läuft bei Kindern aber noch anders ab als bei Erwachsenen, nämlich im Überdruckmodus. Das liegt an den anderen akustischen Verhältnissen und der nicht fertig ausgereiften Muskulatur im kindlichen Körper. Jeder erwachsene Mensch muss also seine von  Kindheit an gewohnte Singweise ändern und lernen, im Unterdruckmodus zu singen. Dafür gibt es heute fast keine Vorbilder mehr, so dass eine entsprechende Prägung über das Hören im frühen Kindesalter gewöhnlich nicht mehr stattfindet.

In der Popkultur wird das Singen im Überdruck, ohne Vibrato, ins Erwachsenenalter mit hinübergenommen. Die Hörgewohnheiten und Hörerwartungen der meisten Menschen sind daher heute maßgeblich davon bestimmt. In früheren Generationen wurde auch Unterhaltungsmusik oder Volksmusik mit Vibrato gesungen. Das galt sogar teilweise für Laien. In anderen Ländern ist das partiell auch heute noch so. Der sprichwörtliche italienische Pizzabäcker ist ein typisches Beispiel dafür. Wie man anhand alter Tonaufnahmen aus der Zeit feststellen kann, hat sich diese Veränderung um die Mitte des zwanzigsten Jahrhunderts vollzogen.

Eine Erklärung dafür könnte vielleicht sein, dass durch die Situation in dieser Zeit eine angstfreie, friedliche Atmosphäre in der Gesellschaft nur sehr eingeschränkt vorhanden war. Singen ist ein alle Bereiche öffnender Vorgang. Alle Schutzhaltungen müssen dazu aufgegeben werden. Die elementar wichtige Voraussetzung dafür ist darum das Gefühl von Sicherheit. Es braucht aber eine Entsprechung im sozialen Umfeld. Sind die Voraussetzungen also nicht günstig, liegt eine Klangerzeugung im Überdruck möglicherweise emotional näher. Auf der anderen Seite erzeugt und verstärkt gerade Singen im Menschen genau diese positiven Emotionen von Freude und Gelöstheit, im singenden selbst und auch in allen, die ihm zuhören.

In diesem Sinne hat auch Eugen Rabine unterrichtet: Seine Philosophie war, durch die Kultivierung der öffnenden, einladenden Komponenten beim Singen und die daraus entstehenden angenehmen Empfindungen und Emotionen, die nichts von Angst, Enge und Aggressivität haben, in den Menschen der Zustand von innerem Frieden und Versöhnung zu verstärken. Für ihn war das ein ganz wesentliches Ziel von funktionalem Gesang und deshalb auch von funktionalem Gesangsunterricht.

Bei der sängerischen Tonproduktion sind die Zusammenhänge auf körperlicher, neuronaler und psychischer Ebene äußerst komplex, und die Abläufe entsprechend störanfällig. Ein sehr feinfühliges Einwirken auf unterbewusst gewordene Prozesse ist nötig, um sie zu optimieren. In Anlehnung an die Feldenkraismethode bedeutet das die Beobachtung des Ist-Zustandes, ohne zu werten. Das gilt sowohl für lernende als auch für lehrende Menschen. In der Wahrnehmung des Zustandes im Augenblick ist die Unterscheidung von richtig und falsch nicht existent. Sie ist zentriert auf das „Positive“, das Seiende, statt auf den Mangel, das „Negative“, Nicht-Seiende.

Sehr wichtig sind Pausen während des Übens, damit sich das Gehirn das Erkannte einprägen kann. Gleichzeitig mit dem Speichern der motorischen Abläufe wird auch das emotionale Gedächtnis umprogrammiert.

Für das Unterrichten bedeutet das, zuerst mit positivem Blick einen Gesamteindruck von der Schülerin, dem Schüler zu gewinnen: Wie ist die momentane körperliche und mentale Verfassung, wo liegen im Augenblick die Interessen und Zielvorstellungen? Durch weiterführende Impulse können daraufhin Dinge neu verknüpft sowie Teilbereiche der inneren Konzepte verändert oder verfeinert werden.

Das geschieht am besten durch Lenken der kinästhetischen Wahrnehmung seitens der Lehrkraft, statt über Vorsingen und darauffolgende Nachahmung. Sonst besteht die Gefahr, dass ihre Gewohnheiten unbewusst übernommen werden, anstatt dass sich die Gesangsfunktion selbstständig optimiert. Schülerinnen und Schüler könnten sich außerdem vom Klang der professionell ausgebildeten Stimme überfordert fühlen. Sie können naturgemäß noch nicht eins zu eins nachmachen, was sie hören, und in Versuchung kommen, den gehörten Klang auf für ihre stimmliche Entwicklung ungünstige Weise zu kopieren. 

Da funktionales Singen ein hochenergetischer Vorgang ist, ist es sehr wichtig, beim Unterrichten die dafür nötige Energie als Lehrperson selbst körperlich und emotional bereitzustellen.

So kann dieses Energielevel durch Empathie von einem zum anderen Menschen übergehen. Vielleicht könnte man es sogar so formulieren, dass die besondere mentale Energie von wertfreier Beobachtung das beobachtete Subjekt energetisiert. Dieses Phänomen im Zusammenhang mit der menschlichen Psyche wird  für therapeutische Ziele ja in vielerlei Hinsicht genutzt. Beim Gesangsunterricht kann diese Verbindung die Intuition beider Beteiligten intensivieren, denn die Tätigkeit des Singens ist eng mit der Intuition verknüpft. So entwickeln sich im besten Fall während des Unterrichts bei beiden neue Einfälle, Assoziationen und Konzepte.

Den funktionalen Unterricht bestimmt ein spiralförmiger Fortgang von groß nach klein: Erst muss man lernen, große Bewegungen wahrzunehmen, um dann in die Feinwahrnehmung gehen zu können. Diese Reihenfolge ist beim Lernen komplexer Bewegungsmuster die effektivste. Bestes Beispiel dafür ist die Kunst des Strickens.

Je differenzierter und klarer der zusammengesetzte Reflex der Phonation abläuft, desto leichter stellen sich Assoziationen zu anderen reflektorischen Abläufen ein, die damit verknüpft sind. Das ist ein Grund für die empirische Art des Unterrichtens, die die Gesangsschulen jahrhundertelang geprägt hat, und genauso für die assoziative Formulierung vieler Lehrsätze aus dem Belcanto. Sehr oft ist sogar zu beobachten, dass sich je nach individuellen Vorerfahrungen und Standpunkten die Assoziationen verschiedener professioneller Gesangslehrkräfte unterscheiden, ihre unbewussten Gesamtkonzepte aber mehr oder weniger übereinstimmen. Die Neurokopplungen, von denen sie hervorgerufen werden, können von verschiedenen Teilfunktionen des zusammengesetzten Reflexes getriggert werden.

Wenn die Lehrkraft aber die auf solchen Assoziationen beruhenden Teilaspekte der Gesangsfunktion ungefiltert weitergibt und dazu vielleicht auch allgemeine oder ungenaue Bilder verwendet, kann das unter Umständen zu Missverständnissen im Unterricht führen, die den Lernprozess in falsche Richtungen lenken. Besonders im Anfangsstadium der Ausbildung sind die Abläufe beim Singen ja oft noch störanfällig.

Ein Beispiel ist die Assoziation zum Gähnen: Die intensive Rundung der Constrictoren und die gleichzeitige Aktivierung des inneren Lippenrings kann beim Singen die Empfindung auslösen, die dadurch erreichte Stabilität und Weite im Mund- und Rachenraum sei die gleiche wie beim Gähnen. Es gibt aber einen grundlegenden Unterschied in den Bewegungsmustern: Beim Gähnen drückt der hintere Teil der Zunge den Unterkiefer nach unten und verschließt so teilweise den Vokaltrakt, beim Singen kontrahiert er eher vertikal und gibt ihn damit frei.

Ein anderes Beispiel ist die Nasenatmung: Der Beginn der sängerischen Einatmung ist die Bereitstellung des oberen Riechweges. Durch die sängerische Mundöffnung wird die Nase aber reflektorisch von innen durch die Gaumenhebung geschlossen. Wenn das Hauptaugenmerk der Lehrkraft auf dem ersten Abschnitt liegt ohne ausreichende Beachtung des zweiten, kann das bei den Lernenden zu der falschen Annahme führen, die optimale sängerische Einatmung sei Nasenatmung. Das zeigt, wie wichtig es für das Unterrichten ist, die funktionalen Abläufe genau zu kennen.

Eugen Rabine hat für den funktionalen Unterricht einen speziellen Ablauf eingeführt: Die lehrende Person stellt an die lernende eine auf eine Wahrnehmung bezogene Frage, und im direkten Anschluss daran folgt eine Gesangsübung. Die Antwort wird erst nach der gesungenen Sequenz formuliert. Die Frage an sich entwickelt eine suggestive Wirkung, ganz ohne lenkende Anweisungen seitens der Lehrkraft. Der Körper der Schülerin, des Schülers, beantwortet sie unwillkürlich mit seiner veränderten Reaktion, ohne dass der analytische Verstand eingreift. Würde die Frage vor dem Singen der Übung aus der Vorerfahrung heraus beantwortet, müsste man erst darüber nachdenken. Dadurch würden andere, rational arbeitende Hirnareale angeregt. Dann könnte die Antwort durch ungenaue oder fehlerhafte Erinnerungen und Überzeugungen oder durch frühere, nicht zielführende Strategien und darauf aufbauende bewusste Vorsätze verfälscht werden. 

Das Formulieren einer Antwort mit eigenen Worten nach der Erfahrung des Singens ist sehr wichtig für den Lernprozess. So wird das, was man erlebt hat, noch bewusster und kann daraufhin in der Erinnerung abgespeichert werden.

Außerdem wird so ein Raum geöffnet für eigene Assoziationen. Das ermöglicht der Lehrkraft eine direkte Kommunikation mit den Lernenden über ihre persönliche Feinwahrnehmung und die individuellen Schlüsse, die sie daraus ziehen. Aufgrund der von Mensch zu Mensch unterschiedlichen Synästhesie werden durch die Beschäftigung mit den subtilen Empfindungen beim Singen bei jedem individuelle Marker gesetzt, die das Wahrgenommene codieren und dadurch für später abrufbar machen.

Im Anschluss daran ist es wichtig, die erkannten neuen oder wiederentdeckten und verbesserten Bewegungsabläufe auch muskulär einzutrainieren.

Sowohl der Tonus als auch die Aktivität beinahe der gesamten Muskulatur sind beim funktionalen Singen außergewöhnlich hoch, die dabei ablaufenden Bewegungen jedoch äußerst subtil und nuanciert. Um beides zusammen leisten zu können, ist in den daran beteiligten Muskelgruppen eine extrem hohe Spannkraft und Elastizität nötig: Nur ein wirklich starker Muskel ist auf die Dauer zu der dafür erforderlichen Differenzierung seiner Bewegungen fähig. Deshalb muss die Fähigkeit, funktional gesund und effizient zu singen, trainiert werden wie eine Hochleistungssportart.

TRANSFER IN DIE LITERATUR

Die Funktion des Singens ist von Natur aus im Körper angelegt. Die Primärfunktionen der daran beteiligten Körperbereiche werden in dieser speziellen Weise nur für die Phonation variiert und zusammengesetzt. Gesangsunterricht ist darum eher mit dem Bau eines Instruments vergleichbar, als mit dem Erlernen einer bestimmten Spieltechnik oder gar der künstlerischen Ausbildung, die die Interpretation von Musikwerken zum Ziel hat. In welcher Form sich die Ausführenden zu diesem Zweck der einzelnen Faktoren bedienen, um damit „Musik zu machen“, ist ein zweiter Schritt, der nur bedingt mit dem ersten zu tun hat. Eigentlich müsste es sogar verschieden ausgebildete Lehrkräfte für die beiden Sparten Gesangsausbildung und künstlerische, interpretatorisch-stilistische und musikhistorische Ausbildung geben. Die dafür nötigen Wissensgebiete unterscheiden sich grundlegend voneinander und sind bei Gesangslehrkräften bislang auch nur selten gemeinsam anzutreffen. Für die Sängerin, den Sänger ist es aber elementar wichtig, den Transfer vom „Programm“ für funktionale Tonerzeugung, das im Unterricht erfahren und optimiert worden ist, zur Ausübung der Kunst des Singens zu gelangen.

Um verschiedene Musikstile adäquat und aufführungspraktisch stimmig anbieten zu können, muss die jeweilige Art zu singen teilweise relativ stark modifiziert werden. Dabei ist es unvermeidlich, dass zugunsten von Werktreue und der Ausführung von künstlerischen und klanglichen Vorstellungen im Bereich der gesunden Phonation Abstriche von den Künstlerinnen und Künstlern gemacht werden. Besonders die Interpretation von spätromantischer und auch zeitgenössischer Musik, bei der der Orchesterapparat oft außergewöhnlich groß ist, oder die klanglichen Erwartungen an die Singstimme stark von den Möglichkeiten einer gesunden Stimmbehandlung abweichen, erfordert oft grenzwertige Kompromisse.

Das ist sicher ein Grund für die unter Gesangslehrkräften verbreitete Ausrichtung auf Sitztechniken für den Unterricht. Sie verstärken vor allem die Frequenzen von 2000-4000 Hz, die im Gehirn ein Alarmsignal auslösen, weil sie auch beim Schreien erzeugt werden. Sie stimmen mit der Eigenresonanz des menschlichen Außenohrkanals überein und sind daher besonders gut wahrnehmbar. Aus diesem evolutionär bedingten Grund „kommen solche Klänge über das Orchester“. Das Ziel dabei ist, sich trotz der durch diese Entwicklungen ungünstiger gewordenen Umstände auf der Bühne bemerkbar machen, Gehör verschaffen zu können. Die sogenannte „Durchschlagskraft“ der Sängerstimme ist zu einem entscheidenden Faktor geworden, mit dem das Gelingen einer Karriere steht und fällt.

Umso wichtiger ist es, einen möglichst nachhaltigen Umgang mit den eigenen stimmlichen Ressourcen zu pflegen. Zum Glück stellen geringfügige Abweichungen von einer optimalen Stimmbehandlung aber kein grundsätzliches Problem dar, solange die Gesangsfunktion dabei der stabil leitende Parameter bleibt. Zum Vergleich: Auch beim professionellen Tanz und im Ballett ist eine der körperlichen Funktionsweise entsprechende, gesunde Technik von allergrößter Wichtigkeit. Trotzdem kommt es auch da nicht selten zu ungleichmäßigen oder teilweise asymmetrischen Belastungen. Durch die gut trainierte Muskulatur ist der Körper aber imstande, sie abzufedern, und sich danach wieder vollständig zu regenerieren, wenn ihm ausreichende Pausen  gewährt werden. Auch beim professionellen Singen ist es bis zu einem gewissen Grad möglich, die Anforderungen, die die Interpretation mit sich bringt, in geeigneter Weise körpergerecht zu „übersetzen“, um eine möglichst große Annäherung an die funktionale Zielsetzung zu erreichen. Das anzuleiten, ist auch Aufgabe von praxisnahem funktionalem Unterricht.

Eugen Rabine, selbst neun Jahre lang praktizierender Opernsänger auf diversen Bühnen in den USA und in Europa, war auch in dieser Hinsicht ein sehr erfahrener und pragmatischer Lehrer und Ratgeber. Zwar war sein Unterricht ausgerichtet auf die „Neu- und Umprogrammierung“ der sängerischen Strategien, die er bei seinen Schülerinnen und Schülern vorfand, weil das für ihn die primäre Aufgabe von Gesangspädagogik war. Künstlerische und bühnentechnische Aspekte waren ihm aber natürlich trotzdem vertraut aufgrund seiner beruflichen Laufbahn. Daher hatte er stets im Blick, dass das Hauptziel der Entwicklung von funktionalem Singen bei angehenden Sängerpersönlichkeiten eine langjährige professionelle Ausübung des Sängerberufs bei durchgehender stimmlicher Gesundheit und Leistungsfähigkeit ist. In Bezug auf die Vorgehensweise beim Unterrichten vertrat er allerdings die Ansicht, dass vor allem von funktional arbeitenden Lehrkräften „viel Wissen verlangt wird, das außerhalb der musikalischen Gesangsnotenwelt liegt.“ (Renate Rabine, „Die theoretischen Werke von Eugen Rabine - vol.1“, S. 118)

Sind die Grundlagen für die spezielle sängerische Artikulation gelegt, bietet sich aus rein funktionaler Sicht eine ganz bestimmte Vorgehensweise an, um ein Stück zu erarbeiten. In der Unterrichtspraxis ist ein situationsbezogenes Einflechten von funktionalen Details in die Literaturarbeit sicher eher realisierbar, besonders bei der Arbeit mit Studierenden, die schon im Beruf unterwegs sind.

Trotzdem möchte ich im Folgenden exemplarisch einen detaillierten Ablauf für den Transfer des funktionalen Gesangskonzeptes in ein Musikstück mit Text beschreiben, gewissermaßen als Gerüst, an dem man sich gegebenenfalls orientieren kann:

Zu Beginn wird die Melodie auf einem bequemen Vokal gesungen, vorzugsweise auf  offenem „o“, oder auf zwei wechselnden Vokalen, zum Beispiel dunklem „a“ und offenem „o“. Das erhöht die Flexibilität und beugt starren Artikulationshaltungen vor. Im nächsten Schritt ist es wichtig, sich die klingenden Vokale des Textes bewusst zu machen. Sie stimmen sehr oft nicht mit den geschriebenen Vokalen überein.

Diese Vokalfolge kann dann auf einem Ton bzw. auf zwei Tönen im lockeren Wechsel gesungen werden. Daraufhin werden Melodie und Vokalfolgen zusammengefügt. 

Um die Konsonanten in der gewünschten Feinheit und Präzision zu erkennen, kann danach beispielsweise der vollständige Text präzise flüsternd gesprochen werden, mit möglichst wenig Luftdruck, am besten sogar während einer Einatmung. Das löst nämlich ein öffnendes Programm der Mundraumgestaltung aus, was dann dominant vor der schließenden Konsonantenbildung wirkt.

Sängerische Konsonantenartikulation von der Sprachgewohnheit abzugrenzen ist ein komplexes Unterfangen, das im funktionalen Unterricht normalerweise erst dann in Angriff genommen wird, wenn die Funktion schon stabil verfügbar ist. 

Im letzten Schritt fügt man die Konsonanten zum Stück dazu, ohne dadurch die stehende Klangwelle im Rachenraum zu stören. Der Kiefer muss für die Bildung der meisten Konsonanten geschlossen werden. Das bedeutet aber, dass der Kehlkopf dann zu hoch steht für eine gesunde funktionale Tonerzeugung. Deshalb werden Klinger immer etwa auf Sprachtonhöhe artikuliert, denn für ihre Bildung ist  Stimmlippenschwingung nötig. Damit der Übergang zum gesungenen Vokal jedoch unhörbar abläuft, stellt man sich dafür am besten einen Oktav- oder Quintsprung vor. Diese Intervalle stehen in den größtmöglichen ganzzahligen Verhältnissen zur angestrebten Tonhöhe. Das erleichtert den Stimmlippen den gedachten Tonsprung. Auch ein echter Tonsprung wird ja nicht willentlich angesteuert, sondern über die Tonvorstellung unwillkürlich ausgeführt. Dafür ist allerdings einige Übung nötig.

Ist während des Stücks ein Nachatmen nötig, so geschieht das im Idealfall sehr schnell, effektiv, mühelos und geräuschlos. Die dauernd vorhandene Dominanz der Einatmungsmuskeln löst bei Beendigung der Ausatmungsaktivität sofort eine Einatmungsbewegung aus. Die reflektorische Öffnung der Stimmlippen bei Beendigung der Schwingung und die schon vorhandene optimale Raumgestaltung durch den Vorgang des Singens beseitigen praktisch alle Widerstände in den Atemwegen. Diese sängerische Nachatmung führt dann genauso effektiv und mühelos zum nächsten Toneinsatz durch die Selbstschließung der Stimmlippen.

Anders ausgedrückt, der Modus des Singens wird das ganze Stück hindurch beibehalten und erst nach dem letzten Ton beendet. 

WISSENSWERTES IN KÜRZE FÜR DIE CHORLEITUNG

Einen Chor zu leiten bedeutet nicht zuletzt, für die stimmliche Gesundheit der Chormitglieder Verantwortung zu übernehmen, sie zu pflegen und zu fördern. Außerdem ist man, wenn man diese Position bekleidet, automatisch eine Hauptbezugsperson in Bezug auf Singen für alle Chormitglieder und oft die einzige professionelle Quelle für alle Fragen um Gesang und Stimmpflege. Daher ist ein umfassendes  Wissen über die anatomischen und neurologischen Voraussetzungen des Singens für Chorleitende ein ebenso grundlegendes Thema wie für Menschen, die sich professionell mit Gesang oder Gesangspädagogik beschäftigen.

Die spezifischen Bewegungen beim Dirigieren können im Idealfall sogar sängerisch günstige Körperfunktionen der Chormitglieder empathisch anregen und so die Gesangsfunktion unterstützen, optimalerweise sogar auslösen. Speziell der Auftakt ist ein Pendant zu der brustkorberweiternden Bewegung, die für die sängerische Einatmung von größter Wichtigkeit ist. Das Gegenteil ist allerdings auch möglich, denn bestimmte Dirigierbewegungen können eine hemmende Wirkung auf das Singen entfalten. Schnelle, ruckartige Bewegungen etwa triggern die Assoziation von Erschrecken und können daher Schließimpulse bei den Singenden aktivieren. Weich fließende, öffnende Bewegungen dagegen unterstützen die Abläufe beim Singen.

Leider gibt es im Chorleitungsstudium noch keine flächendeckende funktionale Gesangsausbildung. Deshalb möchte ich versuchen, ein paar Missverständnisse und Irrmeinungen über das Singen von der funktionalen Sichtweise her zu beleuchten, gegebenenfalls auch auszuräumen. Genauere Erklärungen rund um die einzelnen Teilbereiche finden sich in der Enzyklopädie. An dieser Stelle möchte ich nur auf spezielle Themenbereiche in Bezug auf Chorsingen und Chorleitung eingehen.

 

IST SINGEN LOCKER?

Sehr oft wird zu Recht in der Chorarbeit darauf hingewiesen, dass man beim Singen locker bleiben sollte. Die Assoziation von unverkrampfter, entspannter Muskulatur beim Singen ist sehr verständlich: Es ist tatsächlich elementar wichtig, dass die Mimikmuskulatur in Gesichts- und Halsbereich frei von Dauerkontraktionen ist, die eine Dehnung dieser Muskelgruppen behindern würden. Daraus ergibt sich der primäre emotionale Zustand von Lockerlassen, weil die Mimik direkt mit der Gefühlsebene verknüpft ist. Singen spielt sich aber nicht nur im Gesicht und oberen Rachen ab, auch wenn das Hauptaugenmerk meistens auf dieser Körperregion liegt, weil das der Ort des sängerische „Instruments“ ist . Und auch da gibt es Muskeln, deren Kontraktion die Gesangsfunktion überhaupt erst möglich machen.

Der innere Lippenring als äußerster Schutz der Atemwege, vor allem im Bereich der Mundwinkel, muss beim Singen immer aktiv sein. Sonst übernehmen reflektorisch andere Muskeln, speziell die Zunge und die Schluckmuskeln, diese Aufgabe und verengen den Vokaltrakt, um den Schutz zu gewährleisten. Schlundmuskulatur und Zunge sind ebenfalls aktiv, aber nicht schließend wie zum Schlucken, sondern öffnend wie zu einer sehr großen Einatmung. Die Bewegung ähnelt der Atmung beim Schwimmen. Das dient der Weitung und Stabilisierung des Vokaltrakts als Resonator.

Das Zwerchfell, der Haupt-Einatmungsmuskel, spannt sich für die sängerische Einatmung so stark an wie zu keiner anderen Körperaktivität sonst. Es verliert diese Kontraktion während des Singens niemals vollständig, ist also niemals locker. Das gleiche gilt für die sekundären Einatmungsmuskeln, also die Brust- und oberen Zwischenrippenmuskeln. Die bei der Ausatmung aktive schräge Bauchmuskulatur dagegen ist bei vielen Menschen unbewusst dauerhaft angespannt auf Grund eines automatisierten Schutzreflexes, manchmal auch aus ästhetischen Gründen. Es ist elementar wichtig, sie zu entspannen, damit sich diese Muskulatur bei der Einatmung dehnen lässt. Das kann emotional als Loslassen auch von psychischer Anspannung empfunden werden, weil die Schutzhaltung ja psychische Ursachen hat.

Die stimmerzeugenden Muskeln selbst arbeiten im Wechsel von Anspannung und Dehnung und erzeugen so langsame, laute und schnelle, leise Schwingungen, also tiefe und hohe Klänge. Dominant aktiv ist dabei immer der Muskel, der sich dehnen lässt. Das kann auch ein Grund für die Assoziation sein, Singen sei primär locker. Denn der Muskel, der beim Singen den ganzen Körper koordiniert, ist der Vocalis selbst. Und der muss für die Erzeugung von hohen Tönen erlauben, sich dehnen zu lassen, bis zur vollständigen Ausdehnung bei etwa fis“.

Damit der komplexe Vorgang des Singens überhaupt stattfinden kann, muss die gesamte Aufrichtungsmuskulatur des Körpers einen sehr hohen Tonus bereitstellen. Es geht, vereinfacht gesagt, darum, den Atemdruck unter den Stimmlippen genau zu dosieren, um die extrem feinen Schwingungen nicht durch „wilde Luft“ zu stören.

Das alles ist mit großer Aktivität des ganzen Körpers verbunden und, so betrachtet, alles andere als locker. Die Muskulatur ist mit Ausnahme einiger Anteile der Mimik, wie etwa der Augenringmuskulatur, entweder aktiv kontrahiert oder gedehnt. Funktional gesundes Singen mit all seinen Facetten ist Hochleistungssport im Stehen. Das gilt, wie bei jeder Sportart, für Profis genauso wie für Nicht-Profis.

 

MÄNNERSTIMME / FRAUENSTIMME

Männerstimme und Frauenstimme sind anatomisch annähernd gleich. Die Stimmlippen beim Mann sind um etwa ein Viertel länger als bei der Frau. Der Unterschied im Klang beruht auf der stumm mitschwingenden Masse. Dieses Phänomen ist vergleichbar mit dem Unterschied im Klang einer Violine und eines Violoncellos beim Spielen der selben Tonhöhe.

Die Männerstimme hat mehr Muskelmasse und dadurch auch mehr Potential, um Kontraktionsspannung aufzubauen. Sie kann also von der Phonstärke her lautere Töne erzeugen. Frauenstimmen sind dadurch gut hörbar, dass ihr Frequenzspektrum in einem von unseren Ohren besonders intensiv wahrnehmbaren Bereich liegt. Das ist evolutionär bedingt, weil Babys sich hauptsächlich in diesem Frequenzbereich bemerkbar machen. Von der realen Lautstärke her ist der Klang von Frauenstimmen aber  leiser als der von Männerstimmen. 

Der Übergang zwischen „Bruststimme“ und „Kopfstimme“ ist bei Männer- und Frauenstimmen annähernd auf der gleichen Tonhöhe, nämlich ungefähr bei es`. Er ist kein anatomisches Phänomen sondern ein akustisches: Die Eigenresonanz der Luftröhre, die bei Männern und Frauen fast gleich gestaltet ist, hat etwa diese Frequenz. Beim Singen dieser Tonhöhe wird sie zur Vibration angeregt, ähnlich, wie ein Gefäß bei bestimmten Frequenzen mitvibriert. Dadurch wird die regelmäßige Stimmlippenschwingung gestört. Der Vocalis reagiert mit einer Schließtendenz, denn seine Primärfunktion ist Schließen bei jeder unerwarteten Luftbewegung, um die Lunge zu schützen. Bassstimmen singen also meistens in der Bruststimme, die nach dieser Eigenvibration der Luftröhre benannt ist,  Sopranstimmen dagegen in der Kopfstimme, die ihren Namen von der Verstärkung hoher Frequenzen im Gaumenbereich hat. Tenor- und Altstimmen müssen den Übergang ausgleichen. 

Die Höhe der Frauenstimme folgt den gleichen akustischen Gesetzmäßigkeiten wie das Falsett der Männerstimme. Die Sprachebene von beiden liegt aber meistens im Frequenzbereich der Bruststimme.

 

KINDERSTIMME 

Das Schreien des Säuglings ist ermüdungsfrei, weil wir ohne Stimmbänder zur Welt kommen, also ohne den Vocalismuskel umhüllende Schleimhautligamente. Die Verbindung zwischen Vocalis und Ligament ist erst mit der Vollendung des 17. Lebensjahres abgeschlossen. Außerdem steht beim Säugling der Kehlkopf ganz hoch. Seine Tonerzeugung ähnelt einem Pfeifen, wobei der Mundraum als Resonator fungiert.

Je jünger ein Kind ist, desto mehr atmet es in den Bauch. Die Form des Brustkorbs beim Kleinkind ist im Verhältnis zu der beim erwachsenen Menschen viel weniger gebogen, eigentlich dreieckig. Die Entfächerung der Rippen durch die Kontraktion des Zwerchfells und der sekundären Einatmungsmuskeln ist je nach Alter noch gar nicht oder nur sehr eingeschränkt möglich. So muss bei der Atmung die Bauchdecke reagieren. Auch die Körperaufrichtung ist noch nicht vollständig herstellbar, und der Vokaltrakt ist kürzer. Das bedeutet, Kinder singen in einem Überdruckmodus, zumindest bis etwa zum achten Lebensjahr, meistens aber bis zur Pubertät. Deshalb haben sie auch kein Vibrato. Das ist ein Phänomen der Stimme des erwachsenen Menschen, das sich erst bei abgeschlossener Aufrichtung einstellen kann. 

Kinderstimmen haben einen schwachen Grundton und einen schwachen ersten Vokalformanten wegen der geringen Muskelmasse. Außerdem kann der weiche Gaumen noch nicht gehoben, und der Vokaltrakt deshalb nicht vollständig aufgespannt werden. Aus diesen Gründen klingen Kinderstimmen heller als die Stimmen von erwachsenen Frauen. (Belcantobegriff: „voce bianca“) Aufgrund ihres kurzen Vokaltrakts ist es Kindern möglich, bis in hohe Lagen praktisch alle Vokale vollständig zu bilden. Die Formantbereiche der Vokalformanten werden wegen der anderen akustischen Verhältnisse nicht überschritten. Deshalb ist bei ihnen die Sprachverständlichkeit besser als bei Frauenstimmen.

 

MITSPRECHEN

Viele Chorleitende sprechen die vom Chor gesungenen Texte beim Dirigieren mit. Dadurch bietet sich die Gelegenheit, den singenden Personen während des Musizierens sängerisch vorteilhafte Artikulationsbewegungen zu vermitteln.

Wenn man nicht selbst singt, eröffnet das die Möglichkeit, die Texte statt ausatmend in Einatmungstendenz zu artikulieren. Das System ist dadurch im Öffnungsmodus. Die verengenden und schließenden Artikulationsbewegungen, die für die Bildung der konsonantentypischen Geräusche nötig sind, entfallen, denn der mitartikulierte Text kann und soll ja unhörbar sein. Dadurch ergibt sich ein völlig anderes, öffnendes Konzept der Mundöffnung, das der bei der funktionalen Phonation angestrebten Konsonantenartikulation bemerkenswert nahe kommt.

Die Begriffe „Schlabbern“, Schlecken“ und „Schlürfen“ verdeutlichen lautmalerisch diese Öffnungsbewegungen. Die Entstehung der Bezeichnungen erklärt sich aus der Tatsache, dass alle diese Tätigkeiten entsprechende Geräusche produzieren, weil sie im Einatmungsmodus ausgeführt werden.

 

MUNDÖFFNUNG 

Die optimale Kieferöffnung beim Singen beträgt vorne etwa zwei bis drei Zentimeter. Weiter kann der Kiefer nur durch Zungendruck geöffnet werden. Das schließt den Rachenraum wieder, denn der Zungenrücken wird dabei nach hinten gedrängt und drückt den Kehldeckel über den Vokaltrakt, ähnlich wie beim Schlucken. Auch das Gaumensegel wird mit nach unten gezogen. Wegen der zu großen Mundöffnung ist die Wirkung der in Chören oft erwünschten „Gähnstellung“ oder „Gähnweite“ kontraproduktiv. Die optimale Vokaltraktweite wird dadurch wieder verringert.

Ist die Entfernung der vorderen Zahnreihen voneinander jedoch kleiner als ein bis zwei Fingerbreit, steht der Kehlkopf zu hoch. In der Rabineschule werden manchmal Übungen mit zwei Fingerspitzen zwischen den Zähnen gesungen. Dabei muss aber unbedingt darauf geachtet werden, dass der Kiefer nicht mit Hilfe der Zunge geöffnet wird, sondern wie beim Saugen nach vorne und danach erst nach unten gleitet.

Eine Anekdote erzählt sogar, Caruso habe mit einem Korken im Mund geübt.

Aus diesen Gründen ist es sinnvoll, Einsingeübungen zu wählen, bei denen der Kiefer auf der Position eines dunklen „a“ geöffnet ist, wobei der Lippenring in aktiver Dehnung bleibt. Sie sollten auch vom Konsonantengebrauch her so sängerisch wie möglich gewählt sein, also mit drucklosen, öffnenden Konsonanten, oder ganz ohne. 

Summen ist in diesem Zusammenhang nicht zu empfehlen. Der Kehlkopf steht dann wegen des geschlossenen Kiefers nicht an der tiefen Position, die er für das Singen einnehmen sollte.

Das gleiche gilt auch für das beliebte „Lippenschwirren“ oder auch „Kutscher-r“. Die Erfahrung, dass auf diese Weise oft sehr hohe Frequenzen erreicht werden, ist der Tatsache geschuldet, dass das ganze System durch die Kieferschließung verkleinert, und der Vokaltrakt wieder kürzer wird. Man imitiert sozusagen die die akustischen Verhältnisse, die bei Kindern zu finden sind. Darum ist der erzeugte Klang auch so hell. Für eine Klangproduktion mit offenem, weitem Vokaltrakt, also akustisch und funktional günstigen Voraussetzungen, hat das keinen Nutzen. Man trainiert damit etwas ein, was so für den angestrebten Zweck nicht verwendbar ist.

 

NASENATMUNG / MUNDATMUNG

Caruso wird der Satz zugeschrieben: „Ich atme beim Singen, als ob ich an einer Rose rieche.“ Die Nase ist ausgestattet mit einem unteren „Ruheluftweg“ und einem oberen Luftweg über das Riechorgan. Die einzige Möglichkeit, den weichen Gaumen „willentlich“ zu heben, ist die über die Vorstellung des Riechens. Sie ist verknüpft mit der des Schmeckens und damit der Aktivierung der Zungenspitze und dem „Spitzen“ der Lippen. 

Die sängerische Einatmung beginnt, wie das Riechen, durch die Nase, danach durch Mund und Nase. Ab etwa zwei Zentimeter Mundöffnung schließt das Gaumensegel von innen die Nase. Von da an folgt reine Mundatmung mit gedehntem oberen Atemweg. Bei geöffnetem Mund ist es ab einer bestimmten Öffnung nur mit gehobener Zunge möglich, durch die Nase einzuatmen. Reine Nasenatmung bewirkt einen Verschluss im gesamten Atemsystem. Das ist ihr evolutionärer Zweck. Sie ist deshalb für sängerische Atmung ungeeignet.

Nasalität ist das Gegenteil von Kopfigkeit. Sie wird erzeugt durch Zungendruck und eine flache Position des weichen Gaumens als Reaktion darauf. 

 

REGISTER 

Der Begriff Register ist irreführend. Die Stimme ist ein Einregisterinstrument, wie eine Saite, mit zwei Komponenten, nämlich Masse und Dehnung. Wie beim Stimmen einer Saite wird durch Dehnen des elastischen Materials eine Verlängerung und Verschmälerung erreicht. Das lässt die Tonhöhe des davon erzeugten Klanges höher werden. Oder, was die Saite nicht kann, der Muskel kontrahiert aktiv, wird dadurch dicker und kürzer, und der erzeugte Klang wird tiefer. Der den Stimmmuskel dehnende Antagonist ist der Ringknorpel-Schildknorpelmuskel. Er befindet sich vorne unten am Schildknorpel. Das dehnungsdominante Register wird durch die Kontraktion dieses Muskels erzeugt. Er dehnt das Ligament, das den Vocalismuskel umschließt. Das sind die eigentlichen Stimmbänder. Der entstehende Klang fühlt sich wirklich höher an, weil damit vor allem hohe Frequenzen zur Resonanz angeregt werden. Und die werden aus Gründen der Resonanzverhältnisse des Vokaltrakts hauptsächlich im Kopfbereich verstärkt. Daher kommt der Begriff „Kopfstimme“.

Bis zur Tonhöhe fis`` ist noch ein immer geringer werdender Masseanteil in den Stimmlippen vorhanden. Darüber hinaus ist die Muskelmasse nicht abgekoppelt, sondern vollständig, längstmöglich gedehnt, und passt sich der Schwingung des gedehnten Ligaments an. Das ist die tiefere Bedeutung des Begriffs „voix mixte“.

Genauso ist es mit den Vokalen „u“ und „i“: Sie werden aus dem gleichen Grund, nämlich wegen der Aktivierung der Dehnungsfunktion bei ihrer Bildung, als „kopfig“ bezeichnet. Die „Bruststimme“ wird wegen der fühlbaren Vibrationen im Brust- und Bronchialbereich so genannt. Durch die Kontraktion des Vocalis entstehen tiefe Frequenzen, die die Resonanz der Luftröhre anregen.

Das Phänomen von Brust- und Kopfstimme ist also rein akustischer Natur: Entweder wird die Luftröhre zur Eigenvibration angeregt, oder eben nicht. Dabei besteht kein qualitativer Unterschied in der Funktion des Vocalismuskels. Funktional gesehen ist die Dehnung der Stimmlippen ein gradueller Vorgang ohne Brüche, wie bei der Saite.

 

SINGEN BIOLOGISCH BETRACHTET 

Singen ist laut Eugen Rabine der komplizierteste zusammengesetzte Reflex, der dem Menschen eigen ist, gehört aber wie alle Reflexe zum Grundpotential des Körpers. Beginn ist ein neurologischer Impuls durch den Bewegungsreiz der sich weitenden achten bis fünften Rippenpaare an die Nerven, die in der Wirbelsäule verlaufen. Eine spezielle Form der tiefen Einatmung, ab ca. 50% Lungenvolumen, löst ihn aus, vergleichbar mit der Auslösung des Niesreflexes, die ja auch einer sehr tiefen Einatmung bedarf. 

Durch eine spezielle Mundöffnung ohne Zungendruck, ähnlich wie beim Trinken, und den Zug des Zwerchfells auf die Bronchien wird der Kehlkopf gesenkt. Als Reaktion auf die Mundöffnung und diesen Zug hebt sich gegenläufig der weiche Gaumen. Wie bei allen elastischen Materialien erzeugt auch hier Zug Gegenzug. Das bedeutet im Umkehrschluss: Bei zu geringem Einatmungsvolumen wird der Gesangsreflex nicht ausgelöst. Auch dieses Phänomen hat die Klangerzeugung beim Singen mit dem Niesen gemeinsam: Wenn das erforderliche Einatmungsvolumen nicht erreicht wird, bricht auch da der Reflex zusammen.

Bei zu geringem Lungenvolumen wird die Tonproduktion anders organisiert und ähnelt dann eher dem Rufen oder Schreien. 

Ist der Gesangsreflex soweit von ihm zuwider laufenden Gewohnheiten befreit, dass er dominant die Vorgänge beim Singen leiten kann, ist er selbstregulierend und selbstoptimierend. Allein die Wahrnehmung von angenehm und „stimmig“ reguliert ihn. Ein Bewegungsablauf wird immer von der neuronal feinsten Bewegung geleitet, und die üben in dem Fall die Stimmlippen aus („Fingerspitzengefühl“). 

Die schließende Schutzfunktion des Vocalismuskels wird beim Singen durch seine kinetische Energie, anders gesagt, durch seine Schließbereitschaft ersetzt. Er schließt aber nicht dauerhaft, sondern vollführt durch den Reflex ausgelöste regelmäßige, sehr schnelle Schwingungen. Das erhöht die Schutzwirkung noch.

Wie alle anderen Reflexe auch, wird der Gesangsreflex nur von den intuitiven Hirnregionen gesteuert, ohne Eingreifen der analytischen Funktionen des Gehirns. Das hat weitreichende Konsequenzen auf die Herangehensweise beim Unterrichten, und auch bei der individuellen Selbstoptimierung: Über theoretisches Wissen ist es unmöglich, etwas so unbewusst Ablaufendes, Komplexes und mit dem Verstand überhaupt nicht Erfassbares sinnvoll zu beeinflussen. Die Regulationsmechanismen dafür laufen außerhalb der bewusst steuerbaren Hirnareale ab.

Das ist ein Grund, warum Sängerinnen und Sänger sich wehren, wenn sich durch zu viele analytische Vorgaben das Körpersystem von der intuitiven auf die rationale Regulierung umschaltet: Dann funktioniert das eigene „Instrument“ nicht mehr optimal. Dadurch kann sich die Fehlerquote immer weiter erhöhen, ohne dass die ausübende Sängerin, der ausübende Sänger etwas dagegen tun könnte. Natürlich ist das unbefriedigend und frustrierend, besonders für die Singenden selbst, weil der Ansatz kontraproduktiv ist. Hier liegt auch ein Grund für die sprichwörtliche Emotionalität, die in der Sängergarde weit verbreitet ist: Rationales Überdenken der  „Technik“ kann störend wirken, denn bei intuitiver Herangehensweise, begleitet von positiver Gefühlslage, funktioniert sie am besten.

 

STIMMSITZ 

Wo „sitzt“ die Stimme? Was bedeutet dieser Begriff? Während der Phonation entstehen Vibrationswahrnehmungen, sowohl an und über den Stimmlippen als auch am oberen Ende des Vokaltrakts, am geschlossenen weichen Gaumen.

Durch Dazwischenschieben einer Art Rampe mit Hilfe von schräger Zungenhebung entsteht eine Brechung der stehenden Klangwelle. So wird die Bildung der Vokale „e“, „i“, „ä“, „ö“ und „ü“ ermöglicht, und eine dritte Vibrationswahrnehmung am harten Gaumen erzeugt. Diese Wahrnehmung wird gerne als „Sitz“ bezeichnet. Sie ist sehr deutlich spürbar, weil sie an einem Knochen resoniert. Meistens wird sie viel deutlicher wahrgenommen als die primären Schwingungswahrnehmungen am unteren und oberen Ende der Klangsäule.

Daraus hat sich die „Sitztechnik“ entwickelt. Da die oben genannten Vokale alle viele helle Frequenzen aufweisen, wollte man dies den dunkleren Vokalen „a“, „o“ und „u“ auch zugänglich machen durch eine ähnliche schräge Zungenhebung. Diese Vokale werden sängerisch aber hauptsächlich durch Kontraktion des Lippenrings gebildet, wie beim Saugen. Eine schräge Hebung des Zungenrückens für diese Vokale zieht den Kehlkopf mit hoch. Dadurch wird der Stimmklang zwar heller, verliert aber an tiefen Frequenzen und somit an Phonstärke.

In einer Klangsäule bilden sich immer so viele Teilfrequenzen des Grundtons, wie die Länge des Rohres ermöglicht. Sehr hohe Frequenzen, wie der sprichwörtliche Sängerformant, können daher nur in einem optimal langen Vokaltrakt entstehen, also bei tiefstmöglicher Position des Kehlkopfs. Durch die Sitztechnik werden auf Grund der Verkürzung des Vokaltrakts tiefere Teiltöne mit eher näselnder Klangfarbe erzeugt, die ganz hohen Frequenzen aber nicht ausgebildet. Die bestimmen aber die Tragfähigkeit, weil sie am weitesten hörbar sind, und außerdem, weil Orchesterinstrumente sie nicht herstellen können. Gleichzeitig ist das Ganze durch die suboptimale Kehlkopfposition auf Dauer stimmschädigend. Für die entsprechende Phonstärke muss mehr Luftdruck aufgewendet werden: Durch den Überdruck werden die Stimmlippen zur Ankopplung von Masse anregt, um den durch das Hochziehen entstandenen Verlust von schwingender Muskelmasse auszugleichen.

 

TONVORSTELLUNG / VOR- UND NACHSINGEN

Wie ist es praktisch möglich, „die Tonhöhe sauber zu treffen“? Weil die Tonhöhe unbewusst reguliert wird über das interne Spannungsverhältnis der beiden Antagonisten, nämlich der Stimmlippen und des äußeren Kehlkopfmuskels, ist es auch nicht möglich, sie willentlich anzusteuern. Wir nehmen erst dann die Frequenz des Tones wahr, wenn wir eine Kontrolle der entstandenen Schwingung über das Hören gewonnen haben. Aber im Lauf der Zeit bildet sich eine Muskelerinnerung, ein Gefühl für Tonhöhen, wodurch eine zuvor gehörte oder auch nur vorgestellte Frequenz voreingestellt werden kann. Normalerweise lernen wir das in der Kindheit.

Das ist im Grunde dasselbe Muskelspannungsgedächtnis, das jeder Mensch braucht, der ein Instrument lernt: Am Anfang hat man keinerlei Anhaltspunkte für Tonabstände. Aber durch Übung bekommt man ein Gespür dafür und muss dann immer weniger korrigieren. Auf diese Weise kann man spielen lernen, ohne hinzuschauen, ohne zu kontrollieren, wohin sich die Finger bewegen sollen. Es wird möglich, durch eine Art „Wünschen“ die Finger dazu zu bringen, die Töne zu treffen.

Wird der Versuch gemacht, sich „schon den höchsten Ton der folgenden Phrase vor dem Toneinsatz vorzustellen“, führt das dazu, dass das System aufgrund seiner Vorerfahrung genau diese Frequenz vorbereitet. Beginnt nun aber die Phrase mit einem tieferen Ton, ist natürlich die Voreinstellung nicht optimal, und demzufolge auch die Qualität der zuerst entstehenden Schwingung nicht. Gewissermaßen wird dadurch das falsche Ziel angesteuert.

Aus funktionaler Sicht ist es empfehlenswert, über die Tonvorstellung den ersten Ton anzusteuern, und während des Singens den Stimmlippen die Regulierung der Tonhöhen zu überlassen. Sie sind dafür von Natur aus vorbereitet. Nötig dazu ist nur eine sängerische Einatmung und Mundöffnung und die innere Vorstellung der Tonhöhe. Es ist auch möglich, die Tonhöhe am Instrument anzugeben. Das löst im Gehirn den gleichen Effekt aus, wie wenn man ihn sich vorstellt.

Ihn vorzusingen, kann problematisch sein. Die Chormitglieder könnten damit auch die persönliche Singweise der vorsingenden Person unterbewusst in die individuelle Voreinstellung übernehmen. Das individuelle technische Können ist im Chor aber oft sehr unterschiedlich verteilt und weicht in vielen Fällen mehr oder weniger stark von den sängerischen Fähigkeiten der Chorleitenden ab. Inwieweit die Einzelpersonen das für sich umsetzen können, was sie hören, und ob es dabei zu Missverständnissen kommt, weil das Gehörte nicht eingeordnet werden kann, bleibt aber verborgen.   

Wenn Chorleitende vorsingen, ist es wichtig, dass die Art ihrer Stimmführung für die Chormitglieder nachvollziehbar, und das Lernziel erkennbar ist. Am besten ist es, wenn Erklärungen dazu geliefert werden, wie und warum eine Bewegung förderlich ist. So können damit für das Singen günstige Prozesse angestoßen werden.

Die Lage, in der vorgesungen wird, sollte daher nach Möglichkeit die sein, in der die entsprechende Stimmgruppe nachsingt, und nicht oktavversetzt. Die Stimmfunktion läuft bei Frauen- und Männerstimmen nach den gleichen Gesetzmäßigkeiten ab, auch wenn der Tonumfang sich bei ihnen um etwa eine Oktave unterscheidet.

 

UNTERDRUCK UND ÜBERDRUCK IN DER AUFFÜHRUNGSSITUATION

Aus der Sicht des Publikums und derer, die einen Chor leiten, fällt ein visueller Aspekt ins Auge, der leider nicht selten diametral gegen die funktionalen körperlichen Voraussetzungen und Bedürfnisse des „Instruments Mensch“ steht.

Es kann wirklich die Konzentration auf die Musik stören, wenn sich während einer Aufführung der Chor mehrfach hinsetzt und wieder aufsteht. Allerdings stellt sich die Frage, ob ein gut choreographiertes, möglichst unauffälliges Erscheinungsbild der Ausführenden für den Musikgenuss wichtiger ist, oder ein guter Klang.

Bei Orchestermusikern wird nie in Frage gestellt, dass sie die Möglichkeit haben, ihre Instrumente individuell abzusetzen, wann immer sie das brauchen. Die Muskulatur kann sich dadurch erholen, und sie können daraufhin wieder optimal musizieren. Bei Sängern, deren Instrument der ganze Körper ist, wäre das eigentlich noch wichtiger, ja elementar notwendig. Denn die Aufrichtungsmuskulatur ist in zweiter Linie auch Atemmuskulatur. Wenn sie ermüdet, kann eine vollständige Einatmung nicht mehr erfolgen. Damit wird der Gesangsreflex auch nicht mehr ausgelöst. Kommt jetzt noch dazu, dass schwere Noten in den Händen gehalten werden müssen, wird der Brustkorb auf die Dauer durch das Gewicht verengt. Dadurch kann dann auch auf emotionaler Ebene eine „belastende“ Situation entstehen, in der es schwer wird, befreit zu singen. Dann wird gesunde Klangerzeugung unmöglich.

Eine Erleichterung im wahren Wortsinn wäre die Bereitstellung von Notenpulten. Bei Instrumentalisten ist das selbstverständlich, obwohl ihre Instrumente durch die körperliche Position der Spielenden ja keinen Schaden nehmen. Ist das nicht möglich, ist es sehr wichtig, dass die Sängerinnen und Sänger rechts und links genug Platz haben, um beim Halten der Noten die Ellbogen heben zu können, so dass die Erweiterung der Rippen für die sängerische Einatmung möglich wird. Müssen die Chormitglieder aber bei der Aufführung dicht gedrängt stehen und selbst die Noten halten, macht sich das schnell im Klang bemerkbar: Auf die Dauer wird er hart und unflexibel. Außerdem verliert er stark an Tragfähigkeit, weil zu viel Überdruck unter den schwingenden Stimmlippen den Vokaltrakt verengt und die Funktion des Schreiens auslöst. All das wirkt sich auch negativ auf das Hörerlebnis und die emotionale Botschaft aus: Anstelle von Wohlgefühl wird akustisch unwillentlich Aggressivität transportiert. Das hat natürlich entsprechende Auswirkungen auf die Zuhörerschaft und nicht zuletzt auf die Leiterin, den Leiter selbst.

Vielleicht ist das ein Grund für die Annahme, lautes Singen sei auf Dauer ungesund. Es stimmt, dass durch Überdruck erzeugte laute Töne die Stimme strapazieren und außerdem unangenehm für die Zuhörenden sind. Trotzdem ist es keine gute Lösung, wenn der Chor überwiegend piano singt, um „die Stimme zu schonen“. Denn bei leiser Dynamik muss der Luftfluss durch die Stimmfalte noch feiner dosiert werden. Dafür ist eine noch höhere Aktivität in der Einatmungsmuskulatur nötig. Die direkte Stimmmuskulatur wird durch laute Dynamik viel effektiver trainiert. Es ist wie bei jedem anderen Muskeltraining auch: Bei größerer, funktional richtiger Belastung stellt sich ein besserer Trainingserfolg ein.

Durch das Missverständnis, leises Singen sei stimmschonender, kann ein Teufelskreis entstehen, der immer weiter in das Singen mit Überdruck führt: Ohne funktional richtiges Training ist die Muskulatur der Stimme und die Einatmungsmuskulatur irgendwann nicht mehr fähig, die nötige Kraft für gesundes Singen aufzubringen.

Um das Singen effizient und angenehm für Ausübende und Publikum zu gestalten, müssen die beteiligten Muskelgruppen sinnvoll trainiert werden, damit sie dauerhaft die Klangerzeugung in der Unterdruckfunktion leisten können.

Die Forderungen, „aussingen“ zu dürfen, genügend Platz auf der Bühne zu haben und keine zu schweren Noten halten zu müssen, entsprechen also einem guten Gespür für einen gesunden Umgang mit den eigenen sängerischen Ressourcen. Auch der Wunsch, sich immer wieder setzen zu können, ist kein Zeichen von Bequemlichkeit. All das ist eine funktionale Notwendigkeit, die der Musik, den Ausführenden und den Zuhörenden dient. 

 

WIE STEHT MAN BEIM SINGEN?

Um gesunde, schöne und farbenreiche Klänge zu erzeugen, ist eine gute Balance von Stabilität und Flexibilität im Körper nötig. Denn die Atemmuskeln sind mit Ausnahme des Zwerchfells alle auch Körperaufrichtungsmuskeln. Wenn sie das „Instrument“ Körper in Form halten, kann die Tonerzeugung ungestört erfolgen.

Die Füße sollen parallel, eher leicht nach außen gedreht sein und senkrecht unter den Hüftgelenken stehen, etwa einen Fußbreit auseinander, also näher zusammen als mit „hüftbreit“ üblicherweise assoziiert wird. Das ist wichtig für die Statik. Das Körpergewicht ist über die Fußriste gleichmäßig verteilt. Die äußeren Fersen und die großen Zehen tragen die gleiche Belastung. Die Knie sind gestreckt, die Kniescheiben entspannt nach unten losgelassen.

Das untere Becken ist leicht nach vorne gekippt. Die Leistenmuskulatur wird dabei gedehnt, aber die untersten Zentimeter der Bauchmuskeln werden durch die mäßige Kontraktion des Beckenbodens etwas angespannt. Gut wäre auf einer Skala von 1-10 eine Kontraktionsstärke bei etwa 3.

Der Oberbauch ist in die Länge und Breite gedehnt durch die Rippenhebung für die Einatmung und darum im Bereich des Sonnengeflechts leicht nach innen gezogen.

Die Rippen sind seitlich erweitert, und dadurch sind die darauf aufliegenden Schulterblätter leicht nach außen gedreht. Das bedeutet, dass die äußeren Spitzen der Schulterblätter etwas nach oben steigen. Wird das verhindert, um „die Schultern nicht zu heben“, ist eine für gesundes Singen ausreichende Einatmung nicht möglich. Wenn Noten in den Händen gehalten werden, sollte genügend Platz vorhanden sein, um die Ellbogen rechts und links möglichst weit, mindestens im 45°-Winkel, vom Körper abzuheben. Das unterstützt die Rippenentfächerung. Der Hals ist lang und gedehnt, die obere Krümmung zeigt etwas nach hinten, wie beim „Blick in den zweiten Rang“. Die Kau- und Mimikmuskulatur ist entspannt oder gedehnt.

Auf all das kann beim Singen im Sitzen auch geachtet werden. Einiges, beispielsweise die Beckenkippung, ist im Sitzen sogar besser herstellbar. Es kann unterstützend auf die Atmung in den hinteren Teil der Lunge wirken, sich anzulehnen, denn der Hauptteil der Lunge liegt im Rücken. Auch auf die Abflachung der unteren Wölbung der Wirbelsäule, das „Hohlkreuz“, wirkt sich Anlehnen günstig aus.

Es ist weder nötig noch zielführend, „an der Stuhlkante“ zu sitzen. Das verstärkt im Gegenteil die Hochatmung und den Überdruck.

 

ZU HOCH / ZU TIEF 

Intonation entsteht am Grundton. Ohne Grundtonwahrnehmung kann darum die Intonation nicht wirklich geregelt werden, weil die Tonhöhenregelung nur am Grundton erfolgen kann, wie das auch bei allen Saiteninstrumenten der Fall ist.  

Für das Verstehen von Sprache nutzt der menschliche Gehörssinn den zweiten, oberen Vokalformanten. Der erste, untere, ist beim Sprechen nur ansatzweise ausgebildet. Dieser Umstand erschwert das Hören der tiefen Frequenzen im Klang erheblich. Es erfordert viel Übung, sie zuverlässig zu erkennen. Beim gesungenen Ton ist aber der erste Vokalformant, der im Kehlkopf entsteht wie der Grundton, ausschlaggebend für die Regelung der Intonation. Wird also der Versuch gemacht, nur über den zweiten Vokalformanten die Intonation zu regeln, also über die Vokalfarbe, hat das eine entsprechende Manipulation der Vokaltraktform zur Folge. Das wirkt auf die Dauer stimmschädigend, weil so für die Intonationsregelung die funktionalen Voraussetzungen für eine gesunde Phonation ungünstig beeinflusst werden. Diese Vorgehensweise ist mit dem „Stopfen“ von Blechblasinstrumenten vergleichbar: Man verformt den Resonator, aber die erzeugte Frequenz bleibt dieselbe, weil sie ja an der Klangquelle erzeugt wird, und nicht im Resonator.

Durch den Versuch, durch Erhöhung des Luftdrucks die Intonation zu regulieren, wie das bei Blasinstrumenten üblich ist, wird mehr Muskelmasse der Stimmlippen in Schwingung versetzt. Dadurch rutscht die Intonation nach unten. So entsteht ein stimmschädigender und für alle Beteiligten frustrierender Teufelskreis: Durch den Versuch, höher zu singen, den Ton vermeintlich „höher zu schieben“, wird der Klang tiefer und lauter. Oder umgekehrt: Klingt der Ton zu hoch, und man versucht, ihn durch Verringerung des Luftdrucks und des Körpertonus zu „entspannen“, reduziert sich die Einatmungstendenz, die den Vokaltrakt offen hält. Er verengt sich, und die Resonanz der stehenden Welle zurück auf die Stimmbänder wird unterbrochen. Dann ist die Grundtonfrequenz von außen nicht mehr vollständig hörbar, und das Klangergebnis wirkt zu hoch. Es wird hell und scharf, weil die tiefen Klanganteile fehlen. Dieses Phänomen tritt vor allem in der Sopranlage auf: Die Stimme klingt „körperlos“, isoliert und ähnelt, auch von der Klangerzeugung her, mehr einem Pfeifton ohne Vibrato.

Allgemein kann gesagt werden, dass der Eindruck von „zu tief“ oft bei zu wenig hoher Schwingung, und der von „zu hoch“ bei zu wenig tiefer Schwingung im von außen hörbaren Klang entsteht. Die Ausführenden singen also nicht zu hoch oder zu tief, sondern die Außenstehenden hören das Klangergebnis zu hoch oder zu tief. Die Singenden selbst hören sich richtig. Dieser Missstand ist nur durch eine Optimierung der Stimmtechnik in den Griff zu bekommen. Es ist also kontraproduktiv, mit Hilfe von Luftdruck die Intonation regulieren zu wollen, weil das Mischungsverhältnis von Masse- und Dehnungsdominanz dadurch noch mehr gestört wird. So wird das Gegenteil von dem erreicht, was angestrebt wurde. 

Interessant ist in diesem Zusammenhang auch ein Unterschied zwischen Frauen- bzw. Kinderstimmen und Männerstimmen: Je tiefer der erzeugte Grundton ist, desto mehr Teiltöne können im Resonator entstehen, und desto besser mischt sich der Grundton mit den Obertönen. Hoch gelagerte Stimmen haben darum weniger Obertöne. Daraus ergeben sich bei ihnen mehr Intonationsprobleme als bei tieferen Stimmen, weil Ungenauigkeiten der Grundtonfrequenz dann mehr auffallen, auch wenn es sich nur um wenige Schwebungen handelt. 

Außerdem liegen die oberen Vokalformanten vieler Sprachvokale unter den gesungenen Frequenzen hoher Töne. In dieser Lage ist für genaue Intonation also eine gezielte Veränderung der Vokalisation notwendig, die in der Sprachgewohnheit nicht vorkommt. Müssen in hoher Lage Texte gesungen werden, ist es aus diesem Grund für hohe Stimmen schwerer als für tiefe, so optimal zu intonieren, dass der Ton für die Zuhörenden weder zu hoch noch zu tief erscheint.

ERSTE HILFE UND FORTBILDUNGSANGEBOTE

Nachdem Singen ein ganzkörperlicher Vorgang ist, der durch eine spezielle Nutzung der körperlichen Ressourcen und Gegebenheiten erzeugt wird, können die einzelnen Bereiche auch im alltäglichen Leben erkannt und trainiert werden. Das geschieht vor allem durch Selbstbeobachtung und die Verfeinerung der Selbstwahrnehmung bei reflektorischen Handlungen im Alltag.

Es gibt einatmungsdominant und ausatmungsdominant gesteuerte Muskelaktionen, anders ausgedrückt „hin zu...“ oder „weg von...“ gerichtet: Ein gutes Beispiel ist die Atemtendenz beim Schieben (Trizeps) und genüsslichen Räkeln (ebenfalls Trizeps): Beide Bewegungen laufen in die gleiche Richtung ab, sind aber mit unterschiedlichen Atempräferenzen verschaltet. Beim Wegschieben, auch beim sich von etwas Wegschieben, wird die Ausatmung aktiviert, ebenso der Stimmlippenschluss durch Überdruck sowie eine Verengung des Rumpfes, das Räkeln, das sich Ausstrecken nach etwas, stimuliert dagegen die Einatmung, den Stimmlippenschluss durch Sog und eine Erweiterung des Rumpfes.

Ähnliche Beobachtungen kann man machen beim Kauen bzw. Schlucken versus Trinken bzw. Schlucken, Husten versus Niesen und Pressen versus Würgen. Die reflektorischen Abläufe beim Schluckauf und Gähnen sind einatmungsdominant, aber durch ihren jeweiligen Zweck nicht eins zu eins auf das Singen übertragbar. 

Auch Emotionen lösen entweder den Einatmungs- oder den  Ausatmungsreiz aus: Freude, Erstaunen, Wohlgefühl lässt uns ein- bzw. aufatmen, („oh!“, „ah!“), die Stimmritze öffnet sich. Bei Angst, Zorn und Ekel atmen wir aus, verschließen uns, („iiih, eklig...!“), und verengen die Stimmritze. Bei Kummer sinkt der Körpertonus, und die Atmung flacht sich ab oder stockt fast.

Es ist also möglich, die aufrichtende, tonisierende und öffnende Muskulatur gezielt wahrzunehmen und damit auch zu trainieren: Strecken oder Stretching kann auch im „Räkelmodus“ mit Wohlgefühl und Einatmungstendenz ausgeführt werden statt im Schiebemodus. Beim Aufrichten aus der Hocke, Treppensteigen und Bergsteigen, sogar beim Gehen kann bewusst der Schub aus den Waden genutzt werden. Diese Muskulatur besitzt nur der Mensch. Ohne sie wäre aufrechter Stand und Gang nicht möglich. Auch das kann als Räkeln wahrgenommen werden statt als Schieben.

Es gibt auch besonders geeignete Sportarten, die die sängerische Muskulatur stärken: Das sind vor allem Klettern, Klimmzüge, Hanteltraining, Kniebeugen, schnelles Gehen, Bergsteigen, Reiten, Radfahren und ganz besonders Schwimmen. Aufgrund der Tatsache, dass diese Bewegungsform im Wasser vermutlich maßgeblich mit beteiligt war an der Entwicklung der Gesangsfunktion, ist sie auch besonders förderlich für ein entsprechendes ganzkörperliches Training. Speziell Brustschwimmen eignet sich durch das kräftige Abstoßen mit den Beinen im Wechsel mit dem Heranziehen der Hände zum Oberkörper gegen den Widerstand des Wassers ganz hervorragend dafür: Die typische stoßweise, vom umgebenden Wasserdruck unterstützte Ausatmung, die gleichzeitig mit der Beinarbeit erfolgt, und die schnelle, kraftvolle Einatmung in den sich krümmenden Rücken während des Zuges mit den Armen bilden ein äußerst effizientes Training für die Atemmuskeln und fördert zudem deren Elastizität.

Ungeeignet als Sport sind dagegen Situps, denn dadurch werden die schrägen Bauchmuskeln trainiert, die primären Ausatmungsmuskeln. Auch Gewichtheben über die Schulterebene hinaus ist kontraproduktiv, weil es  nur im Überdruckmodus möglich ist.

Zu wissen, welche sängerischen Konzepte funktional sinnvoll sowie anatomisch, akustisch und neuronal begründbar sind, und ebenso, welche aus Kompensationen oder Vermeidungsstrategien entstanden sind, ist ein wichtiger Wegweiser. Um die eigenen Gewohnheiten von der funktionalen Warte aus einzuordnen, und daraufhin weiterführende Strategien verantwortungsvoll wählen zu können, ist es unerlässlich, die funktional sinnvollen Konzepte von denen unterscheiden zu lernen, die in die Irre leiten. Rein theoretisches Wissen kann aber  eine intensive praktische Beschäftigung mit dem eigenen Körper, den eigenen Gewohnheiten und Glaubenssätzen nicht ersetzen.

Ein lernender Mensch hat zwar bis zu einem gewissen Grad ein Gespür für gangbare Wege und für einen gesunden Umgang mit der eigenen psychosomatischen Konstitution, verfügt aber noch nicht über Erfahrungswerte im Hinblick auf eine realistische Zielsetzung und seine eigenen potentiellen Möglichkeiten, weil er selbst bisher nichts Entsprechendes erlebt hat. Es hat auch niemand Kenntnis von den eigenen unbewussten und unterbewussten Prägungen, Haltungen, Gewohnheiten, Strategien und Traumata. Darum ist es nicht möglich, selbstständig eine reale Vision von dem Weg zu entwickeln, der zu einer funktional gesunden Stimmbehandlung führen kann.

Dazu kommt, dass die täglich ausgeübte Sprachgewohnheit mit der sängerischen Artikulation nur sehr eingeschränkt kompatibel ist, und bestimmte artikulatorische Bewegungsabläufe ganz neu erlernt werden müssen.

Um für sich selbst und den persönlichen Entwicklungsstand gezielte Körperübungen zum funktionalen Singen zu erhalten, ist es daher am besten, Unterricht bei einer funktional ausgebildeten Lehrkraft zu nehmen. Auf der Website der Rabine-Instituts sind die Namen von zahlreichen professionell ausgebildeten Gesangslehrkräften zu finden, ebenso auf der Website von Susanne Eisch.

Für Informationen zur Umsetzung des funktionalen Ansatzes und grundsätzliche Übungen, als effektive Vorbereitung für Einzelunterricht, als Trainingssequenzen, oder auch für Chorleitende zur chorischen Stimmbildung verweise ich auf die ausführlich erklärten Stimmbildungseinheiten im Potential Oriented Vocal Training (POVT) von Susanne Eisch:

www.susanne-eisch.de

und auf die Website von Hilkea Knies:

https://www.hilkea-knies.de

 

Die Beschreibungen von ein paar sehr effektiven und zielführenden Körperübungen aus dem Grundlagenkurs der POVT-Seite möchte  ich hier gerne wiedergeben:

 

1 Stimme als Instrument

Wir beginnen mit einem ersten Überblick über unser stimmliches Instrument. Von Kopf bis Fuß erfahren wir die Zusammenhänge zwischen unserem Körper und unserem Singen und erleben, wie wir durch einfache Übungen für mehr Klang, Leichtigkeit und Stimmgenuss sorgen können.

 

2 Einfach erweitert – Armhebung

Wir massieren sanft und diagonal unseren schrägen Bauchmuskel und erleben, wie wir so eine mühelose und widerstandslose Brustkorberweiterung fördern und Einatmung erleichtern können. Wir werden uns unserer schrägen Bauchmuskeln bewusst und vertiefen unsere Wahrnehmung für einen vollständigen Einatmungsablauf. 

 

3 Hoch das Bein

Durch zentrale Funktionsketten ist unsere Einatmung mit unserem Oberschenkel verbunden. In dieser Einheit erleben wir, wie wir durch das Anheben des Beines unsere Atmung positiv beeinflussen und für einen deutlichen Klangzuwachs innerhalb unserer Stimme sorgen können.

 

4 Geneigt – geatmet

In dieser Übung flexiblisieren wir zentrale Muskelgruppen im Bereich des Nackens, Schultergürtels und der Bauchmuskulatur und sorgen so für eine differenzierte Beweglichkeit unserer Atmungsmukulatur. Die Einatmungsaktivität wird größer und müheloser und unsere Stimme reagiert darauf mit mehr Volumen und Klang.

 

5 Gebeugt – geatmet

Zentrale Teile unserer Einatmungsmuskulatur liegen auf unserer Körperrückseite. Gleichzeitig sind wichtige Teile unserer Körperaufrichtungsmuskulatur auch dafür verantwortlich, dass wir effizient und vollständig einatmen können. Wir erleben das differenzierte Zusammenspiel zwischen Aufrichtung und Einatmung genießen die positiven Auswirkungen auf unser Singen.

 

6 Sanft zum Raum – Kieferöffnung

Wie wir den Kiefer für die Einatmung öffnen, beeinflusst grundlegend die Gestaltung unserer oberen Luftwege. Diese sind wiederum die Voraussetzung für einen offen schwingenden Raum. Allzu häufig wird eine einfache Kieferöffnung durch starke Muskel(ver)spannungen verhindert. Mit sanften Massagen lösen wir hartnäckige Widerstände in unserer Kiefer- und Mimikmuskulatur. So kommen wir zu einer großen, schnellen Einatmung und erleben einen frei schwingenden Klang.

 

7 Artikulation klingt 1

Artikulation ist ein wichtiger Aspekt für unsere Textverständlichkeit beim Singen – aber auch für unseren Klang. Die Gestaltung unseres Klang-Raumes wird wesentlich von unserer Artikulationsbewegung beeinflusst. In dieser Einheit beschäftigen wir uns mit den Vokalen „a-o-u“ und erleben Lippenrundung als Weg zu einem vollständigen und runden Klangerlebnis.

 

8 Artikulation klingt 2

Wir erforschen weiter die Artikulationsbewegungen und erleben eine differenzierte Zungenbewegung bei den Vokalen „a“, „ä“, „e“ und „i“. So sind Klangverstärkung und Textverständlichkeit nicht länger ein Widerspruch.

 

9 Was schwingt wo?

Diese grundlegende Übung klärt die unterschiedlichen Schwingungsebenen in unserem sängerischen Instrument. Wir erleben, dass wir gleichzeitig die Schwingung der Stimmlippen und die Schwingungen in unserem Vokaltrakt wahrnehmen können. Und dass diese Schwingungswahrnehmungen uns zu einer vollständigen Klangverstärkung und differenzierten Artikulation leiten können.

SÄNGERISCHE REDEWENDUNGEN UND IHRE FUNKTIONALE ZUORDNUNG

ATMUNG / AUFRICHTUNG

Auf dem Atem -> Canto sul fiato

Auf dem Körper -> Aufrichtung

In den Bauch / Beckenboden atmen -> Atmung, Zwerchfell

Mit der Bauchmuskulatur stützen -> Bauchmuskulatur, Doppelventilfunktion

Nachächzen -> Mediakompression 

Solar-Lunar -> Atmung

Stütze -> Doppelventilfunktion, Inalare la voce, Stimmlippen

Überstützen -> Inalare la voce

 

EINSATZ

Ansatz -> Sitz / Vordersitz

Freier Ansatz -> Einsatz

Von oben / von unten -> Doppelventilfunktion

 

KLANGFARBEN

Dunkel / hell -> Chiaroscuro

Durchschlagskraft -> Mediakompression

Eng / gepresst -> Kehlkopfsenkung, Zunge

Gaumig -> Gaumen

Hauchig -> Mediakompression

Klangkern -> Mediakompression

Körperklang -> Register

Nasenresonanz -> Nase

Maske -> Sitz / Vordersitz

Metall -> Mediakompression

Rund / spitz / flach -> Mundöffnung / Kieferöffnung, Kehlkopfsenkung, Zunge

Weich / hart -> Doppelventilfunktion, Formant

 

MIMIK

Bäckchen -> Bocca ridente

Breitspannung -> Bocca ridente 

Freudiges Staunen -> Bocca ridente, Saugreflex

Schnute -> Mundöffnung / Kieferöffnung

 

PHONATION

Den Ton halten -> Legato

Den Ton trinken -> Inalare la voce

Es singt -> Gesangsreflex

Glottisschlag -> Einsatz

Kopfigkeit, Kopfton -> Dehnungsfunktion, Schwingung / Schwingungswahrnehmung

Schieben -> Bauchmuskulatur, Doppelventilfunktion

Vorne singen -> Artikulation, Sitz / Vordersitz

 

REGISTER

Mittelstimme -> Register, Mezza voce

Randstimme -> Randschwingung / Randstimme, Register

Schnarrregister, Strohbass -> Register, Vocal Fry

Verstärktes, gestütztes Falsett -> Doppelventilfunktion

Voix mixte -> Register

 

SPRACHBEHANDLUNG

Offen Singen -> Aperto ma cuperto, Mundöffnung / Kieferöffnung, Öffnung, Zunge

Parlando -> Ausdruck, Gesangsreflex, Konsonanten

Textdeutlichkeit -> Artikulation, Ausdruck, Konsonanten, Vokal

Vokalausgleich -> Formant, Vokalausgleich, Vokal

 

VOKALTRAKT

Abdunkeln -> Chiaroscuro, Rundunge, Zunge

Ansatzrohr -> Vokaltrakt 

Dämpfen -> Aperto ma cuperto, Cuperto

Decken -> Aperto ma cuperto, Cuperto

Gähnweite, Gähnstellung -> Dehnung, Dehnungsfunktion, Gaumen,

Mundöffnung / Kieferöffnung, Mundraum, Öffnung

Hinter der Nase -> Gaumen, Schwingungswahrnehmung, Sitz / Vordersitz

In den Unterkiefer singen -> Aperto ma cuperto, Mundöffnung / Kieferöffnung

Knödel -> Knödel, Zunge

Staunen -> Mundöffnung / Kieferöffnung, Inalare la voce, Vokal

Summen -> Kehlkopfsenkung, Mundöffnung / Kieferöffnung

Verbrustetes Singen -> Kehlkopfsenkung

ANDERE GESANGSTECHNIKEN IM FUNKTIONALEN BLICKWINKEL

Atemtypenlehre (Terlusollogie):

Atmung, Doppelventilfunktion, Inalare la voce, Luftwege / Luftdruckregelung, Trachealzug

 

Complete Vocal Technique (CVT):

Appoggiare la voce, Doppelventilfunktion, Gesangsreflex, Kehlkopfsenkung, Mediakompression, Mundöffnung / Kieferöffnung, Saugreflex, Vibrato

 

Estill Voice Training (EVT):

Atmung, Doppelventilfunktion, Gesangsreflex, Inalare la voce,

Luftwege / Luftdruckregelung, Mundöffnung / Kieferöffnung, Trachealzug

 

Gesangsmethode nach Christian Halseband:

Doppelventilfunktion, Gesangsreflex, Inalare la voce, Kehlkopfsenkung

 

Diagnostik und Pädagogik der Stimmbildung von Otto Iro:

Atmung, Appoggiare la voce, Doppelventilfunktion, Höhe,

Luftwege / Luftdruckregelung, Massefunktion, Mundöffnung / Kieferöffnung, Randschwingung / Randstimme, Register, Registerdivergenz, Rundung, Segment, Tiefe, Übergang, Vibrato

 

Schwedisch-italienische Gesangstechnik nach David L. Jones:

Doppelventilfunktion, Gesangsreflex, Inalare la voce, Kehlkopfsenkung 

 

Laxvox:

Doppelventilfunktion, Gesangsreflex, Inalare la voce,

Mundöffnung / Kieferöffnung

 

Lichtenbergermethode (Gisela und Walter Rohmert):

Chiaroscuro, Einsatz, Formant, Gesangsreflex, Inalare la voce, Kehlkopfsenkung, Klang, Ohr, Tonus, Vibrato, Wahrnehmung 

 

Minimallufttheorie nach Paul Bruns:

Atmung, Inalare la voce

 

Methode nach Clara Schlaffhorst und Hedwig Andersen:

Doppelventilfunktion, Gesangsreflex, Inalare la voce, Kehlkopfsenkung, Konsonanten, Vokal, Zwerchfell 

 

Singen und Bewegung nach Kurt Widmer:

Aufrichtung, Atmung, Bewegung, Doppelventilfunktion, Gesangsreflex,

Inalare la voce, Kehlkopfsenkung, Mundöffnung / Kieferöffnung,

Luftwege / Luftdruckregelung, Trachealzug, Zunge, Zwerchfell

 

Sitztechnik nach Frederick Husler:

Aperto ma cuperto, Atmung, Chiaroscuro, Inalare la voce, Kehlkopfsenkung,  Schwingung / Schwingungswahrnehmung, Sitz / Vordersitz, Vokal, Zwerchfell

 

Schule der Stimmenthüllung nach Valborg Werbeck-Svärdström:

Doppelventilfunktion, Gesangsreflex, Luftwege / Luftdruckregelung,

Mundöffnung / Kieferöffnung 

 

Speech Level Singing (SLS):

Belting, Falsett, Konsonanten, Luftwege / Luftdruckregelung, Mischung,

Mundöffnung / Kieferöffnung, Register, Schwingung / Schwingungswahrnehmung, Trachealzug, Register

 

Staumethode nach George Armin:

Appoggiare la voce, Doppelventilfunktion, Inalare la voce,

Luftwege / Luftdruckregelung, Trachealzug

 

Der wissende Sänger (Franziska Martienssen-Lohmann):

Appoggiare la voce, Ausdruck, Formant, Nase, Kehlkopfsenkung, Konsonanten,

Randschwingung / Randstimme, Register, Sitz / Vordersitz, Vibrato, Zunge, Zwerchfell

Gabriele Weinfurter