"Man soll die Dinge so einfach wie möglich machen, aber nicht einfacher."
                                                                                                                                                Albert Einstein 

 

 

FUNKTIONALE GESANGSTECHNIK

 Theoretische Erklärung und Nachschlagewerk

 

 

Die Theorie über die Stimmfunktion stellt die anatomischen, physiologischen, biologischen, neurologischen, akustischen und psychologischen Zusammenhänge der Funktion des menschlichen Instrumentes Stimme nach momentanen wissenschaftlichen Kenntnissen dar. Es handelt sich nicht um eine abgeschlossene Lehrmeinung, sondern um einen Erkenntnisprozess, der jetzt und in Zukunft ständig erneuert und erweitert wird.

Zitat Rabine-Institut

 

 

 

 

Gesang als elementare Möglichkeit zur Äußerung von Innerlichem, als Quelle von Freude und Gesundheit, als kulturelle, rituelle und spirituelle menschliche Ausdrucksform ist elementarer Bestandteil des Lebens, seit es Menschen gibt. Mehr noch: Singen in der Form, wie wir Menschen es tun, ist tatsächlich etwas, was unsere Spezies, den homo sapiens sapiens, von allen anderen Spezies unterscheidet: Durch unseren speziellen Körperbau sind wir als Einzige in der Lage, diese Lautäußerung hervorzubringen. 
Singen in der Form, die Eugen Rabine als "Funktionalen Gesang" bezeichnet hat, ist der komplexeste zusammengesetzte Reflex, den der menschliche Körper besitzt. Jeder Mensch hat ihn und kann ihn für das eigene Wohlbefinden nutzen.
Die Aufgabe, singen zu lernen, besteht also nicht darin, etwas Neues, dem natürlichen Verhalten Widersprechendes oder zumindest Aufgesetztes zu erlernen, sondern vielmehr darin, etwas bereits Vorhandenes von Gewohnheiten und Schutzmechanismen zu befreien, die daran beteiligten Parameter und Körperbereiche für eine "Luxusfunktion" zu optimieren, und so das, was schon von Natur aus angelegt ist, durch die Selbstheilungskraft des Körpers zur Entfaltung aus sich selbst heraus zu bringen, damit sie die emotionale Funktion dieses Verhaltens in vollem Maß erfüllen kann, nämlich, die komplexe Psyche des Menschen durch die Ausschüttung von Glückshormonen von innen heraus zu regulieren, und durch das immer feiner wahrnehmbare Zusammenspiel der Atmung mit der Erweiterung und Tonisierung des Körpers und der regelmäßigen Vibration des gesungenen Tones Verbundenheit von Körper und Bewusstsein im Augenblick erfahrbar werden zu lassen, wie es in passiverer Form ja auch Ziel jeder Meditationstechnik ist.

Das funktionale Stimmtraining eignet sich für alle Stilrichtungen und genauso für Menschen in Sprachberufen, da der stimmige, natürliche Umgang mit den vorhandenen Ressourcen und das Auflösen von Fehl- bzw. Schutzspannungen die Stimmfunktion grundsätzlich verbessert. Es wird nicht nur in der Gesangspädagogik, sondern auch in den Bereichen der Logopädie, Phoniatrie, Musiktherapie, Psychotherapie und zur Entwicklung neuer therapeutischer Richtungen angewendet. Die ganzheitliche Auswirkung dieser Körperarbeit führt zur Steigerung der Gesundheit sowohl in körperlicher als auch in emotionaler Hinsicht. Singen ist ein neuronales Programm, das Physis und Psyche ausbalanciert und heilt, und an dem alle Anteile der menschlichen Existenz beteiligt sind. 

 

 

 

Beim Saugreflex wird durch die sich vergrößernde Kieferöffnung bei aktivem Lippenring der Rachenraum immer mehr horizontal und vertikal erweitert, der Kehlkopf immer weiter abgesenkt und so der Sog erhöht. Der Vokaltrakt setzt der einströmenden Atemluft geringstmöglichen Widerstand entgegen, so dass die Einatmung optimal schnell und effektiv erfolgen kann. Dadurch wird die die Einatmungsmuskulatur bestmöglich trainiert und fähig, die Kontraktion auch während der Ausatmung dominant aufrechtzuerhalten.

 

 

VORWORT

Diese Seite ist gedacht zur Information für interessierte Menschen, die mit der Stimme arbeiten, ob als ausübende SängerInnen und SprecherInnen oder als PädagogInnenen und ChorleiterInnen, und für Alle, denen ein gesunder und natürlicher Umgang mit den Ressourcen und Möglichkeiten zu Selbstausdruck und Selbstheilung des menschlichen Körpers ein Anliegen ist, auch, um zu erkennen, welche Ansätze dem zuwiderlaufen, was von Natur aus im menschlichen Organismus angelegt ist.

Da Singen, genau wie alle anderen autonom ablaufenden Körperfunktionen, ein nicht ins Tagesbewusstsein dringender Vorgang ist, außer man richtet gezielt seine Aufmerksamkeit darauf, sind auch die Gewohnheiten und Schutzschließungen und -spannungen, die ihn begleiten, nicht bewusst erkennbar. Um daran  zu arbeiten, ist es nötig, sukzessive schützende Alternativen anzubieten, damit der Organismus bereit ist, die selbst installierten Schutzhaltungen aufzugeben. 

Das kann sicher und effektiv nur eine Lehrperson mit einschlägigen Fachwissen und geübter Beobachtungsgabe leisten, die sich mit den komplexen Vorgängen des Gesangsreflexes sehr gut auskennt und auch praktisch über die Fähigkeit verfügt, funktional zu singen. Das funktionale Hören, Sehen und Fühlen wird gesteuert über die Empathie, und die wird durch Übung in der Wahrnehmung gebildet, am eigenen Organismus und am Organismus des Menschen, der einem gegenübersteht, also dem Schüler/der Schülerin.

 

FUNKTIONAL SINGEN, WAS IST DAS?

MÖGLICHST EINFACHER ERKLÄRUNGSANSATZ EINES SEHR KOMPLEXEN GESCHEHENS

 

Haltung/Aufrichtung/Atmung

Um als Sänger ein möglichst effizientes Instrument zur Verfügung zu haben, ist es sehr hilfreich, die Zusammenhänge zwischen der Körperaufrichtung, einer speziell sängerischen Atmung und der Funktion unserer Klangquelle zu berücksichtigen.
Unsere Stimmlippen sind evolutionär gesehen das letzte (auch zuletzt entstandene) Ventil, das durch seine Fähigkeit zu vegetativ gesteuerter, blitzschneller Schließung bei geringster Irritation unsere Lunge vor dem lebensbedrohenden Eindringen von Fremdkörpern schützt. (Man stelle sich nur das berühmte eingeatmete Staubkorn vor, das zu sofortiger Schließung der Stimmlippen mit darauf folgender Hustenattacke führt!) Weil Fremdkörper von außen in uns eindringen, sind die Stimmlippen neuronal mit der Einatmungsmuskulatur verkoppelt, das heißt, in jeder Einatmung (besonders in einer großen) haben sie eine erhöhte Bewegungs- und Schließbereitschaft. Sie sind in der Lage, von selbst zu schließen, ihr Verschluss fühlt sich präzise an, manchmal kaum fühlbar. Deutlich wird dieser Reflex beim Schluckauf, einem vorgeburtlichen Training der Einatmungsmuskeln.
Eine weitere Funktion dieses Einatmungsventils ist, dass durch die Schließung und den daraus folgenden Unterdruck in der Lunge bei Kontraktion der Einatmungsmuskeln eine (dominante) Kraftanwendung hin zum Körper möglich wird (z. B. ein Klimmzug). Es ist ein Unterdruckventil, um die Lunge vor Aufblähung zu schützen.
Dem entgegen steht ein weiteres, etwa 1 cm oberhalb der Stimmlippen gelegenes Ventil, die Taschenfalten, die als Schleimhautlappen in die Luftröhre hineinhängen, von Nacken- und Rachenringmuskeln und der Zunge geschlossen werden können, und der Stabilisation des Rumpfes bei (dominanter) Kraftanwendung weg vom Körper dienen (Gebären, Schieben...). Daher sind sie neuronal mit den Ausatmungsmuskeln verkoppelt. Die Ausatmungsmuskulatur verengt unseren Rumpf, der neuronal damit einhergehende Verschluss der Taschenfalten fühlt sich eher großflächig an, der Hals geht "zu". Je mehr Druck wir aufwenden, umso größer wird die Verschlussfläche.
Die Natur hat uns den Luxus in die Wiege gelegt, unsere Stimmlippen in einer Tertiärfunktion zur Phonation, zum Singen zu nutzen. (Die Sekundärfunktion der einfachen Lautäußerung, die jedes Tier hat, das Stimmlippen besitzt, steht uns selbstverständlich auch zur Verfügung.) Möglicherweise ist die Gesangsfunktion eine Selbstregulationsfunktion unserer differenzierten und deshalb störanfälligen Psyche; sicher ist, dass Singen als einzige Tätigkeit ohne direkten Bezug zu den lebenserhaltenden Körperfunktionen in sehr hohem Maße Endorphine ausschüttet.
Um in den Modus des Gesangsreflexes zu kommen, nutzen wir die Verschaltung unserer Stimmlippen mit der Einatmungsmuskulatur, weil sie dadurch zu hoher Bewegungsbereitschaft angeregt werden. (Im Gegensatz dazu ist Schreien mit der Ausatmungsfunktion, anders gesagt, mit Überdruck gekoppelt, weil in bedrohlichen Situationen eine Verengung der oberen Luftwege bei gleichzeitiger Tongebung durchaus sinnvoll ist wegen des dadurch gewährleisteten Schutzes der Lungen. Dass diese Art der Tongebung die Stimmbänder strapaziert, ist in solchen Situationen angesichts ihrer Bedrohlichkeit sekundär.) Also ist die Tätigkeit des Singens auf der einen Seite beglückend, auf der anderen nur in einem relativ geschützten Rahmen optimal möglich, weil nur da eine Öffnung des Vokaltraktes in der Weise möglich ist, die zum Gesangsreflex führt.
Um diesen Reflex auszulösen, aktivieren wir unsere Einatmungsmuskeln und sorgen damit für Bewegungsbereitschaft des Stimmmuskels. Der erste Schritt dazu ist eine große, effektive Einatmung. Ab 50 % Lungenvolumen können wir von einer vollständigen sängerischen Einatmung sprechen, die diesen Regelkreis aktiviert und die Stimmlippen zu einer hohen Leistungsfähigkeit anregt. Wenn wir singen (was wir in der Ausatmung tun), ist es wichtig, dass die Einatmungsmuskulatur weiter aktiv bleibt und damit weiter die Stimmlippen zu erhöhter Bewegungs- und Differenzierungsbereitschaft anregt. Die Ausatmung ist sanft, mit wenig Luftdruck unter den Stimmlippen, und immer von den neuronal dominant wirksamen Einatmungsmuskeln aktiv balanciert. Der Hals bleibt dadurch "offen"("Unterdruckfunktion").
Die Ausatmungsmuskeln werden während des Singens immer aktiver, je länger die Phrase dauert. Der Bauch darf also nach innen gehen. Dies ist eine antagonistische Reaktion auf die Ausatmungs-/Aufwärtsbewegung des Zwerchfells. Das geschieht ganz von selbst, wenn die Einatmungsmuskeln im Bereich der oberen Rippen aktiv bleiben. Eine bewusste Kontraktion des Bauches während des Singens ist kontraproduktiv, es würde den Regelkreis der "Überdruckfunktion" in Gang setzen, bei dem die Taschenfalten nach innen gedrückt werden und damit den Resonanzraum verengen, so dass der Hals zugeht, der Gesangsreflex würde zusammenbrechen.
Da die Stimmlippen primär ein Schutzorgan sind, setzt eine Schließtendenz bei jeder Irritation im Vokaltrakt ein und wirkt dann dominant, auch bei Luftverwirbelungen auf Grund von Resonanzstörungen wie z. B. sogenannten "Brüchen" (die auf akustische Interferenzen zurückzuführen sind).
Wesentliche Einatmungsmuskeln sind unser Zwerchfell und unsere Zwischenrippenmuskeln. Besonders die Atmungsanteile auf unserer Rückseite sind häufig unbewusst, weil sie durch ihre den Augen verborgene Lage mit weniger Synapsen im Gehirn verschaltet sind. Diese gilt es zu einer höheren Bewegungsbereitschaft anzuregen, weil der größere Anteil des Lungenvolumens sich im Rücken befindet.
Ein flexibler Tonus in unserer Beinmuskulatur wirkt unterstützend auf die Aktivität der Einatmungsmuskulatur. Nur eine stabile und flexible Kette der Aufrichtungsmuskulatur von den Fußsohlen bis zum Atlas stellt die Einatmungsmuskeln für ihre eigentliche Tätigkeit wirklich frei. (Aus diesem Grund ist es Kindern bis mindestens zum 7. Lebensjahr, normalerweise aber bis zum Ende der Pubertät nicht möglich, einen vollständigen Gesangsreflex aufzubauen, weil auch ihre Körperaufrichtung und der nötige Körpertonus noch nicht vollständig ausgebildet ist. Das heißt, Kinder singen in einer anderen Funktion als Erwachsene, die dem Schreien ähnlicher ist (Überdruckfunktion). Deshalb entwickeln sie in den allermeisten Fällen auch kein Vibrato. Diese Funktion wird heute häufig in der Popkultur verwendet und nimmt da eine ästhetisch recht beachtliche Stellung ein, während das Singen mit Vibrato für viele Ohren ungewohnt und (weil es auch in der Kindheit oft nicht gehört wurde) schwerer zu finden ist, als es vielleicht früher der Fall war, als noch eine andere Ästhetik vorherrschte. Weil aber der physiologische Grundtremor der Muskulatur, der, (das gilt für alle Muskeln,) sich bei effizienter Balance zwischen Agonisten und Antagonisten von selbst einstellt, bei den klangerzeugenden Stimmmuskeln eben neben der erzeugten Tonschwingung auch hörbar wird, ist Singen mit Vibrato in Wahrheit die natürlichste und gesündeste Singweise.
Die Bauchmuskulatur ist dem Zwerchfell und den seitlichen äußeren Zwischenrippenmuskeln als Antagonist entgegengestellt ist, sie sorgt für die aktive Ausatmung, die einsetzt, nachdem die Entspannung des Zwerchfells und die Rückstellkraft der Rippenelastizität einen Teil der Atemluft hat entweichen lassen. Eine Fähigkeit dieser Muskeln, sich dehnen zu lassen, ist eine wesentliche Voraussetzung für einen mühelosen und vollständigen Atmungsablauf. Weil sie aber auch eine starke Schutzfunktion für den Körper haben, sind sie oft chronisch kontrahiert, und es braucht Geduld, Zeit und eine entspannte Atmosphäre, um ein Loslassen dieser Verspannungen allmählich zu erreichen und so eine vollständige Sängeratmung überhaupt zu ermöglichen. Nachdem aber immer der kontrahierte Muskel eine Bewegung leitet, braucht es eine (körper-)bewusste "Erlaubnis" dieser schrägen Bauchmuskulatur, sich dehnen zu lassen und gedehnt zu bleiben.
Am Ende einer effektiven, großen Einatmung erleben wir neben einer Beckenkippung unten nach vorne eine leichte Außenrotation unserer Schulterblätter. (Vorsicht, Verwechslungsgefahr mit dem nach oben Ziehen der Schultern über Kompensationsmuskeln im Hals- und Nackenbereich!) Diese erweiterten Schulterblätter lösen im Idealfall den Gesangsreflex neuronal aus ("Aufatmen"!) und können mit viel Übung während der Phonation am Platz bleiben.

Vokaltraktgestaltung/Phonation

WIE die Luft durch unseren Mund nach innen kommt, hat auch ganz wesentliche Einflüsse auf die Qualität unserer Atmung und unseres Singens.
Generell gilt: Die optimale Mundöffnung für die Phonation beträgt etwa 2 Finger breit bzw. 3-4 cm, eventuell je nach Körperbau leicht abweichend. Auch die Dehnungsbereitschaft unseres großen Kaumuskels, des kräftigsten Muskels im ganzen Körper, ist oft eingeschränkt durch psychosomatische Erinnerungsmuster, und es kann ein langwieriger Prozess sein, sie durch vorsichtige Dehnungsübungen und Massage wiederherzustellen. Im Normalfall "hilft" die Zunge bei der Kieferöffnung, indem sie durch Kontraktion ihrer hinteren Anteile den Kiefer nach unten drückt, um den Rachenraum zu schützen. Dabei wird er verengt, im Extremfall fast ganz verschlossen, und der Kehldeckel wird horizontal über den Kehlkopf gedrückt, was eine "gequetschte", "enge", "knödelnde" Klanggebung zur Folge hat, und den Stimmlippen viel größere Anstrengung für die gleiche Lautstärke (durch die Schließung, auch der Taschenfalten, als Überdruckfunktion bzw. "Schreien") abverlangt.
Der Kieferöffnungsmuskel ist ein sehr schwacher Muskel, der von der Unterseite des Kinns ausgeht und gegen den übermächtigen Schließer Kaumuskel keine Chance hat. Daher ist Kieferöffnung ohne Zungendruck ein komplexer Bewegungsablauf, der sehr viele Muskeln mit einbezieht und deshalb nicht willentlich angesteuert werden kann. Am ehesten ist er mit der Bewegung zu vergleichen, die unbewusst ausgeführt wird, bevor aus einem Glas oder einer Flasche ein großer Schluck getrunken wird. (Wenn man sich dabei beobachtet, merkt man, dass man reflektorisch dabei einatmet.)
Für das Singen ist es sehr hilfreich, über den Saugreflex, der ohne Kontraktion der Mimikmuskulatur abläuft (im Gegenteil, die Mimikmuskeln müssen bereit sein, sich dehnen zu lassen), mit Hilfe einer dominanten Bewegungssteuerung von den Lippenringmuskeln, (neuronal erstes Tastorgan im menschlichen Leben!), speziell der Mundwinkel, ausgehend von einem "winzigkleinen" m, hin zu u, o bis zu einem dunklen, ovalen a den Kiefer öffnen zu lassen, weil ohne diese Restkontraktion der Lippenringmuskulatur andere Muskelgruppen, vorzugsweise die Zunge, sofort "helfend" einspringen, um die verlorengegangene Schutzfunktion des kontrahierten Lippenrings zu kompensieren. Im Idealfall bleibt diese dominant erhalten bis zur vollständigen Öffnung der Stimmfalte und der damit einhergehenden Dehnung und damit Schließbereitschaft der Stimmlippen, die dadurch bei der Phonation die dominante Rolle übernehmen. Die Mundöffnung ist eine zentrale, lebenserhaltende Schutzzone unseres Körpers, und ein zu wenig achtsames Vorgehen wird reflektorisch immer eine größere (Schutz-)Schließung auslösen. Darum ist Behutsamkeit bei der Mundöffnungsbewegung das A und O ;-)! Das Ergebnis ist dann eine mühelose, äußerst schnelle und lautlose Einatmung.

DIE QUALITÄT DER MUNDÖFFNUNG BESTIMMT DIE QUALTÄT DER PHONATION

Durch sie wird der Vokaltrakt gestaltet, der sich von den Stimmlippen bis nach oben zum weichen Gaumen und nach vorne zur Mundhöhle erstreckt. Eine sängerisch optimale Gestaltung dieses Raumes gewährleistet ein optimale Resonanz bzw. Klangverstärkung und erleichtert dem tongebenden Organ auf diese Weise äußerst effektiv die (Muskel-)Arbeit. Der Vokaltrakt ist in seiner Form extrem variabel, und die Qualität unseres Klanges (übrigens auch beim Sprechen) hängt zu einem sehr großen Teil von der Gestaltung dieses Raumes ab.
Der Kehlkopf ist in seiner Position variabel, und eine möglichst tiefe Senkung des Kehlkopfes ist für die Klangverstärkung deshalb natürlich wünschenswert. Ein großes Instrument klingt voller und reicher als ein kleines! Allerdings darf diese Senkung nicht durch Druck der Zunge nach unten geschehen, weil das ja wieder eine Verkleinerung des Resonators und eine Dämpfung der entstehenden Klangwellen zur Folge hätte. Der Sänger nutzt auch dafür eine vollständige Einatmung. Diese sorgt über die fasziale Verbindung des Kehlkopfes mit den Bronchien, der Lunge und damit dem Zwerchfell durch dessen Senkung für eine Senkung des Kehlkopfes und Öffnung der Stimmfalte ("Trachealer Zug").
Eine wesentliche Voraussetzung für eine gute Raumgestaltung ist auch die Bereitschaft der Schluckmuskulatur (Schlundmuskeln, Kiefermuskeln, Mimikmuskeln etc.), nachzugeben, sich dehnen zu lassen bzw. zu runden, was zur Primärfunktion dieser Muskelgruppen entgegengesetzte Bewegungsabläufe - Schlucken bedeutet Schließen -und daher sehr ungewohnt sind. Einzig bei den Schlundmuskeln (lateinisch Constrictoren) ist in der Funktion des nach oben Würgens eine neuronale Rundungskomponente auch reflektorisch vorgesehen. Das Alles anzusteuern und zu erlauben ist nicht einfach und kann physisch und psychisch herausfordernd sein. Es braucht Geduld, Achtsamkeit und Zeit, sonst löst es Stress aus und führt deshalb zu größerer Schließung.
Neben der reinen Klangverstärkung kann unser Vokaltrakt durch kleine Veränderungen in Zunge/Lippen/Rachenrückwand etc. auch eine Veränderung der Vokale bewirken. Im besten Fall bleibt bei dieser Vokalveränderung die Klangqualität bestehen, der Rachenraum geweitet und gerundet, und die direkt am Kehlkopf empfundene tiefe Frequenz bleibt verbunden mit der hohen Frequenz am weichen Gaumen, ohne dass sich die Zunge als dämpfende und verengende Komponente störend dazwischenschiebt. Das ist dann die sängerische Artikulationsbewegung, deren Hauptziel eben die ungestörte Klangentwicklung ist, und die zur Artikulationsbewegung beim Sprechen gravierende Unterschiede aufweist, besonders bei den "schließenden" Vokalen helles a und i, die in der sängerischen Artikulation so gar nicht vorkommen, sondern muskulär ganz anders gebildet werden. Beim Sprechen liegt der Fokus auf Textverständlichkeit und Informationsaustausch, und der Stimmklang wird deshalb im Zweifelsfall sekundär behandelt, beim Singen ist es naturgemäß genau umgekehrt.
Auch da gilt immer, zuerst den Körper für das Singen zu tonisieren und eine vollständige Atmung zu ermöglichen. Nur wenn die Haltungsmuskeln stabil sind, können die feinen und differenzierten Bewegungen im Atmungsapparat und Vokaltrakt effizient ausgeführt werden (man denke an den Schwächling, der einen Baumstamm balancieren soll, im Gegensatz zum durchtrainierten Sportler mit der gleichen Aufgabe).
Bei der Phonation entstehen Schwingungsempfindungen im Vokaltrakt, eine deutlich fühlbare direkt an den Stimmlippen, und eine am (bei geöffnetem Mund reflektorisch geschlossenen) weichen Gaumen. Je höher der Ton, umso dominanter erleben wir den oberen Teil, je tiefer, umso dominanter erleben wir den unteren Teil. Es ist aber immer der gesamte Vokaltrakt an der Klangverstärkung beteiligt und kann wahrgenommen werden. Auch der Kehlkopf bleibt immer in idealer Tiefstellung, in welcher Tonhöhe wir uns auch bewegen.
Bei den "dunklen" Vokalen a, o und u ist die "Klangsäule" senkrecht nach oben gerichtet; direkt vertikal über den klangerzeugenden Stimmlippen wird der Klang vom Gaumensegel auf sie zurückreflektiert, wie bei einer Gedacktpfeife bei der Orgel. Und die auf Luftverwirbelungen mit erhöhter Bewegungsbereitschaft reagierenden Stimmlippen (Primärfunktion!) reagieren mit einer Intensivierung der Schwingung nach dem Prinzip der Rückkopplung. Es ist offensichtlich, welche zentrale Rolle dabei die Haltung des Kopfes und damit die Position des Vokaltrakts spielt! 
Bei den "hellen" Vokalen e und i, aber auch bei ä, ö und ü bleibt diese Qualität der Resonanzverstärkung erhalten, während sich gleichzeitig durch Brechung am schräg nach vorne oben gestellten Zungenrücken ein zweiter Resonanzstrang entwickelt, der an den harten Gaumen führt. Weil dieser Schwingungsknoten auf Grund der knöchernen Struktur des harten Gaumens sehr gut fühlbar ist, hat sich daraus empirisch die "Sitztechnik" entwickelt, die einen dauerhaft fühlbaren Fokus des gesungenen Tons im vorderen oberen Gesichtsbereich ("Maske") anstrebt, damit aber die für den Vokaltrakt optimale Bildung der dunklen Vokale und auch die tiefe Schwingung der hellen Vokale beeinträchtigt. Das kann auf Dauer wegen des von der schrägen Zunge zu hoch gezogenen Kehlkopfes zu Stimmschäden führen.
Für die Artikulation von Konsonanten gilt prinzipiell, dass wir unter möglichst vollständiger Beibehaltung des geöffneten sängerisch gestalteten Vokaltraktes diese Bewegungen schnell vollziehen, mit möglichst geringer Kieferschließung und vorherrschendem Gefühl der Kieferöffnung nach Bildung des Konsonanten, ohne die dominante Einatmungstendenz (Unterdruckfunktion) zu stören, obwohl Konsonanten ja durch Überdruck gebildet werden müssen. (Ausnahmen dazu sind nur m, n, ng und l.) So können wir möglichst schnell und störungsarm zum Vokal, dem Klangträger, zurückkommen. Auch da besteht ein deutlicher Unterschied zwischen der sängerischen Artikulation und der beim Sprechen wegen der unterschiedlichen Zielsetzung. Damit für den Einsatz der vom musculus vocalis erzeugten Tonschwingung ein optimal geeigneter Resonanzraum im Vokaltrakt neuronal zur Verfügung gestellt wird, ist es von großer Bedeutung, dass die (über die im Gehirn codierte Hörerwartung, nicht über muskuläre Einstellung, also un-willkürlich) angesteuerte Tonhöhe nicht durch eine Kieferschließung zur Konsonantbildung gestört wird. Das heißt, die meisten Konsonanten werden in der entspannten Sprechlage („Schwa“) gebildet, unabhängig von der gewünschten Tonlage des darauf folgenden Tones. Je höher die angesteuerte Tonlage ist, desto größer ist der Unterschied, da hohe Töne eine sukzessive größere Weite des Vokaltraktes und Kieferöffnung brauchen für optimale Resonanzverhältnisse und damit einen gesunden Umgang mit der Stimme. 

Um ein Stück zu erarbeiten, bietet sich daher folgende Vorgehensweise an:
Wir singen die Melodie auf einem Vokal (gerne o) oder auf zwei Vokalen im lockeren Wechsel (a und o), das erhöht die Flexibilität und beugt starren Artikulationshaltungen vor.
Im nächsten Schritt machen wir uns die Vokale des Textes bewusst. Sie stimmen sehr oft nicht mit den geschriebenen Vokalen überein! Diese Vokalfolge singen wir dann auf einem Ton bzw. auf zwei Tönen im lockeren Wechsel.
Dann fügen wir Melodie und Vokalfolgen zusammen.
Um die Konsonanten in der gewünschten Feinheit und Präzision zu erkennen, können wir anschließend den Text leise flüstern, mit so wenig Luftdruck, wie wir beim Singen verwenden würden, aber trotzdem so deutlich wie möglich (Achtung auf die Mundöffnung, auch die sollte zu der beim Singen passen!)
Danach in bequemer Tonhöhe den Text sprechen mit den „neuen“ Konsonanten
Im letzten Schritt nehmen wir die Konsonanten (auf Sprechhöhe) zum Stück dazu, ohne den unaufhörlich schwingenden Raum damit zu stören. Um das ohne „Schleifer“ mit unhörbarem Übergang zu bewerkstelligen, ist sicher einige Übung nötig. Es entspricht funktional aber einem Tonsprung, der ja auch nicht willentlich angesteuert sondern über die Tonvorstellung von den Stimmlippen unwillkürlich ausgeführt wird.

Ist während des Stücks ein Nachatmen nötig, so geschieht das im Idealfall auf Grund der dauernd vorhandenen Dominanz der Einatmungsmuskeln (Einatmungstendenz), der reflektorischen Öffnung der Stimmlippen bei Beendigung der Tonschwingung und der optimalen Raumgestaltung durch den Vorgang des Singens sehr schnell, effektiv und mühelos, um dann genauso effektiv und mühelos zum nächsten Toneinsatz (durch die Selbstschließung der Stimmlippen) zu führen. Anders ausgedrückt, der Modus des Singens wird das ganze Stück hindurch beibehalten und erst nach dem letzten Ton beendet. 

 

KURZANLEITUNG FÜR CHORLEITER

Einen Chor zu leiten bedeutet nicht zuletzt, für die stimmliche Gesundheit der Chormitglieder Verantwortung zu übernehmen, sie zu pflegen und zu fördern. Außerdem ist man, wenn man diese Position bekleidet, automatisch eine Hauptbezugsperson in Bezug auf Singen für alle Chormitglieder, oft die einzige professionelle Quelle für alle Fragen um Gesang und Stimmpflege. Daher ist es sehr wichtig für alle in diesem Beruf, über die anatomischen und neuronalen Grundzüge des Singens so Bescheid zu wissen, dass die funktionale Gesunderhaltung der ihnen anvertrauten Stimmen gewährleistet ist.

Die Bewegungen beim Dirigieren können im Idealfall sogar die Körperfunktionen der Chormitglieder empathisch anregen, die den Gesangsreflex auslösen und unterstützen. Das Gegenteil kann allerdings auch passieren, dass die Dirigierbewegungen störend und hemmend auf das Singen einwirken.

Leider gibt es in der Ausbildung zu diesem Beruf noch keine flächendeckende funktionale Unterweisung, so dass sich ein paar Missverständnisse und Irrmeinungen in diesem Bereich hartnäckig zu halten scheinen.


ATMUNG / ZWERCHFELL

Das Zwerchfell, wie der Name schon sagt, ein quer (zwerch) im oberen Bauchbereich verlaufender Muskel, ist der primäre Einatmungsmuskel. Es trennt den Verdauungstrakt vollständig vom Atemtrakt und ist nahtlos mit der Lunge verbunden. Dadurch kann es durch Kontraktion nach unten einen Unterdruck im Lungengewebe erzeugen, das ja durch den Rippenkorb in seiner Form festgelegt ist, und so einen Sog aufbauen, der Außenluft ins Innere der Lunge zieht, ähnlich dem Prinzip, wie eine Spritze aufgezogen wird. Die Atemluft "fällt" nicht in die Lunge, sie wird angesaugt.

Wie jeder Muskel ist das Zwerchfell nur fähig, zu kontrahieren, oder die Kontraktion loszulassen, also zu entspannen. Daher kann durch Zwerchfellaktivität nur eingeatmet werden, niemals aus.

Die Ausatmung geschieht durch die Rückstellkraft der Rippen, die durch die Kontraktion des Zwerchfells (und durch Kontraktion der äußeren seitlichen Zwischenrippenmuskeln) zur Einatmung auseinander gespreizt worden sind, und im Weiteren durch Druck der Bauchmuskulatur nach innen, der das nachgebende, sukzessive entspannende Zwerchfell durch nach oben Schieben der Verdauungsorgane weiter nach oben treibt. Rhythmische Ausatmungsübungen (f p t k ...) und akzentuiert gestoßene Konsonanten trainieren also nicht das Zwerchfell, sondern die (ohnehin oft dauerkontrahierten) schrägen Bauchmuskeln und erschweren dem Zwerchfell, das ja nur durch Einatmen trainiert werden kann, die Beibehaltung der so wichtigen Einatmungstendenz beim Singen. Sie sind für funktional gesundes Singen also kontraproduktiv und haben die gegenteilige Wirkung von der gewünschten, das Zwerchfell zu kräftigen, indem sie die Antagonisten stärken.

Der Ausdruck "Auf dem Zwerchfell Singen" beschreibt die Wahrnehmung beim Singen, dass das Zwerchfell während der Phonation und Artikulation seine Kontraktionsspannung beibehält.

 

FORMANT

Der in der Akustik häufig verwendete Begriff “Formant” bedeutet, dass in der Obertonreihe, die über einem Grundton entsteht, sich mehrere Obertöne zu einer Obertonballung “formieren”. Jede Vokalfarbe ist definiert durch einen tiefen und einen höheren Vokalformanten. Diese Ballung ergibt sich aus der jeweiligen Form des Rohres, in dem die stehende Welle schwingt. Sehr empfehlenswert in diesem Zusammenhang ist folgendes Kurzvideo auf YouTube: demostracion de la fonacion humana.AVI

Dabei ist es unerheblich, wie lang das Rohr ist, allein die Form ist ausschlaggebend. Das ist auch der Grund, warum auch Tierstimmen und von unbelebten Gegenständen hervorgerufene Klänge oft für unsere Ohren wie Vokale klingen. Der Grundton, gebildet von den schwingenden Stimmlippen, und der 1. Vf (der 1 - 1 ,5 cm darüber im sogenannten Vestibül entsteht) sind akustisch nicht trennbar. Sie sind verantwortlich für das dunkle Timbre der Gesangsstimme. Der 2. Vf entsteht unterhalb des weichen Gaumens, er ist verantwortlich für die Verständlichkeit. Durch unsere Prägung auf Sprache sind viele ChorleiterInnen und LaiensängerInnen es (leider) gewöhnt, vor allem oder ausschließlich auf den 2. Vf zu achten. Fehlt der 1. Formant, weil der Kehlkopf zu hoch steht, ist es unmöglich, mühelos Masse anzukoppeln, weil die Rundung des "Instruments" nicht optimal ist. (So etwa klingen Kinderstimmen; sehr hell, "bianco".) Eine hinunter gedrückte Zunge wiederum verhindert die Ausbildung des 2. VF, der Klang der Stimme wird dumpf.

Unterhalb und oberhalb der die Vokalfarbe definierenden Frequenzbereiche ist es unmöglich, klare Vokale zu artikulieren, da die sie bestimmenden Merkmale nicht oder unvollständig vorhanden sind. Es gibt zwei Möglichkeiten: Man verkürzt und verkleinert das ganze "Instrument", um klar artikulieren zu können, oder man erlaubt eine Öffnung des Vokaltraktes zum nächstoffeneren Vokal hin. Bei dieser Möglichkeit kann der Kehlkopf auf seiner sängerischen Tiefposition bleiben und der Gesangsreflex bleibt ungestört erhalten. Das bedeutet: weil über a" beim erwachsenen Menschen die wichtigsten drei 2. Vokalformanten verschwunden sind, ist es nicht möglich, die dazugehörigen Vokale in dieser Lage adäquat zu artikulieren. Männerstimmen haben es da entschieden leichter, da sie sich bei der Tonbildung praktisch nie in diesen Frequenzbereichen bewegen. Das ist einer der Gründe für die "undeutliche" Aussprache von Sopranistinnen: sie spüren instinktiv, dass es ihrer Stimme und der Qualität ihres Gesangs schadet, wenn zu deutlich im Sinne der Sprachgewohnheit artikulieren und damit den 1. VF verlieren. Die Folge ist stimmliche Ermüdung, weil der Gesangsreflex nicht störungsfrei ablaufen kann.

Ein Wort noch zum berühmten Sängerformanten: Es gibt drei Sängerformanten um 3000 Hz, das entspricht fis"", der zweithöchste und der höchste Sängerformant als Klangcode, (um 5000 bzw. 8000 Hz, also d""' bzw. e""") regen über das Gehör im Gehirn erhöhte Gammanerventätigkeit und Glücksgefühle an. Positive Aktivität wird ausgelöst. Einen ähnlichen Effekt hat Vogelgesang. Vielleicht einer der Gründe, warum Singen glücklich macht?

 

GESANGSREFLEX

Er ist der komplizierteste zusammengesetzter Reflex, der dem Menschen eigen ist, gehört aber wie alle Reflexe zum Grundpotential jedes Menschen. Beginn ist ein neurologischer Impuls im Mittelteil des Stammhirns durch den Bewegungsreiz der sich weitenden Rippen (8.- 5. Rippenpaar) an die Nerven, die in der Wirbelsäule verlaufen. Eine spezielle Form der tiefen Einatmung (ab ca. 50% Lungenvolumen) löst ihn aus, vergleichbar mit der Auslösung des Niesreflexes, die ja auch einer speziellen (anderen) tiefen Einatmung bedarf.

Durch die spezielle Mundöffnung ohne Zungendruck (wie beim Trinken) und den Zug des Zwerchfells auf die Bronchien (trachealer Zug) wird der Kehlkopf gesenkt, reflektorisch auf Mundöffnung und trachealen Zug hebt sich das Gaumensegel gegenläufig, wie bei alle elastischen Materialien erzeugt auch hier Zug Gegenzug.  (Es wird nicht durch Druck der Zunge nach unten zu dieser Hebung angeregt, das würde den Rachenraum verengen). Das bedeutet im Umkehrschluss: bei zu geringem Einatmungsvolumen wird der Gesangsreflex nicht ausgelöst, die Klangerzeugung ist dann anders organisiert und ähnelt eher dem Rufen.
Ist der Gesangsreflex soweit von ihm zuwider laufenden Gewohnheiten befreit, dass er dominant die Phonation leiten kann, ist er selbstregulierend und selbstoptimierend. Allein die Wahrnehmung von angenehm, "stimmig" reguliert ihn. Ein Bewegungsablauf wird immer von der neuronal feinsten Bewegung geleitet, und die üben in dem Fall die Stimmlippen aus (“Fingerspitzengefühl”).
Die schließende Schutzfunktion des m vocalis wird ersetzt durch kinetische Energie + Tonus, Schließbereitschaft des m vocalis, der nicht schließt, sondern durch den Reflex ausgelöste regelmäßige sehr schnelle Schwingungen (bei a’, 444 Hz, also 444 x pro Sekunde auf und zu) vollführt.

 

KONSONANTEN

Das Programm für Konsonantbildung ist ein Sprachprogramm, es wurde im Kleinkindalter gelernt, mit kurzem Resonator und hohem Kehlkopf.
Alle Konsonanten haben eine Schließtendenz, also müssen sie möglichst kurz artikuliert werden. Während der Phonation werden sie annähernd genau so gebildet, wie beim (flüsternden) Artikulieren während des Einatmens, nämlich den Vokaltrakt öffnend statt schließend. (Belcantobegriff: Inalare la voce) Konsonanten haben eine (sehr hohe) Eigenfrequenz, die vom Ohr wahrgenommen wird. Da das Gehirn den Luftdruck beim Toneinsatz für geschlossenen Kiefer (bei der Artikulation von den meisten Konsonanten muss der Kiefer ganz oder beinahe geschlossen sein), also Kehlkopfhochstand bei der Phonation berechnet, wenn der Konsonant dominant "auf Tonhöhe" angesteuert wird (was im Chor oft verlangt wird), sendet es statt des Öffnungsimpulses für die Phonation einen Schließimpuls, damit entsprechende Frequenzen erzeugt werden können ("Zischen"). Das bedeutet, der Kehlkopf wird reflektorisch von der Artikulationsmuskulatur nach oben gezogen, der Vokaltrakt verkürzt und verengt, so dass funktional gesundes Singen unmöglich wird.
Besonders ungünstig ist von der Sprachgewohnheit gesteuerte Konsonantenbildung ab d", da ab dieser Tonhöhe die Öffnung des Vokaltraktes unbedingt notwendig ist, um den Ton ohne Überdruck zu erzeugen. (Sonst wäre es Schreien, ein anderes Tonerzeugungsprogramm im Überdruckmodus.) Das gleiche Problem stellt sich bei geschlossene Vokalen, weil zur Erzeugung von hohen Tönen eine gewisse Mundöffnung unbedingt nötig ist, die aber wieder nicht erlaubt, geschlossene Vokale deutlich zu artikulieren. Das ist der Grund für die "Sprechfaulheit" von Sopranistinnen.
Bei Kinderstimmen sind die physikalischen Voraussetzungen anders, da stellt sich das Problem nicht in der Weise, da sie "kleinere Instrumente" mit anderen akustischen Gesetzmäßigkeiten haben.
Sänger vermeiden instinktiv diesen Effekt, indem sie stimmhafte Konsonanten auf Schwa (also in tiefer Sprechlage) und ohne Luftdruck bilden, damit kein Luftdruck auf den nachfolgenden Vokal übergeht. Das ist der funktional sinnvolle Grund für das beliebte "Anschleifen" der Töne. Alles andere wäre auf Dauer stimmschädigend. Gute Sänger verstehen es allerdings, das im Idealfall so unauffällig zu gestalten (z.B. durch einen unhörbar schnellen "Oktavsprung"), dass es kaum oder gar nicht wahrnehmbar ist.
Stimmlose Konsonanten werden ohne Luftdruck und Tonhöhenvorstellung gebildet.


MÄNNERSTIMME - FRAUENSTIMME - KINDERSTIMME

Männerstimme und Frauenstimme sind anatomisch annähernd gleich, die Stimmlippen des Mannes sind etwa ein Viertel länger als bei der Frau. Der Unterschied im Klang beruht auf der stumm mitschwingenden Masse, vergleichbar mit dem Unterschied im Klang einer Violine und eines Violoncellos beim Spielen der selben Tonhöhe denn die Männerstimme hat mehr Muskelmasse, und dadurch auch mehr Potential, Kontraktionsspannung aufzubauen. Sie kann also von der Phonstärke her lautere Töne erzeugen. Frauenstimmen sind dadurch gut hörbar, dass ihr Frequenzspektrum in einem von unseren Ohren besonders intensiv hörbaren Bereich liegt (Babys machen sich in diesem Frequenzbereich bemerkbar) und hohe Frequenzen ohnehin eine weitere Reichweite haben als tiefe. Von der Dezibelzahl her betrachtet, singen Frauen immer leiser als Männer.
Der Übergang zwischen "Bruststimme" und "Kopfstimme" ist bei Männer- und Frauenstimmen aber annähernd auf der selben Tonhöhe, nämlich etwa bei d`, da er ein akustisches Phänomen ist und kein anatomisches: Die Eigenresonanz der Luftröhre, (die bei Männern und Frauen annähernd gleich gestaltet ist), hat etwa diese Frequenz, und beim Phonieren dieser Tonhöhe wird sie zur Vibration angeregt (wie eine Tasse auf dem Klavier). Auf diese Störung der regelmäßigen Stimmlippenschwingung reagiert der M. vocalis mit einer Schließtendenz, was seine Primärfunktion ist: Schließen bei unerwarteten Luftverwirbelungen, um die Lunge
zu schützen.
Bässe singen also meistens in der Bruststimme, Sopranistinnen in der Kopfstimme, und Tenöre, Countertenöre und Altistinnen müssen den Übergang ausgleichen (Registerausgleich).
Die Höhe der Frauenstimme folgt den selben akustischen Gesetzmäßigkeiten wie das "Falsett" der Männerstimme (wobei der Begriff "Falsett", hergeleitet von italienisch "falso", bemerkenswert ist. Für Männer fühlt es sich naturgemäß "falsch" an, sich stimmlich in der Kopfstimme zu bewegen. Das gilt aber natürlich nicht für Frauen.).

KINDERSTIMME

Das Schreien des Säuglings ist ermüdungsfrei, weil wir ohne den M. vocalis umhüllenden Schleimhautligamente zur Welt kommen (die Verbindung zwischen beidem ist erst mit Vollendung des 17. Lebensjahres abgeschlossen), und beim Säugling der Kehlkopf ganz hoch steht. Es ist eigentlich ein Pfeifen, wobei der Mundraum als Resonator fungiert. Je jünger ein Kind ist, desto geringer ist die Differenzierungsmöglichkeit, und desto mehr atmet es in den Bauch, weil die Aufrichtung noch nicht abgeschlossen ist. Auch die Form der Rippenbogen ist im Verhältnis zu der eines erwachsenen Menschen viel weniger gebogen, so dass die Entfächerung der Rippen durch die Kontraktion des Zwerchfells und der sekundären Einatmungsmuskeln, die sogenannte "Eimerhenkelbewegung", nur sehr eingeschränkt möglich ist. Deshalb muss bei der Atmung die Bauchdecke reagieren. Das bedeutet, Kinder singen in einem Überdruckmodus , zumindest bis etwa zum achten Lebensjahr (weil da die Aufrichtung abgeschlossen ist), meistens aber bis zur Pubertät. Deshalb haben sie auch kein -> Vibrato, ein Phänomen der Stimme des erwachsenen Menschen, das sich erst bei abgeschlossener Aufrichtung einstellen kann.
Kinderstimmen haben einen schwachen Grundton und einen schwachen 1. Vokalformanten wegen der geringen Muskelmasse (entgegengesetzt zur Männerstimme mit ihrem dunklen Klang) und klingen deshalb heller als die Stimmen von erwachsenen Frauen.
(Belcantobegriff: voce bianca)

 

MUNDÖFFNUNG

Caruso hat mit einem Flaschenkorken zwischen den Zähnen geübt. Die optimale Mundöffnung beim Singen beträgt etwa zwei Fingerbreiten zwischen den Zahnreihen, öffnet man den Kiefer weiter, schließt der Rachenraum wieder, weil der Zungenrücken nach hinten gedrängt wird. (Deshalb ist auch die sogenannte Gähnstellung, auch Gähnweite genannt, eigentlich kontraproduktiv, weil die optimale Weite, der Durchmesser des Vokaltraktes, genau dadurch wieder verringert wird.)

Ist die Mundöffnung kleiner, steht auch der Kehlkopf zu hoch.

Die Öffnungsbewegung beginnt vorne durch einen schwachen Muskel längs unter dem Kinn (M. digastricus). Wenn die Öffnungsbewegung von hinten beginnt, ist sie durch Zungendruck zustande gekommen, was den Rachenraum verengt und den Kehldeckel schließt ("Knödel"). Der Unterkiefer bewegt sich sichelförmig nach vorne->unten. So entsteht erst eine Art "Schlittenbewegung", zwei Teile eines Systems bewegen sich horizontal auseinander, , danach eine Art "Scharnierbewegung", die beiden Teile bilden einen größer werdenden Winkel zueinander. Der Lippenring bleibt immer kontrahiert: u->o->a. Das ist die saugende Bewegung, die wir beim Trinken kennen, und wie beim Trinken wird durch diese Form der Mundöffnung der Kehlkopf automatisch um ⅔ seiner Senkfähigkeit gesenkt und die Einatmung aktiviert, damit ein Sog nach innen erzeugt wird. 

Deshalb ist es sinnvoll, nur Einsingübungen zu wählen, bei denen der Kiefer auf der Position eines dunklen a geöffnet ist, der Lippenring in aktiver Dehnung, und die auch vom Konsonantgebrauch so sängerisch wie möglich gewählt sind, also mit drucklosen, öffnenden Konsonanten, oder ganz ohne.

 

NASE

"Ich atme beim Singen, als ob ich an einer Rose rieche." (Zitat Caruso) Die Nase ist ausgestattet mit einem unteren und einem oberen Luftweg (über das Riechorgan): die obere Zunge hebt sich mehr, der Raum zwischen Rachenwand und Zunge erweitert sich minimal. Das ist die einzige Möglichkeit, das Gaumensegel “willentlich” zu heben, über die Vorstellung des Riechens, (die verknüpft ist mit der des Schmeckens und damit der Aktivierung der Zungenspitze und dem “Spitzen” der Lippen). 

Die sängerische Einatmung beginnt durch die Nase, dann durch Mund und Nase, ab etwa 2 cm Mundöffnung schließt das Gaumensegel reflektorisch, ab da erfolgt reine Mundatmung mit gedehntem oberen Atemweg. (Bei geöffnetem Mund ist es ab einer bestimmten Öffnung nur mit gehobener Zunge möglich, durch die Nase einzuatmen.) 

Bei Nasenatmung ist der Raum nicht gestaltet, die tiefe Frequenz schwach. Nasalität ist deshalb das Gegenteil von Kopfigkeit, sie wird erzeugt durch Zungendruck und als Reaktion darauf flacher Position des weichen Gaumens. (Bei geöffnetem Mund wird die Nase von anderen Muskelgruppen geöffnet als bei geschlossenem Mund.)

 

REGISTER

Der Begriff Register ist irreführend, eigentlich ist die Stimme ein Einregisterinstrument wie das Monochord, mit 2 Komponenten, nämlich Masse und Dehnung. (Der Begriff Spannung ist wissenschaftlich ungünstig, weil damit sowohl die Dehnung eines Muskels durch den kontrahierenden (anspannenden) Antagonisten als auch die Kontraktion selbst gemeint sein kann. Deshalb spreche ich lieber von Dehnung.)
Das Phänomen Brust-und Kopfstimme ist rein akustischer Natur, entweder die Luftröhre wird zu Eigenvibration angeregt,  oder nicht. In der Funktion des M. vocalis besteht kein qualitativer Unterschied: wie beim Stimmen einer Saite wird durch Dehnen des elastischen Materials eine Verlängerung und Verschmälerung erreicht, was die Tonhöhe des davon erzeugten Klanges höher werden lässt. Oder (was die Saite nicht kann), der M. vocalis kontrahiert aktiv und wird, wie jeder andere Muskel auch, dadurch dicker und kürzer, und der erzeugte Klang tiefer. Der den m vocalis dehnende Antagonist heißt M. cricothyroideus ("ct.") und befindet sich vorne unten am Schildknorpel.
Das dehnungsdominante Register, das durch Kontraktion des ct., der das Ligament des M. vocalis dehnt, erzeugt wird, fühlt sich "höher" an, weil die Stimmlippen dünner sind und tatsächlich weniger/keine Masse im unteren und hinteren Bereich des M. vocalis schwingt. Dadurch werden vor allem hohe Frequenzen zur Resonanz angeregt, und die sind hauptsächlich im Kopfbereich spürbar. Daher kommt der Begriff "Kopfstimme". Genauso ist es mit den Vokalen u und i, sie werden aus dem selben Grund (Dehnungsfunktion) als "kopfig" bezeichnet. Bis zur Tonhöhe fis" ist noch ein immer geringer werdender Masseanteil vorhanden, darüber hinaus ist die Masse nicht abgekoppelt sondern "hingegeben", vollständig/längstmöglich gedehnt und passt sich der Schwingung des gedehnten Ligaments an.
Die "Bruststimme" wird wegen der fühlbaren Vibrationen im Brust-/Bronchienbereich als solche bezeichnet, durch Kontraktion des m vocalis entstehen tiefe Frequenzen, die die Resonanz der Luftröhre anregen.
Funktional gesehen ist die Dehnung des M. vocalis, wie bei der Saite, ein gradueller Vorgang ohne Brüche.

 

SITZEN-STEHEN

Aus der Sicht des Chorleiters (und des Publikums) fällt ein visueller Aspekt in Bezug auf das Thema Sitzen oder Stehen ins Auge, der diametral gegen die funktionalen Bedürfnisse des "Instruments Mensch" steht. Es kann die Konzentration auf die Musik tatsächlich stören, wenn der Chor sich mehrfach während einer Aufführung setzt und wieder aufsteht. Allerdings gilt es die Abwägung zu treffen, was für die Musik wichtiger ist, ein gut choreographiertes Erscheinungsbild der Ausführenden oder ein guter Klang. (Bei Orchestermusikern wird nie in Frage gestellt, dass sie ihre Instrumente individuell absetzen, damit sich die Muskulatur erholen kann, wann immer sie das brauchen, um danach wieder optimal musizieren zu können.) 

Bei Sängern, deren Instrument der ganze Körper ist, wäre das eigentlich noch wichtiger, ja elementar notwendig, da die Aufrichtungsmuskulatur teilweise auch Atemmuskulatur ist. Wenn sie ermüdet, kann eine vollständige Einatmung, die den Gesangsreflex ja erst auslöst, nicht mehr vollständig erfolgen. Kommt jetzt noch dazu, dass schwere Noten in den Händen gehalten werden müssen (ebenfalls im Unterschied zu Instrumentalisten, die alle Pulte haben, obwohl ihre Instrumente durch die körperliche Position der Spielenden keinen Schaden nehmen), so dass der Brustkorb durch das Gewicht auf Dauer verengt wird, wird gesundes Singen vollends unmöglich. Das macht sich im Klang bemerkbar: Er wird hart, unflexibel und verliert stark an Tragfähigkeit, weil zu viel Überdruck (unter den schwingenden Stimmlippen) die Funktion des Schreiens auslöst. Das wiederum wirkt sich negativ auf das Hörerlebnis und die emotionale Botschaft an das Publikum aus, Aggressivität statt Wohlgefühl wird akustisch transportiert.

Es ist also kein Zugeständnis an die "Bequemlichkeit" der Singenden, zu gestatten, dass sie sich immer wieder setzen, sondern eine funktionale Notwendigkeit, die der Musik, den Ausführenden und den Zuhörenden dient.

 

STÜTZE

Dieser Begriff ist die etwas irreführende Übersetzung des italienischen Ausdrucks "Appoggio", was wörtlich übersetzt "Unterstützung" bedeutet. Er beruht auf der Wahrnehmung, dass im Augenblick des Einsatzes die Einatmungsmuskulatur nachtonisiert (wie beim Übergang vom Heben eines schweren Gegenstandes zum langsamen kontrollierten Absenken, das ja dominant durch die die Kontraktion langsam und kontrolliert verringernden Hebemuskeln geleitet wird), und in der Folge die Bauchdecke passiv leicht nach innen gezogen wird. Die Rippen bleiben dabei geweitet, da das Zwerchfell optimal kontrahiert ist und deshalb sehr tief steht. Das wird dominante Einatmungstendenz oder auch Unterdruckventilfunktion genannt: Der Reflex des Singens ist definiert durch die Beibehaltung der Dominanz der Aktivität der Einatmungsmuskulatur über die der Ausatmung während des Vorgangs der Ausatmung. Das ist der tiefere Sinn des Begriffs "Inalare la voce", und das ist auch das Gefühl beim Singen, durch das der Begriff geprägt worden ist.  Da durch seitliches Heben der Arme auf Schulterhöhe diese Dominanz neuronal und physikalisch unterstützt wird, ist das bei professionellen Sängerinnen eine so beliebte Position (ohne dass die meisten den Grund dafür kennen), dass diese Haltung sozusagen als Prototyp der Vorstellung von einem Sänger, einer Sängerin bezeichnet werden kann! 
All das ist reflektorisch gesteuert und zusammengesetzt aus verschiedenen Reflexen zu einer Tertiärfunktion der einzelnen Körperteile. Notwendig ist diese muskuläre Kontrolle des Luftflusses durch die Stimmlippen, weil der Schwingungsvorgang zur Tonerzeugung extrem fein, differenziert (bei Kammerton a' 444x pro Sekunde regelmäßig hin und her!), und deshalb sehr störanfällig für "wilde Luft" ist. Deshalb fordern die Stimmlippen, die die Funktion leiten, die Unterdruckfunktion neuronal an, um störungsfrei schwingen zu können.
Verwechslungsgefahr besteht leider mit der Überdruckfunktion, bei der die Bauchdecke durch die kontrahierenden Ausatmungsmuskeln (schräge Bauchmuskulatur) aktiv nach innen gedrückt und die Rippenerweiterung verringert wird, die die Tiefstellung des Kehlkopfes gewährleistet, und dadurch Überdruck unter den Stimmlippen entsteht, auf den sie mir Schließungstendenz reagieren.

 


VIBRATO

Jeder Muskel besitzt Tremorfähigkeit, je kleiner desto schneller (die Bauchmuskulatur bei 4 Hz, die Finger bei 5-7 Hz). Physiologischer Tremor wird ausgelöst durch neurologische Impulse an die Muskeln. Das sogenannte "neuronale Zittern" dient dem Erhalt der Spannkraft und Belastbarkeit des jeweiligen Muskelpaares. Ist das Kräfteverhältnis zwischen Agonisten und Antagonisten ausbalanciert, stellt es sich reflektorisch ein, um eine Dauerbelastung zu ermöglichen. Da beim m vocalis und seinem Antagonisten, dem ct., die Tremorfrequenz bei 5-7 Hz liegt, ist das auch gleichzeitig die Frequenz eines gesunden Vibratos. Durch das neuronale Zittern entsteht außerdem eine Wellenschwingung an der Oberfläche des Ligaments. Da durch die Schwingungen des M. vocalis hörbare Töne erzeugt werden, ist beim Singen diese zusätzliche Schwingungsform auch hörbar als Vibrato. Auch eine leichte Tonhöhenveränderung von etwa einem Viertel- bis Halbton entsteht durch diese regelmäßige Schwingung. Der M. vocalis organisiert über diese Funktion, die sich bei dominanter Unterdruckfunktion des Atemapparates von selbst einstellt, seine weiteren Bewegungsformen wie Tonhöhenveränderungen, dynamische Abstufungen (beides durch An- und Abkoppeln von Muskelmasse) Koloraturen, Triller, Staccato und viele weitere komplexe Bewegungsabläufe, sogar den Grad des Luftflusses durch die Stimmlippen, da durch das Vibrato eine noch feinere Koordination möglich wird. Es ist die den gesamten Gesangsreflex organisierende Funktion.
Vibrato ist innerer Rhythmus, daher ist auch das Rhythmusempfinden untrennbar mit einem gesunden Vibrato verbunden, und der M. vocalis reagiert auf diese Weise auf rhythmische Veränderungen in der Musik.
Vibratounterdrückung zieht aus diesen Gründen Intonationsprobleme nach sich, weil ein Zuviel bzw. Zuwenig an Muskelmasse im Verhältnis zur Dehnung des Ligaments und auch ein Zuviel an Luftdruck unter den schwingenden Stimmlippen zu tief bzw. zu hoch klingende Klangergebnisse erzeugt.
Vibrato bei der menschlichen Stimme ist so etwas Natürliches (und offenbar Wünschenswertes), dass das Spiel von Instrumenten damit bereichert worden ist, mit möglichst ähnlicher Frequenz und Amplitude.
Selbstverständlich ist es im Chorgesang manchmal nötig, nonvibrato zu singen. Es gibt aber einen Modus des M. vocalis, in dem das Vibrato gebremst wird (und zwar von zwei kontrahierenden kleinen Muskeln links und rechts am Kehlkopf), und das ist das Glissando. Da wird natürlicherweise nonvibrato gesungen. Ein funktional gesundes nonvibrato ist also gewissermaßen eine Art "Glissando auf einem Ton",  der (äußerst geringe) Luftdruck und die Öffnung,  Rundung und Kehlkopfposition bleiben gleich. Das ist ein  grundlegend anderes Konzept als das, die Balance im Vokaltrakt durch Überdruck bzw. Schließung so zu stören,dass das Vibrato verschwindet. Allerdings muss der/die Singende dafür in der Lage sein, so balanciert zu phonieren, dass Vibrato grundsätzlich möglich ist.



VOKALAUSGLEICH

Ontogenetisch ist der Vokal älter als der Konsonant, das Lallen des jungen Säuglings erfolgt ausschließlich auf Vokalen. In diesem Alter ist Saugen die dominante Funktion der Mund-Rachenregion (-> Inalare la voce). Mit Erwerb der Sprache wird ein neues, von schließenden Muskeln ausgeführtes Programm installiert, das neuronal und deshalb auch zeitlich mit dem Zu-sich-Nehmen von fester Nahrung und damit dem Kau- und Schluckvorgang verschaltet ist. Die Sängervokalisation muss also als solche im Gehirn neu verlinkt und dann eintrainiert werden, denn evolutionär stammt sie noch aus der Zeit vor dem Kauen und Sprechen Lernen. Gleichzeitig ist die Sprachvokalisation auch beim Singen anfänglich dominant, da gesungene Literatur immer mit Text versehen ist, und beim Sprechen natürlich weiter verwendet wird. Es gilt also, die beiden
Sprachbehandlungsprogramme auseinander halten zu lernen. Optimalerweise wäre das die Hauptaufgabe von Stimmbildung.
(Wenn Kinder die Möglichkeit haben, funktional gesund singende Erwachsene zu hören, entstehen Verbindungen im Gehirn, die die Freilegung des Gesangsreflexes nach dem Übergang zur Erwachenenstimmgebung deutlich erleichtern.)
"Alle Vokale haben in der (sängerischen) Artikulation die gleiche ovale Form" (Zitat Caruso).
Die Kontraktion/Dekontraktion der Lippenrundung ist bei allen Vokalwechseln entkoppelt von der der Zunge, was dem Reflex des Saugen entspricht.
Beim Singen wird der Vokal im Klangraum, dem Rachenraum von den Stimmlippen bis zum Gaumensegel, verortet statt im Mundraum wie bei der Sprachgewohnheit.
Es gibt Rundungsvokale und Zungenhebungsvokale, die sängerisch aber beide mit einer ähnlichen "saugenden" Lippenöffnung, das heißt, mit Tonus im Lippenringmuskel gebildet werden, anders als bei der Sprachgewohnheit.
Alle Vokale haben nach Phonation und Nachatmung eine optimalere Form, da sie vom dominant wirksamen M. vocalis angefordert wurde, der ja die ganze Funktion reguliert.



VORDERSITZ

Wo "sitzt" die Stimme? Was bedeutet das überhaupt?
Es gibt Vibrationswahrnehmungen im Vokaltrakt bei der Phonation, direkt an und über den Stimmlippen und am oberen Ende des Instruments, am geschlossenen Gaumensegel (-> Nase).
Die Umlenkung der in der Phonation entstandenen stehenden Welle durch Dazwischenschieben einer Art Rampe mit Hilfe schräger Zungenhebung ermöglicht die Bildung der Vokale e, i, ä, ö und ü (Zungenhebungsvokale), die eine dritte Vibrationswahrnehmung am harten Gaumen erzeugt. Diese Wahrnehmung wird gerne als "Sitz" bezeichnet und ist sehr deutlich spürbar, meistens viel deutlicher als die untere und obere primäre Schwingungswahrnehmung, weil sie an einem Knochen resoniert.
Daraus hat sich die "Sitztechnik" entwickelt. Da die oben genannten Vokale alle viele helle Frequenzen aufweisen, wollte man dies den dunkleren Vokalen a, o und u auch zugänglich machen durch eine ähnliche schräge Zungenhebung. Diese werden sängerisch aber nur durch Kontraktion des Lippenrings gebildet (wie beim Saugen), eine schräge Hebung des Zungenrückens zieht den Kehlkopf mit hoch. Dadurch wird der Stimmklang zwar heller, verliert aber an tiefen Frequenzen und somit an Phonstärke.
In einer Klangsäule bilden sich immer so viele Teilfrequenzen des Grundtones, wie die Länge des Rohres ermöglicht (Beispiel Kindertrompete). Sehr hohe Frequenzen, wie der sprichwörtliche Sängerformant, können also nur in einem optimal langen Vokaltrakt entstehen, bei tiefstmöglicher Position des Kehlkopfes.
Durch die Sitztechnik werden also tiefere Teiltöne mit eher näselnder Klangfarbe (auf Grund der Verkürzung des Vokaltraktes) eingetauscht gegen die ganz hohen Frequenzen, die die Tragfähigkeit bestimmen, weil sie am weitesten hörbar sind, und obendrein Orchesterinstrumente sie nicht herstellen können. Gleichzeitig ist das Ganze durch die suboptimale Kehlkopfposition auf Dauer stimmschädigend, da ja auch für die entsprechende Phonstärke mehr Luftdruck aufgewendet werden muss, der die Stimmlippen zu Masseankopplung anregt, um den durch das Hochziehen entstandenen Verlust von schwingender Muskelmasse auszugleichen.

 

EVOLUTION DES SINGENS

Singen in der 'funktionalen' Weise, wie Eugen Rabine es versteht, ist eine Art, den Körper als klangerzeugende Instrument zu benutzen, die dem Menschen auf Grund seiner vollständigen Aufrichtung als einzigem Lebewesen zur Verfügung steht. Allein die echte Aufrichtung des Körpers mit seinem Klangraum im Inneren, der sich von den schwingenden Stimmlippen bis zum geschlossenen Gaumensegel beim erwachsenen Menschen etwa 12 bis 15 cm vertikal nach oben erstreckt, ermöglicht nämlich die Entstehung einer stehenden Welle (wie beim Blasinstrument) in der differenzierten Form, dass ein sich selbst regulierender reflektorischer Ablauf zwischen einem antagonistisch arbeitenden Muskelpaar (dem musculus vocalis und dem musculus crycothyroideus) entstehen kann, bei dem ein Grundtremor von etwa 5 bis 7 hz für ausgleichende Entlastung während der kontinuierlichen Belastung der Muskulatur sorgt. Diese Funktion entwickelt jedes entgegengesetzt agierende Muskelpaar bei Dauerbelastung, es entsteht ein Zittern. Da bei den Muskeln des Vokaltraktes Töne erzeugt werden, ist dieses Zittern als sogenanntes Vibrato hörbar, wenn die Funktion balanciert arbeitet.
Diese Balance kann nur erreicht werden durch die starke Senkung des Kehlkopfes während der Entwicklung von Kind zum Erwachsenen, die so nur beim Menschen vorkommt, da sonst die anatomischen und akustischen Voraussetzungen für eine derartig differenzierte Erzeugung von Tönen nicht möglich wäre. Anders gesagt, die aufgerichtete Körperhaltung ist die Voraussetzung für Singen, und im Übrigen auch für den differenzierten Gebrauch unserer Artikulationsmuskulatur beim Sprechen und auf diese Weise für die Entwicklung der menschlichen Kultur allgemein.
Nach neueren Erkenntnissen hat sich diese Haltung, die uns von allen anderen Tieren unterscheidet, in zwei Schritten vollzogen: Als die frühen Vorfahren des Menschen sich auf die Bäume schwangen, um neue sichere und nahrungsreiche Lebensräume zu erschließen, wurde außer dem Überdruckventil, (den sogenannten Taschenfalten,) das die evolutionäre Aufgabe hat, von außen eindringende Fremdkörper durch den Hustenreflex wieder hinauszuschleudern, und das die Ausübung von Druck weg vom Körper (z. B. beim Gebären oder der Ausscheidung) ermöglicht, ein Unterdruckventil nötig, um bei über den Kopf gehobenen Armen eine allzu starke Aufblähung der Lunge zu verhindern. Das waren die Vorläufer der Stimmlippen. Als später in einem als 'second waterperiod' bezeichneten Entwicklungsschritt die Hominiden ihren Lebensraum von den Bäumen an die Ufer der Flüsse, Seen und Ozeane verlegten, und ihr Nahrungsangebot erweiterten, indem sie lernten, im seichten Wasser Fische zu fangen (dafür spricht auch der stromlinienförmige Körperbau, der sich von dem aller anderen Primaten deutlich unterscheidet, die horizontale Nasenöffnung, die das Eindringen von Wasser erschwert und die Reste von Schwimmhäuten zwischen den Fingern, unsere angeborene Vorliebe für Wasser und Leben an Gewässern, sowie die Größe und der Eiweißbedarf unseres Gehirns, der allein durch die Nahrung der anderen Primaten niemals gedeckt werden könnte), veränderte sich der Körperbau, durch den Auftrieb des Wassers unterstützt, bis die vollständige Aufrichtung möglich wurde, und dadurch auch der Kehlkopf sich in den verlängerten Hals absenkte und stark an Beweglichkeit zunahm. Damit waren die anatomischen Voraussetzungen für Gesang (entwicklungsgeschichtlich früher) und Sprache geschaffen. Noch heute entwickelt sich jedes neugeborene Kind auf die gleiche Weise, und 'funktionaler' Gesang mit dem Vibrato als Regulativ ist daher auch erst nach der Pubertät, der vollständigen Kehlkopfsenkung möglich, davor gibt es in der Regel nur eine Form des Rufens bzw. auch Schreiens, um Töne zu erzeugen.

BELCANTOBEGRIFFE UND FACHAUSDRÜCKE FUNKTIONAL ERKLÄRT A - I

ANSATZ -> SITZ/VORDERSITZ

 

ANSATZROHR -> VOKALTRAKT 

 

APERTO MA CUPERTO 

Der Begriff "aperto", “Offenes Singen” bezieht sich auf den Durchmesser des (vertikalen) Vokaltraktes: Je vollständiger die -> Constrictoren runden und je optimaler die Raumgestaltung der vorderen Vokaltraktwand, der -> Zunge ist, desto weiter geöffnet ist der Vokaltrakt. 

Der Begriff "offene Vokale" wird im deutschen Sprachgebrauch in einer anderen Bedeutung gebraucht: Damit wird der Grad der Kieferöffnung bezeichnet. ("Offen - Ofen"! Offene Vokale in dieser Bedeutung gibt es im Deutschen nur als kurze Vokale, lang gesprochene Vokale sind immer geschlossen.) Diese Öffnungsbewegung des Unterkiefers ist aber nicht gleichzusetzen mit der Vokaltraktöffnung, sondern im Gegenteil bis zu einem gewissen Grad sogar kontraproduktiv.

-> "cuperto", "gedeckte Tongebung" bezieht sich auf die Kuppelform des geschlossenen Gaumensegels, die sich durch die Senkung des Kehlkopfes und die gerundeten Lippen reflektorisch einstellt. Der Klang der Stimme wird dadurch weich und dunkel, da durch diese röhrenförmige Gestaltung der Grundton und -> 1. Vokalformant im Vokaltrakt verstärkt werden und die Klangfarbe dadurch das dunkle -> Timbre behält, das sie von Natur aus hat, weil keine Anteile des Klangspektrums durch Verengungen oder Brechung der stehenden Welle abgedämpft werden.

 

APPOGGIARE LA VOCE <- STÜTZE

"Appoggiare in petto" ist ein Belcantobegriff, der sich auf die Wahrnehmung bezieht, dass das menschliche Instrument eine spürbare Begrenzung hat, die aber keine einengende sondern vielmehr eine die Stimmgebung (unter-)stützende Empfindung hervorruft. Er beschreibt die Empfindung, "die Stimme am Brustkorb anzulehnen" im Augenblick des Stimmeinsatzes. 

Aus der Sicht der Atemorganisation ist die Gesangsfunktion definiert als 

Die Beibehaltung der Dominanz der Aktivität der Einatmungsmuskulatur über die der Ausatmungsmuskulatur während des Vorgangs der Ausatmung

Das bewirkt eine Drosselung der Fließgeschwindigkeit der ausströmenden Atemluft. Dieser Vorgang ist vergleichbar mit dem kontrollierten Absetzen eines schweren Gegenstandes, bei dem die hebende Muskulatur, in dem Fall der Bizeps, die Bewegung kontrolliert; eine sehr komplexe, vom Gehirn gesteuerte Balance zwischen hebender und senkender Aktivität von Bizeps und Trizeps gleichzeitig. Auf die Ein- und Atemmuskulatur übertragen heißt das: Die Einatmungsmuskulatur hält ihre Aktivität aufrecht und erhöht sie sogar noch in dem Augenblick, in dem die Ausatmungsmuskulatur aktiviert wird. Das bewirkt sogar noch eine Vergrößerung des Brustdurchmessers von hinten (Rückgrat) nach vorne (Brustbein) im Moment des Einsatzes. Dieser Effekt stellt sich allerdings nur ein bei gleichzeitiger seitlicher Erweiterung der Rippen. Die Bauchdecke wird dabei passiv leicht nach innen gezogen durch die Erweiterung und Hebung der Rippen. 

Verwechslungsgefahr besteht mit dem nach aktiven nach innen Drücken der Bauchdecke durch die schräge Bauchmuskulatur, das bedeutet Dominanz der Ausatmungsmuskulatur über die Einatmungsmuskulatur (Zwerchfell und äußere Zwischenrippenmuskulatur) und somit Überdruckfunktion.

 

ARTIKULATION

Das Programm der Artikulationsbewegung beim Sprechen ist ein ganz tiefer Inprint im Gehirn, erworben im frühen Kindesalter bei noch extrem hochstehendem Kehlkopf und unvollständiger Körperaufrichtung. Bei der Phonation wird ein komplett anderes Artikulationsprogramm verwendet, das hat anders als beim Sprechen die Qualität der ungestörten Stimmlippenschwingung als Prämisse, der sich alle Artikulationsbewegungen unterordnen. 

Phonation und Artikulation beim Gesang sind demnach  getrennte Funktionen, allerdings überschneiden sie sich teilweise in der Rundungsbewegung des Rachenraumes, namentlich bei "runden" Vokalen.

Der Vokal schwingt bei der Phonation durch alle Konsonanten durch, bei der Sprachartikulation wird der Klangstrom von geräuschhaften Konsonanten immer wieder unterbrochen. 

Beim Gesang leitet die Zunge die Artikulation und  Vokalisation, der Kiefer folgt nur. Die Vokalartikulation findet direkt über dem Kehlkopf  (Vestibül) in waagerechter Richtung statt. Die Zunge muss dafür lernen, sich dehnen zu lassen, ihre Position flexibel zu verändern und gleichzeitig als vordere Membran des Vokaltraktes zu fungieren. (Je weiter vor sich die hintere Zungenwand bewegt, desto weiter vorne spürt man auch die zweite obere Schwingung von e/i/ö/ü/ä.). Es erfolgt eine Differenzierung von Artikulationsebene und Phonationsebene: je höher der gesungene Ton, desto weiter auseinander liegen die Wahrnehmungen, weil die obere Schwingung immer stärker wird, und die Artikulation der Vokale vor allem am Zungengrund geschieht. Die Konsonantenartikulation geschieht dazwischen im vorderen Mundraum im Bereich des harten Gaumens, aber nicht mit Überdruck wie beim Sprechen, sondern gewissermaßen im "Einatmungsmodus" auf Grund der dominant leitenden Einatmungsmuskulatur während des Singens.

Diese Form der  Artikulationsbewegung wird von der Rundung des Rachenraumes geleitet und muss wie eine neue Sprache mit bisher unbekannten Vokalfarben erlernt werden. Das ist ein wesentlicher Bestandteil von funktionaler Stimmbildung. 

 

ATMUNG 

EINATMUNG

Die Einatmungsaktivität ist eine muskuläre Aktivität, die nach unten gerichtet ist, damit eine Aufrichtung zur Erweiterung der Lungen möglich wird.

Die effizienteste Atmung bei körperlicher Aktivität ist Mundatmung (Schwimmen!) Nasenatmung ist Ruheatmung. Je weiter die "Saugöffnung" ist (Trinken!), desto weiter hinten wird das Zwerchfell aktiviert (großer Sog), und  desto vertikaler wird es neuronal vernetzt. Die Rippenöffnung findet von unten nach oben statt. Was bereitgestellt wird durch die muskuläre Erweiterung des Lungenraumes, wird gefüllt. Die Einatmung öffnet die Luftwege reflektorisch, die Ausatmung schließt sie reflektorisch leicht (aus evolutionären Gründen: zu schneller Luftverlust birgt die Gefahr des Zusammenfallens des Lungengewebes). Der Kehlkopf bewegt sich dabei reflektorisch mit. Beim Singen bleibt das neuronale Einatmungsprogramm aktiv, der Kehlkopf bleibt in Tiefposition trotz erfolgender Ausatmung. Durch diese tiefe Kehlkopfposition hebt sich der weiche Gaumen reflektorisch, der "obere Luftweg", der für das Riechen zuständig ist, öffnet sich dadurch. (Zitat Enrico Caruso: "Beim Singen atmen, als ob man an einer Rose riecht")

Ideal ist ein Einatmungsvolumen der Lunge von ca. 75%. Bei noch größerer Einatmung besteht die Gefahr, dass sich Hilfsmuskulatur dazuschaltet und das System starr macht. Das Signal für das Ende der Einatmung ist die entsprechende Körperbewegung (zwischen den 5. Rippen am neuronalen Atemzentrum), die auch beim Nies-, Husten-, Gähn- und Räkelreflex eine Rolle spielt. 

Bei vollständiger Atmung gibt es eine neuronale Kopplung zwischen der Einatmungsmuskulatur und den Stimmlippen, die am Ende der Einatmung eine reflektorische Schließung und so den Gesangsreflex auslöst.  Eine Kontrolle über den Atemablauf unterhalb des Mundraums ist nicht möglich, er ist programmiert. Durch die Kehlkopfsenkung werden die Stimmlippen geöffnet und gedehnt und erhalten dadurch mehr Tonus (wie ein Bogen, der gespannt wird). Ihre  Schließbereitschaft erhöht sich dadurch, nicht nur mechanisch, sondern auch von der Anzahl der neuronalen Impulse her, und wird beim Einsatz der Phonation in kinetische (Bewegungs-)Energie umgewandelt. 

AUSATMUNG

Bei der Phonation ist der einzige aktive Ausatmungsmuskel der M. transversus, der M. rectus abdominis (gerader Bauchmuskel) ist nicht beteiligt, die schrägen Bauchmuskeln (MM. obliquus abdominis) können beteiligt sein, das untere Drittel der Lunge zu komprimieren, werden aber geleitet von der weiterbestehenden Dominanz der Einatmungstendenz. Sängerische Ausatmung ist möglich bis zum Residualvolumen über das Ruheatmungsvolumen hinaus bei gleichzeitigem Beibehalten der Unterdruckfunktion. Durch dieses Programm schließt sich an das Ende der Phonation sofort die nächste Einatmung an, da die Einatmungsmuskulatur ja noch dominant aktiv ist. 

Die sehr langsame Ausatmung beim Singen aktiviert den Vagusnerv wie bei einer Meditation. 

Wechselt die Dominanz von der Einatmungs- zur Ausatmungsmuskulatur (Überdruckfunktion), stoppt der Gesangsreflex. 

 

AUFRICHTUNG  

"Der Sänger stehe wie ein Baum" ist ein beliebter Belcanto-Ausspruch. Singen ist permanente Bewegung statt Festhalten, Haltung in irgendeinem Teil des Systems: Ein Baum ist zugleich stabil und flexibel, und eine optimale Balance genau dieser beiden Parameter ist die Basis des funktional stimmigen Gesangs. Die Wirbelsäule mit ihrer Doppel-S-Form bildet bei optimaler Aufrichtung eine Linie von der unteren Lordose bis zum Atlas. 

Haltung sowohl in der körperlichen Position als auch im Kehlkopf selbst ist nicht wahrnehmbar, weil  das Gehirn sich schnell an Zustände gewöhnt und sie dann nicht mehr realisiert. Bewusst spürbar ist nur Bewegung und Veränderung. (Das macht es schwer, die eigenen gewohnheitsmäßigen Haltungen zu erkennen und durch zielführendere Strategien zu ersetzen.)

Durch die ständige Veränderung des Körperschwerpunktes durch die Ein- und Ausatmung muss die Balance ständig nachreguliert werden. Die komplette Statik reagiert auf die Atmung; stimmt die Statik nicht, wird eine vollständige Einatmung unmöglich. Von hinten unten über vorne oben nach vorne unten ist die Richtung der aufrichtenden Muskelschlinge, ähnlich dem Prinzip beim Hissen eines Segels. Dabei kann die innere Raumwahrnehmung als Orientierung für gleichmäßige Aufrichtung dienen. (Dieser Bewegungsablauf ist uns assoziativ vertraut als Aufrichtungsprogramm beim Auftauchen vom Grund eines Gewässers: Der erste und dominante Impuls geht von den Füßen/Zehenballen aus, die Hebung und Schwimmbewegung (Crowl) der Arme, Hebung des Kopfes und Streckung der Körpervorderseite folgen.) 

Die Qualität der Aufrichtung bestimmt die Qualität der Einatmung.

Nachdem die beiden Atemrichtungen jeweils mit verschiedenen Programmen in der Körperaufrichtung verschaltet sind, hat die Position, die beim Singen eingenommen wird, maßgeblichen Einfluss auf die Atemführung. Das ist ein Hauptgrund für die bekannte "Sängerposition" mit seitlich schräg nach vorn gehobenen Armen: Dadurch wird die Erweiterung der Rippen unterstützt, das ganze System bleibt auch während der Ausatmung bei der Phonation im Neuroprogramm der Einatmung. (-> inalare la voce)

 

BAUCHMUSKULATUR

Die Bauchmuskulatur besteht aus drei Schichten: außen liegt der M. obliquus, der schräge Bauchmuskel: er ist der stärkste Ausatmungsmuskel und außerdem die für Beugung des Rumpfes zuständig. Er reicht von den Achseln bis in die Bauchmitte. Der darunter liegende M. rectus , der gerade Bauchmuskel ("Sixpack"), fungiert als Stabilisator der Körpervorderseite: er ist der Gegenspieler der Wirbelsäule. Der innerste ist der M. transversus, der quere Bauchmuskel: er ist ein differenziert arbeitender Ausatmungsmuskel, der alternativ zum schrägen eingesetzt wird, wenn die Körperaufrichtung erhalten bleiben soll (etwa beim Klettern oder Schwimmen). Die gesamte bewegliche Bauchmuskulatur ist zusammen mit der Rückenmuskulatur auch Aufrichtungsmuskulatur. Die Bauchmuskulatur hat eine Kopplung zur Kaumuskulatur. Das bedeutet, wenn sie aktiv wird, werden es auch die Kaumuskeln. Mehr noch, die sogenannte "Bauchpresse" durch die schräge Bauchmuskulatur führt immer zur Schließung der Taschenfalten, sie leitet einen Schluckvorgang ein. Für das Singen ist daher eine Ausatmung ohne Bauchpresse von höchster Priorität, um die Schließung der Vokaltraktes, des Resonanzraumes zu verhindern. Ausatmung muss aber erlaubt werden, da ja die Phonation ein Ausatmungsprogramm ist. (Wird die Ausatmung behindert, kollabiert in Folge  der Schultergürtel.) Wesentlich für die sängerische Ausatmung ist daher, dass die Einatmungstendenz dominant wirksam bleibt, das bedeutet, dass die schrägen Bauchmuskeln gedehnt und die oberen Rippen erweitert bleiben auch bei aktiver Ausatmungsmuskulatur (M. transversus). 

Das Anspannen der Bauchmuskulatur aktiviert das Überdruckventil: die Taschenfalten, (das bedeutet, dass Bauchmuskeltraining Synapsen für Schließaktivität ausbildet), die Dehnung der schrägen Bauchmuskulatur aktiviert das Unterdruckventil: die Stimmlippen. 

 

BELTING

Als Belting ("Schmettern") bezeichnet man eine modifizierte Überdruckfunktion. Durch den höheren Luftdruck erhöht sich die Schließintensität der Stimmlippen, und der Kehlkopf wird etwas nach oben getrieben. Beim Belten hört meistens das Vibrato auf, da die selben Muskeln, die auch bei der nonvibrato-Variante die Stimmlippen von der Seite her etwas zusammenschieben, den dichteren Stimmlippenschluss hervorrufen. Der Vokaltrakt wird kürzer, das Gaumensegel flacht ab wegen des geringeren Gegenzugs der Einatmungsmuskulatur. Der Vokal wird breiter, geringere innere Rundung und ein lächelnder Gesichtsausdruck sind die Folge, anders als beim funktional stimmiger Phonation. Dadurch resoniert der -> 2. Vokalformant weiter vorne, nicht direkt vertikal über den Stimmlippen, sondern schräg nach oben Richtung hartem Gaumen im Mundraum. Es entsteht ein "härteres" Resonanz-/Schwingungsgefühl am harten Gaumen statt im weichen Gaumen, wie es beim klassischen Singen der Fall ist. Das Klangergebnis ist heller, "schriller", daher die Bezeichnung "Belting".

Diese Variante ist nicht per se schädlich für das Instrument; die Belastung ist etwas höher und das Klangergebnis nicht so tragfähig wie das Singen mit optimaler Tiefstellung des Kehlkopfes, weil der Vokaltrakt kürzer ist und deshalb die Obertonreihe nicht vollständig gebildet wird. Das ist der Grund, warum dann ein Mikrofon zur Verstärkung nötig wird, anders als beim Klassischen Gesang. Die "Schrillheitsfrequenz", der Klang, der Babygeschrei so durchdringend macht, wird vom menschlichen Ohr besonders gut wahrgenommen wird auf Grund seiner speziellen Form, die durch die Evolution genau dafür so entstanden ist, dass dieser Obertonbereich ein intensiveres Hörerlebnis auslöst als alle anderen. Noch höhere Frequenzen tragen jedoch wesentlich weiter.

Trainiert werden kann das Belten auf Vokal a; der dichtere Stimmlippenschluss von den Seiten her kann hervorgerufen werden durch Vorstellung und/oder nach außen Verlagern z.B. durch Aufeinander Drücken zweier Finger, und durch höheren subglottalen Luftdruck. 

 

BEWEGUNG 

Singen ist Bewegung, Haltungen sind dabei störend, aber auch unkontrollierter, oft unbewusster Bewegungsdrang ist oft das Resultat von Fixierungen irgendwo im Körper. Harte, schnelle Bewegungen triggern den Gefühlszustand der Angst, Flucht, (Schutz-) Schließung, daher ist es wichtig, bei der Phonation weiche, langsame Bewegungen zu machen, erst in Richtung entlang der Achse, dann seitlich davon, wie es den Funktion der Körperausrichtung entspricht.

 

BEWUSSTSEIN

Bewusstsein ist ein Begriff, der auf vielfältige Weise interpretiert werden kann. Dabei steht die gängige Definition im diametralen Gegensatz zu der Bewusstseinsform, die beim funktionalen Gesang vorherrscht. Das Bewusstsein entsteht hier immer aus der Wahrnehmung, die Wahrnehmung wird bewusst. Ich bezeichne das als Wahrnehmungsbewusstsein, in Meditationspraktiken als Achtsamkeit bezeichnet, im Gegensatz zum Wissens-, Willens-, (= Tages-)bewusstsein, der bewussten Kontrolle dessen, was geschehen soll bzw. geschieht. Bewusste Kontrolle ist immer grob.

Man kann die unbewussten Funktionen des Körpers nicht bewusst positiv beeinflussen, nur negativ. Man kann nur wahrnehmen, erleben, dann beginnen die Selbstregulationsmechanismen des Körpers, das Geschehen zu heilen, zu differenzieren und zu optimieren. Auf diese Weise lässt sich das Wahrnehmungsbewusstsein immer weiter verfeinern, nach und nach entwickelt sich eineimmer optimale Körperbehandlung und eine immer klarere Anbindung an das reine Bewusstsein, anders ausgedrückt an die Intuition. Das ist es, was viele Gesangslehrer unterstützen, weil Singen eine höchst emotionale Ausdrucksform des Menschen ist, und im Grunde die Steuerungsmechanismen des funktionalen Singens in den selben Hirnregionen ablaufen wie die Emotionen. Die lehrende Person muss allercings genau wissen, welchen Weg  und welche Strategien sinnvoll sind, damit die lernende Person das Ziel, sich dem reflektorischen Geschehen beim Gesang ohne störende (unbewusste) Gewohnheiten anvertrauen zu können, zu erreichen.

Je weniger bewusst  gewollt wird, desto dominanter agiert das parasympathische (unwillkürliche) Nervensystem, das die Reflexe und Emotionen autonom steuert; je mehr Wollen im Spiel ist, desto mehr übernimmte das sympathisches (willentliche) Nervensystem die Kontrolle, das aber die höchst komplexen und äußerst differenzierten Vorgänge beim Gesangsreflex weder erkennen noch optimal leiten kann.

 

BRUCH -> ÜBERGANG 

 

CANTO FIORITO

Das heißt "Verzierter Gesang", ein Ziel der Belcantoschule des 19. Jahrhunderts. Durch die eigenständige Bewegung des sich selbst und den ganzen Körper (über das Vibrato) regulierenden M. vocalis wird es möglich, Triller, schnelle Läufe und Sprünge in Form von "Gangarten" der schwingenden Stimmlippen auszuführen, ohne dass die Ausatmungsmuskulatur (schräge Bauchmuskulatur) eingreift. Es entsteht ein vollkommenes, akzentfreies  Legatogefühl in der Atemführung, so dass die äußerst differenzierten Bewegungen im Kehlkopf ganz ungestört und unbeeinflusst stattfinden können. 

 

CANTO SUL FIATO

Das bedeutet übersetzt "Gesang auf dem Atem". Der Begriff beschreibt die Wahrnehmung, dass das Körpergefühl, das bei großer, vollständiger Einatmung entsteht, beständig erhalten bleibt, und ein Gefühl des Ausatmens im Sinne von Verlust von Atemluft zu keiner Zeit eintritt, da ja die Dominanz der kontrahierenden Einatmungsmuskulatur (und so das Gefühl des Einatmens) bei der Phonation, natürlich auch bei der nachfolgenden (reflektorischen) Einatmung und der darauf wieder folgenden Fortsetzung der Phonation bestehen bleibt.

Die Ausdrucksweise "Auf dem Zwerchfell Singen" bedeutet dasselbe, nämlich, dass das Zwerchfell während der Phonation kontrahiert bleibt (wobei die unteren seitlichen Zwerchfellanteile entspannen, damit überhaupt Luft nach außen fließen kann).

 

CHIAROSCURO

Das ist eine Beschreibung des Stimmklangs, der bei optimal geöffnetem Vokaltrakt entsteht: Helldunkel, beide Klangfarben gleichzeitig. Die tiefen Frequenzen direkt über dem Kehlkopf werden durch die besondere Zungenstellung ohne Dämpfung hörbar, und durch den tiefstehenden Kehlkopf, der reflektorisch eine Hebung des Gaumensegels hervorruft, verlängert sich der Vokaltrakt, so dass der Grundton  sehr viel Obertöne bilden kann bis hin zu den Sängerformanten, also sehr hohe Frequenzen im Klang enthaltens sind.

 

COLPO DI PETTO

Dieser Begriff bezeichnet die Wahrnehmung der Erweiterung des Brustkorbes im Moment des Einsatzes, die sich reflektorisch einstellt beim Übergang von der Einatmung (Kontraktion der Einatmungsmuskulatur) zum Stimmeinsatz, dem Beginn einer Form der Ausatmung, die weiterhin von der dominant agierenden Einatmungsmuskulatur reguliert und ausbalanciert wird. Sie wird erzeugt durch impulshafte Kontraktion des M. transversus (nicht des M. obliquus!). Durch die stabil bleibenden erweiterten Rippen entsteht eine Dehnung des Brustkorbs vertikal nach hinten und vorne (“sagittale Erweiterung”). Eine Stabilisierung der Unterdruckventilfunktion, eine Verstärkung des Einatemreflexes, eine Unterstützung der Dehnungsfunktion durch Erweiterung des Vokaltraktdurchmessers ist die Folge. Dieser Einatmungsimpuls wird während der ganzen Phonation laufend wiederholt. Ein colpo di petto ist nur möglich bei vollständiger sängerischer Einatmung von der 10. Rippe aus. 

 

CONSTRICTOREN 

Die Constrictoren, die  Schluckmuskeln, sind übereinander geschichtete Muskelplatten von etwa 1 Millimeter Dicke. Sie können schließen oder öffnen bzw. runden. Sie sind gleichzeitig die Würgemuskulatur: Sie runden bei Ausatmung nur beim Würgereflex, bei Einatmung beim Saugreflex, um einen Unterdruck herzustellen. Der obere Constrictor liegt "hinter der Nase", er beeinflusst die Reaktion des weichen Gaumens. Durch seine Kontraktion wird beim Schluckreflex die Nahrung in Richtung Speiseröhre geschoben. Der 2. Constrictor reicht bis zum Zungenbein, er hebt den Kehlkopf beim Schluckreflex, so dass sich der Kehldeckel über der Luftröhre schließen kann. Er beeinflusst auch die Lippenreaktion. Der untere Constrictor reicht von der Mitte des 2. Constrictors bis zum M. vocalis. Kontrahiert er, wird die Nahrung in die Speisesröhre gedrückt. Er umfasst den Kehlkopf und beeinflusst die Kiefer- und Zungenreaktion. Alle drei sind über Ligamente miteinander verbunden und bilden ein Kontinuum von unten nach oben, Faser für Faser. Die Rundung der Rachenrückwand erfolgt von unten: der untere Constrictor, der größte, rundet zuerst, der mittlere, der schmalste, wird nur gedehnt und rundet nicht. Er hat den größten Anteil an der gemeinsamen Schutzfunktion, deshalb wird die Dehnung des mittleren Constrictors oft unterbewusst vermieden. Der obere rundet wieder: Durch diese Rundungsaktivität wird der Vokaltrakt lang, schmal und schlank. Durch das Artikulieren der Vokalreihe  von u-o-a erlaubt man den Constricoren zu reagieren. (Vgl. den Ausruf des Erstaunens "Wow!") Nach vollständiger Kehlkopfsenkung übernimmt das Ventil die Schutzfunktion: An der vollständigen Öffnung erkennt das Gehirn die Schließbereitschaft des M. vocalis.

Da die Constrictoren von unten nach oben runden, gestaltet sich auch der Vokaltrakt von unten nach oben. Die zu phonierende Tonhöhe hat keinen Einfluss darauf, dass immer der untere Constrictor die Rundungsbewegung einleitet. Der obere Constrictor kann nicht ohne den unteren runden. Die Dehnung der Wangen durch Kontraktion des Lippenringmuskels stellt die Verbindung zu den Constrictoren her und unterstützt die Rundung .

 

CUPERTO/LA CUPULA

Dieser Belcanto-Ausdruck beschreibt die Wahrnehmung im weichen Gaumen, die von der Rundungsaktivität der Constrictoren ausgeht. Wenn sie aktiv werden, muss die Zunge reagieren, sie wird schmaler und tonisierter, und der Zungenrücken hebt sich wie beim Saugvorgang. Bei schmalen Vokalen (u,ü,i) hat der obere Constrictor eine andere Aktivität und das Gaumensegel hebt, es bekommt eine Kuppelform. Der M. levator palatini ist Antagonist zu den Kehlkopfsenkern. In höherer Lage spürt man diese Rundung deutlicher, weil die Resonanz der hohen Frequenzen ebenfalls in diesem Bereich gut spürbar ist.

Sobald man den Kontakt zum oberen Constrictor verliert, schließt der Resonator: die Stimme klingt
"flach", gelingt es nicht, den oberen Constrictor differenziert zu runden, wird der obere Vokaltrakt diagonal zusammengeklemmt: die Stimme klingt "spitz". 

 

DECKEN

Das ist die etwas unglücklich gewählte Übersetzung des Belcanto-Ausdrucks "cuperto". Der Klang wird nicht abgedeckt durch diese Formung des Vokaltraktes. Im Gegenteil: Dadurch, dass bei optimaler Kieferöffnung das Gaumensegel reflektorisch schließt, entsteht ein oben geschlossenes "Gedackt"-Instrument, das die Schallwellen auf die Schallquelle zurückreflektiert, was im Falle der Stimmlippen zu einer erhöhten Tonisierung und Aktivität führt, da sie ja primär ein Schutzorgan sind, das mit erhöhter Schließbereitschaft auf Luftverwirbelungen reagiert. So entsteht ein lauterer, vollerer Klang durch die "Kuppel", die -> cupula.

 

DEHNUNG

Dehnung ist zuerst Entspannung, dann Erlaubnis des kontrahierten Muskels, sich dehnen zu lassen: Bei einem Agonist-Antagonist-Muskelpaar ist immer der kontrahierte Muskel in seiner Kraft, der Gegenspieler ist entspannt oder sogar gedehnt, so dass er dem anderen keine entsprechende Kraft entgegensetzen kann. Deshalb muss das Dehnungsgefühl die Bewegung leiten (die exzentrische Muskelarbeit). Im Fall der Stimmmuskulatur bedeutet das: Der M. vocalis wird durch den M. cricothyroideus (schräg nach vorne unten) gedehnt, das bewirkt, dass der Ton höher klingt, die Frequenz der Schwingung sich erhöht. 

Eine Dauerkontraktion von Muskeln verhindert Dehnung. Bei dem Versuch, den Muskel zu dehnen, entstehen Widerstandszuckungen. Ein Ziel des funktionalen Stimmtrainings ist es, unbewusst gewordene Dauerkontraktionen wieder bewusst zu machen, um sie auflösen zu können und so eine bessere Funktionalität der arbeitenden Muskulatur zu erreichen.

 

DEHNUNGSFUNKTION

So wird in der funktionalen Terminologie der Zustand bezeichnet, in dem der M. vocalis, einschließlich der ihn umhüllenden Schleimhaut, des Ligaments, durch den M. cricothyroideus gedehnt ist. In dieser Konstellation schwingt hauptsächlich das Ligament, während der Anteil an schwingenden Muskelfasern des M. vocalis mit zunehmender Tonhöhe sukzessive abnimmt, bis etwa bei fis" keine Muskelmasse mehr an der Schwingung beteiligt ist (Randschwingung). Gleichzeitig verlängert und verschmälert sich die Zunge, der Durchmesser des Vokaltraktes wird größer, weil der M. vocalis durch die Dehnung nach vorne verlängert wird.

Leider gibt es zwei Möglichkeiten, den M. vocalis zu dehnen: mit dem M. cricothyroideus nach unten vorne oder mit den Constrictoren nach hinten oben, wobei die Zunge steif wird, um dagegenzuhalten. Das bewirkt ein Steigen des Kehlkopfes und dadurch eine Verkürzung des Vokaltraktes. 

 

DOPPELVENTILFUNKTION

Zum Grundverständnis der Stimmfunktion gehört das Wissen über die Doppelventilfunktion des Kehlkopfes, in dem die Stimmlippen als unteres Einatmungs- bzw. Unterdruckventil und die darüber liegenden Taschenfalten als Ausatmungs- bzw. Überdruckventil organisiert sind.

Dieses doppelte Ventilsystem liegt in der Evolutionsgeschichte begründet und entwickelte sich aufgrund unterschiedlicher Lebensbedingungen und Anforderungen an die Atmung.

Der Kehlkopf in seiner Hauptfunktion ist dem Atemapparat zugehörig. Die primäre Funktion der Stimmlippen als Teil des Luftweges ist es, für die Atmung zu öffnen oder auch zu schließen, bspw. um die Lungen vor Fremdkörpern zu schützen. Eine sekundäre Funktion der Stimmlippen ist dann die Phonation.

Im Zusammenhang mit der Atmungsmuskulatur ermöglicht die Kehlkopffunktion Luftdruckänderungen in der Lunge bzw. Druckänderungen im Brustkorb. Ein Überdruck wird bei Schließung der Taschenfalten (als Überdruckventil) produziert, die in sich nur wenige Muskelfasern besitzen und deshalb in ihrer Schließstellung durch Hilfsmuskeln des Rachenraumes und auch weiter durch kompensatorische Aktivitäten der Schließung der Stimmlippen (Masseankopplung) und der Aktivität der Ausatmungsmuskeln unterstützt werden. Zweck der Überdruckfunktion ist eine Kraftanwendung nach außen, vom Körper weg, z. B. Heben, Schieben, Defäkation, Gebären usw. Diese Aktivitäten verlangen eine erhöhte kompensatorische Spannung (Schließung) im Rachenraum und sind für die Phonation nicht günstig.

Ein Unterdruck wird bei der Schließung der Stimmlippen (als Unterdruckventil) unter Beibehaltung der Rachenraumöffnung durch die ständige Aktivität der Einatmungsmuskeln produziert. Zweck der Unterdruckfunktion ist es, eine Kraftanwendung in Richtung des eigenen Körpers zu produzieren, also sich selbst zu heben, z. B. beim Klimmzug oder beim Schwimmen (wobei bei extremer Kraftanwendung die Taschenfalten ebenfalls schließen durch die zusätzliche Aktivierung der schrägen Bauchmuskuatur zur Stabilisierung des Rumpfes). Auch unterstützen bzw. innervieren alle Aktivitäten der Unterdruckventilfunktion die benötigten inneren Kehlkopfmuskeln für eine effiziente Stimmproduktion. Im Moment des Einsatzes wird die Unterdruckfunktion aktiviert und bis zum Ende der Phonation immer weiter erhöht. Deshalb haben die Atmungs- und Bewegungsmuskulatur und sogar der gesamte Körper einen mechanischen wie auch neurologischen reflexmäßigen Einfluss auf die Kehlkopffunktion. Sie wird stimuliert durch Balance und umgekehrt stimuliert die Unterdruckfunktion das Gleichgewichtsempfinden. Die Doppelventilfunktion ist daher in permanenter alltäglicher Aktivität.

 

Die menschliche Stimme ist das Ergebnis körperlicher Funktionen, d. h. von Muskelaktivitäten, die teils bewusst, teils unbewusst durch Leitvorstellungen (einem mentalen Konzept) gesteuert werden. Die optimale ungestörte Funktion der Stimmlippen ist eine Voraussetzung für die völlige Entfaltung der Stimme beim Kunstgesang, wobei alle Parameter der Stimme, wie z. B. maximaler Tonumfang, Lautstärkeumfang, Klang- und Vokalfarbänderungen, Konsonantenartikulation, Genauigkeit, Geschwindigkeit und emotionaler Kommunikationsumfang gewährleistet werden.

(Quelle: Rabine-Institut)

 

DYNAMIK/LAUTSTÄRKE

Jede Stimme hat das Potenzial für Lautstärke. Gesteuert wird sie im Zusammenspiel von M. vocalis und Raum. Die Lautstärkeregelung erfolgt ähnlich wie beim Instrument: der Resonanzkörper bleibt erhalten, am Klangerzeugungsmechanismus erfolgen Veränderungen.  Im Fall von crescendo-decrescendo bedeutet das das Zuschalten bzw. Stilllegen von Muskelmasse des M vocalis nach bzw. von hinten unten. Gleichzeitig initiiert das crescendo, neuronal angefordert durch den M, vocalis, eine Querschnittsvergrößerung über den Stimmlippen. Wenn der Querschnitt sich erweitert, erübrigt sich der Zungendruck, der hilfsweise oft eingesetzt wird, um durch Erhöhung des subglottalen Luftdrucks eine Masseankopplung zu erzwingen. Die funktional richtige Reihenfolge ist folgende: Mehr schwingende Masse fordert mehr Luftfluss/Luftdruck an, weniger Masse braucht weniger Luftdruck. Auch die mediale Kompression, der Stimmbandschluss, wird umso geringer, je weniger Druck unter den Stimmlippen herrscht .Je mehr in Dehnungsfunktion phoniert wird, das heißt, je höher die gesungenen Töne werden, desto weniger schwingende Muskelfasern sind an der Klangbildung beteiligt: das bedeutet, desto weniger reale Lautstärke wird erzeugt, desto geringer ist also der Unterschied zwischen p und f. Dass hohe Töne dennoch sehr gut hörbar sind, liegt nicht an ihrer Lautstärke, sondern an der Tatsache, dass das menschliche Gehör für Frequenzen in diesem Bereich besonders empfänglich ist. (Die Form der menschlichen Ohrmuschel verstärkt aus evolutionären Gründen Frequenzen in dem Bereich, in dem sich menschliche Kinderstimmen bewegen, besonders stark.) 

Ein weiterer wichtiger Parameter ist die Resonanz. Je mehr Raum für die schwingende Luftsäule zur Verfügung steht und gestellt wird, desto mehr Klangvolumen kann sich entwickeln.

Die Dicke des M. vocalis ist ausschlaggebend für den Grad der Lautstärke, die erzeugt werden kann."Tiefe Töne", erzeugt durch Kontraktion des M. vocalis sind akustisch immer lauter (haben eine größere Phonstärke) als "hohe Töne" mit weniger schwingender Masse. Deshalb sind Frauenstimmen immer leiser als Männerstimmen. Dass ihr Klang oft als dominierend wahrgenommen wird, liegt daran, dass das menschliche Ohr für hohe Frequenzen viel empfindlicher ist als für tiefe.

Am Anfang steht immer eine möglichst optimale Phonation, danach folgt erst die Lautstärkeregelung durch Wahrnehmungsdifferenzierung (-> Messa di voce). Das Konzept des funktionalen Belcantogesangs für Lautstärkeregelung beruht auf dem Wunsch, der mentalen Vorstellung für eine bestimmte Lautstärke des angestrebten Klangs, worauf der M. vocalis auf einen Befehl aus dem Gehirn die entsprechende Anzahl von Fasern ankoppelt. Dieser Vorgang ist jedem Menschen aus der Sprache unbewusst vollkommen vertraut. Der Wunsch, eine bestimmte Lautstärke zu erzeugen, genügt für die Bereitstellung der körperlichen Voraussetzungen dafür. Dynamik ändert sich durch den Gedanken an Änderung, die Grundempfindung für die Stimme bleibt gleich, der Raum bleibt konstant 

Auch für crescendo geht der Befehl des Gehirns direkt an den M. vocalis statt an die Atmungsmuskulatur (Luftdruck). Daraufhin gibt der Vokaltrakt nach. Wird das erlaubt, kann nach und nach die Wahrnehmung neu justiert werden: Diese Empfindung bedeutet laut, diese leise.

Jede anderweitige, willentliche Leitung der Verstärkung zieht eine Deformation des Instruments mit der Zunge, die Abflachung der Rundung der Constrictoren und erhöhten Luftdruck nach sich. 

Bei gleicher Lautstärke wird in verschiedenen Tonhöhen jeder Vokal zum nächst offeneren in Richtung Dehnungsfunktion  und zum nächstgeschlosseneren in Richtung Massefunktion tendieren. Gleiches gilt für crescendo bzw. decrescendo.

Ein  piano gesungener Ton fühlt sich "höher" an als ein Ton auf der selben Tonhöhe im forte, weil die hohe Schwingung im Vergleich zur tiefen Schwingung stärker, dominant wahrgenommen wird. 

Gleichbleibende Lautstärke ist real kaum zu verwirklichen, denn die Vokale haben von Natur aus verschiedene Lautstärken. (u-o-a ergibt ein Crescendo). Dabei leitet die Qualität der Stimmlippenschwingung, Vokaltrakt und Luftdruck ordnen sich unter.

Ein paar Anmerkungen noch zu dynamischen Vortragszeichen:

Akzent: Eine plötzliche und kurz andauernde Kontraktion des M. vocalis 

Subito piano: Mehr Kontraktion des M. buccinator wird nötig

Decrescendo bedeutet kontrollierte Masseabgabe, wobei das Gefühl für Masse beibehalten wird: Der Körper organisiert sich neu in Bezug zur Masseabgabe, Die Erweiterung des Brustkorbs nimmt zu, sowie die Stabilität in Brustkorb und Rücken

 

EINSINGEN

Eine Vorbereitung auf ein reflektorisches Geschehen ist eigentlich nicht nötig, es geht um die Einstellung, die mentale Vorbereitung auf die gewünschte Körperfunktion. Mit der ersten sängerischen Einatmung wird das Instrument entfaltet und die Phonation neuronal ausgelöst.

Die Schwierigkeit besteht in der differenzierten Wahrnehmung, welche Voraussetzungen in Aufrichtung und Dehnungsbereitschaft bereitgestellt werden müssen, damit das geschehen kann.

Eine Analogie findet sich im Hochfahren eines Programms am Computer, um dann damit effizient arbeiten zu können.

 

EMOTION

Es gibt keine Bewegung ohne Emotion. Singen allein ist Gefühlstransport; die  Primärfunktion des Gesangsreflexes ist ja Ausdruck und Auslösen von Freude, Beglücktsein, Freiheit von Angst. Dieser Zustand führt zu Öffnung, Weite und dadurch Sog. Das wiederum bewirkt eine Optimierung des Gesangreflexes, das Loslassen von Schutzspannungen, "Entfaltung", "Entwicklung" der Person. (Auch die Constrictoren und der M. vocalis werden durch Bewegung hin zum Körper aktiviert.) Genuss ist allgemein das Signal fürs Gehirn, etwas zu speichern, um es wiederholen zu können. Das bedeutet, diese funktional sinnvollen Vorgänge werden automatisch gemerkt und gelernt. 

Angst, Ablehnung oder Wut dagegen lösen Verengung und Schließung aus, und dadurch Überdruck: Eine Schubbewegung weg vom Körper, "Ich will das nicht!", aktiviert die Taschenfalten, die Stimme wird schrill. Funktionales Singen erfordert deshalb den emotionalen Zustand der Objektivität wie beim Spiel eines Instruments, das Eliminieren von unbewussten Privatemotionen, da sie direkten Einfluss auf die Funktion haben. Wut singen, wütend Singen ist deshalb funktional nicht möglich (im Gegensatz zu wütend Sprechen, da Sprechen eine Überdruckfunktion ist, genauso wie Schreien). Das bedeutet aber auch: Wenn der Schüler sich gegen den Lehrer wehrt, ist Singenlernen unmöglich.

Die Emotionsübertragung geschieht durch Stimmgebung und emotionale Vorprägung; Worte, Klänge sind Patterns mit emotionaler Verschaltung. Jede Änderung in der Mimikmuskulatur bewirkt eine emotionale Reaktion bei sich selbst und beim Gegenüber, denn die Muskulatur der Mimik, der Augen und des Nackens sind emotional codiert. Bei Veränderung der Gefühlslage ändert sich die Klangfarbe: Traurige Stimmung macht den Klang dunkler, weicher, aggressive Stimmung heller und härter.  Die emotionale Komponente des Singens stimuliert dominant das Nervensystem auf eine bestimmte Weise (alpha-Zustand) bei jeder kreativen Beschäftigung und genauso beim Gesang.

 "Aufgesetzte" Emotionen, die zu Interpretationszwecken hinzugefügt werden, haben insofern eine positive Wirkung auf den Gesangsreflex, als sie in den gleichen Gehirnregionen entstehen wie der Reflex selbst. Gesangsexterne Gefühle einer Textinterpretation sind mit den Emotionen, die bei den  Zuhörenden durch den Gesang ausgelöst werden, allerdings oft nicht kompatibel und deshalb störend, den Ausdruck überladend. Singen ist eben "ansteckend", wie andere Gefühlsäußerungen auch, z. B. Seufzen, Lachen, Weinen oder Schreien. Alle Zwerchfellreflexe haben völlig nonverbal diese Wirkung! Die körperlichen Abläufe beim Singen üben großen Einfluss auf die empathischen Reaktionen anderer Menschen aus. Etwas Entsprechendes geschieht natürlich auch bei  jeder anderen emotionalen Äußerung, so dass es von großer Bedeutung ist, welche Art von Signal ausgesendet wird.

 

FORMANT

Der in der Akustik häufig verwendete Begriff "Formant" bedeutet, dass in der Obertonreihe, die über einem Grundton entsteht, sich mehrere Obertöne zu einer Obertonballung "formieren". Jede Vokalfarbe ist definiert durch einen tiefen und einen höheren Vokalformanten. Diese Ballung ergibt sich aus der jeweiligen Form des Rohres, in dem die stehende Welle schwingt. Sehr empfehlenswert in diesem Zusammenhang ist folgendes Kurzvideo auf YouTube: demostracion de la fonacion humana.AVI

Dabei ist es unerheblich, wie lang das Rohr ist, allein die Form ist ausschlaggebend. Das ist auch der Grund, warum auch Tierstimmen und von unbelebten Gegenständen hervorgerufene Klänge oft für unsere Ohren wie Vokale klingen. Der Grundton, gebildet von den schwingenden Stimmlippen, und der 1. Vf (der 1 - 1 ,5 cm darüber im sogenannten Vestibül entsteht) sind akustisch nicht trennbar. Sie sind verantwortlich für das dunkle Timbre der Gesangsstimme. Der 2. Vf entsteht unterhalb des weichen Gaumens, er ist verantwortlich für die Verständlichkeit. Durch unsere Prägung auf Sprache sind viele ChorleiterInnen und LaiensängerInnen es (leider) gewöhnt, vor allem oder ausschließlich auf den 2. Vf zu achten. Fehlt der 1. Formant, weil der Kehlkopf zu hoch steht, ist es unmöglich, mühelos Masse anzukoppeln, weil die Rundung des "Instruments" nicht optimal ist. (So etwa klingen Kinderstimmen; sehr hell, "bianco".) Eine hinunter gedrückte Zunge wiederum verhindert die Ausbildung des 2. VF, der Klang der Stimme wird dumpf.

Im Detail: 1. Vf u 320 Hz, 2. Vf 800 Hz, o 1.Vf 700 Hz, 2. Vf 1000 Hz, offenes o 1.Vf 700 Hz, 2. Vf 1150 Hz, a 1. Vf 1000 Hz, 2. Vf 1400 HZ, ö 500 Hz, 2. Vf 1500 Hz, ü 1.Vf 320 Hz, 2. Vf 1650 Hz, ä 1. Vf 700 Hz,. 2. Vf 1800 Hz, e 1. Vf 500 Hz, 2. Vf 2300 Hz, i 1. Vf 320 Hz. 2. Vf 3200 Hz (Quelle: Wikipedia)

Bei u liegen also der 1. und 2. Vf am nächsten zusammen, bei i am weitesten auseinander. Unterhalb und oberhalb der die Vokalfarbe definierenden Frequenzbereiche ist es unmöglich, klare Vokale zu artikulieren, da die sie bestimmenden Merkmale nicht oder unvollständig vorhanden sind. Es gibt zwei Möglichkeiten: Man verkürzt und verkleinert das ganze "Instrument", um klar artikulieren zu können, oder man erlaubt eine Öffnung des Vokaltraktes zum nächstoffeneren Vokal hin. Bei dieser Möglichkeit kann der Kehlkopf auf seiner sängerischen Tiefposition bleiben und der Gesangsreflex bleibt ungestört erhalten. Das bedeutet: weil über a" beim erwachsenen Menschen die wichtigsten drei 2. Vokalformanten verschwunden sind, ist es nicht möglich, die dazugehörigen Vokale in dieser Lage adäquat zu artikulieren. Männerstimmen haben es da entschieden leichter, da sie sich bei der Tonbildung praktisch nie in diesen Frequenzbereichen bewegen. Das ist einer der Gründe für die "undeutliche" Aussprache von Sopranistinnen: sie spüren instinktiv, dass es ihrer Stimme und der Qualität ihres Gesangs schadet, wenn zu deutlich im Sinne der Sprachgewohnheit artikulieren und damit den 1. VF verlieren. Die Folge ist stimmliche Ermüdung, weil der Gesangsreflex nicht störungsfrei ablaufen kann.

Ein Wort noch zum berühmten Sängerformanten: Es gibt drei Sängerformanten um 3000 Hz, das entspricht fis"", der zweithöchste und der höchste Sängerformant als Klangcode, (um 5000  bzw. 8000 Hz, also d""' bzw e""") regen über das Gehör im Gehirn erhöhte Gammanerventätigkeit und Glücksgefühle an. Positive Aktivität wird ausgelöst. Einen ähnlichen Effekt hat Vogelgesang. Vielleicht einer der Gründe, warum Singen glücklich macht?

 

GAUMEN

Der weiche Gaumen ist lokalisiert zwischen den oberen Backenzähnen. Er besitzt keine eigene Muskulatur. Beim erwachsenen Menschen ist die Schädelbasis leicht gewölbt, dass der weiche Gaumen sich heben kann. (Beim Kind ist sie noch flach.)Er wird reflektorisch gehoben durch Mundöffnung und  antagonistisch zur Kehlkopfsenkung, im letzten Drittel der Einatmung reflektorisch durch den ->Trachealzug.  Ab dem 2. Drittel der Kieferöffnung schließt das Gaumensegel die Nase von innen. Ein willentliches Heben des Gaumensegels ist muskulär unmöglich. Beim Versuch, es aktiv zu heben, wird die Zunge nach hinten unten gedrückt. Der Kehldeckel wird dadurch geschlossen und verengt, verschließt teilweise den Vokaltrakt. Das klangliche Ergebnis ist eine "gepresste Stimme", ein "enger Ton". Es gibt zwei Hebevorrichtungen im Gaumenbereich, eine länglich, die andere breit. Bei der breiten drückt die Zunge nach unten (Gähnreflex). Die längliche reagiert auf akustische Phänomene, der Kehlkopf wird abgesenkt, das System in der Mitte des weichen Gaumens reagiert schlank nach oben. Das Anspannen und dadurch Abflachen des weichen Gaumens durch die umliegende Muskulatur dagegen verhärtet und dämpft den Klang. 

In Richtung Dehnungsfunktion (ca. ab c") verstärkt sich die Hebung von selbst immer mehr, bleibt aber erhalten, wenn die Funktion wieder in Richtung Massefunktion geht. Der weiche Gaumen verstärkt die hohen Frequenzen. Außerdem entsteht bei der Phonation eine Rückkopplung der von den Stimmlippen ausgesandten Schwingung, das heißt, die Schallwellen werden auf die Stimmlippen zurückreflektiert, was wiederum ihre  Schließbereitschaft und Schwingungsintensität verstärkt. Die Folge ist eine Wiederholung dieses Vorgangs mit höherer Intensität, u.s.w.: Der Effekt ist eine Klangverstärkung wie bei der Rückkopplung bei technischen Geräten. Das ist der Grund, warum ein so kleines Instrument wie der menschliche Vokaltrakt Lautstärken erzeugen kann, die ein ganzes Orchester übertönen.

 

GESANGSREFLEX

Er ist der komplizierteste zusammengesetzte Reflex, den dem menschlichen Körper zur Verfügung steht und besteht aus angeborenen, unbedingten und erworbenen, bedingten Reflexen.  

Reflexe sind blitzschnelle Reaktionen unseres Körpers, die wir nicht steuern können und die damit unwillkürlich ablaufen. Sie werden ausgelöst von einem Reiz, wobei auf einen bestimmten Reiz unter ähnlichen Bedingungen immer die gleiche Reaktion folgt. Die Reiz-Reaktions-Verknüpfung ist der Reflex. Die neuronale Verschaltung zwischen  Rezeptor und Effektor, die dieser Reaktion physiologisch zugrunde liegt, nennt man Reflexbogen. Die Nervenzellen vieler Reflexbögen liegen im Rückenmark, wodurch das Gehirn von der Steuerung stereotyper Bewegungen entlastet wird. Zudem können die Schaltwege bei Reflexen ohne den Umweg ins Gehirn möglichst kurz gehalten werden. Das erlaubt beispielsweise in Gefahrensituationen eine unmittelbare Reaktion.

Zwei frühkindliche Reflexe, die im Gesangsreflex enthalten sind, sind der Such- und der Saugreflex: Als Reaktion auf eine Berührung des Mundwinkels spitzen Säuglinge die Lippen, und sobald sie damit etwas berühren, beginnen sie zu saugen. Weitere beteiligte unbedingte Reflexe sind z.B.  Niesreflex und Hustenreflex, deren primäre Aufgabe es ist, Fremdkörper aus den Luftwegen zu entfernen. Im Laufe des Lebens werden bedingte Reflexe durch Konditionierung dazu erworben. (Für das Erlernen eines bedingten Reflexes wird ein neutraler Reiz, der zunächst keine Reflexhandlung auslöst, direkt vor dem unbedingten Reiz dargeboten. Auf diese Weise wird der neutrale mit dem unbedingten Reiz verknüpft. Bedingte Reflexe werden wieder verlernt und gelöscht, wenn kein erneutes Koppeln mit dem unbedingten Reiz stattfindet.)

Am Beginn des Gesangsreflexes steht ein neurologischer Impuls im Mittelteil des Stammhirns. Er löst eine Einatmung durch Zwerchfellsenkung nach hinten unten aus, die ihrerseits korrespondiert mit dem Stimmensatz, der vom selben Hirnareal gesteuert wird. Ist der Gesangsreflex soweit von ihm zuwider laufenden Gewohnheiten befreit, dass er dominant die Phonation leiten kann, ist er selbstregulierend und selbstoptimierend. Er reagiert auf Achtsamkeit und wird durch die Phonation weiter optimiert, da die schwingende Luftsäule über die Sinneszellen der sie umkleidenden Schleimhaut fühlbar wird.

Reflektorische Phonation wird bei optimaler Einatmungskontraktion des Zwerchfells und daraus folgender Kehlkopfsenkung im Atemzentrum im Bereich des 5. Rippenpaares im Rücken neuronal ausgelöst (analog zur Auslösung des Niesreflexes).

Die schließende Schutzfunktion des M. vocalis wird dabei ersetzt durch kinetische Energie und erhöhten Muskeltonus, also der Schließbereitschaft des M. vocalis.

Ausgelöst wird der Gesangsreflex bei mindestens 50% Lungenvolumen, ebenfalls analog zum Niesreflex, der ja auch bei zu geringem Einatmungsvolumen nicht stattfinden kann.

Voraussetzung dafür ist ein optimal tief stehender Kehlkopf. Was den Kehlkopf nach oben zieht, und/oder den Vokaltrakt verengt, stört oder verhindert den Gesangsreflex. Töne, die dann entstehen, stammen aus anderen neuronalen Programmen. 

 

GESTALTUNG

Künstlerische Gestaltungsfreiheit besteht nur im Rahmen der Selbstregulation, wenn ein funktional gesunder Umgang mit der Stimme gewährleistet sein soll.

 

GLISSANDO

Glissando bedeutet Gleiten durch die Tonhöhen ohne Tonschritte oder -sprünge. Beim Glissando sind alle Parameter in Bewegung außer dem Vibrato, aber die Vibratoimpulse laufen auch während der Glissandobewegung weiter. Durch leichte Kontraktion zweier Einhängemuskeln (M. tyroepiglotticus) rechts und links am Kehlkopf, die reflektorisch erfolgt, wird der Grundtremor der schwingenden Stimmlippen abgebremst. Werden die Impulse hörbar durch Lösen der Kontraktion, entsteht -> Portamento, wobei sich die Tonhöhenveränderung dabei, durch das Vibrato geleitet, in Halbtonschritten vollzieht. 

Die Leitung des Glissando ist die hohe Schwingung und die feine Empfindung in den Stimmlippen. 

 

GLOTTISSCHLAG

Das ist eine Sprengung der Taschenfalten durch großen Luftdruck von unten, hervorgerufen durch starke Kompression der schrägen Bauchmuskulatur. Die Stimmlippen schließen dabei reflektorisch aber auch und werden nach oben ausgelenkt, was einen Stimmeinsatz sehr erschwert und eine funktional gesunde Stimmbehandlung unmöglich macht. 

 

GOLA APERTA

Die wörtliche Übersetzung dieses Begriffs ist "offene Kehle". Durch die sängerische Kieferöffnung ohne Beteiligung von Zungendruck und die sängerische Einatmung (-> Trachealzug) kann der Kehlkopf von der Ruhestellung in Höhe des 2. Halswirbels bis zur Höhe des 5. Halswirbels abgesenkt werden, wobei sich die Stimmritze immer weiter öffnet, zuerst in Form eines Dreiecks ("Dreipunkt-Öffnung"), bei weiterer Senkung sukzessive durch Zuschaltung weiterer Muskelgruppen der Einhängemuskulatur bis zu einer nahezu runden Öffnung ("Siebenpunkt-Öffnung"). Diese optimale Tiefstellung bleibt im Idealfall während der gesamten Phonation erhalten und somit auch die Möglichkeit optimal weiter Öffnung während Phonation und Absatz.

 

HÖHE

Um hohe Töne zu erzeugen, müssen die Stimmlippen schneller schwingen, als beim Erzeugen von tiefen Tönen. So schwingen sie bei einem a" (Kammerton) 888 mal pro Sekunde hin und her.

Eine Schwingung mit schnellerer Grundfrequenz als der sie umschließende Resonanzraum hat von Natur aus weniger Obertöne als eine Schwingung mit langsamer Grundfrequenz, weil in einem geschlossenen System nur eine bestimmte Anzahl von ganzzahligen Teiltönen (½, ⅓,...) entstehen können.  

Diese Frequenzen werden erzeugt durch Dehnung der Stimmlippen: Ihr Antagonist, der M. cricothyreoideus, der an der vorderen Spitze des Schildknorpels ansetzt, kontrahiert und zieht so den M. vocalis in die Länge. Das bedeutet, dass das System nach unten nachgeben muss. Da die Stimmlippen dadurch dünner werden, erhöht sich ihre Schwingungsfrequenz, wie das bei jedem elastische Band geschieht. Der schwingende Muskelanteil wird mit zunehmender Dehnung immer geringer, bis bei fis" keine Muskelmasse des M. vocalis mehr an der Schwingung beteiligt ist. Der obere Rand der Kante des M. vocalis schwingt dabei in ganzer Länge. Die vollständige Dehnung der Stimmlippen braucht die große Weite des Vokals a, daher ist eine der Sprachgewohnheit entsprechende Artikulation von o und u in der Höhe unmöglich.

Je höher der gesungene Ton, desto weniger Veränderung im Vokaltrakt ist nötig. (Zum Vergleich: Die Griffe auf dem Griffbrett eines Streichinstrumentes werden immer enger, je höher der erzeugte Klang wird.) Nur wenige Fasern der Stimmlippen  werden über die Aktivität des M. cricothyroideus geändert, dann ändert sich schon die Tonhöhe.

Je höher der Ton wird, desto intensiver wird die hohe Schwingung. Sie wird am weichen Gaumen wahrgenommen, weil sie da verstärkt wird. Durch die Absenkung des Schildknorpels durch den Zug des M. cricothyreoideus wird die Form des Gaumens schmaler und länger (nicht durch Druck der Zunge auf den Kehlkopf!). Mit intensiverer Wahrnehmung der Kopfresonanzes fühlt sich die Klangentstehung "höher" an, die Klangerzeugung bleibt aber am selben Ort im tiefstehenden Kehlkopf. Trotz der starken oberen Schwingung bleibt die untere Schwingung im Vokaltrakt immer dominant. 

Auch eine Differenzierung der Lautstärke ist in dieser Lage genau genommen nicht mehr möglich, da ja keine An- bzw. Abkopplung von Muskelmasse mehr stattfindet. Allein die -> Mediakompression intensiviert bzw. löst sich. Da nur noch das Ligament an der Schwingung beteiligt ist, ist der Stimmbandschluss lockerer als bei tiefen Tönen; das Singegefühl ähnelt deshalb dem von Singen im piano. Die kinetische Energie, die Schließbereitschaft der Stimmlippen, steigt dagegen an. Auch der subglottale Luftdruck wird bei immer feinerer Schwingung immer noch weiter reduziert. Je höher der Ton ist, desto weiter und länger wird der Vokaltrakt, desto tonisierter muss demzufolge die Einatmungsmuskulatur werden, um den Raum offenhalten zu können.

Der Raum des Vokaltraktes bleibt offen, so dass die tiefen Raumfrequenzen den hellen Klang anreichern (ähnlich wie beim Rufen in ein Rohr hinein). Steigt die Tonhöhe über die des 1. Vokalformanten, muss der untere Raum zum nächst offeneren Vokal öffnen, damit der untere Formant des gesungenen Tones weiter verstärkt werden kann. 

All diese immer feiner werdenden Anpassungsbewegungen werden durch den M. vocalis in vollkommener Selbstregulation geleitet.

Das Muskelpaar M. vocalis - M. cricothyreoideus arbeiten antagonistisch, was bedeutet, dass sie nur gemeinsam trainiert werden können. Ein kontrahierter M. vocalis trainiert den ct.  und umgekehrt. Anders ausgedrückt: Die Höhe wird in der Tiefe trainiert. 

 

INALARE LA VOCE

Dieser sehr bekannte Ausdruck bezieht sich auf eine Wahrnehmung im Vokaltrakt: Durch das Beibehalten der dominanten Einatmungsaktivität während der sängerischen Ausatmung bei der Phonation entsteht das Gefühl, "die Stimme einzuatmen bzw. einzusaugen". Beschrieben wird ein (neuronal durch den M. vocalis gesteuerter) sehr kontrollierter Luftfluss, der die durch die Stimmlippen ausströmende Luft so fein dosiert, dass die extrem differenzierte Schwingungsbewegung ungestört ablaufen kann. 

Durch die unvermindert hohe Aktivität der Einatmungsmuskulatur, die sich im Laufe einer Phrase teilweise sogar noch erhöht, entsteht das Phänomen, dass das Ende der Phonation zugleich der Beginn der nächsten Einatmung ist und das Ende der Einatmung  der Beginn der Phonation.

 

INNERES LÄCHELN

Die Rundung des M. orbicularis oris, die nötig ist, um die Einatmungstendenz für die Phonation zu gewährleisten, erlaubt nicht, dass ein lächelnder Gesichtsausdruck beim Singen entstehen kann. Der Gesichtsausdruck des Lächelns ist eine vom Zähnefletschen abstammende mimische Aktion, die dem Beißen verwandt ist und durch Aktivierung der Lippenheber, die zur schließenden Muskulatur gehören, hervorgerufen wird. Mit "innerem Lächeln" gemeint ist die Wahrnehmung eines Tonus der Muskulatur hinter den Ohren, der ohne Schließung des Raumes die Stirn glatt hält. Bei sängerischer Kieferöffnung wird sie ab etwa ⅔ der vollständigen Öffnungsweite aktiv als antagonistische Reaktion auf die -> Schlitten-/Scharnierfunktion des Unterkiefers. Auch die Sekundärwahrnehmung der Vibrationen im harten Gaumen bis in die oberen Wangen kann die (illusorische) Gefühl hervorrufen, die Mimikmuskulatur sei aktiv. Sie erlaubt im Gegenteil, vom M. orbicularis oris gedehnt zu werden.

Auch durch die mimische Variante, "Bäckchen" zu bilden, schließt der Raum, da der Kiefer und dadurch der Kehlkopf davon hochgezogen wird. 

Durch die Erlaubnis, dass sich die Mimikmuskulatur maximal dehnen lässt, entsteht an der Schädelmuskulatur ein Dehnungsreiz, im Extremfall auch eine gewisse kinetische Energie, also eine Bereitschaft zu kontrahieren, die dem Impuls des Lächelns ähnelt und im Unterschied dazu die Dehnung der Mimikmuskeln noch verstärkt.

 

INTONATION

Intonation entsteht am Grundton. Ohne Grundtonwahrnehmung kann Intonation nicht geregelt werden, da Tonhöhenregelung nur am Grundton erfolgen kann. 

Für das Verstehen von Sprache nutzt der Gehörsinn den zweiten, oberen Vokalformanten, der erste, untere ist beim Sprechen nur ansatzweise ausgebildet. Dieser Umstand erschwert das Erkennen der tiefen Frequenzen im Klang für ungeübte Ohren erheblich. Beim gesungenen Ton ist aber der erste Vokalformant, der etwa am selben Ort entsteht wie der Grundton, ausschlaggebend für die Regelung der Intonation. Wird also der Versuch gemacht, nur über den zweiten Vokalformanten die Intonation zu regeln, hat das eine Manipulation der Form des Vokaltraktes zur Folge, die auf Dauer stimmschädigend wirkt, weil so die optimalen funktionalen Voraussetzungen für Phonation gestört werden. 

Hoch ist nicht gleichzusetzen mit hell, tief nicht mit dunkel. Jeder Klang beinhaltet immer beide Komponenten (-> chiaroscuro), der Anteil an tiefen und hohen Frequenzen im Klang ist von körperlichen Parametern abhängig, die auch als persönliches -> Timbre bezeichnet werden.

Allgemein kann aber gesagt werden. dass der Eindruck von "zu tief" oft bei zu wenig hoher Schwingung und der von "zu hoch" bei zu wenig tiefer Schwingung im Klang entsteht.

Es ist jedoch kontraproduktiv, mit Hilfe von Luftdruck und/oder Veränderung der Kehlkopfposition die Intonation regulieren zu wollen, da das Mischungsverhältnis von Masse- und Dehnungsdominanz dadurch noch mehr gestört wird und die Intonation deshalb noch mehr von Zufällen und nicht funktionalen Gewohnheiten abhängt.

 

 

BELCANTOBEGRIFFE UND FACHAUSDRÜCKE FUNKTIONAL ERKLÄRT K - R

KEHLKOPF

Im Kehlkopf entsteht der Schall durch die schwingenden Stimmlippen, die vorne an der Kehlkopfspitze angewachsen sind und deren hintere Begrenzung die Stellknorpel sind, durch die sie geöffnet und geschlossen werden können. Deutliche Größenunterschiede bestehen im Erwachsenenalter zwischen Frau und Mann: Der Unterschied zwischen Jungen- und Männerstimme beträgt gewöhnlich eine Oktave (Frequenzverhältnis 2 zu 1), die Frauenstimme kann gegenüber der Mädchenstimme bis zu einer kleinen Terz absinken (Frequenzverhältnis bis 6 zu 5). Das bedeutet, der männliche Kehlkopf wächst deutlich mehr als der weibliche, Männer haben demzufolge bis zu 5x mehr Muskelmasse und etwa um die Hälfte längere Stimmlippen.

Der Kehlkopf hängt stabil in der Einhängemuskulatur , die vom weichen Gaumen bis zum Zwerchfell reicht, er kann in seiner Form in die Länge gezogen werden, da er aus elastischem Knorpelgewebe besteht. Die Stellung des Kehlkopfes ist unabhängig von Vokal, Tonhöhe und Stimmfach, allerdings wird die Kehlkopfmuskulatur durch Schall beeinflusst. 

Ein medizinisch-phonetischer Rat: Entgegen der verbreiteten Meinung, man müsse “die Stimme schonen” bei einer Kehlkopfentzündung, soll bei dieser Erkrankung keine Stimmruhe gehalten, vor allem nicht geflüstert werden. Normal vollklingendes Sprechen ist die gesündeste Art, sich zu artikulieren. 

 

KEHLKOPFSENKUNG

Der Kehlkopf steht in Ruhestellung etwa beim 3. Halswirbel, er kann aber bis zum 4./5. Halswirbel sinken. Im Idealfall senkt sich der Kehlkopf symmetrisch, es kommt aber häufiger zu asymmetrischen Senkungsbewegungen durch Haltungsgewohnheiten. Die Wahrnehmung der (symmetrisch) schwingenden Luftsäule ist in solchen Fällen das beste und einzig dauerhaft wirksame Regulativ.

Die Kehlkopfsenkung ist unabhängig von Vokal, Konsonanten, Lautstärke und Tonhöhe. Sie wird getriggert und unterstützt durch Dehnung des Lippenrings und eine -> Kieferöffnung wie beim Saugen. Die Artikulation des Vokals erfolgt deshalb erst gleichzeitig mit dem Einsatz durch codierte Impulse aus dem Sprachzentrum,  um immer eine vollständige Senkung zu gewährleisten. Punctum fixum bei der Senkung ist ein erweiterter Brustkorb und ein kontrahiertes Zwerchfell, dann erst ist Kehlkopfsenkung möglich. Das Punctum fixum muss stabilisieren, damit das System öffnen kann; das ist die eigentliche Bedeutung des Ausdrucks -> Inalare la voce. Die den Kehlkopf senkenden Muskeln können aber stattdessen auch den Brustkorb heben, wenn das Punctum fixum und das Punctum movens vertauscht werden.

Wenn der Kehlkopf sinkt, vergrößert sich der Abstand zwischen M. vocalis und Taschenfalten. Antagonistisch zu diesem Zug nach unten erfolgt  eine reflektorische Aktivierung/Hebung des weichen Gaumens. Je tiefer er steht, desto deutlicher ist das Schwingungsempfinden im Gaumenbereich. (-> La cupula). Je länger das Rohr ist, desto größer wird das Klangspektrum, das darin abgebildet werden kann. Tiefe Grundtöne haben deshalb mehr Obertöne als hohe.  

Kehlkopfsenkung und -> Vordersitz sind zusammen nicht uneingeschränkt möglich, da eine Resonanz der stehenden Welle am harten Gaumen nur durch eine Schrägstellung, d.h. Anhebung des Kehlkopfes hergestellt werden kann. 

 

KLANG

Klang ist hörbar gemachte Bewegung. Er muss nicht angeschoben werden, er ist schon da mit der ersten Tausendstel Sekunde,in der die Stimmlippen schwingen. Je feiner, differenzierter die Funktion ist, desto weicher wird der Klang. Durch Verfeinern der Bewegung und des Gehörs wird auch der Klang verfeinert. 

Beim sogenannten Primärklang (-> Klangfarbe) ist der Klang hell, die Vokalfarbe aber dunkel, ähnlich wie bei volltönendem Glockenklang. (-> Chiaroscuro). Da der gesungene Klang vor allem über das Innenohr wahrgenommen wird, wobei auch der Knochenklang eine Rolle spielt, der gehörte Klang aber über die äußeren Gehörgänge, ist es wenig zielführend sowohl für die Lehrenden als auch für die Lernenden, sich an Klangvorstellungen zu orientieren. Sie führen meistens in die funktionale Verirrung. Die taktile Wahrnehmung der stehenden Welle (und davon abgeleitete akustische Klangerfahrung) ist eine viel sicherere Möglichkeit, sich leiten zu lassen.

Klang ist auch emotionale Kommunikation, und auch dieser Parameter kann zu falschen Vorstellungen, Erwartungen und Interpretationen führen, die die rein funktionale Zielsetzung stören oder sogar aushebeln können.

 

KLANGFARBE 

Sie entsteht im Vokaltrakt. Sie beschreibt die Masse- bzw.  Dehnungsdominanz bei der Klangerzeugung und wird beschrieben mit den Paramentern dunkel - hell. 

Klangfarbenresonanz wandert durch den Vokaltrakt. Dabei ist eine Differenzierung der Begriffe Klangfarbe und Vokalfarbe von großer Wichtigkeit: der Resonator liefert die Klangfarbe, der Artikulator formt die Vokalfarbe. Eine weitere Differenzierung ist nötig in Bezug auf Klangfarbe und individuellem Stimmklang, dem sogenannten "Timbre", das definiert wird durch die individuelle Form des Instruments, aber auch durhc Gewohnhieten und Schutzschließungen. Die hörbaren Parameter dafür sind weich versus hart, schrill oder voll versus eng, gepresst und weitere assoziative Beschreibungen.

Im Verhältnis zu den sekundären Schwingungen der Vokalfarben leitet die primäre Schwingung der Klangfarbe (“Grundtönigkeit”) stärker die Schwingungsregulation. (Beim Vokal u sind beide schwer zu trennen, weil die Zungenstellung bei u die Klangfarbe unterstützt.) 

Klangfarbe wird auch durch Emotion beeinflusst, sie kann einen Wechsel der Klangfarbe bewirken.

 

KNÖDEL

Dieser sehr lautmalende Begriff beschreibt tatsächlich das klangliche Ergebnis eines durch einen Widerstand verstellten Vokaltraktes. Gängigerweise wird unterschieden zwischen hartem und weichem Knödel. Jeweils ist es die Stellung der Zunge, die der Entfaltung des Klanges buchstäblich im Weg steht. Je nach dem Grad ihrer Kontraktion und ihrer Position im Raum entstehen verschiedene klangliche Ergebnisse: 

Beim harten Knödel zieht die Bewegung des Zungengrundes nach hinten die ganze Zunge mit sich, so dass der Rachenraum verengt ist, es entsteht ein harter, “gepresster”, “gequetschter” Klang.

Beim weichen Knödel wird die ganze Zunge hochgezogen und damit auch der Kehlkopf, der Klang wird nasal und verliert seine dunkle Klangfarbe. Auch die -> Mediakompression ist in dieser Kehlposition nur unvollständig herstellbar, daher klingt der Klang ohne Kern und weich.

 

KOLORATUR

Die Koloratur ist das Markenzeichen des Belcanto. Läuft der Gesangsreflex ungestört ab, stimmen die Druckverhältnisse und die Balance zwischen agonistischer und antagonistischer Muskulatur, leitet der M. vocalis die Bewegung, dann entsteht eine Kehlfertigkeit, die sehr schnelle regelmäßige Tonwechsel bei ungestörter Einatmungstendenz ermöglicht. Das ist eine Art “Gangart” der Stimmlippen, die  über die Vibratofrequenz und -amplitude koordiniert wird (5-7 hz, 1/2 Ton). Sie ist bis zu einem gewissen Grad modifizierbar, an die Erfordernisse der Literatur anpassbar; z. B. werden bei schnellen Koloraturen 2 Töne auf 1 Vibratoschwingung genommen. Das ist ein völlig anderes Konzept als das, über Zwerchfellstöße die Tonwechsel anzustoßen, und ermöglicht das Singen von Koloraturen im vollkommenen Legato.

 

KONSONANTEN

Das Programm für Konsonantbildung ist ein ständig genutztes, unbewusstes Sprachprogramm, es wurde im Kleinkindalter gelernt, mit kurzem Resonator und hohem Kehlkopf. Mit dem Spracherwerb ist die Programmierung  abgeschlossen. 

Alle Konsonanten haben eine Schließtendenz, also müssen sie möglichst kurz artikuliert werden. (Während der Phonation werden sie annähernd genau so gebildet, wie beim (flüsternden) Artikulieren während des Einatmens, mit anderen Worten in den Saugreflex oder auch Schluckaufreflex, den Vokaltrakt öffnend statt schließend als “Implosion“ statt “Explosion”. Das bedeutet, sie sind unaspiriert, denn Aspiration ist Ausatmung.  (-> Inalare la voce). Der Konsonant bewirkt nur einen kurzen Stopp des Luftflusses, keinen Luftverlust durch Aspiration. 

Der Konsonantendruck soll nicht höher sein als der Luftdruck bei der Phonation. Deshalb sollen sie ohne Ruck (ein Ruck ist neuronal verschaltet mit Schreck/Schließung) und mit so wenig Aufwand wie möglich gebildet werden mit dominanter Wahrnehmung der Stimmlippenebene. Die Tatsache, dass die Zunge am Zahndamm landet und den Mundraum schließt, stoppt im Moment des Kontakts die Vibratoschwingung. Wird die Bewegung sehr schnell ausgeführt, bleibt die Schwingung dominant wirksam. 

Für das Erlernen dieser "neuen Sprache" gilt folgende Reihenfolge: Erst muss der Resonator erkannt werden, in Bezug dazu die optimale Bildung des Konsonanten. Durch den Konsonanten wieder wird der Artikulationsraum deutlicher erkannt, was in Folge die Bildung anderer Konsonanten erleichtert. Auch Konsonanten werden mit schmaler Zunge bei entspannt nach unten zeigenden Zungenseiten gebildet.

Das sängerische Ziel der Konsonantbildung ist, dass der Vokaltrakt offen bleibt und der Klangstrom ohne Unterbrechung weiterfließt. Es gilt, den (rezessiven) Überdruck der Konsonanten in die (dominante) Gesangsfunktion zu integrieren.

Stimmhafte und stimmlose Konsonanten außer l,w (d"), s (a') können auf gesungener Tonhöhe nur bis d' gebildet werden, ansonsten müssen sie immer auf Sprachebene gebildet werden und der darauf folgende Vokal auf der gesungenen Tonhöhe. Der Grund ist, dass Konsonanten eine (sehr hohe) Eigenfrequenz haben, die vom Ohr wahrgenommen wird. Da das Gehirn den Luftdruck beim Toneinsatz für geschlossenen Kiefer (bei der Artikulation von den meisten Konsonanten muss der Kiefer ganz oder beinahe geschlossen sein), also Kehlkopfhochstand bei der Phonation berechnet, wenn der Konsonant dominant "auf Tonhöhe" angesteuert wird, sendet es statt des Öffnungsimpulses für die Phonation einen Schließimpuls, damit entsprechende Frequenzen erzeugt werden können ("Zischen"). Das bedeutet, der Kehlkopf wird reflektorisch von der Artikulationsmuskulatur nach oben gezogen, der Vokaltrakt verkürzt und verengt, so dass funktional gesundes Singen unmöglich wird. Besonders ungünstig ist die von der Sprachgewohnheit gesteuerte Konsonantenbildung ab d", da ab dieser Tonhöhe die Öffnung des Vokaltraktes unbedingt notwendig ist, um den Ton ohne Überdruck zu erzeugen. (Sonst wäre es Schreien, ein anderes Tonerzeugungsprogramm im Überdruckmodus. Im Gegensatz dazu hat Konsonantbildung keinen Einfluss auf Bauchmuskulatur und Zwerchfell.)

Deshalb vermeiden besonders Sängerinnen instinktiv diesen Effekt, indem sie stimmhafte Konsonanten auf Schwa (also in tiefer Sprechlage) und ohne Luftdruck bilden, damit kein Luftdruck auf den nachfolgenden Vokal übergeht. Das ist der funktional sinnvolle Grund für das beliebte "Anschleifen" der Töne. Alles andere wäre auf Dauer stimmschädigend. Sie verstehen es allerdings, das im Idealfall so unauffällig zu gestalten (z.B. durch einen unhörbar schnellen "Oktavsprung"), dass es kaum oder gar nicht wahrnehmbar ist. 

Infolge des Prinzips der “progressiven Muskelrelaxation” können Konsonanten sukzessive sogar bei der Dehnung der Mimikmuskulatur helfen. 

Im Detail:

Alle Gesangskonsonanten außer h werden im vorderen Mundraum gebildet, im Bereich des harten Gaumens.

Präzise Konsonanten geben dem Klang Energie, ähnlich wie der Stockeinsatz dem (dominanten) Skifahren, weil sie, sängerisch gebildet, die Kieferöffnung und damit die Kehlkopfsenkung triggern und stabilisieren.

Konsonantbildung erfolgt möglichst schon in der Form des folgenden Vokals.

Bei stimmhaften Platzlauten entsteht ein kleiner Luftstau im Vestibül, die Stimmlippen erzeugen einer sehr kurzen,"Vorschlag" auf d', unabhängig davon, ob der nachfolgende Ton auf d', darüber oder darunter liegt. 

Klinger müssen klingen, sonst zieht sich der Klangraum zusammen. 

Stimmlose Konsonanten werden ohne Luftdruck und Tonhöhenvorstellung gebildet.

Endkonsonanten behalten die vollständige Tonisierung bei.

Bei Platzlauten gilt folgendes: Der Spuckreflex ist nur effektiv, wenn der gesamte Reflex einschließlich des Einatemreflexes durchläuft, andernfalls besteht die Gefahr einer Dauerkontraktion der Bauchdecke (M. serratus + M. rectus).

Bei ch haben die Zungenseiten leichten Kontakt zu den hinteren Backenzähnen. Das Gleiche gilt für j, was ja die stimmhafte Variante von ch ist.

H ist der einzige Stimmlippenkonsonant, alle anderen werden im vorderen Drittel des Mundraums gebildet, h und freier Einsatz sind annähernd das Gleiche. Das hauchende Geräusch entsteht dabei zwischen Taschenfalten und Stimmritze. (Auch der "Glottisschlag" ist eine Art Konsonant.) Alternativ kann h auch als sehr weiches ch gebildet werden mit dem Reibungsort Zungenrücken statt Glottis. Das ist in vielen Sprachen üblich, besonders in slawischen Sprachen.

Auch der Konsonant f soll möglichst unaspiriert gebildet werden.

Das sängerische l wird ohne Schließung und Überdruck gebildet. Es ist der einzige Konsonant, der in jeder Tonhöhe artikuliert werden kann auf Grund der Möglichkeit der Kieferöffnung.

Ng wird fast an den Zähnen gebildet, ("Mittelzungen-n") als die bewegungsmäßige Fortsetzung von u-ü-i. 

Die Bildung des "Kutscher-r" ist nur in der Überdruckfunktion möglich, also für funktionelles Singen ungeeignet.  

Bei s, sch zeigt die Zungenspitze nach unten und berührt die untere Zahnreihe.

 

LAUTSTÄRKE

Jede Stimme hat das Potenzial für Lautstärke. Die Dicke des M. vocalis ist ausschlaggebend für den Grad der Lautstärke, die erzeugt werden kann. "Tiefe Töne", erzeugt durch Kontraktion des M. vocalis sind akustisch immer lauter (haben eine größere Phonstärke) als "hohe Töne" mit weniger schwingender Masse. Deshalb sind Frauenstimmen immer leiser als Männerstimmen. Dass ihr Klang oft als dominierend wahrgenommen wird, liegt daran, dass das menschliche Ohr für hohe Frequenzen viel empfindlicher ist als für tiefe.

Am Anfang steht immer eine möglichst optimale Phonation, danach folgt erst die Lautstärkeregelung durch Wahrnehmungsdifferenzierung (-> Messa di voce). Das Konzept des funktionalen Belcantogesangs für Lautstärkeregelung beruht auf dem Wunsch, der mentalen Vorstellung für eine bestimmte Lautstärke des angestrebten Klangs, worauf der M. vocalis auf einen Befehl aus dem Gehirn die entsprechende Anzahl von Fasern ankoppelt. Dieser Vorgang ist jedem Menschen aus der Sprache unbewusst vollkommen vertraut. Der Wunsch, eine bestimmte Lautstärke zu erzeugen, genügt für die Bereitstellung der körperlichen Voraussetzungen dafür. Auch für crescendo geht der Befehl des Gehirns direkt an den M. vocalis statt an die Atmungsmuskulatur (Luftdruck). Daraufhin gibt der Vokaltrakt nach. Wird das erlaubt, kann nach und nach die Wahrnehmung neu justiert werden: Eine bestimmte Empfindung bedeutet laut, eine andere leise.

Jede anderweitige, willentliche Leitung der Verstärkung zieht eine Deformation des Instruments mit der Zunge, die Abflachung der Rundung der Constrictoren und erhöhten Luftdruck nach sich. 

 

LEGATO

Legato ist die Grundunktion des M. vocalis. Vollkommenes Legato ist nur bei geöffnetem Vokaltrakt möglich. Der Schlüssel zu Legato ist das -> Vibrato, der störungsfreie Grundtremor der ausbalancierten Atemmuskulatur. Demzufolge ist auch die -> Koloratur eine Legatofunktion.

 

LIGAMENT 

Das Stimmligament, die Umhüllung des M. vocalis ist anatomisch eine Sehne. Daher ist es elastisch und dehnbar. Die maximale Ligamentdehnung ist bei a" erreicht, darüber erfolgt Tonhöhenveränderung nach akustischen Gesetzmäßigkeiten. Um Ligament und M. vocalis legt sich die Schleimhaut.  

Das Ligament wird deutlich spürbar durch -> Staccato. Um für die Phonation optimal genutzt werden zu können, muss das  Ligament an die große Dehnung gewöhnt werden, sonst kommt es zu Schutzreaktionen, denn die Primärfunktion des Ligaments ist wie beim M. vocalis selbst der Schutz der Luftwege.

 

LIPPEN

Sie sind von Geburt an das wichtigste Tor von innen nach außen. Am Beginn des menschlichen Lebens steht die orale Phase, eine Zeit, in der praktisch der gesamte Kontakt zur Außenwelt über die Lippen hergestellt wird. Sie besitzen einen äußerst feinen Tastsinn und größte Beweglichkeit in feinster Nuancierung. 

Der äußere und innerer Lippenringmuskel bilden die äußersten Sphinkter zum Schutz der Atemwege. Bleibt der Lippenring leicht aktiviert, kontrahiert, ist dies das Signal für die innere Muskulatur, Öffnung zu erlauben. Kollabiert er, werden sofort weiter innen liegende Sphinkter (Zunge, Gaumensegel, Taschenfalten, M. vocalis) reflektorisch aktiviert und verengen, schließen den Vokaltrakt, um den Schutz der Lunge zu gewährleisten.

Der Tonus des Lippenringmuskels erhöht sich bei Mundöffnung, so dass die Dehnungserlaubnis des kontrahierten Lippen die Öffnung leitet. Damit der weiche Gaumen öffnend nach oben reagieren kann, müssen die Mundwinkel die Lippenrundung leiten (Saugbewegung). Dann verlängert sich der Vokaltrakt auch nach unten, der M. palato pharyngeus senkt den Kehlkopf. Bei genügend Tonus in der Unterlippe bekommt der untere Teil der Zunge auch mehr Tonus, was beim Singen die Artikulation erleichtert. Bei hochgezogener Oberlippe muss die Zunge den Kiefer aufdrücken, gegen die Schließbewegung der Kaumuskulatur, das schränkt die Artikulationsmöglichkeit natürlich stark ein. Schließt der Lippenring zu sehr, zieht er den weichen Gaumen mit abwärts. Es bedarf also einer fein abgestimmten Balance, um eine optimale Öffnung des Vokaltraktes zu ermöglichen. (Bei der vom Saugreflex gesteuerten Öffnung wird dieser Vorgang unbewusst koordiniert, weil das Ziel die Herstellung eines möglichst optimalen Sogs ist, aber diese Feinabstimmung ist beim Nicht-Säugling überlagert durch Gewohnheiten, die vom Kauen und Sprechen herrühren.) Neuronale Impulse des Lippentonus aktivieren den Stimmlippentonus, denn mit der saugenden Mundöffnung ist der Einatmungsreflex verknüpft, um den Sog zu unterstützen und zu verstärken.

Insgesamt werden 98 Muskeln und 18 Organe durch die Lippen beeinflusst. Außerdem sind sie direkt verbunden mit dem emotionalen System, das heißt, sowohl im Akteur selbst als auch im Gegenüber wird durch Lippenbewegung emotionale Aktivität erzeugt. 

 

LUFTWEGE/LUFTDRUCKREGELUNG

Der Eingang der Luftröhre und der Bereich des conus elasticus, eines sich nach oben verjüngenden Fasertrichters, der vom oberen Rand des Ringknorpels bis zu den Stimmbändern (ligamenta vocalia) reicht, die seinem verdickten Ende entsprechen, ist unterhalb der Stimmlippen spürbar. Erkennbar werden die oberen Luftwege durch Kühlung von der hindurchströmenden Luft: Ideal ist es dabei, nur Kühlung am M. vocalis zu spüren, da jede Kühlung durch Luftverwirbelung auf Grund eines Widerstandes entsteht. (Jeder kennt das Bild eines Baches, der dort Wirbel bildet, wo Gegenstände den Fluss des Wassers behindern.)  Jede weitere Kühlung ist also hervorgerufen durch Verspannung/Verengung/Luftverwirbelung im Bereich des Vokaltraktes. Am weichen Gaumen entsteht sie durch Abflachung in Folge von Zungendruck.

Der Luftfluss während der Phonation ist direkt nicht wahrnehmbar, erkennbar ist stattdessen die leichte Luftbewegung der stehenden Welle an den höchst sensiblen Schleimhäuten des Vokaltraktes sowie das Abnehmen der Schließkraft der Stimmlippen, der ->  medialen Kompression. So lässt sich die Form des “Instrumentes” während des Singens definieren. Die Luftwege regeln sich automatisch neurologisch vom Ventil, dem M. vocalis, aus.

Die Luftdruckregelung während der Phonation ist beim Gesangsreflex dominant leitend vor der Vokalbildung, sehr im Gegensatz zur Sprachgewohnheit. Die Stimmlippen regulieren den Luftfluss selbst über das -> Vibrato. Verliert man die Empfindung, beginnt das System zu schließen, denn erhöhter Luftdruck sorgt für Schließtendenz, die Bewegungsmöglichkeit und die Tragfähigkeit werden dadurch eingeschränkt. Das Signal für Überdruck ist ein gestörtes Vibrato: Bei Überdruck wird es zu Wobble (zu langsam, zu große Amplitude) oder Tremolo (zu schnell, zu kleine Amplitude).

Zwischen den Parametern Stimmlippenwiderstand, Luftdruck und Vibrato muss Balance entstehen, die Vokalisation richtet sich danach. Ist etwa der Luftdruck zu gering, kollabiert das System. Es erfordert eine feine Balance zwischen Ein-und Ausatmungssystem. (Taucher kennen den Begriff ”Hovern”, etwa so läuft die Luftdruckregelung auch beim Singen ab.)

Dabei ist verschiedene Luftdruckorganisation bei verschiedenen -> Vokalen (verschiedene Grade der -> Masseankopplung), dynamischen Abstufungen und Tonhöhen nötig. In die Höhe, dem dehnungsdominanten Register, verringert sich der Luftdruck noch weiter, damit die äußerst differenzierten Schwingungsabläufe ungestört stattfinden können, ebenso bei leiser werdender Dynamik sukzessive immer mehr.  

Dabei ist es interessant, dass der subglottale Luftdruck bei Profisängern durchaus höher ist als der bei Laiensängern, aber die Balance zwischen medialer Kompression und Luftdruck erzeugt dennoch eine -> Unterdruckventilfunktion. Allgemein gilt: Je weniger Luftverbrauch entsteht durch Aktivität der dominanten Einatmungsmuskulatur desto deutlicher dominiert die Uvf. 

Die Zielsetzung lautet daher: Wie wenig Luftdruck ist möglich? Wie sanft ist Singen möglich? (-> Effizienz) Es gilt, Luftdruckspitzen herauszunehmen, im -> legato zu singen, weil Überdruck bewirkt, dass die Stimmlippen Masse ankoppeln und obendrein die Stimmlippenschließung von externen Muskeln unterstützt und verstärkt wird. Überdruck erzeugt deshalb ein Engegefühl im Hals. Wird das zum Dauerzustand, entsteht sogar die Problematik, dass die Mediakompression "verlernt" wird, die Stimmlippen schließen nicht mehr vollständig und erschlaffen mit der Zeit, so dass sie nur noch auf erhöhten Luftdruck schließen, in der -> Überdruckventilfunktion.

 

LUNGE

Sie besteht aus etwa 30 000 000 Lungenbläschen, die angeordnet sind wie ein Netz. Die Lunge wird von unten erweitert, die Lungenbasis ist dominant, der Erweiterungsempfindung der Rippen folgend. Trotzdem füllen sich die Lungenbläschen gleichzeitig überall in der Lunge. Durch die Rückstellkraft der elastischen Bläschen entsteht subglottaler Luftdruck, der durch das Ventil M. vocalis und die Einatmungsmuskulatur reguliert wird.

Geht man in die Ausatmungsaktivität über, ändert sich das System ein wenig, aber die Balance an den Stimmlippen kann und soll gleich bleiben. Die Stimmempfindung leitet diese Balance durch Rückmeldung ans Gehirn. (Die Bauchmuskulatur ist viel zu grobmotorisch innerviert, um so fein differenzierte Veränderungen leiten zu können.)

Die Voraussetzung für lauteres Singen ist ein höherer Luftdruck in den Lungenbläschen, erzeugt durch eine größere Einatmungsbewegung. Durch dieses Training der Einatmungsmuskulatur erweitert sich sukzessive das potentielle Lungenvolumen bei professionell singenden Menschen, so dass es bei ihnen  bis zu ca. 85% nutzbar wird, (hingegen bei professionell trainierten Hochleistungssportlen nur bis zu ca. 75%, da Sänger hauptsächlich die Einatmungsmuskulatur trainieren. Bei untrainierten Menschen ist das Lungenvolumen bis zu ca. 50% nutzbar. Der -> Gesangsreflex wird aber erst ausgelöst ab mindestens 50% Lungenvolumen (vgl. Niesreflex!), so dass ein gewisses Training die unbedingte Voraussetzung ist für funktional gesundes Singen. Dieses Training ist übrigens ein Grund für die überdurchschnittlich hohe Anzahl von korpulenten Menschen unter den Profisängern und - sängerinnen: Durch das ständige "Gewichtheben" bei der Atmung ist deren Einatmungsmuskulatur gut trainiert, so dass sie imstande ist, die Balance zwischen Über- und Unterdruck zu halten, die für das Singen so notwendig ist.

⅔ des Lungengewebes befinden sich im Rücken, die Erweiterung durch das (hinten wesentlich tiefer hinab reichende) Zwerchfell  verbreitert und verlängert den Rücken  von der 10 Rippe bis zum oberen Rand der nach außen rotierenden Schulterblätter. 

 

MÄNNERSTIMME - FRAUENSTIMME - KINDERSTIMME s. Kurzanleitung für Chorleiter

 

MARKIEREN

Dieser Begriff bezeichnet eine "Gangart” des Gesangsreflexes, die dem Belcantobegriff -> mezza voce ("Halbe Stimme") oder auch -> sotto voce ("Unter der Stimme") entspricht. 

 

MASSE

Als Masse wird in der funktionalen Fachsprache die Muskelmasse des M. vocalis bezeichnet, also der aktiv kontrahierende und schwingende Teil unseres Instruments. Die Muskelkontraktion entspricht der Lautstärkeveränderung: Mehr Masse erzeugt einen tieferen und lauteren Klang, weniger Masse einen höheren und leiseren. Massedominanz fühlt sich größer, grober an, Dehnungssdominanz feinmotorischer, kleiner. Der Schwingungsablauf der Stimmlippen ist vertikal, die Masseankopplung entspricht demnach einer vertikalen Tonisierung; eine 3. Muskelschicht koppelt vertikal von hinten nach vorne unten hinten an die Stimmlippen an und bei -> decrescendo und Erhöhung der Tonhöhe ab. Der innere Tonus bleibt bei decrescendo erhalten (1.+2. Schicht des M. vocalis). Für Masseankopplung braucht es eine Empfindung für Spannung bzw. Tonus in den Stimmlippen, denn die Masse braucht etwas, woran sie ankoppeln kann. Der Tonus muss zunehmen, damit Masse ankoppeln kann. Die leitende Empfindung dabei ist das Verhältnis Dehnung - Masse, nicht der erhöhte subglottale Luftdruck. Bei erhöhtem Luftdruck wird Masseankopplung erzwungen durch die Schließtendenz der Stimmlippen gegen den Druck (-> Überdruckventilfunktion). Dabei schließt auch der Vokaltrakt.

Die Atmungsanteile im Rücken sind wesentlich für die Entwicklung von Masse, da die stabile Senkung des Kehlkopfes durch die Senkung des Zwerchfells nach hinten unten gewährleistet wird. Ohne diesen “Anker” kann der M. vocalis nicht kontrahieren.

Auch bei Vokalwechsel u-o-a koppelt der M. vocalis Masse auf die gleiche Weise an, so dass der Vokal u der masseärmste und der Vokal a der massereichste ist. Die anderen Vokale liegen zwischen diesen beiden Extremen. 

Bei der Bildung von Konsonanten besteht das Risiko, dass durch den Luftdruck, der zu ihrer Erzeugung benötigt wird, das System in die -> Überdruckfunktion wechselt. Die Unterdruckfunktion muss also dominant genug arbeiten, um Überdruckspitzen abfedern zu können. 

 

MEDIAKOMPRESSION

Das Gefühl von Mediakompression, also innerem Tonus des Stimmmuskels, ist leicht zu verwechseln mit dem Gefühl von Massedominanz. Während diese sich "grob" anfühlt, ist "präzise" ist die Idee von Mediakompression. Sie ist drucklos. Wer wenig Mediakompression hat, neigt oft dazu, den Luftdruck zu erhöhen, um sie zu verstärken. Damit erhöht man aber den Masseanteil statt des inneren Tonus. Die Erhöhung des Tonus ist die Voraussetzung für die Vergrößerung von Masse, und diese Reihenfolge existiert im Grunde bei jeder angestrebten (!) Muskelaktivität, etwa beim Heben. 

 

MESSA DI VOCE 

Damit ist gemeint die vom M. vocalis gesteuerte Masseankopplung und -abkopplung im Unterschied zum  luftdruckgesteuerten crescendo und raumverengenden decrescendo.

 

MEZZA VOCE

“Halbe Stimme”, beschreibt das Gefühl, bei optimaler, vollständiger sängerischer Vorbereitung nur einen Teil der Massekapazität des M. vocalis zu benutzen, also eine noch feinere Balance zwischen Über- und Unterdruck an den schwingenden Stimmlippen zu ermöglichen durch eine noch feiner justierte Balance zwischen Ein- und Ausatmungsmuskulatur. Vergleichbar ist diese Muskelkoordination mit der von sehr langsamem kontrollierten Absenken eines sehr schweren Gegenstandes.

 

MIMIKMUSKULATUR

Sie besteht aus 22 Mimikmuskeln. Sie sind im Gegensatz zu den allermeisten Muskeln im menschlichen Körper keine Gelenke bewegenden Muskeln. Von der Bereitschaft dieser Muskulatur, sich dehnen zu lassen, ist der Vokaltrakt abhängig in seiner Formbarkeit, denn es gibt viel mehr schließende Mimikmuskulatur als öffnende. Stirnrunzeln etwa ist eine schließende, nach oben ziehende Bewegung, wie eigentlich jede mimischen Aktion: Die Kontraktion der Stirnmuskulatur erzeugt eine Haltung gegen die Zunge, so dass im Gegenzug sich das Gaumensegel absenkt und Zungendruck entsteht; Zornesfalten bewirken eine Schließung der oberen Atemwege. Ausschließlich schließende Muskulatur, wie etwa Kaumuskulatur, Schluckmuskulatur oder  Augenringmuskulatur muss erlauben, gedehnt zu werden (steuert also die Aktivität sekundär dominant, primär steuert der ebenfalls Dehnung erlaubende M. vocalis), sonst behindert sie die Öffnung des Vokaltraktes. Ziel für die Phonation ist eine entspannte Mimikmuskulatur wie die eines Säuglings (Lächeln wird erst erlernt, wenn die Kaumuskulatur beginnt, aktiviert zu werden, also der Unterdruck und Raum erzeugende Saugreflex langsam durch die Tätigkeit schließender Muskulatur ersetzt wird), also eine "angstfreie" Mimik, sonst detoniert der Klang nach oben, weil zu wenig Masse angekoppelt wird bzw. die tiefe Schwingung weggedämpft wird. Bei Stress schließt die Mimikmuskulatur in der Schutzfunktion. 

Durch Berührung kann man die Mimikmuskulatur entspannen, neuronal beruhigen, indem man den Nerven Nv. facialis und trigeminus Reize zufügt, besonders am sogenannten Modioluspunkt, einer Kreuzung der beiden Gesichtsnerven.

Dann wird es möglich, dass die Mimikmuskulatur der Rundung und Tonisierung der Costrictoren von unten nach oben folgt und den Vokaltrakt dehnend mitformt. Klangliches Ergebnis ist eine "runde" Stimme, im Unterschied zu einer "flachen", "spitzen" oder "engen" Stimme.

 

MISCHUNG

Funktional spricht man von einer koordinierten Stimme statt einer gemischten Stimme, da das Monochord Stimme nur eine Funktion besitzt, mit den beiden Komponenten Masse und Dehnung, die aber immer gleichzeitig vorhanden sind in unterschiedlichem Verhältnis zueinander.

 

MUNDÖFFNUNG/KIEFERÖFFNUNG

Die Öffnung des Kiefers ist ein höchst komplexer, mit zahlreichen Schutzmechanismen und fünf Sphinctern ausgestatteter Vorgang, Da der Mund der Eingang zur Lunge ist, einem überlebenswichtigen Organ, ist auch die Mundöffnung ein Grundprogramm im Gehirn; jede Phase der Mundöffnung hat eine neurologische Bedeutung. 89 Muskeln und 18 Organe werden dabei/davon aktiviert: Neurologische, neurophysiologische, akustische und muskuläre Ketten, Hierarchien leiten den Bewegungsablauf. Die Art der Mundöffnung beeinflusst die gesamte Mundraummuskulatur, den Vokaltrakt, Atemapparat und das Körperhaltungssystem. 

Der Unterkiefer bewegt sich erst nach vorne, dann sogar leicht nach oben (wegen der Form des Kiefergelenks), dann nähert er sich in sichelförmigem Bogen dem Kinn bis zu einem kleinen Widerstand. (-> Schlitten- Scharnierfunktion). Öffnet man weiter, muss die Zunge den Kiefer aufdrücken.

Bei der sängerischen Mundöffnung wird der Unterkiefer nur von der Mundbodenmuskulatur zurückgezogen: Der M. digastricus öffnet durch Kontraktion den Kiefer. Die Öffnungsbewegung beginnt vorne. (Wenn die Öffnungsbewegung von hinten beginnt, ist sie durch Zungendruck gegen den nicht genug nachgebenden M. masseter zustande gekommen.)

Die Qualität der vorderen Mundöffnung bestimmt die Qualität der Öffnung der Luftwege, bestimmt, welche Einatmungsmuskeln aktiv werden und damit nachfolgend die der Phonation. Je weniger Widerstände im Vokaltrakt bleiben, desto störungsfreier kann die Atemluft "einfallen", und desto optimaler vorbereitet ist dieser dann auch für die Phonation. Ohne Schließimpuls braucht der Atemapparat weniger Energie für die Einatmung. Daher wird beim Gesangreflex die Öffnungsbewegung vom Ventil, dem M. vocalis, geleitet, die Zunge folgt nur und kontrahiert nach vorne wie beim Saugen. Die Dehnung des Lippenrings ist über den Saugreflex verschaltet mit Einatmung. Sie triggert die Einatmungsmuskulatur: Atmet man auf u ein, d. h. unter Zuhilfenahme von Mundwinkelaktivität, kontrahiert die innere Lippenringmuskulatur, es entsteht ein Impuls im Rücken (5.-7. Rippe) und unter den Armen, den Mund zu öffnen, und von da an wird neurologisch die Atmung gesteuert, wenn die Bauchmuskulatur nicht angespannt ist. Der Bauch wird breiter. Das ist die Einatmung zur Vorbereitung des Saugens, der Erzeugung eines Sogs. Dazu ist es notwendig, dass die Kieferöffnung über Unter- und Oberkiefer gleichmäßig verteilt ist, wobei der Oberkiefer den gesamten Schädel mit einschließt. Daher ist das Drehgelenk des "Oberkiefers" der Attilas Axis im Nacken. Eine so organisierte Kieferöffnung bewirkt ⅔ der Kehlkopfsenkung, die den für das Trinken notwendigen Sog erzeugt.

Es gibt eine optimale Weite der Öffnung: Bei mehr als 2 Fingerbreit Mundöffnung schließt der Rachenraum wieder, da die Zunge dann nach hinten gedrückt wird. (Auch bei großer Höhe und Lautstärke ist das der Fall.) Eine zu weite Kieferöffnung zieht eine Überbetonung der Oberlippe und eine (Schutz-) Schließung des weichen Gaumens und der Constrictoren nach sich. (Deswegen entstehen schnarchende Geräusche beim Gähnen oder Schlafen.)

Bei der Artikulation liegt bei den Vokalen a und o der  Schwerpunkt auf der Scharnierfunktion, bei u, e und i auf der Schlittenfunktion, das heißt, die Dehnung (auch des M. vocalis) verläuft mehr horizontal, was die Dehnungsfunktion begünstigt. Bei der Artikulation u-o-a vergrößert sich die Mundwinkelaktivität, die Constrictoren runden, der weiche Gaumen, der obere Constrictor und alle Sphinkter dehnen nacheinander durch ein biologisches Programm. Am Ende dieses Bewegungsablaufs steht das Nachgeben des M. temporalis bei Öffnung in Richtung (sängerisches) a. Bei alledem ist die Lippenrundung die dominante Wahrnehmung

Zusammenfassend kann man sagen, die sängerische Mundöffnung ist eine erweiterte Komplexfunktion der Grundfunktion Einatmung: die Luftwege formen den Resonator, das Ventil öffnet sich, so dass der Vibrator, der M. vocalis, ein intaktes Instrument zur Verfügung hat.

 

MUNDRAUM

Die Resonanz des Mundraums ist symptomatisch für Sprachgewohnheit, der originale Vokaltraktklang wird dabei gebrochen. 

 

MUSKULATUR

Zur Funktionsweise der Muskulatur findet sich in der einschlägigen Literatur genügend Information. In Bezug auf den Gesangsreflex gibt es ein paar spezielle Anmerkungen:

Kein Muskel ist jemals passiv bzw. völlig entspannt, ein Grundtonus bleibt immer erhalten. 

Von den Fußsohlen bis zum Scheitel ziehen sich aufrichtende Muskelschlingen durch den ganzen Körper. Die Wadenmuskulatur existiert sogar allein für die Aufrichtung, ohne sie ist aufrechte Haltung unmöglich. Eine vollständige -> Aufrichtung ist unerlässlich für eine funktionierende Phonation. 

Nur ein kontrahierter Muskel ist zu differenzierter Arbeit fähig. Ein gedehnter Muskel kontrahiert leichter. 

Exzentrische (Dehnung erlaubende) Muskelarbeit trainiert den Muskel mehr (60%) als konzentrische (kontrahierende).

Agonist-Antagonist: Der kontrahierte Muskel ist bei gleicher Muskelkraft der die Bewegung dominant leitende, Dehnung erlaubende. Bei unterschiedlicher Muskelkraft (z. B. mv/ct) ist immer der stärkere der leitende Muskel.

Differenzierung der verschiedenen Muskeln nach Wirkungsweise im System: Fuß-, Bein- und Teile der Rückenmuskulatur und  M. rectus abdominis tonisieren, die schräge Bauchmuskulatur erlaubt Dehnung, Zwerchfell und Zwischenrippenmuskulatur kontrahieren und geben kontrolliert Spannung ab.

Der M. vocalis ist vom Aufbau her in Segmente differenziert, jede halbe Oktave gibt es einen Übergang in ein anderes Schwingungsverhaltens  (akustisches Phänomen des "Wolfs" bzw. -> “Bruchs”). Dabei sind alle muskulären Vorgäng fließend, akustische Phänomene und taktile Wahrnehmungen hingegen springen.

Der Bizepsimpuls hat eine neurologische Beziehung zum M. vocalis, ist verschaltet mit der -> Unterdruckventilfunktion und der Einatmung, der Trizeps ist verschaltet mit der -> Überdruckventilfunktion und der Ausatmung.

 

NASE

"Ich atme beim Singen, als ob ich an einer Rose rieche." (Zitat Caruso) Die Nase ist ausgestattet mit einem unteren und einem oberen Luftweg (über das Riechorgan). Es gibt 3 verschiedene Nasengänge, beim Riechen wird der oberste Atemweg benutzt, auch ohne dass man die Luft einsaugt. 

Riechen bahnt die Rundung an, sorgt für differenzierte Bewegungsfähigkeit der Zunge, die obere Zunge hebt sich mehr, der Raum zwischen Rachenwand und Zunge erweitert sich minimal. Das ist die einzige Möglichkeit, das Gaumensegel “willentlich” zu heben, über die Vorstellung des Riechens, (die verknüpft ist mit der des Schmeckens und damit der Aktivierung der Zungenspitze und dem “Spitzen” der Lippen). 

Die sängerische Einatmung beginnt durch die Nase, dann durch Mund und Nase, ab etwa 2 cm Mundöffnung schließt das Gaumensegel reflektorisch, ab da erfolgt reine Mundatmung mit gedehntem oberen Atemweg. (Bei geöffnetem Mund ist es ab einer bestimmten Öffnung nur mit gehobener Zunge möglich, durch die Nase einzuatmen.) 

Bei Nasenatmung ist der Raum nicht gestaltet, die tiefe Frequenz schwach. Nasalität ist deshalb das Gegenteil von Kopfigkeit, sie entsteht im Klang durch Zungendruck und als Reaktion darauf flacher Position, Passivität des weichen Gaumens. Das Resultat ist die näselnde Frequenz, der 3. Formant. Näseln ist eher ein Phänomen von höher gelagerten Stimmen, tiefere haben mehr Masse. Näseln aber verhindert die Ankopplung von Masse. (Bei reiner Nasenatmung sinkt der Kehlkopf nicht, ein anderes Programm der Einatmung mit anderen Präferenzen ist aktiv.) Es ist übrigens sogar möglich, dass  näselnde Frequenzen von Instrumenten  ansteckend wirken.

Bei geöffnetem Mund wird die Nase von anderen Muskelgruppen geöffnet als bei geschlossenem Mund. Mund- und Nasenatmung gleichzeitig funktioniert nur durch Spannung der Zunge im Bereich des Zungenbeins und gleichzeitig aktiver Atemmuskulatur.

 

ÖFFNUNG

Der Gesangsreflex agiert in die Öffnung (wie die Einatmung) statt in die Schließung (wie die Ausatmung). Öffnung entsteht durch Vokaltraktlänge und Vokaltraktweite.

Offenes Singen bedeutet "italienisch" offene Vokale: Die Zunge ist schmal und befindet sich vorne, oben wie beim Saugen, dadurch ist  Rachendurchmesser vergrößert. So wird sängerische Artikulation erst möglich. "Gähn"-Öffnung dagegen wird erzeugt durch Zungendruck auf Kiefer und Kehldeckel, so dass die Zunge den Rachendurchmesser verengt. Diese Variante der Öffnung ist ein Bestandteil der Sprachgewohnheit. (Besonders groß ist der Unterschied bei der Bildung der Vokale a und ä.)

Eine große Öffnung der oberen Luftwege löst reflektorisch eine Emotion des ungeschützt Seins, der Angst aus, solange die Bewegungsbereitschaft der gedehnten Stimmlippen nicht den Schutz der Lunge gewährleistet. Ist das der Fall, wird diese kinetische Energie vom System als der wesentlich effektivere, weil differenziertere Schutz registriert.

 

OHR

Hören (und davor noch kinetische Wahrnehmung) ist neuronal dominant, entwicklungsgeschichtlich früher als Sehen. (Sehen ist außerdem in der anderen Gehirnhälfte angesiedelt.) Erst wird Schall empfunden, dann lernt man ihn hören. Hören ist zudem wesentlich älter als Phonieren.

Funktionales Hören ist eine Spezialform des Hörens. Beim Singen wird hauptsächlich der Knochenklang über das Innenohr wahrgenommen. Das linke Innenohr hört mehr den 1. Vokalformanten, die "tiefe Schwingung", das rechte mehr den 2. Vokalformanten, die "hohe Schwingung". Wenn beide Eustachischen Röhren offen sind, wird der Klang also immer genau dazwischen wahrgenommen, unabhängig von dem Verhältnis Massefunktion zu Dehnungsfunktion. Der Grund für die unterschiedliche Hörwahrnehmung ist die unterschiedliche Reizleitung vom Gehirn: Das linke Ohr hört mehr mittlere und tiefe Frequenzen, das rechte mehr mittlere und hohe Frequenzen. Das erklärt die verbreitete Schiefstellung der Mundöffnung nach links bzw. rechts, je nach gewünschtem Hörerlebnis. (Im hohen Gaumenbereich täuscht zudem die akustische Wahrnehmung.) Das interne Gehör muss also so trainiert werden, dass es dominant reagiert. 

Oft sind an der Sprachgewohnheit orientierte Menschen auf den 2. Vokalformanten fokussiert. Ohne 1. Formanten ist es allerdings unmöglich, differenziert zu hören. Im Gegensatz zur Sprachgewohnheit ist es elementar wichtig, die tiefe Frequenz im Vokal zu akzeptieren. Wird der Grundton nicht wahrgenommen, weiß das Nervensystem nicht, wie es sich einstellen soll. Orientiert man sich am 2. Formanten, wird dadurch die Stimmlippenregelung gestört. Dann wird das System zum Überdrucksystem. Es gibt dabei kein Zwischending. Hörsensibilitat übte einen entscheidenden Einfluss auf die Tonproduktion im Kehlkopf aus. Bei optimaler Kehlkopfsenkung ist auch die Zunge als vordere Membran optimal gedehnt, dann ist es möglich, optimal den inneren Klang zu hören.

Das Ohr ist viel empfindlicher für hohe Frequenzen wegen unserer angeborenen Präferenz für das Hören von Babylauten. Das ist auch der Grund für die besondere Schalltrichterform der menschlichen Ohrmuschel, die genau diese Frequenzen verstärkt. Hohe Frequenzen lösen deutliche kinästhetische Reaktionen im Trommelfell aus. Die Folge ist hohe Tragfähigkeit. (Das Impedanzminimum des Mittelohrs liegt bei 3000, 5000 und 8000 Hz.) Das ist die Voraussetzung für die Möglichkeit, ins crescendo zu gehen. Hören von hohen Frequenzen kann sogar eine Heilung, Energetisierung des Gehirns bewirken. Ab "g" schließt das Innenohr sich allerdings, um sich vor der hohen lauten Schwingung zu schützen, das heißt, die Sängerin hört sich leise bis kaum. Hört man sich laut, ist die Funktion gestört. Lautstärke über das äußere Ohr zu regeln ist ebenfalls problematisch, denn die Information dafür kommt zu spät, als dass sie von den Stimmlippen umgesetzt werden könnte. Die singende Person verlässt sich dabei am besten auf die kinästhetische Wahrnehmung.

Männer haben eine andere Hörwahrnehmung als Frauen, weil beide sich vom Grundton und den Teiltönen her an ihrer Sprechlage orientieren.

 

PORTAMENTO

Der Begriff beschreibt ein -> Glissando, bei dem der M. tyroepiglotticus nicht kontrolliert, um das Vibrato zu dämpfen. Die Folge ist ein Gleiten der Tonhöhe nach oben oder unten mit hörbarer Vibratoschwingung, die das Glissando in Halbtonschritte unterteilt.

 

RANDSCHWINGUNG

Dieser Pseudo-Fachbegriff meint die Schwingung des den M. vocalis umschließenden Ligaments. Diese Schwingung ist aber nie isoliert vom schwingenden Stimmmuskel, außer in pathologischer Form durch zu viel Überdruck.

 

RAUM

Raum ist immer proportional zur Rundung. Raum im Vokaltrakt kann man nur erlauben, nicht herstellen. Wenn der Raum vorhanden ist, wird Artikulation leicht.

Ein falsches Raumgefühl kann mit der Zunge hergestellt werden, indem sie den Unterkiefer hinunter drückt. Dabei entsteht ein größerer Mundraum, aber der Rachenraum ist von der Zunge verlegt.

 

REGISTER

Die menschliche ist ein Einregisterinstrument mit 2 Komponenten (Masse-Dehnung). 

Das dehnungsdominante Register fühlt sich "höher" an, weil die Stimmlippen dünner sind und tatsächlich weniger/keine Masse unten hinten schwingt (die Stimmlippen haben keinen "Bauch") die gleich Wahrnehmung entsteht bei den Vokalen u und i.

Im dehnungsdominanten Register ist bis zu fis" noch ein immer geringer werdender Masseanteil vorhanden (Vollton), darüber ist die Masse nicht abgekoppelt sondern "hingegeben", vollständig/längstmöglich gedehnt. 

 

REGISTERDIVERGENZ

Das ist eine “Registertrennung” durch Störungen im Schwingungsablauf: Der Schließreflex des M. vocalis verhindert eine gleichzeitigkeit der Schwingung von Stimmmuskel und Ligament.

 

RESONANZ

Es gibt eine Primärresonanz im -> Vestibül direkt über den schwingenden Stimmlippen, die "tiefe Schwingung", und eine Sekundärresonanz in der Gegend , in der der 2. Vokalformant in Resonanz zum Vokaltrakt geht: Das ist die sogenannte "hohe Schwingung" unter dem leicht gehobenen Gaumensegel.

Die Resonanz wird direkt über dem Kehlkopf auf die schwingenden Stimmlippen rückgekoppelt und verstärkt so ihre kinetische Energie, ihre Bewegungsbereitschaft, da das die primärfunktionale Reaktion auf Luftverwirbelungen oberhalb des M. vocalis ist.

Bei den Vokalen e/i/ö/ü gibt es die Brechung einer Teilresonanz: Die obere Schwingung teilt sich auf in die "hohe Schwingung" und einen extra Schwingungsknoten unter dem harten Gaumen, die sogenannte "Maske".  (Siehe auch -> Vordersitz!)

 

RESONATOR

Der Resonator des menschlichen Instruments besteht aus zwei Teilen, einem unterhalb und einem oberhalb des Zunge. Auch der Innenbereich des Kehlkopfes ist ein Resonator, ebenso der zirkumlaryngeale Raum. Dieser muss 5-7x größer sein als der Kehlkopf und der Kehlkopf muss gesenkt sein, damit der 1. Vokalformant entstehen kann. Beim Sprechen ist er eher geschlossen. Der Resonator ist beweglich, muss beweglich sein dürfen, um die Differenzierung der Vokalfarben zulassen zu können: Von den schwingenden Stimmlippen wird ein Teiltonspektrum in den Resonator geschickt. Je nachdem wie er gestaltet ist, werden bestimmte Frequenzbereiche verstärkt. 

Er ist auch ein Reflektor, er reflektiert die Schallwellen auf die Stimmlippen zurück. Diese sind evolutionär dafür geschaffen, bei der geringsten Luftverwirbelung reflektorisch zu schließen, die Schließbereitschaft zu erhöhen, also die -> mediale Kompression zu verstärken. Auf diese Weise entsteht eine spürbar einrastende Rückkopplung der harmonischen Schwingung auf den Stimmlippen, was wie bei jeder Rückkopplung eine sich potenzierende Erhöhung der Grundlautstärke bedeutet. Das ist ein Grund für die immense Tragfähigkeit der menschlichen Stimme. Besonders im dehnungsdominanten Register ist eine sehr feine Differenzierung zwischen Resonator und Stimmlippenschwingung möglich.

 

RIPPEN

Der menschliche Körper ist ausgestattet mit 12 Rippenpaaren, 10 echten Rippen, die die Atmung und den Schutz der Lunge gewährleisten, und 2 Fehlrippen zum Schutz der Nieren. 

Atmung wird ermöglicht durch die Erweiterung, Entfächerung des knöchernen Thorax nach hinten -  außen - oben durch das -> Zwerchfell und die sekundäre Einatmungsmuskulatur, ausgehend von der 10. Rippe. Bei der sängerischen Einatmung geht diese Erweiterungsbewegung bis zur 5. Rippe. Die 7./6./5. Rippen bleiben während der Phonation stabil erweitert, die 10./9./8. werden von der Einatmungsmuskulatur dominant kontrolliert in Richtung Ruheposition losgelassen. Bei der Einatmung leitet die Rippenöffnung, die Bauchmuskulatur wird gedehnt. Wird der Bauch nach außen gedrückt, so wird die Bauchmuskulatur überdehnt, und die Rippen werden zusammengezogen. Eine Hebung der 4./3./2./1. Rippen während der Einatmung (Hochatmung) verkürzt und verengt das System wieder und zieht den vom kontrahierten Zwerchfell gesenkten Kehlkopf wieder nach oben.

Die Entfächerung des knöchernen Thorax ist entscheidend für Auslösen des -> Gesangsreflexes: Die Erweiterung des 5. Rippenbogens bewirkt eine Aktivierung des entsprechenden Wirbels und löst so reflektorisch den Gesangsreflex aus (vgl. Niesreflex!).

Das 5./6. Rippenpaar stabilisiert den Kehlkopf, die Erweiterung der obere Rippen aktiviert die Dehnungsfunktion, fördert den Stimmbandschluss und damit die hohe Schwingung, die Erweiterung untere Rippen aktiviert die Massefunktion. Die seitliche Erweiterung ist Voraussetzung für die -> "sagittale" Erweiterung vom Rückgrat bis zum Brustbein (-> colpo di petto).

 

RUNDUNG

Runden ist das Gegenteil von Schlucken. Schlucken ist mit der Ausatmung verschaltet und schließt, Runden (“Würgen”) dagegen mit der Einatmung, öffnet und stabilisiert den Rachenraum.  

Deshalb ist Rundung gleichzusetzen mit  Klangverstärkung. Die hintere Rundung zwischen Kehlkopf und weichem Gaumen bleibt während der Phonation störungsfrei erhalten, während die Zunge sich für die Artikulation hebt, senkt, verbreitert und verschmälert, (Rundung braucht eine flexible Zunge, und eine flexible Zunge braucht Rundung), und die vordere Rundung des M. orbicularis oris sich verstärkt und abschwächt bis zur (fast) völligen Dekompensation.

Rundung wird ausgelöst durch einen Öffnungsreflex, z. B. durch Einführung eines Gegenstandes zwischen die Lippen (s. a. Carusos Korken). Das hat zur Folge, dass der  -> obere Constrictor dehnt/rundet und so der Kehlkopf tiefer senken kann. (Durch Rundung rutscht der Kehlkopf ohne Einatmung schon tiefer.) Die Schluckmuskulatur gibt Kontraktion ab und lässt sich nach unten dehnen. Rundung und Länge ergibt deshalb die Empfindung von Schlankheit. Diese Schmalheit rundet den weichen Gaumen. Daher kommt die -> Kuppel beim u.

Die Tonisierung der rundenden Rachenwand beginnt direkt über dem M. vocalis und setzt sich nach oben fort. Der obere Constrictor entwickelt einen Tonus, der hinter dem weichen Gaumen vorbei nach oben weitergeht. Der M. palato pharyngeus kann nur dann nachgeben, wenn die Rachenwand horizontal gerundet ist. Die Dehnung der Mimikmuskulatur erfolgt dabei horizontal vom Ohrläppchen zum Mundwinkel (statt schräg von der Ohrspitze). Lippenrundung ist ein Resultat der inneren Rundung: Diese bewirkt eine "Schub"-Reaktion bis in die Mimikmuskulatur/Mundwinkel durch eine Bewegungsleitung, einen Bewegungsimpuls, der die Mundwinkelaktivität erleichtert. Diese Bewegung ist von den Wangen geleitet, Oberlippenaktivität ist nicht nötig. Wenn die Oberlippe bei der Rundung eingreift (“Schürzen der Lippen”), verengt der Vokaltrakt. Durch sängerische Rundung entsteht eine spezielle differenzierte Dehnung der Constrictoren; je mehr die Dehnungsfunktion dominiert, desto größer wird der Durchmesser. (Der dazugehörige Reflex ist der Würgereflex.)  

Die Rundung ist über Außen- und Innenwahrnehmung erkennbar. Beim Anfänger wird sie durch Außenwahrnehmung erkannt, beim geübten Sänger durch Innenwahrnehmung. Bei optimaler Rundung ist der Innenklang der eigenen Stimme gut zu hören. 

Ohne Rundung ist keine Grundtonverstärkung möglich. Wesentlich ist dabei aber die Unterscheidung von Rundung und Abdunkeln!

 

 

BELCANTOBEGRIFFE UND FACHAUSDRÜCKE FUNKTIONAL ERKLÄRT S - Z

SAUGREFLEX

Der Saugreflex ist ein angeborenes Programm zur Erzeugung von Unterdruck innerhalb des Rachenraums, das dominant über die Kontraktion und Rundung des M. orbicularis oris geleitet wird. Bis zum 7. Lebensmonat ist Atmen und Saugen gleichzeitig möglich, danach trennen sich die Funktionen. Das Streichen quer über die Wangen aktiviert den Saugreflex beim Säugling (und auch beim erwachenen Menschen). Damit verbunden wird ein Einatmungsreflex ausgelöst. Durch Berührung der Mundwinkel runden die Constrictoren reflektorisch. die Bewegung gleicht einer Art Greifen mit den Lippen. Der Kehlkopf fungiert dabei als Pumpe zur Erzeugung des Luftsogs. 

Beim Gesangsreflex, der auf dem Saugreflex basiert, folgt darauf eine differenzierte Ausatmung, gesteuert von der dominant wirkenden Einatmungsmuskulatur, die das Zusammenspiel der öffnenden Muskelschlingen reguliert.

 

SCHNUTE

Sie wird durch Muskelschlingen gebildet, die zur schließenden Muskulatur gehören (vgl. die Abwehrlaute der Schimpansen): Der M. orbicularis oris schiebt die Lippen vor. Das ist ein anderes Programm als das des Rundens beim Saugen.

 

SCHREIEN

Schreien ist eine Überdruckfunktion. Der Vokaltrakt wird verengt, und mit Hilfe der schrägen Bauchmuskulatur wird von unten Luft gegen die Stimmlippen gedrückt, die dadurch reflektorisch schließen. Beim Schreien nähern sich Taschenfalten und Ringknorpel so an, dass kein Raum (-> Vestibül) mehr bleibt. Der Klang ist laut, aber “gepresst” und schrille, die Beanspruchung des M. vocalis hoch.

 

SCHRILLHEITSFREQUENZ

Sie liegt auf Frequenz von Kindergeschrei und  entsteht durch Verengung des Rachens mit der Zunge. Auch sie ist sehr tragfähig (aus evolutionären Gründen) und wird vom menschlichen ->  Ohr besonders gut verstärkt. Es besteht aber ein deutlich wahrnehmbarer Unterschied zur -> Brillanz durch die angenehm klingenden (und durch die wesentlich höheren Frequenzbereiche noch weiter tragenden tragenden) -> Sängerformanten.

 

SCHWA

Das ist der Fachbegriff für eine Lautäußerung ohne Tonhöhe, definierten Vokal und eigener Dauer. Es ist eine Art Urvokal mit neutraler Vokaltraktform. Auch der Schwa braucht Rundung, sonst rutscht das System hoch und schließt zu Sprachgewohnheit. Der Raumschwa entsteht oberhalb der Stimmlippen, er ist identisch mit der Grundtonverstärkung im Bereich des 1. Vokalformanten, er ist Teil des 1. Vokalformanten und verstärkt die Eigenfrequenz des unteren Vokaltraktes.

Bei der Phonationsartikulation trennen sich Vokal und Schwa unterhalb von e'.

Jede Konsonant-Vokalverbindung hat 2 Formanten: Den Raumschwa des Konsonanten und den Formantbereich des Vokals. 

Der Schwalaut lässt sich am ehesten umschreiben mit einem offenen ö. Bemerkenswert in diesem Zusammenhang ist die Vorliebe in der deutschen Sprache für die Verwendung dieses Vokals zur Beschreibung von sehr lauten und undifferenzierten Lautäußerungen: Stöhnen, Röhren, Grölen, Föhnen, Dröhnen! 

 

SCHWINGUNG/SCHWINGUNGSWAHRNEHMUNG

Bei der Phonation entsteht eine primäre, grundtöne Schwingung im Kehlkopf und direkt darüber im -> Vestibül. Darüber entwickeit sich eine sekundäre Schwingung, obere Schwingung: Sie ist bei u am höchsten, bei o und a jeweils niedriger; entsprechendes gilt für i und e, wobei bei ä, e, i, ö, ü durhc Hebung der Zungenmitte (Brechung der stehenden Welle) eine zweite Schwingungswahrnehmung am harten Gaumen entsteht (Knochenvibration,  "Maske”), die aber bei a, o, u fehlt. (Diese Sekundärschwingung durch den Knochenklang ist nicht klangverstärkend, nur ein Indikator für die primäre Schwingung.) Die Schwingungswahrnehmung am weichen Gaumen wird bei diesen Vokalen entsprechend schwächer, verschwindet aber nicht. Wird dieser Vibrationsstrang auch bei a, o, und u erzeugt, ist das nur möglich durch Hochziehen/Schrägstellen des Kehlkopfs durch den Zug der Zunge, was eine Verkürzung des Vokaltraktes zur Folge hat. Das bedeutet mehr Anstrengung, weniger Effizienz und mehr Überdruckfunktion. 

Der Schwingungsablauf ist vertikal, die Masseankopplung ist vertikale Tonisierung. (Eine 3. Schicht wird beim M. vocalis angekoppelt.)

Je mehr tiefe Schwingung von den Stimmlippen erzeugt wird, desto intensiver ist auch die hohe Schwingung. Die tiefe Schwingung kann direkt über derStimmfalte wahrgenommen werden (ähnlich dem Gefühl, wenn man ein Glas in der Hand hält, in dem eine Hummel eingeschlossen ist), die hohe Schwingung ist unter dem weichen Gaumen wahrnehmbar.

Je höher der Ton wird, desto höher steigt und intensiver, dominanter wird auch die obere Schwingungsempfindung, weil die hohe Schwingung vom Vokaltrakt verstärkt wird.

In der Schleimhaut sitzen Rezeptoren für Schwingungswahrnehmung. Durch die Wahrnehmung der Schwingung organisiert sie sich selbst über Wohlgefühl. Bei weniger Luftdruck ist die hohe Schwingung deutlicher fühlbar. Die untere Schwingung leitet immer, auch wenn sie nicht dominant in der Empfindung ist.

Die Schwingungswanderungswahrnehmungen unten/oben, hinter/vor sind Empfindungen von Primärschwingung, die direkt etwas mit der Klangerzeugung zu tun haben. Sie zeichnen sich aus durch kleine Bewegungsabläufe im Gegensatz zur Empfindung von Sekundärschwingungen ("Sitztechniken"), die viel grober, unpräziser und aufwändiger sind. Beide sind gleichzeitig wahrnehmbar und bewegen sich horizontal nach vorne und hinten bei entsprechender Zungenbewegung zur Vokalbildung. Sowohl die obere als auch die untere Schwingung sind bei jedem Vokal wahrnehmbar 

Außerdem entsteht eine wandernde Schwingungswahrnehmung hinter der Zunge beim Singen einer Oktave schrittweise abwärts: Von oben nach unten wird die wandernde Grundtonschwingung (absolute Tonhöhe) immer deutlicher spürbar, weil von unten nach oben alle folgenden Töne schon Teiltöne des Obertonspektrums sind. Die Zungenbeinebene der absoluten Tonhöhe liegt zwischen fis' und e' (wenn man den Ort der wahrgenommenen Wanderschwingung lokalisiert).

Bei Kopfneigung nach vorne/hinten/rechts/links wird eine wandernde Schwingungswahrnehmung am Gaumen wahrnehmbar 

Bei der Vokalfolge u-ü-i ist eine Schwingungswanderungswahrnehmung vom weichen zum harten Gaumen fühlbar, die hohe Schwingung am weichen Gaumen bleibt vorhanden und fühlbar, wenn auch abgeschwächt . Durch Deformation des Instruments bringt man die Schwingungsempfindungen an verschiedene Stellen, je nach Brechung der stehenden Welle. Das ist das Konzept der -> Sitz-Technik.

 

SEGMENT

Segmente sind ein akustisches Phänomen: In der Nähe der Frequenz, die die Eigenfrequent der Luftröhre anregt, entsteht eine Irritation in der Primärschwingung der Stimmlippen durch Interferenz. Diese reagieren mit Schließtendenz. (-> Übergang). Da dieser Frequenzbereich ebenfalls Teiltöne entwickelt, wiederholt sich die Irritation in abgeschwächter Form bei allen ganzzahligen Vielfachen, wie bei jeder Obertonreihe. Das bedeutet, dass der primäre Übergang bei ca. es`/e`weitere Übergangsphänomene auslöst bei ca. a`/b´, es”/e”, a”/b” und d"/es"`. )Ab der dritten Oktave werden die Abstände etwas enger, weil die Tonhöhenregelung sich ändert ab etwa fis”, besonders ab c”´.) Sogar in die Tiefe hat der Übergang auswirkungen: Auch bei ca. a/b entsteht eine Schwingungsirritation der Stimmlippen, die die Masseankopplung durch den dadurch ausgelösten Schließimpuls stören kann .

In der Sängersprache des Belcanto wird dieses Phänomen als -> passaggio bezeichnet, was ebenfalls Übergang bedeutet. Passaggio hat also eine akustische Ursache, nicht eine anatomische. 

Segmentwechsel der Stimmlippen fühlen sich wie kleine Brüche an.

 

SITZ/VORDERSITZ

Die Schwingungswahrnehmung des "Sitzes" wird hergestellt durch eine Umlenkung der stehenden Welle, um die Wahrnehmung der Teilschwingung (die bei gesundem funktionalen Gesang nur bei den Vokalen e, i, ä, ö und ü entsteht) am harten Gaumen zu verstärken bzw. entstehen zu lassen. Um bei a, o und u eine Vibrationswahrnehmung am harten Gaumen zu erzeugen, muss der Kehlkopf aus seiner optimalen Tiefposition mit der Zunge leicht hochgezogen und schräg gestellt werden. Das vermindert die Schwingungsqualität und Selbstregulation der Gesangsreflexes und kann zu Stimmschäden führen.

 

SITZEN - STEHEN s. Kurzanleitung für Chorleiter

 

STACCATO

Staccato ist eine teilfunktion der Stimmlippen bei der sie eine vollständige Vibratoschwingung, (von ca. 0,05-0,07 Sekunden Dauer) ausführen, und die Phonation danach reflektorisch beendet wird. Das ist nur möglich, wenn das Vibrato im Moment des Einsatzes zu schwingen beginnt. Eine derartige Schwingung ist extrem fein und präzise, sie wird nur möglich durch sehr  wenig Luftdruck bei vollständig entfächertem Vokaltrakt. Sie erfolgt ohne Aktivität im Zwerchfell und im Vokaltrakt. 

Über Staccato ist es möglich, die Stellung des Kehlkopfes zu entdecken und zu erspüren. Staccato, auf funktionale Weise erzeugt, fördert deshalb die Sicherheit im Einsatz. 

Marcato ist ein langsames Staccato.

 

STIMMLIPPEN

Die Keimblätter der befruchteten Eizelle bleiben lebenslang verbunden. Aus zwei Blutzellen von außen entstehen Herz und Stimmmuskel. Das ist der Grund dafür, dass Emotionen und Funktionen ebenfalls verknüpft bleiben. (Beachte den Begriff “Stimmung”!) Hier findet man auch einen Hauptfaktor jeder Kreislauf- und Stimmproblematik. Wir kommen ohne Stimmbänder, das heißt, die den M. Vocalis umhüllenden Schleimhautligamente zur Welt. Erst mit Vollendung des 17, Lebensjahres ist die Verbindung zwischen M. Vocalis und Ligament abgeschlossen. Das erklärt auch die völlige Ermüdungsfreihent der Säuglingsstimme. 

Der M. vocalis, ein Skelettmuskel was bedeutet, dass er Gelenke des Knochengerüstes bewegt, liegt etwa 2-3 Millimeter unter der Spitze des Adamsapfels. Er ist der komplizierteste Muskel des menschlichen Körpers. Er ist hinten dicker als vorne und besitzt viele Muskelspindeln, die unabhängig voneinander kontrahieren können. Jeder Mensch hat von Geburt an unterschiedlich viele dieser Muskelspindeln, die unabhängig voneinander arbeiten können und lebenslang in ihrer Anzahl unveränderlich sind. Sie können allerdings trainiert werden und vergrößern dadurch ihren Umfang.  Er ist der einzige nicht ermüdbare Muskel, denn er gibt die entstandene Wärme sofort ab. 

Die Innenseite besteht aus drei verschiedenen Zellstrukturen, wird innerviert durch eine spezielle Art von Gamma-Nervenfasern und erzeugt so eine isotonische Kontraktion oder Dehnung. (Die Dehnung im M. vocalis kann nicht aktiv  gehalten werden, außer man phoniert.) Die ihn umgebende Schleimhaut schwingt bei der Phonation vertikal durch einen neurologischen Impuls ca.5-7x in der Sekunde. Diese Schwingung regelt sich selbst in Bezug zu Luftdruck und Schwingung des M. vocalis. Da die Stimmlippen äußere Kontrolle über die Luftabgabe durch Verengung und äußere Widerstände gewohnt sind, müssen sie lernen, sie selbst aktiv zu dosieren: Letztlich entscheiden sie über die Dosis der Luftabgabe und somit über die Einatmungstendenz.

Von seiner Primärfunktion her ist der M. vocalis hochempfindlich auf Luftverwirbelungen im Vokaltrakt und reagiert darauf mit Tonisierung, Erhöhung der kinetischen Energie und Differenzierungsbereitschaft. Durch Resonanz der erzeugten Schwingung vom geschlossenen Gaumensegel zurück auf den M. vocalis wird diese Tonisierung auf Grund der Verstärkung der Primärfunktion noch intensiviert.

Die Stimmlippen sind zuständig für Tonhöhen- und Lautstärkeregelung und steuern mit der Erzeugung einer stehenden Welle bei der Phonation den ganzen Vokaltrakt. Ihre Dehnung durch die Kontraktion des M. cricothyroideus und die Drehung der Stellknorpel erzeugt eine kinetische Energie (Bewegungsbereitschaft), die einen optimalen Schutz für die Atemwege darstellt und zur Phonation in regelmäßige Schwingung im Wechsel von Öffnung und Schließung der Stimmritze umgesetzt wird, die dem Gehirn den selben Schutz signalisiert. Dabei ist bei der gesunden Stimmfunktion eine Phasengleichheit der beiden Stimmlippen im Einsatz, in der Phonation und im Absatz (der reflektorischen Öffnung) zum Abschluss der Schwingung zu beobachten. Die Eigenschwingung des M. vocalis wird neuronal erzeugt, nicht durch "Anblaseluft". (Man kann als Experiment zwei Finger leicht aneinander legen: An der Berührungsstelle ist aus dem gleichen Grund auch ein neurologischer Impuls spürbar!) Setzt man dem M. vocalis keine Spannung entgegen, hat er keine Chance zu kontrahieren. (Man denke dabei nur an das Spannen/Dehnen einer Saite!) 

Je stärker die dehnende Muskulatur kontrahiert, desto länger und weiter wird der Vokaltrakt geöffnet., Man spricht von 3-Punkt/5-Punkt/7-Punktöffnung, die die Stimmlippen immer weiter in Richtung Dehnungsfunktion ziehen. Je runder und weiter die Öffnung ist, desto stumpfer wird der vordere Winkel der Stimmlippenöffnung. Das bewirkt bei der Nachatmung einen anderen, vertikalen Atemweg an der Vorderseite des Vokaltraktes entlang. Selbstverständlich ist für die Muskelarbeit auch Tonus im M. vocalis nötig. Die Tonuswahrnehmung zeichnet sich aus durch eine Art horizontales “Zentrums- bzw. Effizienzgefühl”; leider besteht dabei Verwechslungsgefahr mit der Wahrnehmung von Luftdruck oder Zungendruck. Reduziert man den Luftdruck, ist es leichter, Tonus im M. vocalis zu erzeugen.

Die Stimmlippen sind ein Unterdruckventil und daher neuronal mit dem Bizeps und dem Daumengrundgelenk verschaltet, da durch Kraftanwendung zum Körper hin (z. B. beim Klettern oder Schwimmen) die Lunge vor unwillkürlich einströmender Luft verschlossen werden muss, damit Zugkraft aufgebaut werden kann. So sorgt er sogar für Balance beim Klettern. Durch drehende Körperbewegungen ist außerdem eine innere Drehung des M. vocalis und M. lateralis aktivierbar. 

 

STIMMFACH

Das Stimmfach setzt sich aus folgenden Parametern zusammen: Wie viele Muskelfasern des M. vocalis sind angeboren? Je mehr vorhanden sind, desto dunkler, massereicher ist die Stimmfarbe. (S. auch -> stumme Masse!)

Welche Teilfunktion (Masse/Dehnung) wird dominant bevorzugt? Auch diese Vorliebe ist  angeboren. Das Bedürfnis, Masse anzukoppeln oder Spannung aufzubauen, zu dehnen, unterscheidet den Mezzosopran vom dramatischen Sopran. 

Wie ist der Vokaltrakt gestaltet und wie dominant wird die hohe bzw. tiefe Schwingung darin verstärkt? Auch bei hohen Stimmen ist im dehnungsdominanten Register der Grundton, der Ursprung der Klangerzeugung im M. vocalis erkennen.

Das hohe Stimmfach bei Männerstimmen nimmt eine Ausnahmestellung ein: Beim Tenor ändert sich die Wahrnehmung von Massedominanz zu Dehnungsdominanz. Er singt ab fis' faktisch Kopfstimme mit etwas mehr Masse. Das ist eine Art -> Belting. Er muss erlauben, dass die Dominanz sich ändert. Hilfreich dabei ist es, Vibrato zu erlauben. Ab b'/h' ist keine Andeutung von Masse mehr möglich. Das hohe c entsteht durch Rückkopplung im Raum nach unten, man hört tiefere Frequenzen, als wirklich gebildet werden (wie beim Rufen in ein Rohr).

Der persöniche Stimmklang ist so individuell wie Fingerabdruck, aber durch die extreme Verformbarkeit des Vokaltraktes sowie persönliche Erfahrungen, die Schutzhaltungen auslösen, beeinflusst.

 

STÜTZE -> APPOGGIARE LA VOCE

 

STUMME MASSE

Das ist der Fachausdruck für das Phänomen, dass auf gleicher Tonhöhe gebildete Klänge unterschiedlich helle bzw. dunkle Klangfarben und Lautstärken haben, wenn sich die Klangquelle in der Dicke unterscheidet (vergleichbar dem unterschiedliche Klangergebnis  verschieden großer Streichinstrumente beim Spielen der gleichen Tonhöhe).

 

TIEFE

Um tiefe, langsam schwingende Klänge zu erzeugen, wird der untere Teil des M. vocalis zugeschaltet. Auch die Luft unter der Stimmritze wird in Schwingung versetzt. Der M. vocalis schließt vollständig und öffnet stärker. Er wird kürzer, dicker und weicher (!), die Schleimhäute bleiben unabhängig vom Muskel beweglich. Die Rundung der Constrictoren verstärkt und stabilisiert sich, da die Stimmlippen nach hinten unten Masse ankoppeln und der M. cricothyroideus nachgibt. Daher ist bei massedominanten Tönen die verhältnismäßige Lage von Zunge und M. vocalis anders als bei dehnungsdominanten, (die Zunge liegt im Verhältnis zu den Stimmlippen weiter vorne). Die sich daraus ergebende Mundstellung entspricht der von stärkerer Saugwirkung. 

Tiefe Töne brauchen Länge, denn ein langes Rohr resoniert tiefe Frequenzen gut. Das bedeutet, der Kehlkopf steht idealerweise auf Tiefstposition, damit der Vokaltrakt darüber möglichst lang ist. 

Tiefe Töne können über den Knochenklang bis in den Kopf und in die Zehen wahrgenommen werden 

Ist ein gesungener Ton unter dem ersten Vokalformanten des gesungenen Vokals, muss ein decrescendo erfolgen oder der Raum muss zum nächst offeneren Vokal öffnen.

 

TIMBRE -> STIMMFACH

 

TONHÖHENREGELUNG

Tonhöhe ist von Geburt an eines der dominantesten emotionalen Signale, die es gibt. Die Regelung der Tonhöhe ist eine horizontale Bewegung, die gesteuert wird  durch das Agonist-Antagonist-Paar M.  vocalis- M. cricothyroideus. Dieser Ablauf ist codiert im Muskelgedächtnis und verläuft ohne Beteiligung des Vokaltraktes. Der M. cricothyroideus kippt den Schildknorpel nach vorne unten. Damit er das kann, muss die Zunge nach vorne nachgeben, weil der untere Constrictor am Zungenbein angewachsen ist, und nur so die Dehnung des M. vocalis möglich ist. Es ist möglich, diese Bewegung durch parallele Bewegung des Unterkiefers zu unterstützen und zu triggern, da die sängerische (einen Sog erzeugende) Kieferöffnung eine Senkung des Kehlkopfes auf ⅔ seiner Tiefstposition hervorruft.

Die Tonhöhe wird unbewusst reguliert, nur wahrgenommen, der Versuch, sie bewusst zu regulieren, stört die Funktion. 

Die -> Zunge ist an Tonhöhensteuerung unbeteiligt und bleibt im Idealfall unbeeinflusst von den sich verändernden Vibrationswahrnehmungen. Da die Zunge auch ein Tastorgan ist, bedarf es einiger Selbstreflexion, dass sie sich nicht in Richtung der spürbaren Vibrationen im Vokaltrakt bewegt, denn diese Bewegungen können auch eine ineffiziente Tonhöhenveränderung bewirken: Entweder sie zieht den Kehlkopf nach oben, oder der Zungengrund drückt auf den Kehldeckel. Ist das der Fall, ist störungsfreie Tonhöhenregelung unmöglich. Durch den nicht mehr optimal geöffneten Vokaltrakt  erhöht sich der subglottale Luftdruck, der Stress erhöht sich, das System schließt noch mehr, und in Folge braucht man noch mehr Luftdruck, um zu phonieren. Für Tonhöhenregelung ist also eine Differenzierung der Zungenbewegung nötig. Auch der Tonus der Lippen hat Einfluss auf die Tonhöhenregelung. 

Bei Tonhöhenveränderung während der Phonation leitet die Stimmlippenschwingung. Abwärts verändert der Vokaltrakt seine Form, um die neu entstehenden Grundtöne verstärken zu können, aufwärts sind schon alle Obertöne vorhanden, eine Veränderung ist nicht nötig.

Im Laufe der Entwicklung bildet sich ein Gefühl für Tonhöhen, eine Muskelerinnerung, die es ermöglicht, eine zuvor gehörte Frequenz voreinzustellen, und so “den Ton zu treffen”. 

 

TONUS

Tonus wird die Grundspannung in der Muskulatur genannt. Tonuszunahme im Körper, in der Aufrichtungsmuskulatur, programmiert auch den M. vocalis zu mehr Tonus. Durch erhöhten Körpertonus wird die Masseschwingung weich, statt ungeführt zu schlackern. Je höher der Tonusist, desto besser sind die Unterschiede zwischen Masse- und Dehnungsdominanz wahrnehmbar. Bei verschiedenen Vokalen, dynamischen Abstufungen und Tonhöhen ist jeweils auch ein verschiedener Tonus nötig.

Ein höherer Tonus in der Wirbelsäule löst Millisekunden später eine stärkere Rundung im Artikulationssystem aus, so dass auch der Vokaltrakt an Tonus gewinnt. Verliert dagegen der Brustkorb den Tonus, rutscht der Kehlkopf hoch, da die Aufrichtung den Gegenpol zur Kehlkopfsenkung darstellt.

Gewichtige Menschen haben im Allgemeinen mehr Tonus, um die Aufrichtung zu halten. Das ist ein Grund, warum es unter professionellen Sängern und Sängerinnen überdurchschnittlich viele füllige Menschen gibt. 

 

TRACHEALZUG

Dieser Begriff beschreibt die Kehlkopfsenkung durch Kontraktion des Zwerchfells, bis zu 7 cm unter der Ruheposition. Die Luftröhre wird dadurch schräg nach hinten unten gezogen. Alle hebenden Einhängemuskeln müssen dabei erlauben, sich dehnen zu lassen. 

 

TRAGFÄHIGKEIT

Bei einem starken Grundton  durch Kehltiefstand und  offenen Vokaltrakt entstehen hohe und starke Obertöne wie bei jedem langen Klangkörper mit großem Durchmesser. Beim menschlichen Instrument wird sie noch verstärkt durch laserartige Potenzierung des Klangs im Vokaltrakt.   

Für die Entstehung der -> Sängerformanten ist also eine maximale Öffnung des Vokaltrakts unbedingt nötig. Sie bilden sich Sängerformant bei geringer Mediakompression durch hohen Anteil an gedehnter, fein schwingender Schleimhaut.  

Eine Besonderheit stellen die Frequenzen um die Tonhöhe des Babygeschreis dar: Diese Frequenzbereiche werden aus evolutionären Gründen von der Form des menschlichen -> Ohrs am besten verstärkt, so dass das Phänomen entsteht, dass akustisch leiserer Schall als dominant wahrgenommen wird vor tieferem, objektiv lauterem Schall.

 

TRAINING

Effizientes Gesangstraining setzt Kenntnis der funktionalen Zusammenhänge des den ganzen Körper koordinierenden Gesangsreflexes voraus.

"Höhe" wird durch "Tiefe" trainiert, analog dem Training anderer Muskeln, die Zug und Gegenzug brauchen, um Kraft zu entwickeln und zu steigern. Trainierte Muskulatur ist besser imstande, feinmotorische Bewegungen zu koordinieren als untrainierte, was für die höchst differenzierte Arbeit der Kehlkopfmuskulatur bei der Phonation von höchster Bedeutung ist.

 

ÜBERGANG

Die primäre evolutionäre Funktion des M. vocalis ist, auf jede kleinste Luftverwirbelung mit sofortiger reflektorischer Schließung zu reagieren, um die unteren Atemwege und die Lunge vor dem lebensgefährlichen Eindringen von Fremdkörpern zu schützen. Gleichzeitig haben die Luftröhrenspangen eine Eigenfrequenz. Das Erzeugen eines Klanges in der Nähe dieser Frequenz bewirkt Schwebungen, die ihrerseits Luftverwirbelungen hervorrufen. Die kinästhetische Wahrnehmung der in Eigenfrequent mitresonierenden Knorpelspangen der Luftröhre (einer festen Größeneinheit im menschlichen Körper wie z. B. die ungefähre Größe von Herz oder Leber) liegt auf der Tonhöhe von ca. e` bei allen Erwachsenen. Die Wahrnehmung dieser Wellen löst den Schließreflex des M. vocalis aus und stört damit die Klangerzeugung. Gleichermaßen erhöht sich durch diese Schließung reflektorisch der Luftdrucks unterhalb der schwingenden Stimmlippen. Das ist die akustisch-physikalische Erklärung des Phänomens “Bruch”. Steht der Kehlkopf zu hoch, ist der Grundton gegenüber der Eigenfrequenz der Luftröhre zu schwach, das verstärkt den Effekt noch.

 

Ziel bei der Phonation ist es, durch Rundung , besonders von den Constrictoren aus gesteuert, die Irritation zu minimieren. Am leichtesten ist der Übergang auf Vokal o im Mund- und Rachenraum zu bewerkstelligen. Über den Vokal o ändert die Funktion die Resonanzräume organisch, als Vorbereitung ist auch das noch mehr rundende u möglich. 

 Ein weiter Rachendurchmesser erleichtert den Übergang, da dadurch der mittlere Constrictor aktiv und die Rundung stabil bleibt, so dass die Zunge dagegen stabilisieren kann. Behält die Zunge den Tonus, erhöht sich die obere, vordere Resonanz, die Vibratoempfindung wird stärker. Wird das System im Übergang kleiner, verliert die Zunge ihren Tonus. Je geringer der Zungentonus ist, desto stärker ist der Übergang.

Mehr Einatmungstendenz im Übergang verringert den unangenehmen Schließimpuls der Stimmlippen. Wenn Irritation entsteht, ist der Luftdruck zu hoch. Durch Reduktion und Wechsel zur nachstleiseren dynamischen Stufe und zum nächstkopfigeren Vokal kann sie reduziert und annähernd behoben werden. Auch körperliche Balance unterstützt Feinabstimmung im Übergang.

Zur Gewöhnung an die evolutionär immer etwas unangenehme Empfindung dieser unvermeidbaren Irritation kann man lernen, die Wahrnehmung auf angenehme Empfindungen zu lenken und so die Störung mit der Zeit als für den Organismus ungefährlich zu erkennen. 

Bei Männerstimmen, die die Massedominanz gewöhnt sind, ist die Gewohnheit verbreitet, den Übergang durch Erhöhung des Luftdrucks zu vermeiden. Sie müssen lernen, zu erlauben, dass Masse abgegeben wird, damit das System sukzessive ins dehnungsdominante Register wechseln kann.

Besonders bei Tenören ist das eine ständige Gratwanderung, ein "Ritt auf der Rasierklinge". Auch bei crescendo in der Übergangslage bleibt die Klangfarbe hell auf Grund der besonderen Technik dieser Stimmgruppe, die dem -> Belting ähnelt. Die Empfindung bleibt die der Dehnungsdominanz, es kommt nicht soviel Masse dazu, dass es sich massedominant anfühlt. Das gilt nicht nur für Tenöre, für diese aber in besonderem Maße.

Durch Veränderung von Parametern kann man den Übergang "umgehen", aber nur durch Manipulation des Vokaltrakts und Verminderung der optimalen Voraussetzungen für die Phonation. 

 

VENTRIKEL VENTRICULUS VESTIBULARIS

Das ist der Raum direkt über der Stimmfalte. Er ist mit Kehldeckel, Taschenfalten und Ringknorpel verbunden und reicht von den Stimmlippen bis zum Kehldeckel. Der Vestibülresonator verstärkt die tiefen Frequenzen. Ist er geschlossen folgt daraus eine  geringe Grundtonverstärkung, ist er geöffnet und der Kehlkopf gesenkt, wird der Grundton gut verstärkt. 

Bei "russischen" (von unten angeschliffenen) Konsonantanlauten mit -> Schwa bläht sich das Vestibül leicht auf.(Der analoge Reflex dazu ist Würgen.)

 

VIBRATO 

Jeder Muskel besitzt Tremorfähigkeit, je kleiner er ist, desto schneller ist sein Grundtremor (z. B. bei der Bauchmuskulatur bei 4 Hz, bei den Fingern bei 5-7 Hz). Physiologischer Tremor wird ausgelöst durch neurologische Impulse an die Muskeln. Das sogenannte “neuronale Zittern” dient dem Erhalt der Spannkraft und Belastbarkeit des jeweiligen Muskelpaares. Ist das Kräfteverhältnis zwischen Agonisten und Antagonisten ausbalanciert, stellt es sich reflektorisch ein, um eine Dauerbelastung zu ermöglichen. Da beim M. vocalis und seinem Antagonisten, dem M. cricothyroideus, die Tremorfrequenz bei 5-7 Hz liegt, ist das auch gleichzeitig die Frequenz eines gesunden Vibratos. Das Vibrato findet auf Stimmlippenebene statt, nicht darüber. Der Entstehungsort ist der Rand der Stimmlippen.

Durch das neuronale Zittern entsteht außerdem eine Wellenschwingung an der Oberfläche des Ligaments. Da durch die Schwingungen des M. vocalis hörbare Töne erzeugt werden, ist beim Singen diese zusätzliche Schwingungsform auch hörbar als Vibrato. Auch eine leichte Tonhöhenveränderung von etwa einem Viertel- bis Halbton entsteht durch diese regelmäßige Schwingung. Die Empfindung des Vibrato im M. vocalis und der dadurch entstehenden stehenden Welle darüber im Vokaltrakt bis zum Gaumensegel  organisiert über diese Funktion, die sich bei  dominanter Unterdruckfunktion des Atemapparates von selbst einstellt, seine weiteren Bewegungsformen wie Tonhöhenveränderungen, dynamische Abstufungen (beides durch An- und Abkoppeln von Muskelmasse) Koloraturen, Triller, Staccato und viele weitere komplexe Bewegungsabläufe, sogar den Grad des Luftflusses durch die Stimmlippen, Tonhöhenveränderung und Vokalveränderung vollzieht sich im Rhythmus des Vibratos (“Treppenschwingung"). Bei jeder Parameterveränderung folgt die Wahrnehmung der  ungestörten Vibratopfindung. Auch der Einsatz, Absatz, liegen zeitlich am Beginn bzw. Ende einer Vibratoschwingung. In diesem Modus ist Vibrato die den gesamten Gesangsreflex organisierende Funktion. Umgekehrt ermöglicht Vibrato eine noch feinere Koordination des M. vocalis. 

Da der physiologische Grundtremor jeder Agonist-Antagonist-Muskelverbindung dieses neuronale Zittern ist, entwickelt sich echtes Vibrato bei guten Bedingungen von selbst, kann aber auch nicht willentlich hergestellt werden. Die  Vibratopfindung zwischen Stimmlippen und Zungenbein ist dominant vor der Masseempfindung, der weiche Gaumen reagiert auf echtes Vibrato mit Tonisierung.

Unregelmäßiges Vibrato kann an unregelmäßiger Tonisierung des Vokaltraktes liegen, dann schwingt eine Stimmlippe langsamer als die andere.

Zu schnelles Vibrato mit zu  kleiner Amplitude heißt auch Tremolo. Es entsteht durch zu hohen subglotttalen Luftdruck, ungünstige Spannungsverhältnisse und zu wenig Raum im Vokaltrakt. Deshalb findet es auch im Vokaltrakt statt und nicht nur in den Stimmlippen. Es verlangsamt sich durch mehr Rundung der Constrictoren, also Bereitstellung von mehr Raum.

"Wobble" nennt man zu langsames, zu großes Vibrato entsteht durch zu viel Masse., ebenfalls ausgelöst durch zu viel Druck. Eine Reduktion des Wobble ist durch einen mentalen Wunsch nach nonvibrato zu erreichen.

Pseudovibrato lässt sich durch schnelle Zungenbewegungen des Zungenrückens herstellen. Sie bewirken Luftduckveränderungen durch den zu- und abnehmenden Zungendruck, (dem “harten Knödel” verwandt,) worauf die Stimmlippen mit An- und Abkopplung von Masse reagieren.

Vibratounterdrückung zieht aus diesen Gründen Intonationsprobleme nach sich, weil ein Zuviel bzw. Zu Wenig an Muskelmasse im Verhältnis zur Dehnung des Ligaments und auch ein Zuviel an Luftdruck unter den schwingenden Stimmlippen zu tief bzw. zu hoch klingende Klangergebnisse erzeugt. 

Vibrato ist innerer Rhythmus, daher ist auch das Rhythmusempfinden untrennbar mit einem gesunden Vibrato verbunden, und der M. vocalis reagiert auf diese Weise auf rhythmische Veränderungen in der Musik, die Frequenz wird leicht angeglichen.

Bei dominanter Überdruckfunktion hört das Vibrato auf, weil die Balance gestört ist. Echtes Nonvibrato ist etwas anderes, wird bei (fast) komplett gesenktem Kehlkopf gebildet durch leichte Kontraktion zweier Muskeln, die innerhalb des Kehlkopfes vom Schildknorpel zur Epiglottis verlaufen, dem M. aryepiglotticus und M. thyroepiglotticus. 

Vibrato bei der menschlichen Stimme ist so etwas Natürliches (und offenbar Wünschenswertes), dass das Spiel von Instrumenten damit bereichert worden ist, mit möglichst ähnlicher Frequenz und Amplitude.

 

VOCAL FRY

Das ist der Fachausdruck für den sogenannten "Phonischer Nullpunkt", an dem der M. cricothyroideus annähernd entspannt ist. 

 

VOCE BIANCA

Damit ist die Sopran- oder Altstimme von Knaben vor dem Stimmbruch gemeint. Im Normalfall zeichnet sie sich durch -> nonvibrato und sehr hohe Obertöne aus, da die akustischen Verhältnisse auf Grund der noch nicht vollständigen Aufrichtung und des kürzeren Vokaltrakts bei Kindern anders sind als bei Erwachsenen. (S. a. -> Kinderstimme in `Kurzfassung für Chorleiter`!)

 

VOIX MIXTE -> MISCHUNG

 

VOKAL

Ontogenetisch ist der Vokal älter als der Konsonant, das Lallen des jungen Säuglings erfolgt ausschließlich auf Vokalen. In diesem Alter ist Saugen die dominante Funktion der Mund-Rachenregion (-> Inalare la voce). Mit Erwerb der Sprache wird ein neues, von schließenden Muskeln ausgeführtes Programm installiert, das neuronal und deshalb auch zeitlich mit dem Zu-sich-Nehmen von fester Nahrung und damit dem Kau- und Schluckvorgang verschaltet ist. Die Sängervokalisation muss also als solche im Gehirn neu verlinkt und dann eintrainiert werden, denn evolutionär stammt sie noch aus der Zeit vor dem Kauen und Sprechen Lernen. Sie ist anfänglich dominant und wird das ganz Leben hindurch parallel mit der Sängervokalisation weiter verwendet.

Die Sprachvokalisation ist auch beim Singen anfänglich dominant, da gesungene Literatur immer mit Text versehen ist, und sie beim Text Sprechen natürlich weiter verwendet wird. Es gilt also, die beiden
Sprachbehandlungsprogramme auseinander halten zu lernen. Optimalerweise wäre das die Hauptaufgabe von Stimmbildung. (Wenn Kinder die Möglichkeit haben, funktional gesund singende Erwachsene zu hören, entstehen Verbindungen im Gehirn, die die Freilegung des Gesangsreflexes nach dem Übergang zur Erwachenenstimmgebung deutlich erleichtern.)

Was ist sängerische Vokalisation im Einzelnen?

"Alle Vokale haben in der (sängerischen) Artikulation die gleiche ovale Form" (Zitat Caruso). 

Der Vokal definiert die Klangdauer, er ist die "Mutter der Silbe".
Beim Singen wird der Vokal im Klangraum, dem Rachenraum von den Stimmlippen bis zum Gaumensegel, verortet statt im Mundraum wie bei der Sprachgewohnheit.
Es gibt Rundungsvokale und Zungenhebungsvokale, die sängerisch aber beide mit einer ähnlichen "saugenden" Lippenöffnung, das heißt, mit Tonus im Lippenringmuskel gebildet werden, anders als bei der Sprachgewohnheit.

Allein in der deutschen Sprache existieren 87 Grundvokale, andere Sprachen haben noch weitere definierte Vokalfarben. Sie werden definiert durch ihre -> Formantbereiche.

Ganz vereinfacht kann man sagen, dass a, o und u Rundungsvokale sind, die verschaltet sind mit einer Erweiterung der  10. - 8. Rippe, (sängerische Vokale werden mit Rundung der Rachenrückwand hergestellt statt mit Zungenaktivität, die Lippen und Zunge reagieren nur) und u, ü und i Zungenhebungsvokale, verknüpft mit der 7. - 5. Rippe. Von u zu ü bleibt die Lippenrundung gleich, die Dekontraktion findet (teilweise) statt von u/ü zu i ( u-ü-i hat eine ähnliche Kieferbewegung nach vorne, wie sie bei Tonhöhenregelung stattfindet.) Die Dehnung des M. vocalis wird davon unterstützt. (Die Zungenhebung bleibt gleich). Die Kontraktion/Dekontraktion der Lippenrundung ist bei allen Vokalwechseln entkoppelt von der der Zunge, was dem Reflex des Saugen entspricht. Der Vokalwechsel erfolgt auf der Basis des 1. Vokalformanten. (Auch bei e und i hat der 1. Formant Priorität, der 2. ordnet sich darüber. Verschwindet er, hat sich das System geschlossen.) Sängerische Vokale haben zwar annähernd die gleichen Formantbereiche wie die der Sprachgewohnheit, werden aber mit völlig anderen Artikulationsbewegungen von teilweise anderen Muskeln gebildet. Der Raum ist viel länger und der Durchmesser des Vokaltraktes viel größer. (Den größten Durchmesser hat das sängerische a.)

Sängerische Vokalisation ist nur möglich bei vollständiger Kehlkopfsenkung und Vokaltraktlänge. Dann stellt sich auch die Öffnung der Eustachischen Röhren und damit die Wahrnehmung der Sängerformanten ein. (Ist die Rachenrückwand nicht ausreichend aktiv bei der Rundung und leitet die Vokalbildung vor den Mundwinkeln, rutscht die Artikulation in den Mundraum, in die Sprachebene.)

Die Artikulationsbewegung zum nächsten Vokal ist die Voraussetzung für die Bildung des nächsten Konsonanten.

Alle Vokale haben nach Phonation und Nachatmung eine optimalere Form, da sie vom  dominant wirksamen M. vocalis angefordert wurde, der ja die ganze Funktion reguliert. Der Vokal wird bei der Phonation im Klangraum verortet statt im Vokalraum wie bei der Sprachgewohnheit. Alle Vokale werden da definiert, wo sie am offensten und gerundetsten, aber schon klar in der Vokalfarbe erkennbar sind. 

Vokalwechsel erfolgen über Vokalglissandi oder Sprünge über Vibratotäler. 

Zu beachten ist, dass während der Phonation auch auf der Tonebene des Sprechens mit Gesangsvokalen phoniert wird.

 

VOKALAUSGLEICH

Damit gemeint ist eine interne Änderung, Angleichung der Formantbereiche so weit wie möglich und nötig für eine optimale Vokaltraktgestaltung für die Phonation.

 

VOKALFARBE

Sie wird geändert durch Kiefer, Zunge und Lippen: Lippen und Zunge verstärken manche Teiltöne, das ermöglicht die Wahrnehmung einer bestimmten Vokalfarbe. Für die Vokalfarbenänderung verändert sich eine Frequenz, der ganze Rest bleibt als Klangfarbe konstant. Die Vokalfarbenresonanz mit unterem und oberem Vokalformanten bleibt an Ort und Stelle. 

Phoniert man auf einer Tonhöhe, die über oder unter dem Formantbereich des artikulierten Vokale liegt, regelt der M. vocalis eine Änderung der Vokaltraktform zum nächst offeneren Vokal: Der  2. Formant von u wird der von o etc.. Wird das unterbunden, hellt sich die Klangfarbe auf, weil der Vokaltrakt sich dann verengt. 

 

VOKALTRAKT

Der Vokaltrakt, der Resonator der menschlichen Stimme, reicht von den Stimmlippen bis zum weichen Gaumen. Die Stimmlippen und der untere Vokaltrakt bilden dabei eine Einheit. Die Differenzierungsfähigkeit und die Effizienz in der Klangverstärkung des Vokaltraktes sind unerreicht bei den Instrumenten. Er ist nämlich auch ein Reflektor, er reflektiert die Schallwellen zurück auf die schwingenden Stimmlippen und erhöht damit ihre Bewegungsbereitschaft, was zu einer sukzessiven Verstärkung der Klangintensität führt nach dem Prinzip der Rückkopplung. Die Länge des Vokaltraktes ist im Rachen- und oberen Brustraum wahrnehmbar, deshalb sollen diese Bereiche so lang wie möglich sein. Die Länge erhält er durch Kehlkopfsenkung  in Folge von -> Kieferöffnung (⅔)  und  -> Trachealzug und dadurch hervorgerufene Hebung des weichen Gaumens durch den M. levator palatini. Alle verkürzenden Kontraktionen sollen größtmögliche Dehnung erlauben. Die Form soll während der Phonation möglichst stabil bleiben, damit eine Differenzierung der Bewegung ohne Störung durch verschiedene Wahrnehmungen, z. B. der von Vibrationen und Eigenfrequenz der Luftröhre stattfinden kann. Stabilisierend wirkt dabei vor allem auch durch die Grundschwingung der Stimmlippen. Dadurch, dass der Raum öffnet, die tiefe Frequenz dadurch verstärkt wird, wird umgekehrt das Schwingungsverhalten der Stimmlippen regelmäßig durch den anderen Zugang zum Kehldeckeleingang, denn davon, was im Vokaltrakt passiert, sind die Stimmlippen in ihrem Schwingungsverhalten abhängig.

Je länger von der Veranlagung her der Vokaltrakt werden kann, desto dunkler und obertonreicher ist der Stimmklang.

In der Vokaltraktgestaltung ist die hintere Wand die dominante Wahrnehmung. Der Tonus der Rachenwand ist Teil des Reflexionssystems. Die Zunge ist die vordere Wand des Vokaltraktes. In der Rachenschleimhaut gibt es Rezeptoren, die Schwingung wahrnehmen. Er erhält seine Gestalt durch die Einatmung statt durch die Phonation. Die Raumöffnung für die Vokale wird für die Einatmung genutzt. Dennoch reagiert der Vokaltrakt, wohingegen der M. vocalis agiert.

Seine stabile Form verstärkt, intensiviert die Luftschwingung vertikal und horizontal. Dabei gilt die Hierarchie Längsschnitt vor Querschnitt, sonst verkürzt sich der Vokaltrakt. Jede willentliche Leitung der Verstärkung bewirkt eine Deformation des Instruments mit der Zunge, eine Abflachung der Rundung der Constrictoren.

Der Vokaltrakt ist nur durch Akustik erkennbar. Bei der Phonation wird die vokaltraktbezogene Veränderung der Raumempfindung wahrgenommen, nicht die Stimmlippenschwingungsempfindung.  

Der mittlere Vokaltrakt ist der Schlüssel zur Lautstärke in der Höhe, er muss optimale Dehnung erlauben. Je dominanter die Dehnungsfunktion in der Tonerzeugung wird, desto länger und weiter muss der Vokaltrakt werden.

 

WAHRNEHMUNG

Die höchste, schnellste, feinste und präziseste Form von Kontrolle und der erste Schritt zu bewusster Aktivierung ist Wahrnehmung. Wahrnehmung generiert -> Bewusstsein, aber ohne willentliches Eingreifen in das Wahrgenommene. Wahrnehmung wird gelernt durch Bewegung. Das ist der Ansatz der Feldenkrais-Lehre. Andere Konzepte beschreiben diesen Geisteszustand als Intuition, Phantasie, Assoziation, vegetative Steuerung, Alpha-Zustand, Kontemplation und Zen. Die Reihenfolge ist immer: Am Anfang steht die fließende Wahrnehmung, der "flow", erst danach folgt Reflexion, ohne die Wahrnehmung zu lenken oder zu beeinflussen. Sie ist immer komplizierter als die bewusste Reflexion. Es gilt zu erkennen: Nimmt man wirklich wahr, oder springt man im theoretischen Wissen schon zu weit und denkt die Wahrnehmung? Es geht um das Erkennen dessen, was geschieht, und es im Geschehen zu lassen, ohne es anzuhalten. Das ist der Unterschied zwischen Wahrnehmen und Beobachten. (Die Quantenphysik hat gezeigt, dass der Beobachter in das Beobachtete eingreift.)

Alles, was mit Wahrnehmung bedacht wird, bekommt ein größeres Areal im Gehirn. Um sie zu verbessern, ist es hilfreich, sie bewusst zu machen. Sie fühlt sich ähnlich wie Wissen an und muss erst davon unterschieden und differenziert werden. So kann nach und nach eine Erweiterung des Wahrnehmungsrepertoires stattfinden.

Man kann unterscheiden in unwillkürliche und willkürliche Wahrnehmung, die zweitere ist die Form des bewussten Erkennens, das für die Entwicklung des vom M. vocalis geleiteten Gesangsreflexes die wesentliche ist. Je feiner die Wahrnehmung wird, desto präziser wird auch die Funktion. Das, worauf man die Wahrnehmung richtet, übernimmt die leitende Funktion. Das ist die Quelle der Entwicklung, aber auch die Quelle aller Fehler, und da Richtungen zu weisen, ist die Aufgabe der lehrenden Person. Das ist eine diffizile Aufgabe, denn externe Wahrnehmung ist immer Beurteilung; was dafür nötig ist, ist funktionale Empathie. Der Lehrende muss selbst lernen, der Intelligenz des Körpers vertrauen, seines eigenen und der des Schülers, der Schülerin. Wenn Vorstellung und Wahrnehmung nicht übereinstimmen, sei es beim Lehrenden oder beim Lernenden, ist der Wahrnehmung zu folgen. Beim Erkennen dessen, was bei der Phonation geschieht, geht es dabei sogar fast immer um Mehrfachwahrnehmungen. 

Obendrein hat Wahrnehmung eine heilende Komponente, die sich sehr viele Heilverfahren zu Nutze machen: Eigenwahrnehmung und Schmerz schließen einander aus!

 

WIRBELSÄULE

Sie ist unser "Segelmast", der maßgeblich ist für die -> Aufrichtung. Die Doppelte S-Form der Wirbelsäule bildet sich erst mit sieben Jahren aus, daher ist funktionelles Singen frühestens ab diesem Alter möglich. 

Die HWS mit ihren sieben Halswirbeln liegt direkt hinter dem Resonator und ist maßgeblich an seiner Form mit beteiligt. Die Wirbelsäule reagiert auf Bewegung der Rachenrückwand, die Streckung der Wirbelsäule begünstigt und unterstützt die Kehlkopfsenkung. 

Alle Bewegungen der Wirbelsäule sind miteinander verbunden und bedingen einander. Für die Phonation bedeutet das: Wenn am oberen Ende der Wirbelsäule etwas nicht funktioniert, kann man es am unteren Ende suchen, weil die sängerische Aufrichtung von unten nach oben stattfindet. 

 

WISSEN

Wissenschaft ist subjektiv. Was man nicht denken kann, kann man nicht untersuchen.

 

WÜNSCHEN

Das ist der Schlüssel für die vegetative Steuerung, durch die der Gesangreflex organisiert wird.

Wünschen bedeutet einen Auftrag ohne Kontrolle, wie er ausgeführt wird. Die Frage ist: Was wünsche ich mir zu erleben? 

Je präziser die Wunschvorstellung ist, (Wo wünsche ich was wie zu erleben?) desto präziser wird die Wunscherfüllung.

 

ZUNGE

Die Zunge ist neben ihren anderen evolutionären Aufgaben vom ersten Lebenstag an ein Tastorgan, jede Wahrnehmung kann sie aktivieren, um sich in diese Richtung zu bewegen. Sie neigt dazu, sich dahin zu orientieren, wo zu ertastende Wahrnehmungen stattfinden, zum Beispiel die Schwingungs(wanderungs)wahrnehmungen der stehenden Welle, der Formanten. Die Differenzierung der Wahrnehmung und Trennung ihrer meist unwillkürlichen Bewegungen ist ein Hauptziel des funktionalen Stimmtrainings. Fast immer ist die Assoziation der Zungenposition mit der "Position des Tones" unbewusst verknüpft: Liegt die Zunge hinten oder vorne, wird das damit assoziiert, der Ton befinde sich hinten oder vorne. Auch die Zungenform wird mit der "Form des Tones" assoziiert: Es existiert die Vorstellung eines schlanken/dicken Tones". ( Etwa die oft gehörte Anweisung, schon den höchsten Ton der Phrase in die mentale Planung des Einsatzes einzubeziehen, ist eine unbewusste Botschaft an den Zungentonus!) Die Zunge braucht, um dem Gesangsreflex entsprechend zu agieren, immer einen Bezugspunkt, und das ist die Schwingungsempfindung.

Die Zunge ist am Kinn angewachsen und reicht bis zum (in seiner Position flexiblen) Zungenbein. Etwa zwei Fingerbreit darunter sind die Stimmlippen. Der Abstand ist immer etwa gleich weit bei allen sich ändernden Parametern. Die Lendenwirbelsäule und die Zunge hängen unmittelbar zusammen; erst wenn die LWS tonisiert ist, kann die Zunge differenziert arbeiten. Umgekehrt stabilisiert die Zunge die Aufrichtung mit, denn sie ist der Gegenspieler zur Nackenmuskulatur. 

Die Zunge ist sehr flexibel beweglich, eine sehr differenzierte Ansteuerung der Zungenbereiche mittlerer/hinterer/unterer Zungenbereich ist daher möglich. Für Zungenflexibilität ist Flexibilität des Brustkorbs absolut nötige Voraussetzung. Die  Flexibilisierung ihrer Muskelfasern für Bildung einer optimalen Vokaltraktform wird neuronal vom M. vocalis geleitet über die im Gesangsreflex enthaltenen Reflexe: Würgen, Trinken und Saugen sind einatmungsgesteuert! (Wenn beispielsweise die Unterlippe im Saugreflex  den Tonus erhöht, muss die Zunge das auch tun, um nicht nach hinten zu fallen.) Besteht eine Haltung in der Zunge, mangelnde Flexibilität, überträgt sich die Vibratobewegung, die Zunge wackelt im Rhythmus des Vibratos. Je mehr Dehnung, Zug in der Zunge erlaubt wird, desto mehr Luftfluss, desto mehr Klang kann entstehen. Der M. hyoglossus wird gedehnt vom M. genioglossus (wobei der M. hyoglossus stärker ist). Außerdem muss sie der Schildknorpelkippung folgen können, nach unten vorne beweglich und flexibel nachgeben, damit der Schildknorpel die Dehnungsposition einnehmen kann. (Ist sie vorne fixiert, kann sie das nicht.) 

Für die sängerische -> Kieferöffnung zieht der M. genioglossus zieht die Zunge vor Richtung Kinn, ohne dass sie sich einrollt, mit der (flexiblen) Spitze an der Innenseite der Zahnwurzel, dem cingulum. Sie wird dabei schmal durch die ovale Mundöffnung und die Constrictorenrundung: Die Rachenrückwand leitet die Zungenbewegung: Sie rundet und dadurch hebt sich die Zunge.Nur das hintere Drittel des Zungenrückens im Mundraum hebt sich, der vordere Teil nicht, der Zungengrund darunter bewegt sich waagrecht nach vorne. Je weiter vorne und tonisierter die Zunge ist, desto leichter funktioniert die Rundung der Constrictoren. Wenn die Zunge breit wird, geht das Gefühl für die tiefe Schwingung verloren. Zungenspitzentonus erhält sie schmal. Die Intensität der Zungenbewegung und -dehnung ist abhängig von der Kieferöffnung. 

Ganz am Ende der Einatmung senkt sich die Zunge leicht durch den -> Trachealzug. In der Atmung muss man daher der Zunge erlauben, sich zu bewegen, das Zungenbein reagieren zu lassen. 

Bei der Phonation liegt die Zungenspitze drucklos am cingulum und bewegt sich bei Artikulation und Tonhöhenregelung nach unten, um die größere Dehnung des Zungengrundes/Zungenrückens zu ermöglichen, ohne dass der Kehlkopf ausgelenkt wird. Zungentonus erleichtert so dem M.vocalis die Schwingung. 

Bei der Artikulation ist die Zungenspitze, der kleinste bewegte Teil der Gesamtbewegung, dominant wirksam. Sie muss auch deshalb einen möglichst hohen Tonus haben. Die Mittelzunge ist aber am aktivsten bei der Artikulation. Für die differenzierte Vokalbildung ändert der Zungengrund den Durchmesser des Vokaltraktes und unterstützt damit die Tonhöhenveränderung durch M. vocalis und M. cricothyroideus. Die Zungenbewegung agiert bei der Vokalbildung unabhängig von der (dominanten) Rundung der Constrictoren.

Die Zunge ist ein Teil des Resonators, sie ist die vordere Vokaltraktmembran, deshalb muss sie eine membranartige Oberfläche haben, darf nicht "schlappmachen". Die Zungenhebung erfolgt mittig, die Seiten liegen locker an den Backenzähnen. (Eine zu hohe Zunge verschließt die Rachenöffnung wieder.) Für die Hebung braucht sie keine Fixierung im Nacken. Der Zungengrund muss aktiv nach oben gedehnt werden durch Teile der Zungenmuskulatur und Tonisierung der Zunge, damit sie optimal ihre Membranfunktion erfüllen kann. Bei Zungenhebung ist etwas Tonus in der Mundbodenmuskulatur nötig, damit die Zunge nicht in den Rachen fällt. Die Tonisierung der Zunge wie des gesamten Körpers ist unabhängig von der Tonhöhe, aber eine Erhöhung des Zungentonus erleichtert die Ankopplung von Masse. Dagegen bewirkt eine Haltung in der mittleren Zunge die Fixierung im weichen Gaumen, das zieht zuviel Mediakompression, Luftdruck nach sich. 

Die Tonhöhenregelung erfolgt ohne Beteiligung der Zunge, aber bei Tonhöhenveränderung nach unten tonisiert die Zunge nach oben. Die Zunge muss allerdings der Tonhöhenveränderung folgen dürfen, sonst kann sie nicht stattfinden (nach oben mehr als nach unten, in der Massedominanz kann sie eher so bleiben wie sie ist). Je mehr die Bewegung jedoch nach oben rutscht, desto mehr versucht die Zunge durch Druck, den Kehlkopf unten zu halten. 

Es ist wichtig, dass die Zunge auf beiden Seiten gleichmäßig agiert. Wird zum Beispiel der Kopf schief gehalten, ist die Zungendehnung asymmetrisch. Bei der Artikulation wird dadurch auf den Kehlkopf ein unterschiedlich starker Zug ausgeübt, so dass er aus der horizontalen Lage geraten kann, oder der Zungengrund dehnt asymmetrisch, so dass auf einer Seite mehr Zungendruck entsteht, ein einseitiger -> "harter Knödel".

Die Zunge kann sich erst feinmotorisch anders organisieren, wenn der Restkörper alle anderen Bereiche übernimmt, für die sie auch zuständig ist. Je flexibler die Zunge, je feiner die Bewegungen, desto weniger stören die Artikulationsbewegungen die Stimmlippenschwingung 

 

ZWERCHFELL

Das Zwerchfell, der tensor palatini, wie der Name schon sagt, ein quer (zwerch) im oberen Bauchbereich verlaufender Muskel, ist der primäre Einatmungsmuskel. Es ist etwa ein Zentimeter dick. Es trennt den Verdauungstrakt vollständig vom Atemtrakt und ist nahtlos mit der Lunge verbunden. Dadurch kann es durch Kontraktion nach unten einen Unterdruck im Lungengewebe erzeugen, das ja durch den Rippenkorb in seiner Form festgelegt ist, und so einen Sog aufbauen, der Außenluft ins Innere der Lunge zieht.

Wie jeder Muskel ist das Zwerchfell nur fähig, zu kontrahieren, oder die Kontraktion loszulassen, also zu entspannen. Daher kann durch Zwerchfellaktivität nur eingeatmet werden, niemals aus. 

Die Zwerchfellsenkung vollzieht sich in drei Etappen: Erst geschieht eine kurze vertikale Senkung der oberen faszialen Platte, danach die Kontraktion von außen nach innen von der 10. Rippe her, dann kommt auch die Kontraktion von außen nach innen dazu. Die Zwerchfellschenkel ziehen die Wirbelsäule ins Hohlkreuz, deshalb  ist eine Gegenkontraktion des M.serratus nötig für die Aufrichtung. Die Zwerchfellsenkung ist dominant vor der Rippenhebung und -erweiterung. 

Eine stärkere Innervation, Tonisierung des Zwerchfells bewirkt das Gleiche beim M. vocalis. Die hinteren Zwerchfellanteile aktivieren mehr die Massefunktion, die vorderen mehr die Dehnungsfunktion: Je größer der Sog (durch den sich erweiternden Vokaltrakt) ist, desto weiter hinten reagiert das Zwerchfell. Das entspricht in etwa der Vokalfolge u-o-a.

Zwerchfellbewegungen (Singen, Lachen, Schluchzen, Stöhnen, Gähnen) haben eine ansteckende Wirkung: Bei allen Gattungen, die über ein Zwerchfell und den entsprechenden Reflex verfügen, lösen sie die entsprechende Emotion aus. Deshalb gilt insbesondere für den Gesang, der ja auch vor allem eine emotionale Ausdrucks- und Kommunikationsform darstellt: Zur Phonation dazu rationalisierte Sekundäremotionen können überladend, irritierend und störend wirken. Die in der funktionalen Phonation fortwirkende Einatmungstendenz, das -> inalare la voce, bedeutet, die Zwerchfellaktivierung weiter zu verstärken, statt sie nach und nach erschlaffen zu lassen, und das aktiviert auch fortlaufend die Emotionsebene, die ja direkt mit dem Zwerchfell verknüpft ist. So wird aus einer Körperfunktion Gesang. 

 

 

INDEX DER ERKLÄRTEN BEGRIFFE

Ansatz -> Sitz/Vordersitz

Ansatzrohr -> Vokaltrakt

Aperto ma cuperto

Appoggiare la voce <- Stütze

Artikulation

Atmung

Aufrichtung

Bauchmuskulatur

Belting

Bewegung

Bewusstsein

Bruch -> Übergang

Canto fiorito

Canto sul fiato

Chiaroscuro

Colpo di petto

Constrictoren

Cuperto/la cupula

Decken

Dehnung

Dehnungsfunktion

Doppelventilfunktion

Dynamik/Lautstärke

Einsingen

Emotion

Falsett

Formant

Gaumen

Gesangsreflex

Gestaltung

Glissando

Glottisschlag

Gola aperta

Höhe

Inalare la voce

Inneres Lächeln

Intonation

Kehlkopf

Kehlkopfsenkung

Klangfarbe

Knödel

Koloratur

Konsonanten

Legato

Ligament

Lippen

Luftdruckregelung

Luftwege

Lunge

Männerstimme - Frauenstimme - Kinderstimme (Kurzanleitung für Chorleiter)

Markieren

Masse

Mediakompression

Messa di voce

Mezza voce

Mimikmuskulatur

Mischung <- Voix mixte

Mundöffnung/Kieferöffnung

Muskulatur

Nase

Öffnung

Ohr

Portamento

Randschwingung

Raum

Register

Registerdivergenz

Resonanz

Resonator

Rippen

Rundung

Saugreflex

Schnute

Schreien

Schrillheitsfrequenz

Schwa

Schwingung/Schwingungswahrnehmung

Segment

Sitz/Vordersitz <- Ansatz

Sitzen - Stehen (Kurzanleitung für Chorleiter)

Staccato

Stimmlippen

Stimmfach

Stütze -> Appoggiare la voce

Stumme Masse

Taschenfalten

Tiefe

Timbre -> Stimmfach/Klangfarbe

Tonhöhenregelung

Tonus

Trachelazug

Tragfähigkeit

Training

Übergang <- Bruch

Ventrikel/Vestibül

Vibrato

Vocal fry

Voce bianca

Voix mixte -> Mischung

Vokal

Vokalausgleich

Vokalfarbe

Vokaltrakt <- Ansatzrohr

Wahrnehmung

Wirbelsäule

Wissen

Wünschen

Zunge

Zwerchfell

 

SÄNGERISCHE REDEWENDUNGEN UND IHRE FUNKTIONALE ZUORDNUNG

ABSATZ

Nachächzen -> Einatmungstendenz

 

ARTIKULATION

Bäckchen -> Inneres Lächeln

Breitspannung -> Inneres Lächeln

Freudiges Staunen -> Inneres Lächeln/Saugreflex

 

ATMUNG/AUFRICHTUNG

Atemtypen (Einatmer-Ausatmer) -> Atmung

In den Bauch/Beckenboden atmen (= Ruheatmung) -> Atmung 

Mit der Bauchmuskulatur stützen -> Bauchmuskulatur/Doppelventilfunktion

Auf dem Körper -> Aufrichtung

Auf dem Atem -> Canto sul fiato

 

EINSATZ

Von oben - von unten -> Doppelventilfunktion

Freier Ansatz -> Einsatz

 

KLANGFARBEN

Klangkern -> Mediakompression

Weich - hart -> Doppelventilfunktion/Formanten

Rund - spitz- flach -> Mundöffnung/Kehlkopfsenkung/Zunge

Dunkel - hell -> Chiaroscuro

Eng/gepresst -> Kehlkopfsenkung/Zunge

Metall -> Mediakompression

Nasenresonanz -> Nase

Maske/Vordersitz -> Sitz

 

PHONATION

Den Ton trinken -> Inalare la voce

Schieben -> Doppelventilfunktion

Es singt -> Gesangsreflex

 

REGISTER

Verstärktes/gestützes Falsett -> Doppelventilfunktion

Pfeifregister -> Register

Strohbass/Vocal fry -> Register 

 

VOKALTRAKT

Ansatzrohr -> Vokaltrakt 

In den Unterkiefer singen -> Mundöffnung

Staunen -> Mundöffnung/Inalare la voce

Gähnweite/Gähnstellung -> Mundöffnung

Decken -> Aperto ma cuperto/Cuperto

Dämpfen -> Aperto ma cuperto/Cuperto

Knödel -> Zunge

 



EPILOG

Zu wissen, welche sängerischen Konzepte zielführend, funktional sinnvoll sowie anatomisch, akustisch und neuronal begründbar sind und welche in die Irre führen, Kompensationen oder Vermeidungsstrategien sind, ist ein wichtiger Wegweiser, um die eigenen Gewohnheiten und die der Schülerinnen und Schüler von der funktionalen Warte aus einordnen und entsprechende Wege und Teilziele verantwortungsvoll wählen zu können. 

Dieses theoretische Wissen ersetzt aber in keiner Weise die praktische intensive Beschäftigung mit dem eigenen Körper und den eigenen Gewohnheiten und Glaubenssätzen. Da sich niemand von außen beobachten kann, da ein lernender Mensch zwar ein Gespür für gangbare Wege und gesunden Umgang mit der eigenen psychosomatischen Konstitution hat, aber weder eignene Erfahrungswerte im Hinblick auf das zu erreichende angestrebte Ziel, noch Kenntnis von unbewussten Prägungen, Haltungen, Gewohnkeiten, Strategien und Traumata, ist es ihm nicht möglich, eine reale Vision von dem Weg zu entwickeln, der ihn dorthin führen kann, zumal die täglich ausgeübte Sprachgewohnheit mit der sängerischen Artikulation nur sehr eingeschränkt kompatibel ist und bestimmte artikulatorische Bewegungsabläufe ganz neu erlernt werden müssen. Dazu ist es unbedingt notwendig, sich einer erfahrenen Lehrperson anzuvertrauen, die das nötige Fachwissen und die erforderlichen Fähigkeiten des funktionalen Hörens, Sehens und Fühlens entwickelt und Wege des Unterrichtens gelernt hat, die sicher und ohne Umwege zu dem angestrebten Resultat führen können, funktional gesund und lustvoll singen zu können bis ins hohe Alter.

Gabriele Weinfurter